Kapitel 43 ✔️
Es war für mich schwierig gewesen, nach Shishieshs unerwarteter Beichte Takoda gegenüber weiterhin normal mit ihm zu reden. Aber da ich die Lauschaktion für mich behalten wollte, war mir nichts anderes übriggeblieben. Wäre mein Mann nicht aufgetaucht und hätte der Crow mich mit zurück in sein Dorf nehmen müssen, um sicher zu überwintern, hätte er mich nicht mehr ziehen lassen.
Dieses Wissen war mir auf den Magen geschlagen, also hatte ich zum Frühstück nur etwas Trockenfleisch geknabbert. Beide Männer hatten mich argwöhnisch betrachtet, doch ich hatte mit dem Hinweis auf meine Schwangerschaftshormone abgewinkt. Einige Stunden waren wir zu dritt geritten, dann hatte Shishiesh von uns Abschied genommen. Er hatte mich eng an sich gedrückt und viel länger festgehalten, als notwendig war. Danach hatte er meinen Lakota noch einmal angeknurrt, dass er gefälligst besser auf mich und das Ungeborene aufpassen sollte. Wir hatten ihm einige Zeit nachgeschaut, als er nach Westen ritt, um das Gebiet der Lakota weiträumig zu umgehen. Dann hatten wir uns ebenfalls auf den Weg nach Hause gemacht, bis die Dämmerung einbrach und wir an einem Bach unser Lager für die Nacht aufschlugen. Mittlerweile kuschelten wir eng aneinander liegend unter den Decken.
„Irgendwie tut er mir ja leid", unterbrach Takoda die Stille. „Ich meine, er hatte seine Traumfrau gefunden und dann wurde sie von Cheyenne geraubt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich ihm bin, dass er dich vor seinen Stammesmitgliedern gerettet hat." Sanft küsste er mich auf die Schläfe. „Du hast zwar gesagt, dass du in diesem Jahrhundert bleiben willst, doch solltest du deine Meinung ändern, werden wir zurückreisen. Vorausgesetzt, die Höhle spielt mit."
„Ich will nicht mehr zurück in die Moderne", erwiderte ich nach kurzem Nachdenken. „Ich gehöre zu dir und du gehörst hierher. Das habe ich in den Wochen mit Shishiesh begriffen." Ich verschränkte die Finger mit denen meines Mannes, denn er hatte seine Hand beschützend auf meinem schwangeren Bauch gelegt. „Ich hoffe nur, dass er auch noch einmal glücklich werden darf."
„Eine Frau wie dich wird er wohl kaum finden." Takoda knabberte an meinem Hals, jagte mir damit angenehme Schauer durch den Körper. Ich seufzte wohlig.
„Ist es töricht von mir, dass ich mir wünsche er und seine Sarah fänden wieder zusammen?" Ich gönnte es ihm von Herzen.
„Wenn es wahre Liebe war, dann werden sie einander wiedersehen, wenn sie zu den Ahnen gehen", erwiderte er nur. Keine Wertung, keine Missbilligung lag in seiner Stimme. „Es müsste schon an ein Wunder grenzen, fänden sie einander in diesem Leben wieder." Nach diesen wenig aufmunternden Worten hingen wir beide unseren Gedanken nach, bis wir endlich einschliefen.
Am frühen Morgen setzten wir den Ritt zum Dorf der Lakota fort. Aufmerksam betrachtete ich die Umgebung, während wir immer weiter nach Norden zogen. Das hüfthohe Präriegras tanzte mal wieder, rollte von den Hügeln wie Wellen in die Täler. Irgendwann bildete ich mir ein, im Osten eine riesige Staubwolke zu sehen. Die Grenze zwischen Himmel und Prärie war verschwommen und ganze Vogelschwärme kamen aus dieser Richtung, flogen über unsere Köpfe hinweg.
„Bisons." Mein Mann grinste breit. „Sieht so aus, als ob wir den Vorrat an Fleisch, Häuten und Fellen noch etwas aufstocken können." Er betrachtete genau die Umgebung, prägte sich jede Besonderheit ein, um den anderen Kriegern mitzuteilen, in welche Richtung die Herde zog. Seufzend wandte ich den Blick ab. Da kam wieder eine Menge Arbeit auf mich zu. Andererseits benötigten wir die genannten Sachen. Kurz dachte ich daran, was mich im Winter erwartete. Wochenlanges Nähen unsere gemeinsamen Tipis. Ein Vorteil hatte es ja. Die Zelte gehörten den Indianerinnen. Wenn eine Frau genug von ihrem Ehemann hatte, konnte sie ihn kurzerhand rausschmeißen. Sie brauchte dazu nur seine Sachen vor das Tipi zu stellen. Nicht, dass ich vorhatte, ihn rauszuschmeißen, dennoch gefiel mir der Gedanke, dass Frauen so selbständig handeln durften. Falls er mich mal wieder ärgerte, hatte ich etwas, um ihm zu drohen.
