Kapitel 14

Neugierig musterte ich Dylan, als wir stehenblieben und er sich zu mir umdrehte. „Du hast irgendwas geplant, oder?"

Er nickte grinsend und seine braunen Augen strahlten warm.

„Und du wirst mir wohl nicht sagen was, oder?", fragte ich und bekam ein spitzbübisches Kopfschütteln zur Antwort. Gespielt genervt verdrehte ich die Augen und beobachtete ihn. Er seinerseits starrte mich ebenfalls an und so lieferten wir uns einen Wettkampf, in dem es darum ging, wer zuerst wegguckte oder blinzelte. Ich verlor, aber nur, weil die U-Bahn in dem Moment einfuhr und ich in ihrem Fahrtwind stand. „Revanche! Ich verlange eine Revanche!", beschwerte ich mich auch gleich lautstark. „Die U-Bahn hat mich behindert!"

„Keine Chance, Alyss, du hast verloren, da hilft dir auch keine Ausrede. Verloren ist verloren!", lachte Dylan und zog mich in die vollgestopfte Bahn, die Richtung Innenstadt fuhr.

Aus zu Schlitzen verengten Augen sah ich Dylan an. „Was wollen wir denn in der Innenstadt?", fragte ich ihn in meinem besten Ermittlertonfall und rückte noch ein Stück näher zu einer Stange, damit ich nicht von den noch immer hereinströmenden Fahrgästen erdrückt wurde.

„Was wollen wir denn nicht in der Innenstadt?", antwortete mir Dylan mit einer kessen Gegenfrage und ich musterte ihn nachdenklich. Ich mochte ihn so viel lieber, als ausgelassenen, kleinen Jungen, der immer etwas fand, über das er sich freuen konnte, oder dass ihm die Laune wieder hob. Wenn er so düster war, dann machte er mir fast Angst. Aber nur fast, schließlich war es immer noch nur Dylan.

Widerwillig nickte ich und nahm damit seine sehr unzufriedenstellende Antwort zur Kenntnis, beobachtete ihn aber weiterhin und versuchte zu analysieren, was ihn so begeisterte. Das war besser als über die Szene mit Sam nachzudenken. „Also muss ich mich jetzt treiben und dich machen lassen?", hakte ich noch einmal skeptisch nach und legte meinen Kopf ein bisschen schief, weil ich das einfach schon immer mal hatte machen wollen. Bei Hunden sah das immer so verdammt süß aus, auch wenn es bei mir wohl nicht den exakt den gleichen Effekt haben sollte, doch das hielt mich von nichts ab.

„Genau das, auch wenn es dir nicht gefällt die Kontrolle abzugeben", zwinkerte er und sein Grinsen wurde fast noch breiter. Ich hatte ehrlich gesagt Angst, dass ich ihn irgendwann mit der Grinsekatze verwechseln könnte, wenn seine Mundwinkel es doch mal schaffen sollten, seine Ohrläppchen zu berühren. Allerdings war er wesentlich menschlicher als eine Katze, also bestand diese Gefahr wohl nicht oder war wenigstens verschwindend gering.

Mit vorgeschobener Unterlippe versuchte ich meine Arme vor der Brust zu verschränken, was allerdings nicht so ganz einfach war, wenn man sich gleichzeitig festhalten muss, um nicht mitten in die doch schon etwas streng riechende Achselhöhle eines Mitpassagiers zu fallen. Irgendwie dirigierte ich meinen einen Arm schließlich um die Stange herum und schaffte es mehr schlecht als recht mein Vorhaben in die Tat umzusetzen, was jedoch seine Wirkung vollkommen verfehlte. Als sich mein Blick nämlich von meinen Armen hob, die ich in wirklich mühevollster Kleinarbeit in Position gebracht hatte, und Dylan ins Gesicht sah, konnte der vor Lachen kaum noch an sich halten. Ich hätte mich fast gewundert, dass er sich noch nicht auf dem Boden rollte, was aber in Anbetracht der Enge, die in der völlig überfüllten U-Bahn herrschte, erst gar nicht möglich gewesen wäre. Tatsächlich musste ich meinen Kopf ein bisschen in den Nacken legen, um Dylans Mimik gut im Blick zu haben, obwohl er nur knapp fünf Zentimeter größer war als ich. Als ich geräuschvoll einatmete, um Dylan auf mich und meinen Unmut aufmerksam zu machen, konnte ich nicht umhin zu bemerken, dass er ausgesprochen gut roch. Nicht so, wie das in vielen, viel zu kitschigen Liebesromanen beschrieben wurde, nach Zeder oder Orange oder irgendeinem anderen identifzierbarem Geruch, auch sein Deo oder Parfüm oder was auch immer er benutzte, hatte keine allzu aufdringliche Note oder roch penetrant nach diesem typischen Männerparfüm. Stattdessen roch Dylan warm und ein bisschen nach Waschmittel und... einfach gut. Ich konnte nicht beschreiben wie er roch, schließlich war er keine Duftkerze, die einfach mit Aromaöl gemixt wurde. Das hatte ich in solchen Romanen sowieso schon immer unlogisch gefunden. Ich mochte Dylans Geruch, so einfach war das, und irgendwie war er mir schon vertraut, auch wenn ich ihn noch nie so bewusst wahrgenommen hatte, wie in diesem Moment, so musste er mir schon zu anderen Zeitpunkten aufgefallen sein.

