18. Dezember: Einsamer Spaziergang

Draco spürte die eisige Luft auf seinen Wangen, während er schnellen Schrittes die verschneiten Ländereien von Hogwarts durchquerte. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, und sein Atem bildete weiße Wolken, die in der Dunkelheit verschwanden. Der Abend war sternenklar, und die Kälte biss ihm ins Gesicht, doch er achtete nicht darauf. Alles, was er wollte, war, den Druck, der in seiner Brust wuchs, irgendwie loszuwerden.

Die letzten Tage waren ein emotionales Durcheinander gewesen. Die Aufgaben mit Harry hatten mehr in ihm ausgelöst, als er sich je hätte vorstellen können. Es waren nicht nur die Momente der Nähe, die ihn verwirrten, sondern auch die Tatsache, dass er sich in Harrys Gegenwart seltsam sicher fühlte. Das war ein Gefühl, das er nie zuvor erlebt hatte – und das machte ihm Angst.

Er wusste nicht, wohin er gehen wollte, nur, dass er weg musste. Fort von den Fragen, die ihn quälten, fort von Harrys durchdringendem Blick, der immer tiefer in ihn zu sehen schien, als Draco lieb war.


Harry stand am Fenster des Gryffindor-Gemeinschaftsraums und beobachtete, wie eine schlanke Gestalt in der Dunkelheit über die verschneite Landschaft ging. Er wusste sofort, dass es Draco war.

Seit ihrem Gespräch mit Hermine ließ ihn der Gedanke an Draco nicht mehr los. Er hatte versucht, sich auf seine Hausaufgaben zu konzentrieren, auf das Quidditch-Training und sogar auf Ron, der von einer besonders miserablen Verteidigungszauberei-Stunde schwadronierte. Doch Dracos blasses Gesicht und sein verschlossener Ausdruck, den er oft hinter seiner arroganten Fassade verbarg, gingen ihm nicht aus dem Kopf.

Als er sah, wie Draco immer weiter in die Nacht hinausging, entschied er sich. Er würde ihm folgen. Vielleicht war es verrückt, aber er konnte nicht einfach hier sitzen und zusehen, wie Draco allein in der Dunkelheit verschwand.
Harry fand Draco schließlich auf einer Anhöhe, die eine freie Sicht auf den See und das Schloss bot. Draco saß auf einem schneebedeckten Baumstumpf, die Schultern hochgezogen, die Hände in seinen Manteltaschen vergraben. Harry trat langsam näher, vorsichtig, um ihn nicht zu verschrecken.

„Malfoy?"

Draco zuckte zusammen und drehte sich um. Sein Gesicht war schwer zu lesen, eine Mischung aus Überraschung und Ärger. „Was willst du hier, Potter?", fragte er scharf.

Harry blieb ein paar Schritte entfernt stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich könnte dich dasselbe fragen. Du siehst nicht gerade aus, als würdest du hier draußen die Sterne genießen."

Draco verdrehte die Augen und wandte sich wieder ab. „Vielleicht wollte ich einfach nur allein sein. Ist das so schwer zu begreifen?"

Harry ließ sich davon nicht abschrecken. Stattdessen trat er näher und ließ sich auf einen anderen Baumstumpf in Dracos Nähe fallen. „Manchmal ist es schwer, allein zu sein.", sagte er leise.

Draco schwieg. Die Stille zwischen ihnen dehnte sich, nur unterbrochen vom leisen Rauschen des Windes, der durch die Bäume strich.

„Warum bist du wirklich hier draußen?", fragte Harry schließlich, seine Stimme ruhig und ernst.

Draco seufzte, und es klang, als würde er gegen sich selbst kämpfen. „Ich weiß es nicht.", gestand er schließlich. „Alles fühlt sich so... durcheinander an. Und ich hasse es, wenn ich die Kontrolle verliere."

Harry nickte. „Ich kenne das Gefühl."

Draco drehte den Kopf und sah ihn an. „Das bezweifle ich. Du bist der goldene Gryffindor. Du hast immer alles im Griff, oder?"

Harry lachte leise, aber ohne Spott. „Wenn du das wirklich glaubst, dann kennst du mich nicht. Die Wahrheit ist, ich bin genauso unsicher wie du – vielleicht sogar mehr. Ich tue nur so, als wüsste ich, was ich tue."

Draco sah ihn lange an, und etwas in seinem Blick veränderte sich. „Warum bist du hier, Potter?", fragte er schließlich, und diesmal klang seine Stimme weniger scharf, fast verletzlich.

Harry zögerte. Er wollte ehrlich sein, aber die Worte schienen schwer über seine Lippen zu kommen. „Weil ich mir Sorgen um dich mache.", sagte er schließlich. „Und weil ich wissen will, was wirklich in dir vorgeht."

Draco sah ihn an, als hätte er nicht richtig gehört. „Du machst dir Sorgen... um mich?" „Ja.", sagte Harry einfach.

Draco schnaubte, doch es klang weniger abwehrend als gewohnt. „Das ist absurd. Du solltest mich hassen. Wir sollten uns hassen."

Harry lehnte sich ein wenig vor. „Vielleicht sollten wir das. Aber irgendwie... tue ich es nicht mehr. Nicht wirklich."

Draco schwieg, und sein Blick glitt über den schneebedeckten See. „Es ist nur... manchmal fühlt es sich an, als würde alles, was ich tue, falsch sein.", sagte er schließlich leise. „Als wäre ich immer der, der nicht dazugehört. Selbst jetzt."

Harry spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. Er hatte Draco nie so verletzlich gesehen, so ehrlich. „Du gehörst dazu, Draco.", sagte er leise. „Vielleicht auf eine andere Art, aber du gehörst dazu. Mehr, als du denkst."

Dracos Lippen verzogen sich zu einem schwachen, fast traurigen Lächeln. „Du bist wirklich seltsam, Potter."

„Das höre ich öfter.", erwiderte Harry, und sie beide lachten leise.

Die Sterne funkelten über ihnen, und für einen Moment fühlte es sich an, als wären sie die einzigen beiden Menschen auf der Welt.

Draco stand schließlich auf und sah Harry an. „Danke.", sagte er, und das Wort klang ungewohnt ehrlich.

„Für was?", fragte Harry, ebenfalls aufstehend.

„Dafür, dass du mich nicht in Ruhe gelassen hast.", antwortete Draco mit einem schiefen Lächeln.

Harry erwiderte das Lächeln. „Immer gerne."

Sie gingen nebeneinander zurück zum Schloss, ihre Schritte ruhig und im Einklang. Es war keine völlige Lösung ihrer Unsicherheiten, aber es war ein Anfang. Und manchmal, dachte Harry, ist das alles, was man braucht.

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