Sehnsüchtig hielt ich Ausschau nach den Tipis unseres Dorfes. Als ich endlich die ersten Spitzen sah, fiel ich um Haaresbreite vom Pferd. Takoda, dem meine fast verhängnisvolle Freude nicht entgangen war, feixte vor sich hin.
„Blödmann", knurrte ich beleidigt, doch dann stahl sich wieder ein Lächeln auf meine Lippen. Mehrere Krieger ritten uns entgegen und ich war mir ziemlich sicher, dass Otaktay und Matȟó unter ihnen waren. Meine Vermutung bestätigte sich, als wir einander trafen. Verwunderte, aber glückliche Blicke lagen auf mir.
Mir wurde abermals bewusst, wie viel Glück ich mit Shishiesh gehabt hatte. Ich fragte mich nur, ob Takoda seinen Leuten, nein, unseren Leuten die ganze Geschichte erzählen würde. Den Teil mit den Zeitreisen würde eh niemand glauben. Aber ohne ihn würde das Verhalten des Crow keinen Sinn ergeben.
Wir erreichten das Dorf, umringt von den Kindern, die uns lachend entgegengelaufen waren. Überall ließen die Frauen und selbst Männer ihre Sachen fallen, um den Häuptlingssohn und dessen wiedergefundene Ehefrau zu begrüßen. Unter ihnen sah ich meine Freundin Kimímela-sápA und meine Schwiegermutter Stilles Wasser. Vereinzelt hörte ich meinen Namen aus den Rufen der Lakota heraus. Mein Herz stolperte vor Freude aus dem Takt. Hier gehörte ich her. Zu diesen Menschen. Lächelnd stieg ich vom Pferd und wurde sofort von den Frauen umringt, während die Männer Takoda belagerten, der direkt irgendetwas von den Bisons berichtete. Ich verstand nur die Hälfte, weil er so schnell sprach.
Ich musste dringend weiter an den Sprachkenntnissen arbeiten. Wenn ich daran zurückdachte, wie sich mein Englisch in der Zeit in Rapid City verbessert hatte, grinste ich. Das Wirtschaftsstudium wäre damit ein Klacks gewesen. Doch an dieses brauchte ich nie wieder zu denken. Das Leben war manchmal erstaunlich angenehm.
„Zičá-ská!"
Verwirrt sah ich auf. Die Frauen lachten und meine Schwiegermutter schaute mich tadelnd aber liebevoll an. Ich machte ihnen verständlich, dass ich müde war, und lief zum Tipi. Obwohl ich glücklich war, wieder im Dorf zu sein, empfand ich gleichzeitig Trauer. Die Menschen hier, die mich kaum kannten, schätzten mich mehr als es meine Familie und Bekannten in Hamburg mir je gezeigt hatten. Womöglich mit Ausnahme meiner Großeltern.
Schnell verschwand ich im Zeltinneren und schaute mich um. Unser Brennholzvorrat war etwas niedrig. Den füllte ich besser an. Frisches Trinkwasser benötigten wir ebenfalls. Seufzend schnappte ich mir den Behälter und verließ das Tipi, um zum Wasserlauf zu laufen. Mein Blick fiel kurz auf die Totengerüste und ich schluckte. Das Bild des toten Zwölfjährigen schlich sich vor mein inneres Auge. Ein Kloß verschnürte meine Kehle und mein Herz pochte schneller.
