Kapitel 9
"Alyss, Spatz! Kommst du bitte mal?", hörte ich meinen Vater aus der Küche rufen.
"Ja. Komme gleich!" Schnell schrieb ich noch einen Satz in mein Spanischheft und klappte es zu. Dann ging ich in die Küche, um zu gucken, was meinen sonst so ruhigen Vater dazu bewegt hatte, die Stimme zu erheben.
"Was ist denn?", fragte ich, als ich mich auf die Eckbank gleiten ließ. Mein Vater gab mir die Zeitung, die er in den Händen gehalten hatte, und deutete dabei auf einen Artikel.
"Lies das hier." Ein wenig skeptisch musterte ich ihn, wie er sich eines der Brötchen mit Marmelade beschmierte. Hatte er mich deswegen gerufen? Wegen eines Zeitungsartikels brüllte er die Nachbarn zusammen? Da ich keinen anderen Weg sah, an Informationen über die Ursache für das seltsame Verhalten meines Vaters zu kommen, senkte ich meinen Blick auf den Text, den er angedeutet hatte.
Dylan O'Brien bei Dreh verletzt
Quellen zufolge wurde der 'Maze Runner'-Star Dylan O'Brien (24) beim Dreh einer Stunt-Szene für das große Finale der Maze Runner Filmreihe, in Vancouver von einem Auto angefahren. Zur Behandlung wurde er in ein örtliches Krankenhaus in British Columbia eingeliefert. Der ganze Cast und auch Autor der Vorlage für 'Maze Runner', James Dashner, hoffen auf die baldige Genesung des Schauspielers. Der Regisseur, Wes Ball, betonte, dass der Dreh für den Film 'Maze Runner: The Death Cure' nur angehalten, jedoch nicht abgebrochen wurde.
Geschockt starrte ich auf das Papier in meinen Händen. Das konnte doch nicht sein! Dylan war verletzt worden! Er war von einem Auto angefahren worden! Wie paralysiert saß ich einfach nur stocksteif da, während meine Gedanken rasten. Wie ging es ihm? Warum wusste ich nichts davon? Sollte ich Sarah bitten mir zu sagen, wo Dylan lag, um mich selbst von seinem Zustand zu überzeugen? Wusste Yessi davon? Würde sie mich begleiten?
Ich fasste einen Entschluss. Ich würde Dylan besuchen fahren, auch wenn ich dafür nach Vancouver fliegen musste. Stellte sich nur noch die Frage, wo ich da überhaupt hinmusste. Also rief ich Sarah an. Vielleicht wusste sie in welchem Krankenhaus Dylan lag. Ich hoffte es.
"Hallo, hier ist der Anschluss von Sarah Dexter. Bitte hinterlassen sie Nachrichten, Telefonnummern, Bankdaten und PIN-Nummern nach dem Ton." An sich ja ganz lustig, aber mir war im Moment nicht nach Lachen.
"Hallo Sarah. Ich bin's, Alyss. Ich wollte dich fragen, ob du weißt in welchem Krankenhaus Dylan liegt. Bitte ruf mich zurück! Das ist wirklich wichtig für mich!"
Wo war sie, wenn ich sie wirklich mal brauchte? Verdammt! Schnell öffnete ich WhatsApp und schrieb Yessi an.
'Yessi, hast du das mit Dylans Unfall gehört? Weißt du vielleicht wie es ihm geht? Sarah geht nicht ans Handy und andere Nummern vom Cast oder so hab ich nicht.'
Ungeduldig wartete ich auf eine Antwort.
'Ja, ich war ja bei der Szene im Hintergrund. Bin jetzt bei ihm im Krankenhaus. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut'
'Wo liegt er denn? Ich komm dann dahin!'
'Im Hospital an der Hollywood Boulevard'
'Es gibt eine Hollywood Boulevard in Vancouver?'
'Wie kommst du denn jetzt auf Vancouver?'
'In der Zeitung steht, dass Dylan in einem Krankenhaus in British Columbia liegt und da der Dreh in Vancouver war, liegt er logischerweise in einem in Vancouver.'
'Achsooo... Sie haben der Presse erzählt, dass er in British Columbia liegt, damit hier vor'm Hospital kein Menschenauflauf entsteht.'
'Dann liegt er hier in L.A.?'
'Jep!'
'Auf welchem Zimmer?'
'303'
'Okay ich bin in 20 Minuten da!'