Als Dylan sich wieder eingekriegt hatte, war dieser seltsam intensive Moment vorüber und ich hatte mich von meiner kleinen Schwärmerei wieder erholt. Im Nachhinein war es irgendwie peinlich, vor allem, weil mir erst jetzt bewusst wurde, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt haben musste.

„Du willst mir wirklich nicht sagen, wo wir hingehen, oder?" Ich konnte die Fragerei einfach nicht lassen. Aber ich konnte es wirklich nicht leiden nicht zu wissen, was auf mich zukam. Das machte mich immer so verflixt nervös, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Dylan schien da wohl die einzige Ausnahme zu sein, die sich doch irgendwie in meine Gedanken schleichen konnte.

„Also wollen schon, aber ich werde es dir nicht sagen, auch wenn ich dir ansehen kann, dass es dich schier verrückt macht!" Sein Lächeln musste an seinem Gesicht festgetackert sein. Es musste einfach. Anders konnte ich mir seine ständige, gute Laune einfach nicht erklären. Wobei ständig ja auch relativ war...

Nein, nicht daran denken, Alyss, einfach an was anderes denken. Wie wäre es zum Beispiel mit weißen Häschen? Weiße Häschen sind doch süß! Und es gibt Feldhäschen, Stallhäschen, Betthäschen... Arrrgh! Es funktioniert nicht! Ich will da nicht dran denken! Vor allem nicht an Dylan in der Situation! Apropos Dylan, woher weiß er eigentlich auf welche Schule ich gehe?

Aufmerksam musterte ich ihn, während sich in meinem Kopf schon eine ganz genaue Vorstellung entwickelte, woher Dylan seine Informationen musste. Ich glaube, ich habe gleich noch etwas zu erledigen.

„Sind wir bald da?", erkundigte ich mich. Auf die Dauer war die Beengtheit der U-Bahn doch ziemlich... beengend. Noch kurz ruhte Dylans Blick auf mir, dann reckte er sich ein bisschen und versuchte wohl über die Köpfe der anderen Passagiere zu linsen, so als wäre da etwas Hochinteressantes zu Gange. Neugierig drehte ich mich ebenfalls um, steckte aber leider nur meine Nase in eine penetrant stinkende Achselhöhle. Angewidert drehte ich mich wieder um und verzog angeekelt mein Gesicht. Hatte der Typ kein Deo? Das war ja widerlich! Könnte ich, ich hätte mir die Nase ausgewaschen.

„Die nächste Haltestelle ist unsere", meinte Dylan in dem Moment und schaute mich ein wenig verständnislos an, als er mein zu einer Maske aus Ekel erstarrtes Gesicht sah.

„Manche Leute sollten sich echt mal funktionierendes Deo kaufen", erklärte ich ihm und atmete wieder annehmbar saubere Luft. „Du sag mal; wo hast du denn deine Sonnenbrille gelassen?", fragte ich ihn dann, weil mir das gerade aufgefallen war. Dylan guckte einfach weiter wie eine Kuh im Scheinwerferlicht. Okay, wie ein Welpen im Scheinwerferlicht. „Letztes Mal als wir U-Bahn gefahren sind, hattest du so eine stylische Sonnenbrille auf. Warum jetzt nicht?"

„Alyss, warum sollte ich in einer U-Bahn eine Sonnenbrille aufsetzen? Das ist doch total verdächtig!" Er runzelte die Stirn und schaute mich an, wie meine Mutter es manchmal tat, wenn sie an meinem Verstand zweifelte.

„Ach, jetzt bin ich die, die den Verstand verloren hat, ja?", schmollte ich beleidigt. Ich wusste, dass er das letzte Mal eine Sonnenbrille aufgehabt hatte. „Du hattest die Sonnenbrille auf, nicht ich. Natürlich ist das mega-auffällig, deswegen war es mir damals schleierhaft, warum du eine getragen hast!"

Plötzlich lachte Dylan herzhaft auf und führte mich durch die geöffneten Türen auf den Bahnsteig, Treppen rauf und Treppen runter, bis wir uns schließlich auf diese unbequemen Stahlnetze setzten, die immer an den Bahnsteigen aufgestellt waren. Während der ganzen Zeit hatte ich weiterhin geschmollt, weil Dylan mich offensichtlich aufs Glatteis geführt hatte, und er hatte zwar aufgehört zu lachen, dafür grinste er jetzt umso breiter.

