3-3 | Alles steht Kopf
Von ihrem Platz am Küchentisch aus beobachtete Mina, wie René das Gemüse in der Pfanne schwenkte. Am Ende hatte doch wieder er die meiste Arbeit beim Kochen übernommen, zu ungeschickt hatte sie sich mit dem Schneiden der Paprika und dem Schälen der Kartoffeln angestellt. Dass ihre Gedanken nicht recht bei der Sache gewesen waren, hatte auch nicht geholfen.
Sie seufzte, die Finger um einen Becher mit heißem Tee geklammert, und starrte auf Renés breiten Rücken. Der Tag mit ihm auf dem Weihnachtsmarkt war schön gewesen, denn er hatte sich offensichtlich Mühe gegeben, Spaß daran zu haben. Trotzdem hatte sie zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, tatsächlich auf einem Date mit ihm zu sein. Es war eher wie früher, als sie mit Henrik und René regelmäßig in ihre Lieblingsbar gegangen waren, ein paar Bier oder Wein getrunken hatten und vielleicht die ein oder andere Runde Darts gespielt hatten. Vergnüglich, aber in keiner Weise wirklich romantisch.
Dass sie sich immer noch fragte, ob sich da ein Kuss zwischen ihr und Henrik angebahnt hatte am Abend zuvor, hatte sein Übriges getan.
Sie liebte René wirklich. Aber während sie ihn so betrachtete, wie er in der Küche das Essen zubereitete – ein so vertrauter Anblick – begann sie sich zu fragen, ob sie tatsächlich auch in ihn verliebt war.
Und dann fragte sie sich, ob es Giselle wohl genauso ergangen war. Als Henrik mit gebrochenem Herzen vor ihrer Tür aufgetaucht war, hatte sie deutliche Worte für Giselles Verhalten gefunden – wer konnte schon erwarten, nach zwei Jahren in einer Beziehung noch Schmetterlinge im Bauch zu verspüren? Doch nun fand sie sich beinahe an demselben Punkt. Sie erwartete gar nicht, ständig Herzklopfen zu haben, aber sollte da nicht trotzdem noch irgendetwas sein? Selbst Henrik, den sie stets als einen Bruder betrachtet hatte, konnte ihr die Hitze in die Wangen treiben, während René ...
»Essen ist fertig!«, verkündete eben jener in diesem Moment und unterbrach Minas kreisende Gedanken. Mit geschickten Händen teilte er den Inhalt der Pfanne auf zwei tiefe Teller auf und stellte einen vor Mina, den anderen auf seinen eigenen Platz auf den Tisch. Dazu stellte er sich ein Glas und eine Flasche Bier hin, während Mina einen neuen Becher mit Tee bekam.
»Lass es dir schmecken«, sagte er fröhlich, während er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte und ohne zu zögern mit dem Essen begann.
»Danke«, murmelte Mina betreten. Die Gemüsepfanne, die René gezaubert hatte, roch himmlisch, und der lange Tag auf dem Weihnachtsmarkt hatte ihr ordentlich Energie geraubt. Sie beschloss, all ihre Bedenken für den Moment zur Seite zu schieben, um sich stattdessen auf das Mahl zu konzentrieren, das ihr Freund für sie zubereitet hatte.
»Ich hab diese Woche mal nachgedacht«, durchbrach René schließlich das Schweigen, das sich in der Küche ausgebreitet hatte. Amüsiert bemerkte Mina, dass er sich immer noch nicht abgewöhnt hatte, mit vollem Mund zu sprechen, doch sie störte sich schon lange nicht mehr daran. Fragend hob sie eine Augenbraue, um ihn zum Weitersprechen aufzufordern.
»Ich glaube, es würde uns gut tun, wenn wir eine Weile ... weniger voneinander sehen.«
Beinahe hätte Mina ihr Besteck fallen gelassen: »Was?«
»Überrascht dich das wirklich?«
Mit offenem Mund starrte sie René an. Sie konnte sehen, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte, doch sein Blick war entschlossen und lag unbeweglich auf ihr. Wann war René so erwachsen geworden?
»Willst du Schluss machen?«, hakte sie unsicher nach. Das Essen vor ihr war vergessen, das Besteck vorsorglich beiseitegelegt, um sich auf das Gespräch konzentrieren zu können. Ein nervöses Zittern erfasste sie. Sie hatte selbst gerade über genau diese Sache nachgedacht, doch es aus dem Mund von René zu hören, gab dem Ganzen eine neue Dimension. Es wurde real.
