Kapitel 22 ✔️
Pov Takoda
Der Wecker klingelte viel zu früh für meinen Geschmack. Ich war zwar schon seit einigen Minuten wach, hatte mich aus gutem Grund schlafend gestellt, da ich Annas Blick auf mir gespürt hatte. Sie lag auf mir in meinen Armen und ich weigerte mich, auch nur daran zu denken, sie loszulassen.
„Guten Morgen Kratzbürste", begrüßte ich sie. Ihre braunen Augen gaben mir einen Einblick in ihre Gefühle. Sie verrieten mehr, als man mit Worten auszudrücken vermochte. Faszination, aber auch Liebe lag in ihnen.
„Habt ihr jetzt endlich miteinander geredet?" Jake platzte ins Zimmer und grinste zufrieden, sobald er Anna in meinen Armen erspähte. Er war ebenso wie mir bewusst, dass sie zu mir gehörte. Und wir würden zusammen alles daran setzen, sie davon bis zum Sommer zu überzeugen.
„So gefällt mir das schon besser mit euch beiden." Sein Grinsen wurde noch breiter. Man könnte glatt meinen, er wäre mit der Cheshire-Katze verwandt. „Kommt ihr mit in die Schule oder wollt ihr lieber den Tag im Bett verbringen?"
„Schule."
„Bett."
War ja klar, dass sie Schule sagen würde. Ich seufzte. Was hatte ich auch anderes von meiner pflichtbewussten Frau erwartet? Ja, ich betrachtete sie seit unserer Nacht im Rez als meine Ehefrau. Denn das war sie für mich. Mit ihr wollte ich Kinder großziehen und zusammen alt werden.
„In fünf Minuten stehen wir auf", befahl sie streng. Spaßbremse. Dabei hatte ich so viele herausragende Ideen, was wir stattdessen im Bett anstellen könnten. Andererseits sollte ich froh sein, dass sie mir erlaubte, sie überhaupt wieder in meinen Armen zu halten. Sie gab mir ständig zu verstehen, dass es kein Uns geben durfte. Das sah ich anders.
„Bist du dir sicher, dass du zurück nach Deutschland willst?", fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
„Ja, bin ich."
Obgleich ich darauf vorbereitet war, schmerzten ihre Worte. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, flüsterte mir zu, Anna unter keinen Umständen loszulassen. Daher drückte ich sie noch enger an mich. Zu meiner Freude ließ sie es zu. Wenn ich sie nicht unter Druck setzte und ihr mehr Freiraum gewährte, überzeugte ich sie vielleicht. Ohne dass sie Tag und Nacht im Verteidigungsmodus war.
„Ich werde deine Entscheidung akzeptieren. Auch wenn es mir schwerfällt. Aber ich will nicht jeden Tag aufs Neue gegen dich kämpfen müssen." Meine Augen füllten sich mit Tränen. Wieso fühlte ich mich nur so hilflos in ihrer Gegenwart? Dass sie mich sanft auf die Stirn küsste, machte es nicht besser. Doch ich sah, dass ein Funken Traurigkeit ebenfalls in ihren Augen erschien. Das gab mir wieder Kraft. Noch hatte ich sie nicht verloren. Und Aufgeben stand nicht auf meinem Plan.
„In der Schule werde ich dir mehr Freiraum geben, aber bitte akzeptiere meine Nähe, wenn wir allein sind." Flehend sah ich sie an. Sie nickte. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Sie hatte wirklich genickt. Keine Widerrede ihrerseits. Das war ein gutes Zeichen, oder? In den nächsten Minuten genossen wir die Stille. Bis Jake erneut ins Zimmer platzte.
„Eure fünf Minuten sind mittlerweile eine halbe Stunde. Wenn ihr so weitermacht, könnt ihr wirklich gleich im Bett bleiben."
„Gute Idee." Dagegen hatte ich nichts einzuwenden.
„Na los, wir sollten echt mal aufstehen." Anna biss mir ins Ohrläppchen.
„Nicht nur kratzbürstig, sondern auch noch bissig." Widerwillig ließ ich sie los. Kurz darauf stellte ich mich zu ihr unter die Dusche.
„Mach mal Platz. So sparen wir Zeit."
„Aber nur, wenn du deine Hände bei dir behältst", knurrte sie mich an. Das konnte sie schön vergessen.
„Du bringst mich da grad auf eine Idee", brummte ich ihr ins Ohr, kurz bevor ich ihr zärtlich in den Po kniff. Mein erster Impuls war, sie einfach zu schnappen, ins Zimmer zu tragen, und sie auf unser Bett zu schmeißen.
