Kapitel 1
Ich skype gerade mit meiner besten Freundin Tanja.
"Dass es an der Schule überhaupt so etwas wie einen Austausch gab. "Wir wohnen in so einer großen Stadt und dennoch habe ich das Gefühl, wir sind ein Dorf." Ich musste lachen. "Eventuell wäre es hilfreich, öfter in die Schule zu kommen."
Tanja hatte es noch nie wirklich mit der Schule. Sie war auch zwei Jahre älter als ich. Sie war nur in meiner Klasse, weil sie sitzen geblieben ist. "Nein." Sagte sie. "Meine kleine Zuckerfee, du weißt ganz genau, dass ich lieber arbeite." Ich musste wieder lachen. "Das hört sich verdammt falsch an." meinte ich. "Ach. Mari, sowas hört sich immer falsch in den Ohren einer Jungfrau an."
Jetzt fing es wieder an, ich verdrehte gerade die Augen, als es klingelte. Ich sprang vom Stuhl auf, so dass er umgekippt war. Tanja sah von ihren frisch lackierten Fingernägeln hoch. "Was denn jetzt los?" hörte ich sie noch sagen.
Ich lief zur Türe und öffnete dem Postboten die Haustüre. Da ich generell eine kleine Phobie gegen Menschen habe, wartete ich, bis er weg war.
Ich riss die Türe auf, sprintete zu dem gegenüberliegenden Fahrstuhl und drückte auf EG.
Es dauerte ewig, bis er vom siebten Stock unten ankam.
Ich zog die Tür auf und öffnete sofort das Postfach.
Und tatsächlich, es lag ein Brief meiner Schule drin. Ob das jetzt nur eine Zusage oder Absage war, stand in den Sternen.
Ich hechtete wieder zum Aufzug, der noch da war und fuhr hoch.
Als ich meine Zimmertüre wieder zuschlug, sah Tanja abermals auf, ihre hellblauen Augen trafen meine und sahen skeptisch aus. "Und? Lotto Jackpot?"
"Das sehen wir gleich." Ich öffnete den Brief und überflog das übliche blah blah. Ich sah hoch. "Ich flieg in die Staaten." Sagte ich: Schockiert. Tanja sah aus, als wäre sie aus allen Wolken gefallen. "Ernsthaft?" Sie hatte versucht, mir die ganze Sache auszureden. Andere würden das egoistisch nennen, aber ich wusste, dass sie sich nur Sorgen machte, ich war nunmal nicht die Sorte Mensch, die vor Selbstbewusstsein strotzen oder geschickt war. Ich war eher die Sorte, die in der Masse untergeht und jeden Türrahmen beim Vorbeigehen umhaut.
Ich musste acht geben, das ich nicht kreischte. Ich war kein typisches Mädchen. Ich war eine Art junger Frau, die Männer gerne als Kumpel haben. Anstatt Stunden zu shoppen, hänge ich Nächte lang lieber vor einer Konsole und zocke. Aber hier in diesem Moment merkte ich, dass dieses Mädchen sich in mir regte.
Es schrie förmlich: MARI DU ZEIGST ES DER WELT!
Ich merkte, wie meine Wangen fiebrig wurden. Ich sah auf meinen Laptop und meine beste Freundin wackelte mit ihren Augenbraue. "Du weißt, was das heißt." Ich stöhnte innerlich.
Tanja wechselte ihre Männer wie Ihre Unterwäsche und war davon überzeugt, dass man Erfahrungen machen müsste. Dabei will ich nur meine Ruhe. Ich war nicht Tanja. Sie war das perfekte Beachgirl oder Model. Sie hatte alles am richtigen Fleck, sie trug ständig High Heels.
Ich war ein kleiner knubbeliger Haufen, was von allem zu viel hatte und auf High Heels habe ich mir erst Anfang letzten Jahres den Fuß gebrochen. "Ja. Weiß ich." Ich packte den Brief fein und sauber weg. "Lernen, gute Beurteilungen bekommen und mein Zeugnis für meine Traum Job aufbessern." Tanja seufzte und zeigte mir die Hand. "Du solltest dir einen Typen angeln." einer ihrer Finger ging runter. "Du solltest ihm und dir das Hirn rausvögeln." Ein weiterer Finger ging runter. "Du solltest endlich mal feiern gehen." wieder ein Finger weg. "Habe ich schon gesagt, daß du Gott verdammt endlich bumsen sollst?"
"Ich schalte dich gleich ab."
