15. Dezember: Verlorene Geschenke
Die Kälte hatte Hogwarts fest im Griff, als Harry sich am frühen Morgen durch den verschneiten Innenhof kämpfte. Schneeflocken rieselten leise vom grauen Himmel herab, bedeckten den Boden und glitzerten im schwachen Licht, das durch die Wolkendecke drang. Harry hatte die Hände tief in seinen Umhang gesteckt und seine Schultern gegen den frostigen Wind hochgezogen, doch seine Gedanken waren überall, nur nicht bei dem Wetter.
Er war sich sicher, dass er es in der Bibliothek gelassen hatte – das kleine, sorgfältig verpackte Geschenk, das er für Hermine ausgesucht hatte. Es war nichts Großes, aber es hatte eine persönliche Note, und Harry wusste, dass sie sich darüber freuen würde. Doch jetzt war es weg, und Panik kroch in ihm hoch.
,,Wie kann ich nur so blöd sein?", dachte er und trat mit dem Fuß gegen einen Schneehaufen. Der Schnee spritzte in alle Richtungen, aber seine Wut über sich selbst blieb.
Draco beobachtete Harry aus einer Ecke des Innenhofs. Er war zufällig hier vorbeigekommen, eigentlich auf dem Weg zum Frühstück, als er den Gryffindor sah, der ziellos durch den Schnee stapfte, mit einer grimmigen Miene und einem Ausdruck der Frustration, der Draco unweigerlich zum Schmunzeln brachte.
Doch dann blieb Harry stehen und ließ sich auf eine der eisigen Bänke fallen, die Stirn in die Hände gestützt. Es war etwas an seinem Blick, das Draco innehalten ließ. Es war nicht die typische, ungeduldige Verärgerung, die er bei Potter gewohnt war. Es war etwas anderes – ein Hauch von Verzweiflung.
Draco seufzte. ,,Warum sollte mich das kümmern?", fragte er sich selbst, aber die Antwort blieb aus. Bevor er sich anders entscheiden konnte, trat er aus dem Schatten und ging auf Harry zu. „Potter, was machst du da?" fragte er mit seiner üblichen Mischung aus Spott und Neugier, wobei er sich die Schneeflocken aus den Haaren wischte.
Harry sah auf und blinzelte überrascht. „Was geht dich das an, Malfoy?" schnappte er, aber seine Stimme klang weniger bissig, als er es beabsichtigt hatte.
Draco hob eine Augenbraue. „Oh, nichts. Ich dachte nur, du würdest versuchen, den Schnee anzustarren, bis er schmilzt. Aber offensichtlich ist deine Laune heute genauso miserabel wie das Wetter."
Harry verdrehte die Augen, aber ein Teil von ihm war tatsächlich froh, dass jemand ihn angesprochen hatte – selbst wenn es Draco Malfoy war.
„Ich habe etwas verloren.", gab er schließlich zu und wich Dracos Blick aus.
Draco zog die Stirn kraus. „Du hast was verloren?"
„Ein Geschenk.", murmelte Harry. „Für Hermine. Es war in der Bibliothek, aber jetzt ist es weg." Draco schnaubte und verschränkte die Arme. „Natürlich. Gryffindors und ihre mangelnde Organisation. Aber ich nehme an, du hast schon gesucht?"
„Natürlich!" erwiderte Harry scharf. „Aber... es war einfach weg. Und jetzt habe ich keine Ahnung, wo ich noch nachsehen soll."
Draco musterte ihn einen Moment lang, dann seufzte er, als hätte er gerade eine besonders lästige Entscheidung getroffen. „Gut, Potter. Ich helfe dir. Immerhin kann ich es nicht ertragen, dich so erbärmlich herumirren zu sehen."
Harry sah ihn überrascht an. „Du willst mir helfen?"
„Ja, ja.", sagte Draco, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, obwohl ihm klar war, dass er sich gerade selbst überraschte. „Aber nur, weil ich sehen will, wie du mir am Ende dankst."
Die Suche begann in der Bibliothek. Madam Pince war alles andere als begeistert, als Draco und Harry in den Raum stürmten und zwischen den Regalen zu stöbern begannen. „Leiser, oder ich werfe euch beide hinaus!" zischte sie, doch die beiden schenkten ihr kaum Beachtung.
„Bist du sicher, dass du es hier gelassen hast?" fragte Draco, als er durch ein Regal mit verstaubten Büchern ging.
„Ja.", sagte Harry und hob einige Bücher an, um unter sie zu schauen. „Ich hatte es in meiner Tasche, und ich bin sicher, dass ich es hier hingelegt habe, als ich die Karte von Hogsmeade herausgenommen habe."
„Natürlich.", murmelte Draco und schüttelte den Kopf. „Vielleicht hast du es in deinem ewigen Chaos einfach verlegt."
Harry warf ihm einen scharfen Blick zu. „Das hilft jetzt nicht, Malfoy." Draco zuckte nur mit den Schultern. „Ich stelle nur fest, Potter."
Nachdem sie die Bibliothek durchkämmt hatten, ohne Erfolg, machten sie sich auf den Weg zum Gryffindor-Turm. Unterwegs begegneten sie Neville, der versuchte, seinen Schal vor Peeves zu retten, und Ginny, die die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete, aber nichts sagte.
„Vielleicht ist es irgendwo im Gemeinschaftsraum.", schlug Draco vor, während sie die Treppen hinaufgingen.
„Ich hab es dir doch schon gesagt – ich war nicht mehr im Gemeinschaftsraum, nachdem ich in der Bibliothek war.", sagte Harry und stöhnte frustriert. „Das macht keinen Sinn."
„Das meiste, was du tust, macht keinen Sinn.", konterte Draco, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Als sie schließlich den Gemeinschaftsraum durchsuchten, fanden sie ebenfalls nichts. Harry ließ sich auf einen der Sessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen.
„Es ist weg.", murmelte er. „Ich werde nie ein neues Geschenk rechtzeitig besorgen können."
Draco, der an der Fensterbank lehnte, musterte ihn einen Moment. Ein Gedanke ging ihm durch den Kopf, und obwohl er sich selbst nicht sicher war, warum er es tat, ging er zu Harry und klopfte ihm leicht auf die Schulter.
„Es wird schon wieder.", sagte er, seine Stimme war fast sanft. „Vielleicht ist es gar nicht weg. Manchmal tauchen Dinge wieder auf, wenn man es am wenigsten erwartet."
Harry sah auf, überrascht von der ungewohnten Wärme in Dracos Stimme. Für einen Moment war da wieder dieses seltsame Gefühl – diese unerklärliche Nähe, die er in letzter Zeit immer wieder gespürt hatte.
„Danke.", sagte er schließlich, leise, aber ehrlich.
Draco nickte knapp und richtete sich auf. „Na los, Potter. Lass uns weitersuchen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, deinen Kram zu retten."
Harry konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie wieder aufbrachen. Was auch immer das hier war, es war... irgendwie weniger schlimm, als er gedacht hätte. Und vielleicht, nur vielleicht, war Draco gar nicht so unerträglich, wie er immer geglaubt hatte.
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