„Lass das." Sie schlug meine Hand weg, schien aber nicht wütend auf mich zu sein. Mein Blick glitt über ihren perfekten Körper. Ich brauchte keine Frau mit einem großen Arsch und großen Titten. Genauso wenig wie einen Hungerhaken. Nein, Anna war perfekt.
Wie wir es noch rechtzeitig zur Schule schafften, war mir ein Rätsel. Anna lief zu ihrem Spind und ich schaute ihr sehnsüchtig hinterher, als zwei der Cheerleader hinter ihr auftauchten. Brittany und Tiffany. Zwei dumme Schlampen, die es nicht leiden konnten, wenn sie nicht im Rampenlicht standen.
Fassungslos beobachtete ich, wie Brittany meiner Frau einen Becher Cola überkippte. Was bildete diese Schlampe sich eigentlich ein? Wütend wollte ich auf sie zugehen, doch Max hielt mich zurück.
„Überlass es Anna, die Sache zu regeln. Dräng dich nicht auf, sondern frage sie, ob du ihr helfen kannst."
Ich nickte zähneknirschend, nahm das Sweatshirt, das ich als Ersatz im Spind hatte hinaus und lief zu meiner Süßen, als die Zicken bereits das Weite gesucht hatten.
„Soll ich denen mal die Meinung sagen?" Sie wusste genauso gut wie ich, dass die Schlampen es mit Absicht gemacht hatten.
„Lass gut sein. Das regele ich heute Mittag selbst. Frage mich nur, was das jetzt so plötzlich sollte." Anna kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe und ich musste mich zusammenreißen, sie nicht zum Auto zu zerren, um zuhause mit ihr dort weiterzumachen, wo wir heute früh zwangsweise aufgehört hatten.
„Vermutlich, weil du uns gestern aus dem Weg gegangen bist und sie dich jetzt als perfektes Opfer ansehen." Die Cheerleader hatten Anna eh nur wegen Steffi akzeptiert. Und weil wir sie unter unseren Schutz gestellt hatten. Jetzt wo dieser Schutz durch unser getrenntes Auftreten nicht mehr gegeben zu sein schien, war sie für die Schulmatratzen nur noch ein bedeutungsloser Nerd.
„Gut möglich. Ich sollte mir mal etwas Trockenes anziehen." Mit dem Sweatshirt verschwand sie auf der Mädchentoilette. Danach liefen wir beide zu unseren jeweiligen Räumen. Während des Unterrichts dachte ich darüber nach, wie abgefuckt doch das High-School-Leben war. All die unterschiedlichen Grüppchen, von denen die Stärkeren die Schwächeren piesackten, das gehörte so gar nicht zu meiner Kultur. Als Lakota half man den Hilfsbedürftigen. Doch ich hatte mich perfekt den Weißen angepasst. Bis Anna mir den Zettel mit den Tugenden meines Volkes an den Spind geheftet hatte. Seitdem achtete ich wieder vermehrt auf das, was ich als Kind gelernt hatte. Die Dinge, die für meine Familie, das ganze Dorf normal waren, aber hier niemandem etwas bedeuteten. Ich schluckte, als ich mein Volk vor meinem geistigen Auge sah. Zu lange war ich schon von meinen Eltern, Geschwistern und Freunden getrennt. Ob es mir jemals gelang, zu ihnen zurückzukehren? Was, wenn ich sie nie wiedersehen würde? Schnell schluckte ich den Kloß, der sich in meiner Kehle bildete, runter. Ich musste im Hier und Jetzt leben. Ob es mir gefiel oder nicht. Entschlossen schüttelte ich die negativen Gedanken ab und konzentrierte mich wieder auf dem Unterricht. Was sollte ich auch sonst tun?
Mittags marschierte ich mit den anderen Jungs zur Cafeteria. Max holte irgendetwas für Anna und kam etwas später zu uns. Ich beobachtete, wie meine Frau nonchalant auf die Cheerleadergruppe zulief, mit einem Smartphone und einem Bluetoothspeaker in den Händen. Sie stellte den Speaker vor den Cheerleadern auf den Tisch, die sie wohlgemerkt, wie Schafe anguckten. Ich wartete nur darauf, dass sie anfingen zu blöken. Oh Mann, was waren die Mädels dämlich. Annas Mundwinkel schossen nach oben, als die ersten Zeilen eines Lieds durch den Raum dröhnten. Steffis Augen wurden riesig, dann prustete sie los. Genauso wie Ashley. Kurz darauf konnten meine Jungs auch nicht mehr an sich halten, wonach letzten Endes die gesamte anwesende Schülerschaft in Lachen ausbrach. Das Lied war eine verdammt gute Anspielung auf das typische Barbie-Getue der Cheerleader. Und meine Süße? Die stand provokativ mit verschränkten Armen vor den Zicken.