"Ich meine das ernst, Löckchen."
"Ich auch. Ich habe nicht vor, mich irgendeinem Typen in Amerika an den Hals zu werfen."
Wirklich nicht, ich will mich nicht verlieben, ich will keine Orgien, ich will nur etwas Luft und Veränderung. Etwas Neues nach dem Festgefahren.
"Deine Vagina wird es dir danken!"
Und zu. Ich hatte meinen Laptop zu geklappt.
Spät abends gegen 22 Uhr, saß ich mit meiner Mutter am Esstisch, sie war Krankenschwester und hatte unmögliche Zeiten zum Arbeiten, so wie der Beruf nunmal war. So dass wir uns kaum sahen, wenn sie spät nach Hause kam, kochte ich immer etwas. Sie saß da und aß die Spagetti, die ich gemacht habe. Die Soße kochte 2 Stunden. Ich konnte kochen und das wurde meinem Körper zum Verhängnis. Ich stocherte in meinen Nudeln und wusste nicht, wie ich das Thema ansprechen sollte. Ich sah meiner Mutter ins Gesicht, jeder sagte, ich sah aus wie sie, aber meine Mutter war bildhübsch, mich aber übersah man. Sie trank aus ihrer Bierflasche und ich musste grinsen. Den Status Kumpeltyp habe ich dann wohl auch von ihr. Während sich andere Frauen Wein reinziehen würden, sitzt sie hier nach Feierabend und kippt ihr Bier. Ich erinnerte mich daran, als wir hier eingezogen waren, die Wohnung war kaputt. Aber meine Mutter legte das Laminat und die Fliesen alle selbst. Wir hatten, seit ich ein Baby war, keine männliche Unterstützung. Ich habe Hochachtung vor dieser Frau.
Ich machte mir den Mund sauber und sah sie wieder an. "Du bist großartig, weißt du das?"
Sie wollte gerade wieder einen Schluck trinken, als ihre Augenbraue hochging und sie mich dann ansah. "Okay, was ist los? Bist du schwanger?"
Es war als Witz gemeint, aber ich wusste, dass ihre größte Sorge eben diese war. Sie hat mich schon mit sechzehn bekommen und wollte niemals das gleiche für mich. Schwanger und vom Typen allein gelassen. Ich verdrehte die Augen." Seh ich so aus, als würde mich jemand schwängern wollen?" Ich reichte ihr den Brief rüber. Sie nahm ihn skeptisch entgegen. Wahrscheinlich dachte sie, ich müsste in den Knast.
"Ach du scheiße." kommentierte sie und faltete den Brief. "Ich hatte gehofft, dein Zeugnis würde für sich sprechen." Sie musste sich ein Lachen verkneifen. "Mama!"
"Alles klar. Ich werde morgen mit einem Biologiebuch nach Hause kommen. Nicht , dass uns ein amerikanisches Geschenk bevorsteht."
"MAAAMAAA!"
Sie lehnte sich zurück.
"Puh, das muss ich erstmal verdauen. Du brauchst sicher neue Sachen, oder? Geld können wir vom Konto nehmen. Das Geld, was du für deine Verpflegung bekommst, ist ja ein Witz." Sie sah verächtlich auf den Brief. "liegt sicher an meinem Zeugnis." antwortete ich und wir mussten beide lachen.
Die letzten Wochen waren chaotisch. Ich konnte mich nicht entscheiden, welche Kleidung ich mitnehme, welche Bilder oder irgendetwas anderes. Meine Mutter zog mit mir in ihrer freien Zeit von Geschäft zu Geschäft um Kleidung zu kaufen, eine neue Tasche und Schulsachen.
Alles nur, damit ich nicht unnötig in Geldnöten kam, aber ich war mir sicher, dass ich definitiv noch einen Nebenjob anfangen muss.
Und nun stand ich angezogen in der Küche. Meine Mutter war arbeiten, sie wurde nachts zu einem Notfall ins Krankenhaus gerufen. Sie hatte sich hunderte Male entschuldigt und auf dem Zettel auf dem Tisch stand es mehrfach.
Das war schon hart.
Ich werde gleich fliegen und meine Mutter ein Jahr nicht mehr sehen. Ich weiß das es ihr unendlich leid tat, aber es war okay, auch wenn es hart ist.
Sie liebte ihren Job und sie machte ihren großartig und ich bin erwachsen. Es klingelte und ich packte meinen Koffer.