Als wir saßen, guckte er mich nochmal an, lachte kurz auf, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und meinte: „Du siehst süß aus, wenn du beleidigt bist." Dann machte er mit dem Dauergrinsen weiter, während er mich beobachtete. Im Moment bezweifelte ich allerdings, dass das Leuchten seines Lächelns irgendwem außer mir auffiel, denn mein Kopf glühte. Schnell drehte ich mich von Dylan weg und versuchte tief durchzuatmen.

Er hat das sicher nur aus dem Affekt heraus gemacht. Bestimmt. Das hat sich einfach angeboten und dann hat er das einfach gemacht. Es ist ja auch ein Kuss, wie man ihm seiner kleinen Schwester aufdrücken würde, nicht der Freundin oder so... Alles kein Problem. Ganz ruhig, Alyss. Du kommst jetzt wieder runter, kühlst dein ‚süßes' Köpfchen und redest danach wieder mit Dylan, als wäre das gerade gar kein Thema für dich. So einfach ist das. Also dann. Einatmen. Und ausatmen. Ein. Und aus.

Ich befolgte meine eigene Anweisung und langsam fühlte ich, wie das Blut wieder aus meinem Gesicht wich. Währenddessen beobachtete ich die Anzeigetafel, die fünf Meter weiter von der Decke hing und die nächsten Bahnen ankündigte. „East Los Angeles?", fragte ich und wandte mich zu Dylan um. „Was wollen wir denn da?"

„Da wollen wir hin", sagte Dylan und musterte mich.

„Puppy, was wollen wir da?", fragte ich ihn erneut, diesmal eindringlicher.

„Einen Film gucken?" Er formulierte es mit Absicht wie eine Frage, ich war mir absolut sicher, und schaute ihn tadelnd an. Das konnte er vielleicht mit anderen abziehen, aber nicht mit mir, der Königin der Ausreden! Ich hatte schon viele Ausreden erfinden müssen und kannte daher genau die Anzeichen einer solchen. Auch wenn es bei Dylan nicht wirklich schwer war, diese zu enttarnen.

Ich schaute ihn längere Zeit mit zusammengekniffenen Augen an und wartete auf eine Reaktion. Normalerweise wichen die Leute meinem Blick aus, wenn ich so guckte, er allerdings starrte herausfordernd zurück und grinste dabei, was es mir beinahe unmöglich machte, meine misstrauische Miene aufrecht zu erhalten. Ich schaffte es trotzdem. Für etwa fünf Sekunden. Dann ließ sich das Lächeln einfach nicht unterdrücken und ich ließ es raus. Fast sofort stieg er mit ein und wir bekamen uns eine Weile einfach nicht ein, weil uns das Lachen das jeweils anderen einfach nicht zur Ruhe kommen ließ.

Schließlich fuhr unsere U-Bahn ein, Dylan half mir ganz gentlemanlike auf die Füße und ließ meine Hand auch nicht los als wir einstiegen. Dieser Wagon war nicht ganz so überfüllt und wir bekamen zwei Sitzplätze nebeneinander, auf die wir uns fallen ließen. Die weichen Polster waren die reinste Wohltat, verglichen mit den Gitternetzen vom Bahnsteig und ich seufzte wohlig auf.

„Du willst mir wirklich nicht erzählen, was wir in East Los Angeles machen?", fragte ich noch einmal, erwartete aber keine wirklich aufschlussreiche Antwort. Dylan liebte es anscheinend mich zu überraschen, aber ich konnte einfach nicht locker lassen, das ließ sich nicht mit meinem Charakter vereinbaren. Meine Augen hielt ich noch immer geschlossen, als mir auffiel, dass die Finger meiner linken Hand noch immer mit seinen verschränkt waren.

„Nein, das will ich nicht. Du wirst es aber so oder so herausfinden." Seine Worte wurden von einem sanften Händedruck begleitet und sein Atem strich ein wenig unangenehm über mein Ohr, was mich aber leise kichern ließ, da mich meine Haare durch den Luftzug im Nacken kitzelten.

„Ich kann dich wirklich nicht überzeugen?" Ich legte einen leicht weinerlichen Klang in meine Stimme, lächelte aber weiterhin. Dass ich ihn nicht sah, machte die ganze Szene unwirklich, als wäre es nur ein Tagtraum oder ein Hirngespinst.

„Nein, das kannst du nicht", flüsterte er mir zärtlich ins Ohr und seine warmen Lippen berührten die empfindliche Haut, was mich etwas wegzucken ließ. Erschrocken riss ich meine Augen auf und blickte ihn überrascht an. Ich wollte mir an mein Ohr fassen, aber hielt meine Hand fest und ich spürte, wie mir das Blut bei seinem Anblick in den Kopf stieg, denn meine Wangen wurden brennend heiß. Er schaute mich einfach lächelnd und mit einer solchen Intensität an, dass ich mir einbildete, seine Augen würden leuchten.

Schaut man so eine einfache Freundin an? 

Mein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich und ich schaute ihn weiter gefesselt an. Meine Gedanken blieben stehen, ich hörte mein Blut in meinen Ohren rauschen und konnte ihn einfach nur anstarren.

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