Hastig steckte ich mein Handy in meine Hosentasche, schnappte mir meine Jacke und Handtasche von der Garderobe und stürmte aus der Tür. Über meine Schulter rief ich meinem Vater noch ein "Bis später, Dad!" zu und steuerte auf den Aufzug zu. Entnervt wartete ich auf den Fahrstuhl.
°°°
20 und ein paar gequetschte Minuten später lief ich einer unfreundlichen Krankenpflegerin hinterher. Am Tresen hatte sie eine riesige Farce veranstaltet, dass sie mich ja auf keinen Fall zu Dylan O'Brien bringen könne, weil, wenn sie das ja immer machen würde, wüsste ja bald ganz L.A. vom Aufenthaltsort des Schauspielers. Zuvor hatte ich sie wie wild auf ihrem Handy herumtippen sehen. Bestimmt hatte sie all ihre Bekannten und Twitter darüber informiert, dass sie den weltberühmten Schauspieler Dylan O'Brien in ihrem Krankenhaus betreute. Sie musste erst die Erlaubnis von den Zuständigen einholen, dass sie mich über die ewig gleichen Gänge führen durfte. Wahrscheinlich hatte meine Drohung sie zu verpetzen ihre Entscheidung maßgeblich beeinflusst und den Vorgang maximal beschleunigt, denn plötzlich waren ihr ihre Vorgesetzten egal gewesen. Ihre hallenden Stöckelschuhe verklangen und sie öffnete eine Tür.
Im Raum stand nur ein einziges Bett mit ein paar Bildschirmen drumherum sowie weit mehr Stühle für Besucher, als ich es normalerweise kannte. Aber Dylan hatte bestimmt Unmengen an Besuchern, deswegen fand ich das durchaus begründet. Im Bett lag, unter Decken begraben, Dylan O'Brien und es machte den Anschein, als hätte er sich gerade mit dem Regisseur unterhalten, der auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes stand, bevor er sich zur Tür umgedreht hatte. Yessi entdeckte ich nach einem zweiten Blick auf einem der Besucherstühle sitzen, mit ihren Kopfhörern in den Ohren. Neben ihr saß fast der gesamte Cast. Die meisten hatten schon ihre Jacken an und machten den Eindruck, als wären sie gerade auf dem Weg nach draußen gewesen. Ich versuchte zu lächeln, aber meine Gesichtszüge waren derart verkrampft, dass ich nicht sicher wusste, wie gruselig ich in Wirklichkeit aussah. Da halfen mir auch meine Schauspielkünste nichts.
Ich trat ins Zimmer und nickte einmal in die Runde, was verbunden mit einem Schlenkern meines Kopfes sicher ebenfalls nicht normal aussehen konnte. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg und senkte meinen Blick auf den Boden, damit es nicht ganz zu offensichtlich war. Dann ging ich mit schnellen Schritten auf Yessi zu und ließ mich neben ihr auf einen der unbequemen Plastikstühle sinken. Sie hatte mich immer noch nicht bemerkt, sondern wippte im Takt der Musik vor und zurück, was relativ lustig aussah ohne die dazu passenden Melodien zu hören. Ich beobachtete sie eine ganze Weile und musste durchweg mein Lachen unterdrücken. So bemerkte ich auch gar nicht, wie sich der Raum langsam leerte und der Regisseur die Tür hinter sich schloss.
Ich tippte Yessi an. Sie wandte sich mir zu und zuckte kurz zusammen. Dann riss sie sich die Stöpsel aus den Ohren und schaute mich mit zusammengekniffen Augen an.
"Wie lange sitzt du da schon?"
"Werde ich nicht mal begrüßt?", schmollte ich spaßeshalber und erwartete jeden Moment, dass sie mich wie ein riesiger schwarzer Hund anknurren würde. Sie tat es nicht, was mich ein bisschen traurig machte aber mich gleichzeitig auch ungemein erleichterte. Wer weiß, ob ich das überlebt hätte.
"Ich verpass dir später die Abreibung, die du verdienst."
Ich grinste. "Schaffst du nicht." Ich war versucht ihr die Zunge rauszustrecken. Nach einem Moment des Überlegens tat ich es auch. Es war einfach zu verlockend!
Auch Yessi grinste, obwohl es eher ein teuflisches und sadistisches Grinsen war, das mir fast ein bisschen Angst machte. Sie spielte eben nicht aus Gründen der Unterbesetzung eine Geistesgestörte.