„Zičá-ská, du bist in Sicherheit." Meine Freundin Schwarzer Schmetterling stand neben mir, ihre Hand lag sanft auf meinem Unterarm. Dabei schaute sie mich besorgt an. Mit etwas Mühe rang ich mir ein Lächeln ab, dann lief ich weiter zum Wasser. Grübelnd füllte ich den Behälter. Wieso war ich nicht wunschlos glücklich? Warum zerstörte ich es mir immer mit dem ständigen Nachdenken? Langsam erhob ich mich wieder. Dabei spürte ich die Blicke der Lakota auf mir. Kurze neugierige, aber ebenso mitfühlende Blicke. Ich verspürte Dankbarkeit den Menschen hier gegenüber. Dankbarkeit dafür, dass sie mir Freiraum ließen, um mit mir selbst ins Reine zu kommen. Ich vermutete, dass sie davon ausgingen, dass ich bei den Crow Furchtbares erlebt hatte. Dabei war ich auch dort freundlich behandelt worden. Warum auch nicht? Immerhin hatten sie angenommen, dass ich eines Tages ein vollwertiges Mitglied ihres Stammes werden würde. Zum Glück hatte ich einen dickköpfigen Beschützer. Wie weit war Shishiesh noch von seinem Dorf entfernt? Würde er dort überhaupt sicher ankommen? Wie reagierten seine Leute, wenn er ohne mich heimkehrte? Fragen über Fragen, auf die ich nie eine Antwort bekommen würde.
Etwas mürrisch kehrte ich zurück zum Tipi, hängte den Wasserbehälter an seinen angestammten Platz und verschwand abermals nach draußen, um Brennholz zu sammeln. Meine Vermutung war, dass wir nur noch diese Nacht hier verbrachten und danach den Bisons hinterher reisten. Nachdem ich die Zweige ordentlich im Tipi gestapelt hatte, überlegte ich, was ich zu Essen zubereitete. Ich hatte nichts gesammelt. Ob wir uns heute bei meinen Schwiegereltern durchschnorren konnten?
Jemand trat ins Tipi und unterbrach den Mahlstrom an Gedanken. Ich drehte mich zum Störenfried um. Takoda. Wer sonst. Jeder andere hätte sich vor dem Zelt bemerkbar gemacht. Es wäre allerdings etwas seltsam, würde mein Mann dies ebenfalls tun. Kurz schmunzelte ich über den Gedanken, doch dann zogen wieder Wolken auf.
„Unser Volk möchte heute Abend ein Fest zu deinen Ehren feiern. Sie freuen sich, dass du wohlbehalten zurück bist." Der Krieger trat an mich heran, hob sanft mein Kinn, so dass ich ihm in die Augen sah. „Ich verstehe, dass alles etwas viel für dich gewesen ist. Wenn du lieber schlafen möchtest, dann ist das auch in Ordnung."
„Ist schon okay, ich möchte mich eben ausruhen." Ich löste mich aus seinem Griff und ließ mich auf den Boden sinken. Takoda setzte sich mir gegenüber. Eine Falte erschien auf seiner Stirn. Ein untrügliches Zeichen, dass er sich sorgte, doch das war überflüssig.
„Solltest du dennoch zurückkehren wollen, dann werden wir es im Frühjahr versuchen, wenn unser Sohn da ist. Du brauchst es mir nur zu sagen."
„Das ist es nicht. Ich will auf keinen Fall zurück. Vor allem nicht zu meinen Eltern." Das Letzte spuckte ich grimmig aus. Verdutzt schaute mein Gegenüber mich an, daher fuhr ich fort und erklärte ihm meine Gefühle. Alles runterzuschlucken, ergab keinen Sinn.
„Es irritiert mich maßlos, dass ich hier nach so kurzer Zeit mehr geliebt und respektiert werde, als ich es je zuvor in meinem Leben erfahren habe. Für meine Eltern zählten nur meine schulischen Leistungen. Wie Steffi drauf war, hast du selbst erlebt. Ich werde einen Teufel tun und die einzigen Menschen, denen ich als Person wichtig bin, verlassen. Dann sehe ich lieber täglich der Gefahr, entführt zu werden ins Auge. Obwohl ich gern auf eine zweite Erfahrung in die Richtung verzichte." Schelmisch sah ich Takoda an. „Außer es ist Shishiesh. Der darf mich auch ein zweites Mal kidnappen."
„Nur über meine Leiche", knurrte mein Mann, beruhigte sich aber gleich wieder, als ihm klar wurde, dass ich es nicht ernst meinte. „Feiern oder nicht feiern, das ist hier die Frage."
„Natürlich feiern. Was ist denn das für eine Frage Shakespeare?" Ich stand auf und stemmte die Hände in die Seiten. „Aber spät wird es heute nicht." Wie auf Kommando entwich mir ein kleines Gähnen. Diese Nacht würde ich sicher tief schlafen. Schon allein wegen der bevorstehenden Reise und Jagd. Doch der Hauptgrund war, dass ich endlich wieder in den Armen des Mannes lag, der mich über alles liebte.
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