2-4 | Auf in den Kampf
Wie ein Gentleman nahm Daniel ihr nach Ankunft im Restaurant die Jacke ab, rückt ihr anschließend den Stuhl am Tisch zurecht und setzte sich selbst erst, nachdem er sicher war, dass sie alles hatte, was sie brauchte. Mina war sich sicher, dass er mit diesem Verhalten normalerweise die Frauen ohne Probleme um seinen Finger wickeln konnte, doch das würde ihm bei ihr nicht gelingen. Er wollte ganz offensichtlich mit seinem falschen Getue etwas erreichen – und wenn er spielen wollte, dann würde sie ihm nur zu gerne zeigen, dass sie auch nicht von gestern war.
Sie holte ihr lieblichstes Lächeln hervor, legte einen Arm ausgestreckt auf dem Tisch ab, während der andere wie gedankenverloren mit den Spitzen der Gabel spielte, und wartete mit zur Seite gerichtetem Blick darauf, dass Daniel das Gespräch eröffnete.
»Also, Mina, warum erzählst du mir nicht ein wenig von dir?«, fing er an, nachdem er beim Kellner einen Wein und für sie beide ein ominös klingendes Gericht bestellt hatte.
Sie richtete ihren Blick geradewegs auf ihn, ohne dabei jedoch ihr Lächeln zu verlieren: »Aber warum sollten wir denn über mein langweiliges Leben sprechen? Wir sind doch hier, um über die Investition deiner Familie zu reden.«
Sie klimperte einige Male unschuldig mit den Wimpern, doch davon ließ sich Daniel offensichtlich nicht beeindrucken: »Über mich weißt du doch bestimmt schon alles. Die Wege meiner Familie sind in jeder Zeitung zu lesen. Und ich wette, bevor du zum ersten Mal bei uns zu Hause aufgetaucht bist, hast du eine dicke Akte über mich und meine Familie studiert, um deinen Geschäftsplan so gut wie möglich vortragen zu können. Du weißt also mehr als genug. Erwidere die Freude und lasse mich an deinem Leben teilhaben. Wir haben uns seit der Uni nicht mehr gesehen.«
Verkrampft faltete sie die Hände vor sich auf dem Tisch. Offensichtlich würde es nicht leicht werden, durch Dans Abwehr zu kommen. Sie beschloss, sein Spiel für einen Moment mitzuspielen: »Bei mir gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe direkt nach der Uni bei FFF angefangen. Ich wollte gerne etwas Nützliches tun und fand die Idee spannend, beim Aufbau einer neuen Naturschutzorganisation zu helfen. Außerdem bin ich noch immer glücklich an René vergeben. Du erinnerst dich? Der beste Freund von Henrik Zimmer?«
Triumphierend bemerkte sie, wie für einen Moment ein unsicherer, nachdenklicher Ausdruck in Daniels Augen trat, doch dieser Moment war viel zu schnell vorüber. Er beugte sich ein Stück zu ihr vor und senkte die Stimme: »Wann läuten denn die Hochzeitsglocken?«
Unwillkürlich rollte Mina die Augen. Natürlich, Daniel würde alles daran setzen, bei diesem Gespräch irgendetwas Privates aus ihr herauszukitzeln, was er später gegen sie verwenden konnte. Ungerührt erwiderte sie: »Wie gesagt, wir sind immer noch ein glückliches Paar. Aber im Moment haben anderen Dinge Priorität.«
Ihr Essen kam, doch anstatt Erleichterung zu verspüren, dass sie nicht weiter auf ihre Beziehung eingehen musste, war Mina im Gegenteil nur noch unsicherer als zuvor. Vor ihr befanden sich auf einem Tablett eine Ansammlung von Schüsseln und kleinen Tellern, ein Paar Stäbchen und in der Mitte zwischen ihnen stand ein großer Topf mit Reis.
»Was ist das hier?«, fragte sie vorsichtig nach.
