1-3 | Ein unmöglicher Auftrag
Minas Magen schien sich plötzlich in eine Brutstätte für Schmetterlinge verwandelt zu haben, so nervös, wie es darin flatterte. Doch ihr Verstand war nicht bereit, vor den Hormonen zu kapitulieren: »Was du hier gerade machst, von Hohenstein, kann ganz leicht als sexuelle Belästigung ausgelegt werden. Ich wünsche diese körperliche Nähe nicht und wenn du mich hier gegen meinen Willen festhältst, bewegst du dich auf gefährlichen Territorium.«
Sie hatte ihren Worten eine eiskalte Note gegeben. Seine Nähe, seine Größe, seine offensichtliche körperliche Überlegenheit machten ihr tatsächlich Angst, auch wenn die niederen Instinkte ihres Körpers sich freudig auf genau diese Aspekte stürzten. Sie wollte nicht von ihm angefasst werden.
»Sexuelle Belästigung«, kam es gedehnt von Dan, »also ernsthaft. Das meinen Sie nicht wirklich, Frau Richter.«
Mina entging der spottende Unterton bei seiner förmlichen Anrede nicht. Störrisch reckte sie das Kinn vor: »Du bist mir zu nahe. Was eine Frau als Belästigung empfindet und was nicht, ist nicht deine Entscheidung!«
Sein Mund wurde zu einer dünnen Linie der Wut, doch er trat tatsächlich einen Schritt zurück und ließ sie gehen. Mina packte ihre Tasche fester, dann sagte sie leise: »Wenn du mich noch einmal so anstarrst, während ich ein wichtiges Referat halten muss, werde ich das nicht einfach so hinnehmen. Das ist gruselig, und ganz ehrlich, von deiner Seite aus fast schon ein bisschen peinlich. Bist du nicht zu alt für solche Spielchen?«
Sie konnte sehen, dass Dan die Fäuste ballte, als ob er sich daran hindern musste, nach ihr zu greifen. Angespannt presste er hervor: »Du stehst auf mich. Wenn du mal von deinem hohen Ross runterkommen würdest, könntest du das vielleicht einsehen. Ich weiß, wie Verlangen aussieht, wenn ich es sehe.«
Dans blaue Augen leuchteten vor Zorn, doch diesmal war er es, der den Blick zuerst senkte und sie dann einfach stehen ließ.
Unzufrieden mit sich selbst blies Mina sich eine Strähne aus dem Gesicht. Das war genau die Art von Erinnerung, die sie jetzt nicht gebrauchen konnte. An dem Tag war ihr zum ersten Mal richtig bewusst geworden, wie schwach sie beim Anblick von Dan werden konnte. Er hatte sich aufgeführt wie ein Arschloch, und trotzdem hatte sie dieses furchtbare Verlangen verspürt, ihn zu küssen. Gleichzeitig war das der Tag gewesen, an dem sie das erste Mal mit Dans zorniger, unausgeglichener Seite in Berührung gekommen war. Und diese Seite hatte ihr schon damals Angst gemacht. War sie wirklich bereit, diesem Mann noch einmal unter die Augen zu treten?
Plötzlich erinnerte Mina sich daran, dass Dan noch bei seinen Eltern lebte. Was bei jedem anderen siebenundzwanzigjährigen Mann traurig gewirkt hätte, schien in seinem Fall gesellschaftlich akzeptiert, da er nicht einfach noch zu Hause wohnte, sondern seinen eigenen Flügel im elterlichen Anwesen hatte. Eventuell konnte sie zunächst mit seiner Mutter sprechen und sie von der Sache überzeugen, ehe sie das Geschäftliche mit Dan selbst regelte. Wenn seine Mutter auf ihrer Seite wäre, würde er sich gewiss schwerer tun, ihren Vorschlag unbegründet abzulehnen.
Etwas zuversichtlicher schaute Mina aus dem Fenster der Straßenbahn. Sie fuhren gerade am Fußballstadion vorbei, etwa die Hälfte der Strecke war also schon geschafft. Grinsend fragte sie sich, ob Henrik heute Abend wohl René wieder ins Stadion schleifen würde, weil seine Lieblingsmannschaft spielte.
Schon während ihrer gemeinsamen Zeit an der Uni hatte Henriks Leben zu einem großen Teil aus Fußball bestanden. Sie hatten im selben Jahr Jura studiert und schnell beschlossen, eine gemeinsame Lerngruppe aufzumachen. Doch viel zu oft hatte Henri ihr abgesagt, weil er ein zusätzliches Training mit der Uni-Fußballmannschaft machen wollte.
»Rate mal, wer neu in der Mannschaft ist«, hatte Henri eines Abends angefangen, als sie gemeinsam mit René in ihrer gewohnten Cocktail-Bar saßen.