René schüttelte den Kopf: »Nein. Nur ... eine Pause? Meine Worte stehen noch: Ich liebe dich und ich will mein Leben mit dir verbringen, Mina. Aber ich will, dass du auch so fühlst«, erklärte er, während er sich verlegen an der Wange kratzte: »Ich will, dass du mich genauso willst wie ich dich. Wenn wir zusammen sind, ist das schön. Es fühlt sich nett an, geborgen, vertraut. Wie zu Hause. Aber...«, nun wurde er doch rot: »Ich hab manchmal das Gefühl, dass du mich nicht ... attraktiv findest, weißt du? Ich bin ein Mann ... und ich will, dass mir die Frau, die ich liebe, auch das Gefühl gibt, ein Mann zu sein ...«
Beschämt senkte Mina den Kopf. Sie wusste genau, worauf René hinauswollte. Sie liebte ihn, aber wenn es um Lust und Verlangen ging, war da wenig. Und so unpassend, wie es war, die Szene mit Henrik vom Abend zuvor tauchte ungebeten wieder in ihrem Kopf auf.
»Oh René ...«
Mit einem gequälten Lächeln lehnte René sich vor: »Ich bin einfach zu eifersüchtig. Ich denke an Henri, der bei dir wohnt, und habe alle möglichen finsteren Gedanken. Und dann redest du rational drüber und ich weiß, du hast Recht, und trotzdem finde ich, dass ich das blöd finden darf. Ich finde es super, dass du rational bleiben kannst und nicht zickig wirst, wie andere Frauen, aber ... ugh ...«
Mina sah, dass René eigentlich ruhig und offen über diese Sache hatte reden wollen, aber am Ende waren doch wieder seine Emotionen mit ihm durchgegangen. Und sie verstand ihn, sie verstand ihn wirklich, aber sie konnte nicht aus ihrer Haut. In allen Lebenslagen nutzte sie zuerst ihren Verstand, ehe sie ihre Gefühle befragte.
Naja, zumindest, solange sie nicht betrunken war.
»Vielleicht hast du Recht«, sagte sie leise: »Vielleicht brauchen wir einfach eine Pause. Man gewöhnt sich manchmal an Dinge und verliert aus den Augen, wie viel sie eigentlich Wert sind.«
René nickte bestätigend: »Das meine ich. Du bedeutest mir wirklich viel, Mina, aber wenn wir wirklich eine Zukunft zusammen haben wollen, dann ... muss ich dir auch viel bedeuten. Ich will dich heiraten, Mina.«
Erschlagen ließ sie sich in ihrem Stuhl zurücksinken. Er wollte sie heiraten. Natürlich wollte er sie heiraten. Das war nur logisch.
Und trotzdem.
Der Gedanke war abstrakt und kaum hatte er es ausgesprochen, beschlich Mina das Gefühl, als habe jemand eine Falle für sie aufgebaut. War sie wirklich bereit, den Rest ihres Lebens mit René zu verbringen? Es gab noch so viel zu sehen in der Welt, so viel herauszufinden, so viel zu ... fühlen.
»Ich verstehe dich, René«, flüsterte sie: »Wenn wir wirklich zusammen alt werden wollen, sollten wir lieber jetzt als später herausfinden, wie tief unsere Gefühle wirklich gehen. Eine Pause ist ... sinnvoll.«
»Es muss ja nicht ewig sein«, fügte René rasch hinzu: »Vielleicht bis zum neuen Jahr oder so. Einfach zwei oder drei Wochen, in denen wir unserer eigenen Wege gehen. Ich bin mir sicher, wir werden beide schnell merken, dass wir den anderen vermissen. Wir werden sehen, was wir aneinander haben.«
Mina nickte nur. Im Gegensatz zu René war sie sich nicht so sicher, ob das tatsächlich das Ergebnis einer Trennung auf Zeit sein würde. Was, wenn sie sich glücklicher fühlte? Was, wenn ihr das Leben ohne René als Partner gefiel?
Was, wenn aus der Sache mit Henrik mehr wurde?
Unwillkürlich stiegen Tränen in ihr hoch. Sie musste mit Henrik sprechen. Sie musste einfach wissen, was da passiert war und was in ihm vorging. Er war immer noch Renés bester Freund.
»Hey, Mina, komm her«, flüsterte René zärtlich und ging zu ihr rüber, hockte sich neben ihr hin und zog sie an sich: »Nicht weinen, bitte. Wir kriegen das hin. Du wirst sehen, die Pause wird uns gut tun.«
Schluchzend vergrub Mina ihr Gesicht an seiner Schulter. Wenn René wüsste, worüber sie nachdachte. Wenn er wüsste, wie es wirklich um ihre Gefühle bestellt war. Wenn er auch nur ahnte, was zwischen ihr und Henrik vorgefallen war. Sie kam sich vor wie eine Betrügerin und sie hasste das.
Und am Montag musste sie zu allem Übel auch noch erneut zu Daniel gehen, um ein weiteres Mal zu versuchen, seine Familie als Spender zu rekrutieren.
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