Daniel grinste breit: »Ein ganz normales japanisches Essen. Ich gehe davon aus, dass du mit Stäbchen essen kannst?«
Wütend starrte sie ihn an. Natürlich konnte sie nicht mit Stäbchen essen, sie hatte nie das Geld gehabt, in einem richtigen japanischen Restaurant zu essen, und für Sushi, so hatte sie sich sagen lassen, durfte man auch die Finger benutzen. Sie war sich absolut darüber im Klaren, dass sie sich nur blamieren würde, wenn sie jetzt die Gabel, die mit dem anderen üblichen Besteck auf dem Tisch lag, zur Hand nahm. Ohne den Zorn aus ihrer Stimme verbergen zu können, erkundigte sie sich: »Japanisch? Das hier sieht nicht aus wie ein japanisches Restaurant.«
Es war viel zu offensichtlich, wie sehr sich Daniel über die ganze Situation amüsierte, doch er ließ sich tatsächlich zu einer Antwort herab: »Es ist ein kooperatives Restaurant. Zehn verschiedene Chefköche haben sich zusammengeschlossen, um Spezialitäten aus ihren Ländern anzubieten. Die Preise sind entsprechend astronomisch, aber es lohnt sich wirklich.«
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, griff Daniel nach seinen Stäbchen und balancierte sie so mühelos zwischen seinen Fingern, dass Mina sofort wusste, dass er öfter hierher kam. Am liebsten hätte sie ihm die heiße Gemüsesuppe – oder was auch immer diese etwas trübe Suppe mit dem merkwürdigen grünen Zeug und weißen Würfeln darin sein sollte – über den Kopf geschüttet, doch sie beherrschte sich. Stattdessen beschloss sie, einfach ihr Glück mit den Stäbchen zu versuchen, immerhin hatte sie schon immer einmal japanisches Essen jenseits von Sushi probieren wollen. Sie studierte genau, wie Daniel seine Stäbchen hielt, klemmte sich ihre dann hochkonzentriert zwischen die Finger und machte einen ersten Versuch, ein Stück vorgeschnittenes Fleisch damit hochzuheben.
Sie scheiterte kläglich und das mit Soße überzogene Fleischstück landete unelegant zwischen den Schüsseln. Ein unterdrücktes Lachen erklang.
»Süß«, rutschte es Daniel provozierend heraus, als habe er vergessen, dass er freundlich zu ihr sein wollte.
Mit hochrotem Kopf versuchte Mina es erneut und diesmal gelang es ihr tatsächlich, das Stück Fleisch bis in die leere Schüssel vor sich zu manövrieren. Doch was nun? Unsicher schielte sie zu ihm hinüber und bemerkte, dass er als erstes Reis in seine Schüssel gefüllt hatte, ehe er zu anderen Zutaten gegriffen hatte. Frustriert gab sie auf.
»Sehr lustig, Dan, wirklich«, schnaubte sie.
Zu ihrer Überraschung lachte er sie nicht weiter aus, sondern schaute im Gegenteil mehr als ernst drein. Mit einer eleganten Bewegung, die Mina schon wieder nur mit einem Augenrollen zur Kenntnis nahm, legte er seine Stäbchen beiseite, wischte sich den Mund ab und ergriff sein Weinglas: »Was genau hast du erwartet, mh?«
Zornig funkelte sie ihn an: »Ich weiß nicht? Vielleicht ein wenig mehr erwachsenes Verhalten als das hier? Findest du es wirklich angemessen, mich in einem Restaurant beim Essen zu blamieren? Ich meine, ehrlich, sind wir denn im Kindergarten?«
»Was hast du erwartet?«, wiederholte er seine Frage, doch diesmal führte er sie weiter aus: »Du kommst zu mir nach Hause, verlangst, dass ich deiner bescheuerten Organisation Geld gebe, als wäre ich ein verdammter Goldesel. Und weil ich nicht vor Freude den Staub von deinen Schuhen lecke, bringst du meinen Vater ins Spiel, als ob ich dir dankbar sein sollte dafür, dass ich dir Geld geben darf, und dann tauchst du noch einmal auf, weil ... ja, warum eigentlich, mh? Was, denkst du, hast du mir und meiner Familie zu bieten? Leg die Karten auf den Tisch, Mina, vielleicht zeige ich mich dann auch höflich. Wenn dir das nicht passt – ich werde jetzt mein Mittagessen genießen.«
Mit offenem Mund starrte Mina ihn an. Was fiel ihm eigentlich ein? Sie war eine ganz normale Angestellte, die ganz normalen Tätigkeiten einer auf Spendenmitteln basierenden Wohltätigkeitsorganisation nachging. Was war sein Problem? Hatte seine Mutter nicht gerade erst gesagt, dass sie Interesse hatten? Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust, während Daniel tatsächlich mit dem Essen fortfuhr, als könnte ihn kein Wässerlein trüben.
Schnaubend griff sie nach der Gabel, schaufelte sich Reis und Fleisch in ihre Schüssel, und begann zu essen. Sollten er und die restlichen Gäste hier von ihr denken, was sie wollten, sie würde das Essen genießen und dann zurück an ihren Schreibtisch kehren. Sie wusste, wenn sie eine Schlacht verloren hatte, doch sie würde nicht aufgeben. Zum Teufel mit ihm und seinem überheblichen Gehabe. Sie würde schon einen Weg finden, ihn zum Spenden zu bringen. Es war vermutlich nicht sein Ziel gewesen, aber jetzt war ihr Kampfgeist geweckt. Und wenn es das letzte wäre, was sie in ihrem Leben tat.
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