Als ich unten ankam, lehnte Tanja an der Türe ihres pinken Golfes und wartete. Als sie mich sah, schnippte sie ihre Zigarette weg. "Bereit?" fragte sie, ohne sich zu regen. Ich nickte nur zaghaft. Sie nahm meinen Koffer und verfrachtete ihn in den Kofferraum , während ich mich rein setze und mich anschnalle. Ich hörte ihre Absätze und dann saß sie neben mir.
Die Fahrt war ziemlich schweigsam, was das erste Mal so war, wir labern eigentlich immer und überalles. Wir lachten, wir Alberten. Man merkte, dass wir beide bedrückt waren.
Seit dem Kindergarten, gab es keinen Tag, wo wir ohne die jeweils andere waren und wenn es nur für ein paar Minuten war. Wir gingen auf dieselbe Schule und hinterher in die gleiche Klasse. Tanja half mir, alles erträglicher zu machen. Ich sah raus und meine blonde Freundin sah weiter auf die Straße. Nach langer Fahrt kamen wir endlich an.
Wir standen lange im Flughafen selbst und redeten nicht. Hier herrschte viel Trubel. Ich fühlte mich unwohl.
Wir starrten auf die großen Bildschirme und endlich, entdeckten wir meinen Flug.
Tanja sah mich an und richtete fürsorglich meinen Rucksack. "Dein Ticket hast Du ja?" fragte sie. "Ja, Mama!" lachte Ich.
Wir umarmten uns. "Ich werde dich unheimlich vermissen. Ohne dich wird das alles verdammt schwer." Das war die weiche Seite meiner besten und vorlauten Freundin. "Das wird schon. Niemanden mehr, worauf du aufpassen musst." Sie sah mich wieder an. "Ich bin mir nicht sicher, wer mehr auf wen aufgepasst hat." Wir umarmten uns wieder. "Und vergiss nicht, bums dir die Birne weg." Ich seufzte. Klar, sie musste ihren emotionalen Teil natürlich direkt wieder begraben. "Natürlich werde ich gar nicht zur Schule gehen, ich werde mich nur dem Liebesakt widmen." sie grinste. "Pass auf dich auf. Ich liebe dich."
Ich seufzte und musste aufpassen, nicht in Tränen auszubrechen. "Ich liebe dich auch!"
Und so machte ich mich sofort auf den Weg zum Flugzeug. Ich wusste, ich sah furchtbar aus.
Ich hatte lange Braune Locken, mit einer dicke die sich schwer bedingen ließ, so daß ich sie entweder zu einem Dutt hatte oder offen, heute waren sie offen, meinen langen weiten pullover, meine Leggins ein großer roter Rucksack, einer dieser, die Wanderer haben, so richtige Profi Spaziergänger. Meinen Koffer habe ich längst abgegeben. Neues Leben auf Zeit, frischer Wind, ich komme!
Meine Zuversicht schwand schnell, als der dicke Geschäftsmann neben mir sich breit machte und schnarchte. Ich bin noch nie geflogen, ich habe Deutschland auch noch nie verlassen. Ist fliegen immer so? Neben einem Mann zu sitzen, der schnarchte?
Ich habe wirklich gar keinen Platz mehr. Es war schon dunkel und ich merkte auch, dass ich müde wurde. Ich sah aus dem Fenster, immerhin hatte ich ein Fenster und ich sah, wie das Licht unter mir funkelte. Ich hatte aber keine Ahnung, wie lange wir schon flogen. Ich versuchte mich immer wieder auf das Buch vor mir zu konzentrieren, bis ich irgendwann beschloss, auch etwas zu schlafen.
Als ich wach wurde, war es hell und wir waren kurz vor der Landung. Ich habe nicht gut geschlafen, aber durchgehend. Ich sollte öfter fliegen.
Als ich ausstieg und die große Halle betrat, merkte ich als erste, wie schwer meine Augen waren. Ich war todmüde!
Und hier im Flughafen war ein Lärm, unglaublich. Mein Magen knurrte und mein Blick fiel automatisch auf Männer in Anzügen, die das Glück hatten, an einem der überteuerten Snackbar zu sitzen und zu essen.
Ich sah mich nach einer Uhr um, wir hatten 17 Uhr. Okay, hoffentlich habe ich die Zeiten schnell verinnerlicht.
Ich sah mich weiter um und fühlte mich zunehmend verloren. Wahrscheinlich verblasste ich hier schneller als in Frankfurt.