Sie beugte sich zu mir vor und hauchte mir etwas so leise ins Ohr, dass ich es kaum verstand. Erst als sie schon fast aus dem Zimmer war und mir noch einmal diabolisch zuzwinkerte, begriff ich, was sie mir gesagt hatte.
"Ich weiß, was du nicht schaffst: Alleine in einem Zimmer mit Dylan O'Brien zu sein, ohne dich zu blamieren."
Ich verfluchte sie in diesem Augenblick. Dann drehte ich mich zum Bett und tatsächlich; da saß ein überaus nett lächelnder Dylan O'Brien aufrecht unter seinen ganzen Decken und schaute mich mit diesen warmen braunen Augen an.
Panik machte sich in mir breit. Ich sah in dem Moment sicher aus, wie ein Kaninchen beim Tierarzt, mit Sichtkontakt zur Spritze, die kurze Zeit später irgendwo ins zarte Fleisch gesteckt wird. Aber ich konnte nichts dafür. Mein Körper befand sich in einer Schockstarre, denn meine ganze Energie wurde für mein Hirn benötigt, das sich mit irrsinnigen Erklärungen, wie es zu dieser Situation kommen konnte, überschlug. Kurzzeitig war ich davon überzeugt, eine Fata Morgana vor mir sitzen zu haben, dann waren es einfache Hirngespinste und Tagträume, was bei mir nicht unbedingt selten vorkam, aber dieser fühlte sich so unglaublich echt an. Meine Gedanken spannen sich weiter, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können. Jetzt waren die Aliens Schuld und kurze Zeit später Yessi.
Yessi! Warum war ich da nicht schon eher drauf gekommen? Sie hatte doch mal gesagt, dass sie sich ganz sicher wäre, dass Dylan noch einmal mit mir sprechen würde. Sie hatte das hier schon vorher geplant gehabt! Auf die ein oder andere Weise, denn ich glaube nicht, dass sie den Unfall eingeleitet hat. Das wäre vielleicht ein bisschen heftig gewesen. Schon wieder wollte ich ihr Blut fließen sehen.
"Alles okay bei dir? Pass auf, dass dein Kopf nicht anfängt zu rauchen."
Abrupt hob ich den Kopf. In dem Moment schoss mir ein scharfer Schmerz die Wirbelsäule runter und ich zog hart Luft zwischen meinen Zähnen ein und senkte meinen Kopf wieder auf die Brust.
"Hey. Was ist los?" Dylans Stimme klang jetzt ehrlich besorgt und ich hörte ein Rascheln von seinem Bett. Ich hob die Hand.
"Bleib liegen. Ich hab mir nur einen Muskel überdehnt. Es geht schon." Ich traute mich nicht ihn anzusehen, teils weil ich grade keinen gut aussehenden Schauspieler vor mir stehen haben wollte, der sich wegen so etwas banalem Sorgen um mich machte und teils, weil ich mich nicht traute meinen Muskel zu überlasten. Ich hörte nackte Füße über den Linoleum-Fußboden auf mich zu tapsen.
"Lass mal sehen. Nicht, dass du mir hier wegstirbst."
"In einem Krankenhaus. Welche Ironie des Schicksals", gab ich verdrossen zurück. Ich konnte seine Mimik nicht sehen und kannte ihn zu schlecht, als dass ich seine Reaktion hätte einschätzen können. Das machte mir ein wenig Angst.
Im nächsten Moment allerdings konnte ich mich nur noch auf seine sanften Finger auf meinem Nacken konzentrieren und es war ein himmlisches Gefühl, bis er den versteiften Muskel ertastete. Da war die Idylle vorbei, denn es tat weh. Da nützte auch seine Körperwärme und die Kreise, die er in meinen Nacken zeichnete, nichts. Im nächsten Moment wurde mir etwas klar: Dylan O'Brien, der Dylan O'Brien, massierte mir meinen Nacken. Er berührte mich.
Mal wieder erstarrte ich zu einer Eis Säule, doch nach einer Zeit löste sich die Verkrampfung und ich schmolz unter seinen Händen weg, ließ mich in diese Berührung fallen. Wer wusste schon, wann ich das nächste Mal einem Promi und vor allem ihm wieder so nah war. Ob ich überhaupt die Chance hatte, so etwas wie das hier zu wiederholen.
