19. Dezember: Gestohlene Blicke

Die große Halle verwandelte sich in ein wahres Winterwunderland. Die hohen Decken waren mit funkelnden Eiskristallen verzaubert, die wie ein Netz aus Sternen glitzerten. Schneeflocken tanzten leise herab, lösten sich jedoch, bevor sie den Boden erreichten. Die vier langen Haustische waren verschwunden, stattdessen standen runde Tische bereit, mit goldenen Tischdecken und festlichen Kerzenleuchtern geschmückt.

Überall herrschte emsiges Treiben. Schüler liefen umher, um letzte Dekorationen anzubringen, und Professor Flitwick schwebte auf einer Leiter, um die letzten magischen Lichter an den schwebenden Weihnachtsbäumen zu befestigen. Es war laut, hektisch – und dennoch schwebte eine besondere Magie in der Luft, die alle für einen Moment ihre Differenzen vergessen ließ.

Harry stand mit Hermine an einem der Tische und band mit mäßigem Erfolg eine goldene Schleife um ein Bündel Tannenzweige. Ron, der ihnen ebenfalls helfen sollte, war stattdessen damit beschäftigt, heimlich ein paar Schokofrösche zu naschen, die er aus dem Vorratsraum mitgehen ließ.

„Harry, die Schleife sieht aus, als hätte sie einen Kampf verloren.", bemerkte Hermine trocken und nahm ihm die Zweige aus der Hand. „Lass mich das machen."

„Ich wusste nicht, dass Schleifenbinden ein magisches Talent erfordert.", murmelte Harry, ließ sie aber machen.

Sein Blick wanderte unweigerlich durch die Halle, und ohne es zu merken, blieb er an einer bestimmten Person hängen: Draco Malfoy.

Draco stand auf der anderen Seite der Halle und war damit beschäftigt, magische Kugeln an einem Baum zu platzieren. Sein Gesicht war eine Maske der Konzentration, während er eine besonders widerspenstige Kugel an der perfekten Stelle platzieren wollte. Die Kugel jedoch hatte ihren eigenen Willen und schwebte immer wieder nach oben, außer Reichweite.

„Verdammtes Ding.", murmelte Draco und zückte seinen Zauberstab. Mit einem gezielten „Arresto Motus" zwang er die Kugel, an Ort und Stelle zu bleiben.

Harry beobachtete die Szene mit einem kleinen Lächeln. Draco war offensichtlich genervt, und doch hatte er diese mühelose Eleganz, die Harry immer wieder in seinen Bann zog. Es war nicht das erste Mal in den letzten Tagen, dass Harry sich dabei ertappte, wie er Draco anstarrte. Und es war nicht nur das Äußere – obwohl Harry zugeben musste, dass Draco in seinem einfachen, aber perfekt sitzenden schwarzen Umhang bemerkenswert gut aussah. Es war auch die Art, wie er sich bewegte, wie er sprach, wie er in Momenten der Ruhe eine Tiefe zeigte, die Harry nie bei ihm erwartet hätte.
Draco spürte plötzlich, dass jemand ihn beobachtete. Er hob den Kopf – und sein Blick traf direkt auf Harrys.

Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Harrys grüner Blick war intensiv, beinahe neugierig, und Draco fühlte, wie sich seine Wangen ungewollt erwärmten. Schnell wandte er den Kopf ab und konzentrierte sich wieder auf den Baum vor ihm, doch sein Herz schlug schneller.

,,Warum starrt er mich so an?", fragte sich Draco, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Doch es war nicht das erste Mal, dass er Harrys Blick auf sich gespürt hatte.
Wenig später überquerten Harry und Hermine die Halle, um eine Schachtel mit zusätzlichen Ornamenten zum Hauptbaum zu bringen. Doch während Hermine eine Unterhaltung mit Professor McGonagall begann, blieb Harry stehen – direkt neben Draco.

„Malfoy.", sagte Harry, und seine Stimme klang ruhiger, als er sich fühlte.

Draco drehte sich um und hob eine Augenbraue. „Potter. Was willst du?"

Harry zuckte mit den Schultern und deutete auf den Baum. „Sieht gut aus. Besser als ich erwartet hätte."

Draco schnaubte. „Das soll ein Kompliment sein? Du bist wirklich miserabel darin."

„Vielleicht.", gab Harry zu, doch er lächelte dabei.

Die Spannung zwischen ihnen war greifbar, und obwohl sie sich gegenseitig zu sticheln versuchten, lag eine seltsame Leichtigkeit in der Luft. Harry merkte, dass Dracos Haltung weniger abweisend war als sonst, und Draco bemerkte, dass Harrys Lächeln nicht spöttisch, sondern echt war.
Im Laufe des Nachmittags ertappten sich die beiden immer wieder dabei, den anderen anzustarren. Harry konnte nicht anders, als Draco zu beobachten, wie er mit einer unerwarteten Gründlichkeit die Dekoration arrangierte. Es war faszinierend, diesen anderen, fast sanften Draco zu sehen.

Draco hingegen fand sich selbst dabei, dass er mehr auf Harry achtete, als ihm lieb war. Die Art, wie Harry lachte, wenn Ron etwas Dummes sagte, oder wie er sich die Haare aus der Stirn strich, war ihm früher nie aufgefallen – und jetzt konnte er nicht aufhören, es zu bemerken.

Es war verwirrend und beunruhigend, und doch konnte er nicht anders.
Am Abend, als die letzten Dekorationen fertiggestellt wurden, fanden sich Harry und Draco plötzlich allein am großen Weihnachtsbaum wieder.

„Es ist fast perfekt.," sagte Harry und trat einen Schritt zurück, um den Baum zu bewundern.

„Fast?" wiederholte Draco spöttisch. „Was fehlt denn noch, Potter? Willst du etwa deinen Gryffindor-Wimpel oben draufsetzen?"

Harry lachte. „Nein, aber... vielleicht etwas weniger Kälte von deiner Seite?"

Draco verzog die Lippen, doch ein Lächeln schlich sich in seine Augen. „Vielleicht. Wenn du Glück hast."

Für einen Moment standen sie einfach da, nebeneinander, und betrachteten den Baum. Der Schnee glitzerte, die magischen Kugeln schwebten sanft, und die Kerzenlichter flackerten warm.

Harry drehte den Kopf und sah Draco an. Sein Herz klopfte schneller, und er fragte sich, ob Draco es hören konnte.

Draco bemerkte Harrys Blick und wandte sich ihm zu. Ihre Augen trafen sich – und in diesem Moment fühlte es sich an, als wäre die ganze Welt nur auf sie beide reduziert.

Doch bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, rief Ron von der anderen Seite der Halle: „Harry! Draco! Kommt schon, McGonagall will die Lichter entzünden!"

Der Moment zerbrach, und sie traten hastig zurück, als wären sie auf frischer Tat ertappt worden. Doch während sie zum Rest der Gruppe gingen, spürten beide, dass sich etwas verändert hatte. Etwas, das sie beide nicht mehr ignorieren konnten.  

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