Kapitel 13✔️

„Warum wehrst du dich noch immer gegen deine Gefühle?" Takoda hatte sich angeschlichen und stand nun direkt hinter mir. Ich seufzte. Wir hatten dieses Gespräch in den letzten Wochen schon so einige Male geführt. Ich hielt nach wie vor daran fest, dass ich im Sommer nach Hause fliegen würde. Er bestand darauf, dass bei ihm mein Zuhause war.

„Du weißt es, also akzeptiere es bitte."

„Wie kann ich es akzeptieren, dass du meine Liebe nicht erwiderst, obwohl du mich ebenfalls liebst?" Er schlang seine Arme um meine Mitte und zog mich eng an sich. „Sei doch nicht so ein Sturkopf", murmelte er mir ins Ohr.

Sturkopf. Ich schnaubte leise. Das sagte genau der Richtige. Wieso akzeptierte er nicht, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft gab? Ich hatte mit meinen Eltern telefoniert, gleich am Tag nach der Auseinandersetzung mit Steffi. Ihnen von den Vorfällen berichtet, doch weit kam ich nicht. Denn Mama hatte sich tierisch über meine ehemals beste Freundin aufgeregt. Wie kindisch es war, sich während eines Auslandsjahres zu verlieben und sich dann so töricht zu verhalten. Darauffolgend hatte sie mir haarklein erzählt, was sie regeln würde, damit ich mich nach der Heimkehr in aller Ruhe auf die Schule und meinen späteren beruflichen Werdegang vorbereiten konnte. So wie es sich anhörte, hatte sie selbst mein Studium schon durchgeplant. Da hatte mich der Mut verlassen und ich hatte ihr nichts von Takoda und unseren Gefühlen füreinander erzählt. Seitdem hatte ich meine Anstrengungen verdoppelt, um ihn auf Abstand zu halten, so schwer mir das auch fiel. Doch er gab nicht auf. So wie jetzt. Sanft küsste er meinen Hals entlang.

„Wann gibst du endlich auf?" Ich wand mich wie eine Schlange in seinen Armen.

„Wenn Menschen Märchen sind, in Büchern geschrieben von Kaninchen", erwiderte er trocken. Gegen meinen Willen zuckten meine Mundwinkel nach oben. Normalerweise nutzte ich das Zitat, wenn ich versuchte, ihn auf Abstand zu halten. Aber seitdem er den Film mit mir zusammen angeschaut hatte, spielte er gern auf Das Letzte Einhorn an. Er wäre der arme Prinz Lír und ich das unerreichbare Einhorn. Blödsinn. In einer Sache waren wir uns einig. Jake war eindeutig Schmendrick. Nur auf eine Molly hatten wir uns bisher nicht geeinigt. Takoda war felsenfest davon überzeugt, dass Jenny zu seinem Bruder passte, doch ich hatte lachend abgewinkt.

„Fällt mir ein, du hast mir noch nicht erzählt, wieso Jenny nicht die Richtige für Jake wäre." Sanft knabberte er an meinem Ohrläppchen. Ein Kribbeln jagte durch meinen Unterleib.

„Lass das." Ich versuchte, ihn mit einer Hand wegzuschieben, doch er packte mich am Handgelenk, während sein anderer Arm mich weiterhin eng an seinen Körper drückte. Dann ließ er seine Lippen über meinen Unterarm wandern. Ich lehnte meinen Hinterkopf an seine breite Brust und schloss meine Augen. Ich spürte das Kribbeln, das seine Berührungen auslösten, noch intensiver. Wie gut, dass ich gerade meine Tage hatte, denn ich hatte festgestellt, dass mein Körper weit extremer auf Takodas Zuneigungen reagierte, wenn ich mich in der Mitte meines Zyklus befand. Trotzdem war es besser, wenn ich ihn nicht zu lange gewähren ließ. Weinte mich schon oft genug in den Schlaf, da die Zeit bis zum Abschied unaufhaltsam näher rückte. Nur noch wenige Monate. Ich riss mich von den trübsinnigen Gedanken los.

