3-2 | Alles steht Kopf

Mit leichten Kopfschmerzen wankte Mina am nächsten Morgen in die Küche. Ein Blick auf ihr zum Bett umfunktionierten Sofa zeigte ihr, dass Henrik noch tief und fest schlief. So leise wie möglich füllte sie Kaffeepulver und Wasser in ihre Kaffeemaschine, ehe sie Aufbackbrötchen in den Ofen schob. Als die Kaffeemaschine schließlich mit einem lauten Gurgeln verkündete, dass der Kaffee fertig war, regte sich ihr Mitbewohner auf dem Sofa.

     »Guten Morgen«, begrüßte sie ihn lächelnd. Sie war sich unsicher, ob das unangenehme Ende des vorigen Abends nur in ihrer Vorstellung so unangenehm gewesen war, oder ob Henrik ebenso empfand.

     Sein herzhaftes Gähnen zusammen mit dem fröhlichen Grinsen, das erschien, als er sie in der Küche stehen sah, sagten ihr, dass er offensichtlich keinerlei schlechtes Gewissen hatte. Sie wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte.

     »Kaffee und frische Brötchen«, murmelte er, während er sich die Augen rieb, »ich glaub, ich bin im Himmel.«

     Mina fing an, Butter, Marmelade und andere Utensilien auf den kleinen Esstisch im Wohnzimmer zu tragen: »Gewöhn dich bloß nicht dran.«

     »Hey!«, protestierte Henrik und schälte sich mühsam aus seiner Bettdecke: »Immerhin habe ich gestern das Abendessen gemacht. Das ist doch gute Arbeitsteilung oder nicht?«

     Mina zog sich einen Backhandschuh über und zog das Ofenblech mit den Brötchen hervor: »Nur dass ich ein absoluter Morgenmuffel bin und normalerweise nicht in der Stimmung bin, ein großes Frühstück zu machen.«

     Nachdem Henrik sich Hose und Pulli übergezogen hatte, setzten sie sich beide an den Tisch. Henrik schien seine Tasse schwarzen Kaffees zu genießen, ohne eine einzige Sorge zu verspüren, was es Mina nur noch schwerer machte, den vorigen Abend zu vergessen. Wieso hatte sie so extrem auf ihren besten Freund reagiert, obwohl sie vergeben war? Hatte sie sich seinen Blick gestern nur eingebildet? Und was sagte es über den Stand ihrer Beziehung aus, dass sie überhaupt reagiert hatte?

     Seufzend legte sie ihr angebissenes Brötchen weg. Sie hoffte sehr, dass der Tag mit René auf dem Weihnachtsmarkt ihr helfen würde, ihre Prioritäten wieder korrekt zu ordnen. Ihre alten Gefühle für ihn wieder zu entdecken.

     »Weißt du, was ich immer nicht so richtig verstanden hab?«, fragte Henrik plötzlich.

     Überrascht schaute Mina zu ihm hinüber: »Du verstehst Vieles nicht.«

     »Haha. Wer von uns beiden hat seinen Jura-Abschluss mit Bestnoten bestanden?«, konterte Henrik trocken, doch sie sah, dass ein Lächeln seine Lippen umspielte. Ohne weiter darauf einzugehen, führte er aus: »Ich meine, die Sache mit Daniel. Dass er mich nicht ausstehen kann, verstehe ich ja. Die Fußball-Mannschaft und all das. Und dass ich ihm das Rampenlicht in den Klatschblättern gestohlen habe, angeblich, warum auch immer ihm das so wichtig ist. Aber bei dir? Was ist dein Verbrechen? Dass du mit mir befreundet bist?«

     Lachend beugte Mina sich vor: »Das trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf.«

     »Nicht ernsthaft«, kam es entgeistert von Henrik.

     »Erinnerst du dich an das eine Mal in unserer Lieblingsbar?«, begann Mina: »Ist schon ewig her, da waren René und ich noch nicht zusammen. Daniel hatte sich gerade der Fußballmannschaft angeschlossen und ich glaube, ihr hattet noch nicht wirklich ein Wort miteinander gewechselt. Also, außer dem, was man als Mannschaftskollege halt so redet.«

     Nachdenklich runzelte Henrik die Stirn und nahm einen weiteren Schluck Kaffee: »Dunkel, ja. Aber nicht so richtig.«

     »Dann lass mich dir auf die Sprünge helfen«, sagte Mina bereitwillig. Sie hatte selbst lange gebraucht, um zu realisieren, dass das der Abend gewesen war, an dem sich ihr Verhältnis zu Daniel endgültig zum Negativen gewendet hatte. Sie hatte ihn nie sonderlich gemocht, gerade weil er gutaussehend und intelligent war. Dass er mit ihr zu flirten versuchte, führte nur dazu, dass sie ihn aus Prinzip ablehnte. Er hingegen schien ihr gegenüber immer gleichgültig gewesen zu sein, ein Zeitvertreib, wenn er sich sehr langweilte, vielleicht auch eine Herausforderung, die er nicht wirklich ernst nahm. Was auch immer es war, nach dem Abend in der Bar hatte sich das Blatt gewendet.

