4-4 | Katz und Maus

Als Mina am Dienstagmorgen ihre Augen aufschlug, war sie zunächst sehr verwirrt, dass ihr Kissen sich so hart anfühlte.

     Dann jedoch kamen die Bilder der letzten Nacht wie ein Wirbelsturm zurück in ihr Gedächtnis und ihr fiel augenblicklich ein, dass ihr Kopf nicht gemütlich auf ihrem Kissen ruhte, sondern auf der starken Brust von Henrik Zimmer. Der wiederum einen Arm um ihre Schultern geschlungen hatte, während der andere leblos zur Seite gefallen war.

     Erstarrt, unfähig sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, blieb Mina in ihrer Position liegen. Sie konnte nicht glauben, was am Abend geschehen war. Hatte sie sich tatsächlich von Henrik dazu überreden lassen, René zu verlassen, um es mit ihm zu versuchen? Waren sie nun offiziell ein Paar?

     Erinnerungen daran, wie Henrik voller Zärtlichkeit ihren Körper erkundet hatte, stiegen in ihr hoch. Er war so ganz anders als René, jede Sekunde darauf bedacht, ihr zu gefallen und sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern. Sie hatte sich angebeteten gefühlt wie eine Göttin und sie hatte es genossen.

     Hitze stieg ihr ins Gesicht. Sie sollte nicht über den Sex mit Henrik nachdenken, wenn sie heute noch ihre Gefühle sortieren wollte. Unwillig, aber dennoch entschlossen, wandte sie sich aus seinem Arm und setzte sich vorsichtig im Bett auf. Sie hatte tatsächlich mit Henrik die Nacht verbracht.

     Von ihrer Bewegung geweckt, öffnete Henrik schläfrig seine Augen: »Morgen...«

     Noch immer rot im Gesicht blickte Mina auf ihn hinab: »Guten Morgen.«

     Ein schiefes Grinsen stahl sich auf seine Lippen, als er ihre offensichtliche Befangenheit bemerkte: »Du bist süß, wenn du schüchtern bist.«

     Beleidigt zog sie eine Schnute: »Tut mir leid, dass ich nicht so einfach über ... über das hier hinwegkomme.«

     »Das hier?«, wiederholte Henrik, der jetzt ganz offen lachte: »Du meinst, den berauschenden Sex mit dem größten Anwalt unserer Zeit?«

     Ihre Röte vertiefte sich, doch dafür verschwand ihre Befangenheit: »Spiel dich bloß nicht so auf, Henri. Und zufällig war ich an diesem Sex auch beteiligt, also war ich für mindestens die Hälfte der Großartigkeit verantwortlich!«

     Lachend richtete er sich auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter: »Oh, absolut, da würde ich nie widersprechen! Ich hätte wirklich schon viel früher meine Sinne beisammen haben sollen und dir den Hof machen! Du scharfes Stück, du!«

     »Wer bist du und was hast du mit meinem immer etwas unbeholfenen besten Freund gemacht?«, fragte Mina ungläubig. Dass Henrik hier vor ihr saß und so entspannt über Sex sprechen konnte, wollte ihr einfach nicht in den Kopf.

     »Ich bin einfach nur überglücklich, dass ich dich endlich für mich haben kann«, sagte er und plötzlich war alles Lachen verklungen. Sein Blick lag voller Ernst auf ihr, während die Hand, die auf ihrer Schulter gelegen hatte, ihr zärtlich den Nacken kraulte.

     Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrer Haut aus: »Du weißt viel zu genau, was du sagen musst.«

     Ein Blick auf ihren Wecker unterbrach den Moment der Zweisamkeit: »Oh Gott! Ich bin spät dran!«

     Hektisch begann sie, nach einem angemessenen Outfit für den Tag in ihrem Schrank zu wühlen, während Henrik einfach nur faul die Klamotten vom Vortag vom Boden sammelte und anzog.