„Jenny ist in Michael verliebt." Mist, jetzt hatte ich ihr Geheimnis verraten, aber zumindest hielt Takoda endlich inne.

„Das trifft sich gut." Ich bildete mir ein, sein Grinsen herauszuhören. Wusste er etwas, wovon ich keine Ahnung hatte? Hatte meine neue Freundin etwa Chancen bei Michael? Oder was bedeutete das Ganze?

„Störe ich?" Jake kam zu uns in die Küche und stellte sein schmutziges Glas in die Spüle.

„Nicht im Geringsten, dein Bruder wollte mich gerade loslassen." Ich wand mich in seinem Griff, aber er knurrte nur.

„Ich bezweifle, dass er dich gehen lässt, meine liebe Schwägerin." Jetzt fing er ebenfalls damit an. Wieso musste ich immer gegen beide kämpfen? Einer war anstrengend genug.

„Ich fliege bald zurück nach Deutschland, schon vergessen?" Ich grummelte leise vor mich hin.

„Nö, du bleibst hier. Sonst muss ich den Chief trösten. Oder noch schlimmer, ihn davon abhalten, dass er auf den Kriegspfad geht."

„Stimmt, ich werde der ganzen Welt den Krieg erklären, wenn du es wagst mich zu verlassen", brummte es hinter mir. Männer. Reichte man denen einen kleinen Finger, waren sie sofort der Meinung, ihnen gehörte die ganze Frau.

„Wir sollten übrigens mal schlafen gehen, oder wollt ihr zwei morgen im Unterricht einschlafen?" Spöttisch beäugte er uns, wie ich noch immer in den Armen seines Bruders lag, der wie ein Fels in der Brandung hinter mir stand.

„Nur wenn Anna mit in mein Bett kommt", brummte Takoda, sein Gesicht in meinen Haaren, die ich in letzter Zeit öfter offen trug, als in den Jahren zuvor. Hing zum Teil damit zusammen, dass mir ständig die Haargummis abhandenkamen, seitdem ich bei den Jungs wohnte. Zwischenzeitlich hatte ich die beiden Halunken schon verdächtigt, sie mir absichtlich zu klauen. Doch als ich sie darauf angesprochen hatte, hatten sie mich beide unschuldig angeguckt. Womöglich wurde ich nur etwas schusselig und abgelenkt, weil jemand weiterhin versuchte, mich in sein Bett zu bekommen. Obwohl ich gern an Moment nach dieser verhängnisvollen Party zurückdachte, es würde kein zweites Mal geben.

„Träum weiter." Ich pflanzte meinen Hacken nachdrücklich auf seine Zehen, aber es schien ihn nicht zu stören. Stattdessen fing er wieder an, an meinem Hals zu knabbern. Das darauffolgende Kribbeln schoss mir bis in den Unterleib. Ich notierte mir im Geiste, mich nicht mehr für längere Zeit mit ihm irgendwo allein aufzuhalten. Verflixte Hormone.

„Morgen haben wir wieder Geschichte, oder?" Knurrend wie ein tollwütiger Hund, ließ er mich widerwillig los.

„Ja, haben wir." Ich hatte eine Ahnung, was mit ihm los war. „Noch kein Referatsthema gefunden?"

„Ich habe eine Idee, passt aber nicht zu unserem momentanen Thema." Er wirkte nachdenklich.

„Vielleicht kannst du Mrs Roberts dennoch überzeugen."