     Sie rief sich den Abend in Erinnerung und erzählte: »Ich hab ihn direkt beim Reinkommen bemerkt, er stand mit ein paar Freunden an der Bar. Ihr habt ihn nicht gesehen und da wir ja unseren Stammplatz in der Ecke hatten, dachte ich mir, sag ich einfach nichts, warum sollte ich euch auch drauf aufmerksam machen? Ich dachte einfach nicht, dass Daniel irgendeinen Grund hätte, zu uns rüber zu kommen. Hatte er aber, warum auch immer. Weißt du noch? Er hat sich einfach zu uns an den Tisch gesetzt und mich begrüßt, als wäre ich seine beste Freundin.«

     »Jetzt erinnere ich mich!«, stimmte Henrik mit ein: »Himmel, ich habe völlig vergessen, was für ein Arschloch er an dem Abend war! Kommt an, setzt sich, ohne zu fragen, und fordert von dir, dass du uns vorstellst.«

     »Ganz genau!«, nickte Mina: »Ich meine, ich wusste ja vorher schon, dass er ein bisschen zu viel von sich hält, aber das. Unfassbar.«

     »Ich sehe trotzdem nicht, was genau das mit dir zu tun hat. Ich meine, ich war derjenige, der ihn vertrieben hat. Er hält mir einfach so die Hand hin, meint ganz großartig, er wäre Alexander Frederik Daniel von Hohenstein, aber seine Freunde nennen ihn Dan, und denkt, ich fall um vor Freude?«

     Mina prustete in ihren Kaffee: »Mein Verbrechen war offenbar, dass ich nicht wohlwollend auf euch beide eingewirkt habe. Offenbar dachte er irgendwie, dass ich es toll fände, wenn ihr befreundet seid. Und als du ihm ins Gesicht gesagt hast, dass du ihn dann sicher nicht Dan nennen wirst, hat er mich angeguckt, als wäre ich irgendein Gewürm.«

     Irritiert kniff Henrik die Augen zusammen: »Es ist deine Schuld, dass ich ihn nicht mag?«

     Sie zuckte nur mit den Schultern: »Offenbar. Jedenfalls hasst er mich seit dem Tag. Und redet immer wieder davon, was ich mir geleistet hätte.«

     „Was du dir geleistet hast?«, wiederholte Henrik ungläubig: »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, um zu beschreiben, was daran alles falsch ist! Hast du ihn etwa glauben lassen, dass ihr BFFs seid?«

     Mina rollte nur mit den Augen: »Ich war höflich zu ihm. Ich habe mich mit ihm unterhalten, wenn er mich angesprochen hat. Aber ich bezweifle, dass ich irgendetwas getan habe, was irgendein klar denkender Mensch als Zuneigungsbekundung interpretieren würde. Ich glaube, er war einfach nur wütend, dass du ihn vor all seinen Freunden bloß gestellt hast und ich hab ihn dann auch noch hängen lassen.«

     »Soll er sich halt wie ein normaler Mensch benehmen und höflich fragen, ehe er sich an den Tisch quasi fremder Leute setzt!«, empörte sich Henrik.

     »Er ist aber kein normaler Mensch. Er ist ein von Hohenstein, natürlich gelten für ihn andere Regeln als für uns Normalsterbliche.«

     Kopfschüttelnd griff Henrik nach einem weiteren Brötchen. Da Mina kein Interesse daran hatte, das Thema weiter zu verfolgen, beließ sie es bei dem sarkastischen Kommentar.

     »Irgendwelche Pläne für heute?«, fragte Henrik schließlich, nachdem er sein Brötchen innerhalb von Sekunden verspeist hatte.

     Sie nickte: »Ich gehe nachher mit René auf den Weihnachtsmarkt. Und dann kochen wir zusammen.«

     Grinsend wackelte Henrik mit einem Finger: »Du meinst, er kocht für dich?«

     Etwas schuldbewusst zog Mina die Schultern hoch: »Naja, eigentlich sollte ich kochen, aber wir wissen ja alle, wohin das führt. Aber ich habe versprochen, zumindest zu helfen.«

     Ihr Freund nickte bedächtig: »Also ein schöner romantischer Tag zu zweit, ja?«

     Seufzend ließ Mina einen Finger über den Rand ihrer Kaffeetasse kreisen: »Ja, das hoffe ich. Irgendwie war da nicht so viel los in letzter Zeit. Zwischen uns. Die Romantik ist ein bisschen raus, irgendwie. Ich weiß auch nicht. Vielleicht ist das einfach so, wenn man erwachsen ist?«

     Abwehrend hob Henrik die Hände: »Das musst du mich nicht fragen. Ich dachte, zwischen Giselle und mir ist alles prima, bis sie plötzlich Schluss macht. Offensichtlich bin ich also auch kein Profi. Aber ... René hat mir gegenüber auch schon angedeutet, dass es gerade nicht so gut läuft mit euch.«

     »Argh!«, machte Mina und vergrub ihr Gesicht in den Händen: »Großartig, einfach großartig. Ich dachte, vielleicht liegt es nur an mir und ich bin irgendwie schief gewickelt, aber wenn er das auch so sieht. Ich hoffe wirklich, dass das nur eine Phase ist und wir das wieder hinbiegen können. René ist wirklich ein guter Mann.«

     Stumm zuckte Henrik darauf nur mit den Schultern und starrte in seine Kaffeetasse. Sofort bereute Mina, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte. Natürlich wollte Henrik gerade nichts über die Beziehungsprobleme anderer Leute wissen. Er war genug mit sich selbst beschäftigt. Dass seine beiden besten Freunde heute einen romantischen Tag zu zweit verbringen wollten, war für ihn vermutlich wie Salz, dass sie absichtlich in die Wunde streuten.

     Entschlossen ignorierte sie das Gefühl, dass sie Henrik gerade auf einer ganz anderen Ebene verletzt haben könnte. Sie würde heute einen schönen Tag mit René verbringen, ihre alten Gefühle wieder entdecken und dann wären all ihre komischen Reaktionen auf Henriks Verhalten auch Schnee von gestern.

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