     »Übrigens«, sagte sie, während sie ihre Bluse zuknöpfte: »Mir wäre es lieb, wenn wir ... wenn wir noch warten könnten, okay? Ich will mir diesmal sicher sein, bevor ich eine neue Beziehung anfange. Und ich finde, René sollte auch Schonzeit bekommen.«

     Henriks Fröhlichkeit verschwand augenblicklich: »Du willst jetzt aber nicht weglaufen, oder?«

     Genervt rollte sie mit den Augen: »Nein, natürlich nicht. Ich will nur nichts überstürzen, okay? Warte auf mich, Henri. Gib mir Zeit.«

     Grimmig verschränkte er die Arme vor der Brust: »Ich habe lange genug gewartet.«

     Entschlossen trat sie auf ihn zu und stach ihm einen Finger in die Brust: »Wenn du so anfängst, endet das hier, bevor wir überhaupt wirklich gestartet sind, okay? Ich brauche Zeit, Henrik Zimmer, und wenn du es ernst meinst, dann gibst du mir sie.«

     Sie konnte nicht glauben, dass er ernsthaft von ihr erwartete, sich Hals über Kopf in eine Beziehung mit ihm zu stürzen. Nicht nur, dass sie ihre Gefühle füreinander gerade erst entdeckt hatten, er war auch immer noch der beste Freund ihres Ex-Freundes, der noch nicht wusste, dass er wirklich ein Ex-Freund war.

     »Schön«, zischte Henrik, während er an ihr vorbei aus dem Schlafzimmer trat: »Aber glaub mir: Ich bin nicht so geduldig wie René. Ich will dich, Mina, und ich weiß, dass du mich auch willst. Schmeiß das nicht weg!«

     Am liebsten hätte Mina ihm dafür eine Ohrfeige verpasst, doch er war aus der Wohnung verschwunden, ehe sie reagieren konnte. Mit offenem Mund und unendlich wütend stand sie in ihrer Wohnung. Dachte Henrik wirklich, dass er so mit ihr umgehen konnte? War das die Seite, die er in einer Beziehung zeigte? Besitzergreifend, herrisch und ungeduldig? War seine Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit nur aufgesetzt, um die Frau ins Bett zu bekommen?

     Frustriert schüttelte sie den Kopf. Nein, sie reagierte vermutlich nur über. Sie wusste, dass die zärtliche Seite zu Henriks Wesen dazu gehörte, aber sie hatte auch schon miterlebt, dass er stur und ungeduldig sein konnte. Vermutlich wollte er einfach endlich die Gewissheit, dass er sie haben konnte. Aber sie blieb bei ihrem Entschluss: Sie würde nichts überstürzen.

     Sie musste mit René sprechen und ihm sagen, dass die Pause sich schon jetzt als Ende entpuppt hatte. Ihr schlechtes Gewissen nagte heftig an ihr. Sicher, theoretisch war sie im Moment Single, aber praktisch hatte sie gerade ihren langjährigen Freund mit Henrik betrogen. Sie hatten all die Jahre alles zu dritt gemacht, alles geteilt. Dass sie jetzt von einem zum anderen Mann wechselte, würde diese Freundschaft vermutlich nicht überstehen. Das sah Mina ganz klar. Sie hatte es sich ja auch nicht ausgesucht, sich in Henrik zu verlieben. Die erotische Spannung war einfach plötzlich da und hat sich entladen. Bevor Henrik bei ihr eingezogen war, hatte sie nicht einmal im Traum daran gedacht, René für ihn zu verlassen.

     Umso sicherer war Mina sich, dass sie warten sollte, ehe sie eine Beziehung zu Henrik einging. Konnte sie in ihrem jetzigen Zustand wirklich ein rationales Urteil über ihre Gefühle fällen? Sie bezweifelte es sehr. Wenn es nur eine kurzfristige Verliebtheit war, weil Henrik ihr das Gefühl gab, eine begehrenswerte Frau zu sein, dann würde sie ihn am Ende nur noch mehr verletzen, wenn sie eine Beziehung anfing und sie dann schnell wieder beendete. Das musste er einfach verstehen. Es wäre unfair von ihr, sich Hals über Kopf darein zu stürzen.

     Ganz zu schweigen davon, dass René sich nur noch schlechter fühlen würde, wenn sie nahtlos eine Beziehung zu Henrik eingehen würde. Es war so schon kompliziert genug.

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