Ein besonderes Osterfest
Müde setzte er sich an seinen Platz. Einen Tisch vor ihm unterhielten sich ein paar seiner Klassenkameraden über ihre Ostergeschenke. Das Leuchten in deren Augen machte ihn traurig. Nicht weil er selbst wenig bekommen hatte, sondern weil er es einfach unnormal fand, wie die Masse an Geschenken über die Stellung der Person in der Klasse entschied. Doch dann lächelte er wieder. Eigentlich hatte er das größte Geschenk von allen bekommen. Aber das würde er keinem sagen. Wenn sie ihn dann fragen, was er bekommen hat, wird er lediglich das sagen, was sie hören wollen. Das kleine Osternest mit dem Schockoladenhasen. Mehr nicht. Doch in Gedanken ging er zurück zum Osterfest.
Langsam hatte er die Tür geöffnet um in das Zimmer seine Schwester zu gelangen. Sie hatte Zimmernummer 241, was damit seine Lieblingszahl war. In dem schlichten, weißen Raum war alles wie immer. Die Vorhänge hingen ordentlich an den Seiten des Fensters, welches so sauber war, dass man das Glas darin kaum sah. Natürlich war es angekippt, da seine Schwester die frische Luft liebte. Zumindest hatte sie es mal gesagt vor ein paar Jahren. Und da war sie. Sie lag in dem weißen Bett wie das letzte Mal, als er sie besucht hatte. Ihr Oberkörper war leicht erhöht, sodass sie halb saß. Sie starrte den selben Punkt auf ihrer Decke an, wie sie es immer tat. Seit ungefähr einem Jahr lag sie da und starrte die weiße, ordentliche Decke an unter der sie lag. Nicht, dass sie nichts tun wollte. Nein, sie konnte nicht, seit jenem schrecklichen Unfall. Kaum einer hätte gedacht, dass sie überleben würde, aber sie tat es. Klammerte sich an das Leben mit allem was sie hatte. Doch auch nun sagten ihr die Ärzte keine gute Zukunft vorraus. Sie würde nie wieder aufhören die Decke an zu starren. Nie wieder irgendetwas machen. Die meisten hatten schon bezweifelt, dass sie überhaupt noch etwas wahrnahm, doch er hatte immer an seine Schwester geglaubt, obwohl dieser Glaube in den letzten Wochen zu bröckeln begonnen hatte.
Er schluckte kurz und trat dann in das Zimmer seiner Schwester. “Hey Schwesterherz... ich... dachte ich komme mal vorbei, weil heute ist Ostern, weißt du?“ langsam ging er zu dem Stuhl, welcher neben dem Bett stand. “Mom hat leider keine Zeit... und Dad... das weißt du ja.“ mit zittrigen Fingern versteckte er den Gegenstand, welchen er mitgebracht hatte unter der Bettkante. “Und... und da heute Ostern ist... dachte ich... ich schenke dir etwas.“ langsam stellte er den kleinen, selbstgebastelten Osterhasen so vor sie, sodass sie ihn ansah. “Es... ist... nicht der schönste... aber wenn... wenn er dir gefällt...“ immer wenn er bei seiner Schwester war hatte er Probleme gehabt flüssig zu reden. Als hätte er einen Klos im Hals. Aber heute war es viel schlimmer. “Wenn er dir gefällt... kannst du... vielleicht irgendetwas machen...“ seine Augen wurden feucht. “Weil... alle...alle sagen du bist gar nicht mehr da und... und...“ mit einem Schluchzen versagte seine Stimme und er legte seinen Kopf vorsichtig auf ihren Bauch. Tränen rollten ihm über die Wangen und hinterließen kleine dunkle Flecken auf der Decke. Durch diese Bewegung fiel auch der Osterhase von ihrem Bett und landete auf dem Boden. Schnell wischte er sich die Tränen weg und stellte ihn wieder an den alten Platz. “Bitte...“ wieder schluchzte er. “Zeig mir... dass du noch da bist... das die anderen falsch liegen.“ flehend sah er in ihr starres, unverändertes Gesicht und wartete. Eine Sekunde... Zwei... Zehn... eine Minute... nichts. Nichts geschah und das Gesicht des Mädchens blieb unverändert. Langsam wandte er sich ab. “Dann hatten sie wohl recht...“ mit einem seufzen stand er auf und wollte gehen. Zum Abschied drehte er sich noch einmal um und da sah er es. Eine Träne bahnte sich den Weg über das Gesicht seiner Schwester, bis sie an der Kinnspitze ankam und auf die Decke tropfte. “Du.. du bist doch da!“ er konnte vor Freude kaum still stehen, als sich zusätzlich ihre Mundwinkel zu einem leichten Lächeln nach oben zogen. Stürmisch umarmte er seine Schwester und begann ein weiteres mal zu weinen. Aber dieses Mal waren es Tränen der Freude, Tränen der Erleichterung und Tränen, weil er Recht gehabt hatte.
Selbst jetzt, eine Woche später wurden seine Augen feucht. Denn das war das letzte Geschenk gewesen, was er von ihr bekommen hatte. Einen Tag später hatte ihr Herz überraschend aufgehört zu schlagen. Als habe sie nur darauf gewartet, ihrem Bruder noch etwas mitzuteilen. Das sie da war. Immer und überall. Und vor allem in seinem Herzen. Und das war das größte Geschenk, was er je hätte bekommen können.
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