Ratlos zog Mina die Schultern hoch: »Keine Ahnung? Wir haben über zwanzigtausend Studenten in der Stadt, ich kenne wohl kaum jeden von ihnen.«
»Aber diesen schon«, grinste Henri breit: »Alexander Frederik Daniel von Hohenstein!«
René verschluckte sich beinahe an seinem Bier: »Der Idiot aus Minas BWL-Kurs?«
Henri nickte bestätigend: »Eben jener. Ich konnte es erst auch nicht glauben, ich meine, von einem reichen Muttersöhnchen erwartet man jetzt nicht unbedingt Fußball, oder? Eher Golf oder so.«
Stöhnend rieb Mina sich die Schläfen: »Du tust mir jetzt schon leid. Dan führt sich immer auf, als ob ihm die Uni gehört und jeder sich ihm unterordnen muss. Hoffentlich macht er dir keinen Ärger.«
Henri machte eine wegwerfende Handbewegung: »Glaub mir, solche wie ihn hab ich am liebsten. Ruhen sich auf ihrem Geld aus und denken, sie können sich ihre guten Noten und ihr Ansehen erkaufen. Unsereins arbeitet hart für das Studium und sein Leben scheint nur aus Partys zu bestehen.«
Statt eine Antwort zu geben, nippt Mina an ihrem Cocktail. Was Henrik da sagte, stimmte bei Daniel nicht ganz. So ungerne sie es auch zugab, er hatte tatsächlich gute Noten, weil er aufmerksam und engagiert war. Manchmal musste sie sich sogar anstrengen, um ihn zu übertreffen. Aber sie würde das Henri niemals sagen. Er konnte sich sein Studium nur leisten, weil er ein Stipendium erhielt, und brachte von Haus aus einen Hass auf alle, die reich und privilegiert waren, mit. Nachdenklich legte sie den Kopf schräg: »Ich vermute mal, du wirst ihm zeigen, dass man beim Fußball Talent haben muss, um irgendetwas zu erreichen?«
Ein harter Ausdruck trat in Henris Augen: »Darauf kannst du dich verlassen. Ich habe ein Semester hart trainieren müssen, ehe sie mich in die Stammmannschaft aufgenommen haben, und ich habe ein weiteres gebraucht, um einen Platz als Starter zu bekommen. Wenn er von Anfang an als Starter dabei ist, kriegt unser Coach definitiv was zu hören. Ich will nicht mit jemandem zusammen spielen, der sich seinen Platz nur erkauft hat.«
»Kann ja auch gar nicht im Interesse eures Coaches sein!«, stimmte René hitzig zu: »Ich meine, wenn dieser Adels-Schnösel nichts taugt, dann wird er euch nur runterziehen! Und dieses Semester habt ihr endlich mal die Chance, auf Landesebene was zu reißen! Das kann euer Coach nicht einfach aufgeben, nicht für alles Geld der Welt.«
Mina warf ihm ein warmes Lächeln zu. Sie war froh, dass sie durch Henri René kennengelernt hatte. Selten zuvor war sie einem so loyalen, ehrlichen Menschen begegnet wie René. Er war zwar kein Student, sondern machte eine Ausbildung bei der Polizei, aber er hatte das Herz am rechten Fleck, hatte auf seine Weise viel Ahnung von juristischen Details und sah auf eine jungenhafte Weise gut aus. Wenn er sie manchmal anlächelte, schmolz ihr Herz einfach weg. Ihn so vehement bei der Verteidigung seines besten Freundes zu sehen, bestätigte ihr nur, dass er es wert war, irgendwann den ersten Schritt zu machen.
Grinsend schloss Mina die Augen, während die Straßenbahn an der nächsten Haltestelle hielt. Dass sie damals ernsthaft befürchtet hatten, dass Daniel sich einfach so in die Mannschaft einkaufen könnte, war im Nachhinein beinahe lachhaft. Natürlich hatte René Recht gehabt: Der Coach gab jedem dieselbe Chance, aber wer sich nicht bewies, kam nicht in die Stammmannschaft und erst recht bekam er keinen Platz als Starter. Während seiner gesamten Zeit an der Uni hatte Dan es nie zum Starter geschafft. Er spielte wie Henri auch im Mittelfeld, aber selbst sie als Laie konnte bei den Trainings, die sie besuchte, sehen, dass er nicht gut genug war.
Ob das damals wohl der Auslöser für Dans Hass auf Henrik gewesen war? Obwohl Daniel und Henrik sich auf dem Campus theoretisch nie über den Weg gelaufen waren, hatten sie doch eine berüchtigte Fehde miteinander geführt. Mina hatte nie genau verstanden, was Daniels Problem mit Henri gewesen war, umso mehr verstand sie dafür Henris Hass auf Daniel. Wie kleine Kinder hatten sie bei jeder Gelegenheit ihre berühmten Wortgefechte geführt – meistens auf einer Party, fast immer betrunken
Schwungvoll stand Mina auf, um sich für die kommende Haltestelle an die Tür zu stellen. Irgendwann hatte jeder in ihrem Freundeskreis gewusst, dass Daniel regelmäßig versuchte, Henri dumm dastehen zu lassen. So sehr sie auch zur Vernunft gemahnt hatte, hatten ihre Freunde und insbesondere René doch keine Gelegenheit ausgelassen, den blonden Schönling zu provozieren.
Dass sie die beste Freundin seiner Hassperson Nummer eins war, hilf Mina wenig bei ihrer bevorstehenden Aufgabe. Immerhin lag die Uni-Zeit nun hinter ihnen und soweit sie wusste, waren sich Henrik und Daniel schon lange nicht mehr über den Weg gelaufen. Vielleicht hatte er seine alte Fehde ja auch schon vergessen. Vielleicht hatte die Zeit gereicht, um seine Abneigung gegen sie abzumildern.
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