„Mal sehen. Los, hau ab in dein Bett, bevor ich dich doch zu meinem schleife."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und stürmte die Treppe hinauf. Schnell putzte ich die Zähne und verschwand in meinem Zimmer, das zurzeit mit Taschenbüchern über die Lakota vollgestopft war. Takoda hatte damals im Buchladen nicht übertrieben, als er vorschlug, mir Bücher auszuleihen. Ein breites Lächeln zog sich über mein Gesicht, als ich daran zurückdachte. Wie er und Jake mir danach zum Café hinterherdackelten. Wie Steffi überzeugt davon war, dass Jake an mir Interesse gefunden hatte und es ein Leichtes war, das gegen die Jungs zu nutzen. Dabei waren sämtliche Aktionen vom Chief ausgegangen. Ich schüttelte den Kopf. Es hatte sich alles anders entwickelt als, ich es mir vorgestellt hatte. Von den restlichen Monaten in den Vereinigten Staaten erwartete ich, dass sie friedlich verliefen. Was sollte schon großartig passieren? In Hamburg dagegen sah die Lage völlig anders aus. Neue Freunde würde ich brauchen, jetzt wo sich das mit Steffi erledigt hatte. Klar würde ich die Jungs, allen voran Takoda und Jake vermissen. Aber meine Mutter hatte mit Sicherheit schon genug Pläne geschmiedet, um mich von irgendwelchem Heimweh abzulenken. Würde ich alles vergessen oder würde ich irgendwann wieder nach Rapid City zurückkehren?

„Bist du noch wach?" Als ich bejahte, trat Jake leise ein.

„Warum vergisst du deine Mutter und ihre Pläne für deine Zukunft nicht einfach und bleibst hier?" Hoppla, heute fiel er aber direkt mit der Tür ins Haus.

„Ich bin ein Einzelkind und meine Mutter hängt sehr an mir." Abgesehen davon, gehörte es sich nicht.

„Dann hätte sie dich auch mal hier besuchen können", grummelte Jake.

„Jake, warum stört es dich so, dass ich deinem Bruder nicht nachgebe?" Das hatte ich schon seit Wochen fragen wollen.

„Weil ihr zusammengehört. Seitdem du da bist, hat er nur noch Augen für dich. Und das völlig zu Recht."

„Zuerst hatte ich Panik gehabt, dass du etwas von mir willst", gab ich zu.

Er lachte leise. „Nein, ich mochte dich zwar auf Anhieb, aber nur als gute Freundin. Oder als Schwägerin."

„Fängst du schon wieder an." Ich verdrehte gespielt die Augen, was er mit einem schiefen Grinsen quittierte.

„Ist nun mal so, also gewöhne dich dran, meine liebe kleine Schwägerin." In dem Moment traf ihn ein Kissen, dass mir rein zufällig aus der Hand gesegelt war. Er warf es mir zurück aufs Bett.

„Immerhin wirfst du nur mit Kissen. Wenn du mit Messern anfängst, werde ich wohl vorsichtiger sein."

„Du bringst mich da auf eine hervorragende Idee." Ich grinste ihn hinterlistig an.

„Bin schon weg. Schlaf schön." Er eilte zur Tür raus, steckte aber seinen Kopf noch einmal rein. „Und träum schön von meinem Bruder."

Das Kissen traf nur die Zimmertür, die er schnell hinter sich ins Schloss gezogen hatte.

Am nächsten Morgen saß ich zugegebenermaßen etwas gelangweilt im Unterricht, bis ein Sonnenstrahl das graue Einerlei durchbrach.

„Anfang Juni werden wir einen Ausflug zum Crazy Horse Memorial machen. Außerdem werden wir eine Höhle mit Felszeichnungen besuchen." Mrs Roberts, die Geschichtslehrerin, schaute uns erwartungsvoll an. Der von ihr erwartete Jubel blieb aus.

„Muss das sein? Das ist doch sowas von öde in den Black Hills." Brittany stöhnte übertrieben laut auf.

„Meine liebe Brittany, auch dir würde es guttun, etwas über die Geschichte der Ureinwohner zu lernen. Immerhin waren sie zuerst hier." Mrs Roberts schaute sie streng an. Dann sah sie weitaus freundlicher auf Takoda, der entspannt neben mir saß.

„Takoda, ich würde es schätzen, wenn du uns vor dem Besuch etwas über die Kultur der Lakota erzählst. Vor allem, weil du bisher in diesem Schuljahr kein Referat gehalten hast."

„Das mache ich gerne, aber ich hab eine Bitte." Ich bemerkte, wie ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte. Er heckte doch schon wieder etwas aus.

„Und das wäre?" Unsere Lehrerin wirkte erneut strenger.

„Ich erzähle gerne etwas über das Leben der Lakotakrieger, aber ich brauche Anna, damit sie den Aufgabenbereich der Lakotafrauen erklärt."