Brittany lief dagegen knallrot an und schien nach Luft zu schnappen. Anna packte deren Cola und kippte ihr diese seelenruhig in den Ausschnitt.
„Hoffe die kleine Abkühlung tut dir gut. Deine Gesichtsfarbe sah nicht mehr gesund aus."
Damit packte sie den Speaker und lief hüftschwingend zum Tisch der Nerds. Verdammt sah sie dabei heiß aus. Sie strotzte regelrecht vor Selbstbewusstsein. Wärme breitete sich in meinem Herzen aus. Ich war unheimlich stolz auf sie. An ihrem Tisch angekommen drehte sie sich noch einmal zu den Cheerleadern.
„Ach Brittany, bevor ich es vergesse. Leg dich nicht mit einem Nerd an, denn da kannst du mit deinem Erbsenhirn nicht mithalten."
Das war mein Mädel! Endlich hatte sie gelernt, sich zu wehren. Ich nahm mir vor, dass später mit ihr gebührend zu feiern. Jake boxte mich in die Rippen und grinste mir vielsagend zu. Sein Grinsen wurde noch breiter, als die Cheerleader mit eingezogenen Schwänzen und hängenden Köpfen die Cafeteria verließen, begleitet vom Lachen der anderen Schüler. Jetzt hatten sie endlich selbst einmal zu spüren bekommen, wie es war, lächerlich gemacht zu werden. So wie sie es zu Anfang der Highschool bei mir versucht hatten. Nur dass ich damals schon die Unterstützung der Jungs hatte und damit schnell in Ruhe gelassen wurde.
Am Nachmittag backten wir zu dritt Muffins nach einem Rezept für Apfelkuchen der Pawnee. Pawnee. Ich hatte verächtlich geschnaubt, als ich das gehört hatte, mich aber schnell beruhigt, weil Anna mir einen amüsierten Blick zugeworfen hatte.
„Also, wir müssen erst einhundert Gramm weiche Butter mit hundert Gramm Zucker in einer Rührschüssel schaumig rühren. Mach du das Jake. Nach und nach denn bitte die drei Eier hinzufügen." Tja, Anna gab uns die Anweisungen und wir gehorchten brav.
„Takoda, bitte schon einmal einhundert Gramm Weizenmehl, hundert Gramm Maismehl, zwei Teelöffel Backpulver und zwei Teelöffel Zimt in einer zweiten Schüssel mischen. Danach esslöffelweise zur Butter-Zucker-Masse geben. Jake, weiterrühren."
Sie starrte den Ofen an.
„Der muss auf einhundertachtzig Grad, aber wieviel Fahrenheit ist das nochmal?"
„Circa dreihundersechsundfünzig", half Jake ihr weiter und sie stellte die richtige Temperatur ein. Die Äpfel, vier Granny Smith, hatten wir bereits zuvor in dünne Scheiben geschnitten und mit dem Saft einer Zitrone vermengt, damit sie nicht braun wurden. Nachdem der Teig gleichmäßig vermischt war, hob Anna die Apfelscheiben unter. Jake stellte die Muffinförmchen zurecht. Für einen Kuchen hätten wir eine Auflaufform einfetten müssen. Ich füllte den Teig in die Förmchen und Anna streute die Pinienkerne drüber. Sie hatte zuvor etwas von dreißig Gramm gesagt. War vermutlich etwas weniger, weil ich einige Kerne heimlich wegnaschte.
„Jetzt ab in den Ofen damit. Fünfundzwanzig Minuten müssten reichen. Für einen Kuchen müsste man eine Stunde Backzeit veranschlagen", klärte Anna uns auf.
Während wir die Küche aufräumten, füllte der Raum sich mit dem herrlichen Apfel-Zimt-Aroma. Wenn das Rezept wirklich von den Pawnee stammte, dann war es ungefähr das einzig Nützliche, was dieser Stamm je zustande gebracht hatte. Grummelnd dachte ich daran, was ich über die vielseitigen Auseinandersetzungen zwischen den Pawnee und meinem Volk gelesen hatte. Die Verräter hatten uns ans Messer geliefert und der Kavallerie geholfen. Genauso wie die verflixten Crow.
„Hör auf zu grummeln. Jake und ich wollten ein wenig lernen, bis wir die Muffins essen können. Machst du mit?"
„Nur, wenn ich einen Kuss von dir kriege." Bevor sie antworten konnte, zog ich sie schon an meine Brust. Sie schlug mich spielerisch und küsste mich auf die Wange. Ich seufzte geschlagen. Besser als nichts. Hoffentlich würde sich das bis zum Sommer zum Positiven verändern. Sie durfte mich einfach nicht verlassen.
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Das Rezept stammt aus Indian Summer von Christin Ferretti, Mary Hahn Verlag, 2000.
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