"Hallo! Du da!" Ich drehte mich um als ich was anderes als amerikanisch hörte. Es war natürlich nicht unwahrscheinlich das man hier auch Deutsch hörte aber dennoch. Ich sah ein Mädchen, das etwas größer war als ich, was kein Kunststück war, nebenbei gesagt, Uff und ab hüpfte, sie trug eine Brille und hatte beinahe Wasserstoffblondes Haar, sie waren zu zwei Zöpfen geflochten die auf ihren Schulter lagen. "Meinst du mich?" Fragte sich verunsichert. Sie hatte eine Schuluniform an und ich sah das Schulwappen auf der Brust. Das konnte kein Zufall sein. "Bist du Mari? Oh, sag mir bitte das du Mari bist! Ich war die ganze Zeit mit den Vorbereitungen der Party beschäftigt und mir ist im letzten Moment erst eingefallen, dass ich dich abholen muss. Ich bin noch nicht lange Internats Sprecherin, deswegen wächst mir das ganz oft über den Kopf. Ach ja, ich bin Emily. " sie redete unheimlich schnell." Ja, also, ich bin Mari." Ich war völlig überrumpelt. " Ach, Gott sei dank! " Sie nahm mir den Koffer ab." Komm, ich nehme ihn" das war ja nett, aber mein. Rucksack war viel Schwerer. "Komm folg mir. Draußen wartet ein Taxi." sie ging vor und ich bemerkte ihren aufrechten Gang, sie war total dünn und marschierte beinahe wie ein Soldat.
Ich seufzte.
Es fing an zu regnen und ich sah den Regentropfen zu, wie sie an der Scheibe des Taxis vorbei rutschen, Emily prappelt unaufhörlich weiter. Ich hörte irgendwann nicht mehr zu. Sie war total sympathisch und direkt liebenswert aber ich konnte noch nie gut Smalltalk halten. Meine Gedanken wanderten nach Hause. Jetzt wo ich unendlich viele Kilometer weg war, merkte ich, wie ich mein altes Ghetto vermisste. Mir wurde richtig schwer ums Herz. Aber zum Glück hielt das Auto genau dann. Ich konnte mir die Gedanken herausschlagen und zum Kofferraum laufen, um meinen Koffer zu holen.
Dann liefen Emily und ich gemeinsam unter einem Vordach her. "Hier fangen direkt ein paar Klassenzimmer an. Wir gehen jetzt aber direkt auf den Wohntrakt zu wo du wohnen kannst. Du wohnst im Zimmer 34. Etage 4" Sie gab mir beim Laufen einen Schlüssel. Na immerhin, keine siebte Etage. Sie zeigte nach vorne, auf einen Betonklotz mit Fenstern, einige hatten Licht an. "Da wirst du wohnen. Ich wohne in der 78 im 5 Stock." Wir müssen anhalten, es kamen ein paar Jungs über den Weg, die Stühle und lange Tische tragen. "Was ist denn hier los?" fragte ich. "Ach, heute wird eine Party in der Aula gegeben. Das machen wir immer am ersten Schultag. Du kannst ja später vorbeikommen. Dann bin ich nicht so einsam." eine Party. Na herrlich, das fängt ja super an. "Hey Emily!" Wir sahen nach vorne, ein junger Mann, gut zwei Köpfe größer als ich kam und entgegen. Beim näherkommen sah man, dass seine Wurzeln eher im asiatischen Raum liegen. Er hatte ein kleines Bärtchen am Kinn und in seinen schwarzen Haaren, hatten sich grüne Strähnen versteckt. "Oh, wer ist das denn?" er sah mich an. "Das ist Mari, die Austauschschülerin, wovon ich erzählt habe." Er gab mir die Hand. "Ach cool." Er strahlte mich an. Er war total sympathisch, seine positive Aura steckte an. "Ich bin Lion. Aber nenn mich Strike." - "Hi.. Strike? Wieso Strike?" Er fing an zu grinsen. "Weil ich definitiv immer einloche!" Ich musste anfangen zu lachen, aber Emily war sichtlich genervt. "Ja, Ja. Hör auf uns zu nerven und geh weiter." Sie scheuchte ihn weg, worauf er lachte und wir weiter gingen.
Wir erklimmen die Treppen und öffneten eine Tür die zu einem langen Balkon führte. Hier war die Nummer 34.
Hier war mein neues Zuhause für eine lange Zeit. Ich öffnete die Tür und betete auf eine unkomplizierte Zeit..
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