„Einverstanden, wenn Anna es ebenfalls ist." Mrs Roberts schaute mich fragend an und ich nickte. Das würde ich schon überleben. Genug Bücher zu dem Thema hatten wir vorrätig.

Dagegen hatte ich nicht erwartet, wie er uns auf die Fragestellung vorbeireiten wollte. Denn das erzählte er mir am Nachmittag.

„Wie bitte? Ich soll mit dir die Ferienwoche im Reservat verbringen?" Entgeistert sah ich Takoda an. Ich? Mit ihm? Allein? Eine Woche im Reservat? Mir sackte das Herz in die Kniekehlen.

„Natürlich, wir leihen uns bei Freunden von mir Pferde, ein Tipi und die anderen Sachen aus. Das bringt etwas mehr Leben ins Referat." War ja herzallerliebst, wie seelenruhig er dabei blieb. Mir gruselte davor, völlig mit ihm allein zu sein. Nicht weil ich Angst vor ihm hatte, sondern eher vor dem, was wir womöglich anstellten, wenn niemand da war, um uns zu stören.

„Ich dachte, dir würde Feldforschung gefallen." Prüfend betrachtete er mich. „Oder hast du etwa Angst." Er sagte es mit so einem fiesen kleinen Unterton, dass ich sofort darauf ansprang, um mich zu verteidigen.

„Natürlich nicht", schoss ich zurück. „Was muss ich einpacken?"

„Ist schon alles geregelt." Dieses selbstgefällige Grinsen, das er offen zur Schau trug, gefiel mir überhaupt nicht. Als wenn er mich genau dort hatte, wo er mich haben wollte. Ich brauchte dringend einen Keuschheitsgürtel, schoss es mir durch den Kopf.

Kann mal bitte jemand ins Mittelalter reisen und mir einen holen?

Zu Schade, dass Zeitreisen nicht möglich waren. Somit war ich gezwungen, so standhaft zu bleiben. Warum hatte ich meine Regel nicht in der nächsten Woche? Aber nein, sie war jetzt schon fast vorbei.

„Wann fahren wir los ins Rez?" Wenn ich keine Möglichkeit hatte, der Sache zu entgehen, bereitete ich mich lieber schnellstmöglich darauf vor.

„Am Sonntag. Samstag steigt eine Party bei Michael. Er hat übrigens Jenny eingeladen und möchte, dass du dafür sorgst, dass sie sich wohlfühlt." Takoda schaute mich entspannt an. Heckte er wieder etwas aus? „Es sei denn, dass du direkt Freitag nach dem Unterricht schon ins Rez möchtest."

„Nein, Sonntag ist in Ordnung." Mehr Tage als notwendig mit ihm allein zu verbringen, hielt ich für keine kluge Idee. Warum nahmen wir nicht Jake als Wachhund mit? Er gesellte sich just in diesem Moment zu uns. Die perfekte Gelegenheit für mich, ihn zum Mitkommen zu überreden.

„Jake!" Ich schlang einen Arm um ihn, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Möchtest du nicht mit uns ins Rez kommen?"

Er drehte sich zu mir und grinste spöttisch. „Ach, hast du Angst vor meinem Brüderchen. Soll ich dich beschützen?"

„Na dann können wir es gleich noch realistischer machen. Du als Vertreter für die Kavallerie, der mich vor dem bösen Indianer retten will. Takoda als gefährlicher Lakotakrieger und ich bin die arme unschuldige entführte Weiße, die er gefangen hält." Wir lachten alle drei los.

„Nein danke, ich bleibe lieber hier. Sonst hält mein Brüderchen mich noch für General Custer."

„Passende Haarfarbe hast du ja", brummte Takoda.

Wir alberten so eine Weile so herum, bis ich mich fragte, warum ich überhaupt Angst vor den paar Tagen hatte. Es würde nichts passieren, was ich nicht wollte. Würde er es darauf anlegen, mich in sein Bett zu bekommen, hätte er nicht die unzähligen Chancen der vergangenen Wochen verstreichen lassen.

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