17. Dezember: Eine unerwartete Verbündete
Die Tage nach dem Erlebnis auf der Lichtung waren für Harry ein merkwürdiges Chaos aus Gefühlen und Gedanken. Immer wieder schlich sich die Erinnerung an Dracos Worte und die tanzenden Schneeflocken in seinen Kopf – an die Wärme, die trotz der eisigen Umgebung zwischen ihnen geherrscht hatte. Er hatte noch nie zuvor etwas Ähnliches gespürt, und genau das machte ihm Angst.
Hermine bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Harry.", begann sie in ihrer gewohnt durchdringenden, aber sanften Stimme, als sie ihn in der Bibliothek fand. Harry hatte sich an einen der hinteren Tische verzogen, eine halb geöffnete Ausgabe von Zauberhafte Wintermythen vor sich, die er nicht wirklich las.
„Was ist los?", fragte sie, während sie sich ihm gegenüber setzte und ihn prüfend ansah.
Harry hob den Blick nur kurz, ehe er ihn wieder auf das Buch senkte. „Nichts. Ich dachte, ich lese ein bisschen."
Hermine zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Du liest? Freiwillig?", sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. „Das kaufe ich dir nicht ab. Erzähl schon."
Harry seufzte. Es hatte keinen Sinn, Hermine auszuweichen – sie hatte ein Talent dafür, die Wahrheit aus ihm herauszukitzeln. „Es ist nichts Wichtiges, wirklich.", versuchte er dennoch, doch als Hermine ihn mit einem wissenden Blick ansah, kapitulierte er. „Es geht um Draco." „Malfoy?", Hermine setzte sich aufrechter hin, ihre Neugier geweckt. „Was ist mit ihm?"
Harry zögerte. Wie sollte er erklären, was ihn beschäftigte, ohne dabei seltsam oder verwirrt zu klingen? Er schob das Buch zur Seite und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
„Er ist... anders, als ich dachte.", begann er zögernd. „Seit wir diese Aufgaben zusammen machen müssen, habe ich Seiten an ihm gesehen, die ich nie erwartet hätte."
Hermine nickte, als wollte sie ihn ermutigen, weiterzusprechen.
„Und manchmal,", fuhr Harry fort, „fühlt es sich an, als würde ich ihn wirklich verstehen. Als wäre da etwas..."
Er brach ab und sah zu Boden. Die Worte kamen ihm plötzlich viel zu schwer über die Lippen. „Etwas zwischen euch?", ergänzte Hermine vorsichtig.
Harrys Kopf ruckte nach oben, und er starrte sie mit großen Augen an. „Nein! Also... ich weiß nicht. Vielleicht. Es ist so verwirrend."
Hermine lehnte sich vor und legte eine Hand auf seine. „Harry, ich weiß, dass du nicht gerne über Gefühle redest. Aber wenn du so durcheinander bist, dann bedeutet das, dass da etwas ist, was du nicht ignorieren kannst."
Harry seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Es macht keinen Sinn, Hermine. Das ist Malfoy. Wir haben uns jahrelang gehasst. Warum sollte sich das plötzlich ändern?"
„Weil Menschen sich ändern können.", sagte Hermine mit Nachdruck. „Und manchmal, wenn man gezwungen wird, Zeit mit jemandem zu verbringen, erkennt man Dinge, die man vorher nicht sehen konnte."
Harry dachte über ihre Worte nach. Es stimmte, dass Draco ihn überrascht hatte – mit seinem Wissen über die Schneemagie, mit der Art, wie er ihm geholfen hatte, das verlorene Geschenk zu finden, und mit den Momenten, in denen er fast verletzlich gewirkt hatte.
„Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.", gab er schließlich zu.
Hermine lächelte sanft. „Du musst gar nichts tun, Harry. Aber du solltest ehrlich zu dir selbst sein. Fühlst du dich anders, wenn du in seiner Nähe bist?"
Harry nickte langsam. „Ja. Aber ich weiß nicht, ob das etwas Gutes oder Schlechtes ist."
„Das ist normal," sagte Hermine beruhigend. „Gefühle sind kompliziert, besonders, wenn sie unerwartet kommen. Aber wenn du wirklich wissen willst, was zwischen euch ist, dann solltest du dir selbst die Chance geben, es herauszufinden."
„Und wie mache ich das?", fragte Harry.
„Indem du dir erlaubst, offen zu sein.", antwortete Hermine. „Du musst nicht sofort wissen, was das alles bedeutet. Aber hör auf, dagegen anzukämpfen, nur weil es dich verunsichert. Manchmal lohnt es sich, das Risiko einzugehen."
Harry ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Ein Teil von ihm wollte immer noch leugnen, dass da überhaupt etwas war – doch ein anderer Teil wusste, dass Hermine recht hatte.
„Weißt du,", sagte Hermine nach einer Weile, „Draco hat sich auch verändert. Ich habe es bemerkt, und ich bin mir sicher, dass Ron es auch bemerkt hat, auch wenn er es niemals zugeben würde."
Harry warf ihr einen überraschten Blick zu. „Was meinst du?"
„Er ist ruhiger geworden, nachdenklicher. Ich glaube, er versucht wirklich, sich zu beweisen – nicht nur dir, sondern auch sich selbst. Vielleicht solltest du ihm die Chance geben, dir zu zeigen, wer er wirklich ist."
Harry wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Aber Hermines Worte blieben bei ihm, selbst nachdem sie die Bibliothek verlassen hatte.
Er saß noch lange dort, allein, und sah hinaus in den verschneiten Hof. Irgendwo da draußen war Draco, vielleicht genauso verwirrt wie er selbst.
Und zum ersten Mal fragte Harry sich, ob es wirklich so falsch wäre, herauszufinden, was zwischen ihnen war.
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