Dann nahm Dylan seine Hände weg, der Moment endete und auch dieses euphorische Gefühl ebbte ab. Er bewegte sich wieder auf sein Bett zu. Ich folgte ihm mit meinem Blick und mir fiel erst jetzt auf, dass er nur einen einfachen Krankenhaus-Schlafanzug an hatte und seine Haare in alle Richtungen abstanden. Ein paar Bartstoppeln schmückten seine Wangen und ließen zum ersten Mal, seit ich ihn bei den Dreharbeiten gesehen hatte, sein wirkliches Alter erkennen. Trotzdem sah er von hinten so harmlos aus.
Er blieb vor dem Nachttisch stehen und zog etwas aus einer Schublade hervor. Beim Umdrehen versteckte er es hinter seinem Rücken, sodass ich nicht wusste was es war. Dann kam er wieder zurück und reichte mir eine Postkarte mit seinem Bild vorne drauf. Darunter stand seine Unterschrift. Ich war etwas überrumpelt und starrte den Karton in meiner Hand an. Kurz darauf besann ich mich wieder und drückte es ihm in die Handfläche.
"Danke, aber... Ich kann das nicht nehmen. Das geht nicht." Wie zur Bestätigung schüttelte ich meinen Kopf und verschränkte meine Hände in meinem Schoss. Ich schaute ihm in die Augen, die mich prüfend musterten.
"Okay." Er wandte sich ab und schlurfte erneut auf sein Bett zu.
Ich stand auf, erhob meine Stimme ein wenig, als wäre er meilenweit entfernt. "Bitte versteh das nicht falsch! Ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen! Ich kann... Ich kann es einfach nicht annehmen. Und das hat nichts mit dir zu tun!"
Dylan drehte sich um und zog einen Schmollmund. "Warum hast du's dann nicht angenommen?"
Ich musste lächeln, denn er hörte sich wie ein kleines nöliges Kleinkind an. "Du hast so verletzt gewirkt, als ich dich gefragt hab."
Er schaute mich nachdenklich an und legte dabei seinen Kopf leicht schief.
"Weißt du, das gehört zu meinem Job und wer hat gesagt, dass es nicht auch weh tut, wenn du meine freundliche Geste zurückweist?"
Überrascht starrte ich ihn an. Auf die Art und Weise hatte ich noch gar nicht darüber nachgedacht, auch wenn ich dazu sagen muss, dass ich gerade Mal dreißig Sekunden Zeit gehabt hatte. Aber er hatte Recht. Es war anmaßend gewesen ihm irgendeine Emotion auf die Stirn zu pinnen ohne sich erkundigt zu haben, wie es ihm wirklich bei der ganzen Sache gegangen war.
"Tut mir leid. Ich nehme das Autogramm an."
"Nein. Jetzt geb ich's dir nicht mehr!"
"Sei nicht so kindisch!"
"Sei du nicht so böse zu mir!"
Ich seufzte. "Und da sagen Männer, dass Frauen kompliziert wären..."
"Wir verstehen euch eben nicht! Wie kommt man denn auch bitte von süß zu fett?!"
"Wie kommst du jetzt darauf?"
"Wenn man zu einer Frau sagt ‚Du bist süß.' und dann ein ‚Du findest mich fett?' zurückbekommt, ist das doch mehr als kompliziert!"
"Okay, dann weihe ich dich jetzt in die komplexen Gedanken einer Frau ein."
Erwartungsvoll verschränkte er die Arme über dem dünnen Stoff. "Da bin ich ja mal gespannt."
"Blumen sind süß, Bienen fliegen von Blüte zu Blüte, Bienen machen aus den Blütenpollen Honig, Honig ist süß, Honig ist Zucker, Zucker sind Süßigkeiten, Süßigkeiten machen fett."
Er tat so, als würde er nachdenken. "Das gibt ja fast Sinn..."
"Für dich hab ich's ja auch extra einfach formuliert", schmeichelte ich ironisch und versuchte mich an einem viel zu auffälligen Blinzeln.
Dann passte er eine Sekunde nicht auf und flugs hatte ich ihm das Autogramm aus der Hand genommen und in meine Jackentasche gestopft.
"Und Frauen sind definitiv das überlegenere Geschlecht!"
Damit drehte ich mich um und wollte einen dramatischen Abgang machen.
"So leicht kommst du mir nicht davon!", rief Dylan mir nach. Ich war schon an der Tür und drehte mich noch einmal zu ihm um.
"Doch!", sagte ich frech und streckte ihm die Zunge raus. Dann schloss ich die Tür hinter mir.
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