Kapitel 5
꧁ Kapitel 5꧂
Zoey lässt sich neben mich fallen.
»Sorry, ich wusste nicht, dass du so empfindlich gegen Höhe bist.«
»Nein, alles gut, die Sicht ist klasse!«, erwidere ich, aber kann die Begeisterung, die ich wirklich spüre, nicht rüber bringen. Eher die Entgeisterung. Also fügte ich hinzu: »Wirklich, alles gut.«
»Vielleicht liegen die Schwindelgefühle auch an meiner Präsenz?«, wirft Lewis ein, der sich auf meine andere Seite setzt und dann einen Arm um meine Schulter legt. Was für eine armbärmliche Selbstverliebtheit. Mein vorheriger Schwindel ist wie weggeblasen und ich springe verärgert wieder auf. »Könntest du dich vielleicht dafür entschuldigen, dass du diesen sexistischen Kommentar gerade eben bei der Leiter gesagt hast? Anstatt dann auch noch ein bisschen Narzissmus draufzusetzen?«
Lewis grinst mich provozierend an und ich werde noch wütender. Zoeys Bruder war mir zwar bis jetzt sehr sympathisch, aber sexistische Kommentare lasse ich nicht auf mir sitzen.
»Was gibt's denn da zu grinsen, du zukünftiger Brei in meiner Pfanne?!« Wenn ich auch gerade eben noch wackelig auf den Beinen war, so ist davon alles weggepustet, denn ich habe jetzt dem Sternenhimmel über der Stadt den Rücken zugewandt. Ich spüre, wie es mich in den Fingern zuckt, Lewis zu boxen, um ihm einzubläuen, dass er nicht einfach unverblümt auf die Pos der Frauen schauen soll. Wir sind schließlich keine Museumsobjekte.
»Ich habe dir nur indirekt ein Kompliment gegeben", sagt Lewis schulterzuckend und setzt dann hinterher: »Außerdem, kein Grund, gleich so aufzubrausen. Es sind einfach nur meine Instinkte, die ein Mädchen wie dich, hübsch und lustig, nicht nicht anschauen können.«
»Deine Instinkte? Aha? Weißt du, was meine Instinkte sind? Sexistischen Männern, die mich an den Herd degradieren wollen, mit der Bratpfanne zu drohen!«, rufe ich, das Kompliment und die Wärme in meinem Herzen, die Lewis Worte ausgelöst haben, ignorierend. Lewis fragt: »Was ist mit dem Messer? Das hast du aber nicht dabei. Und...«, er sieht so aus, als würde er nach etwas suchen, »... deine Bratpfanne sehe ich auch nicht.« Erst verenge ich die Augen zu Schlitzen. Dann schaue ich zu Zoey, die sich krampfhaft ein Lachen verkneift und funkle sie böse an. Was bei ihr endgültig die Zurückhaltung tötet - ich wusste gar nicht, dass meine Blicke wirklich so gefährlich sind-, weshalb sie laut losprustet.
»Nicht lustig!«, rufe ich. »Bratpfannen können sehr gefährlich sein!«
Doch auch Lewis fällt in das Lachen von Zoey ein. Ich muss zugeben, dass meine Mundwinkel bei dem letzten Satz auch ein bisschen zucken, weil mir klar wird, wie komisch das für die beiden wirken könnte. Meine Ernsthaftigkeit ist wahrscheinlich auf Reisen mit Lewis' Ehre.
Dieser sagt: »Nimm es doch einfach als Kompliment, dass ich Interesse an dir zeige...«
»An meinem Körper. Das ist etwas anderes. Das ist oberflächlich. Also halte deine Finger bei dir, oder...!«, lasse ich die unausgesprochene Bratpfannendrohung wirken.
»Verstanden. Bratpfanne, Rapunzel«, sagt Lewis und schaut mich ebenfalls ernst an. Jetzt kann ich auch nicht mehr das Grinsen unterdrücken und verdrehe die Augen. Dann setze ich mich wieder zwischen die beiden und sage dann nochmal an Lewis gerichtet: »Nur damit das klar ist: Keine weiteren sexistischen Kommentare von dir, ist das klar?«
Er nickt eifrig und sagt: »Ja, Frau Lavita, bekomme ich jetzt eine Eins?«
»Eher eins auf die Fresse«, murmele ich und Lewis nimmt sich die Freiheit, seinen Arm wieder um mich zu legen. »Das möchte ich sehen«, provoziert er mich weiter und ich sage: »Eher spüren, dann wirst du außer Schwarz nichts mehr sehen.«
»Okay, verstanden, dich darf man nicht einfach so mal ärgern, ohne zu befürchten, du könntest dich an deiner kochenden Wut verbrennen«, sagt Lewis und als ich gerade wieder aufspringen wollte, um mich zu beschweren, sagt Zoey: »Wirklich Lavita, lasse dich doch nicht so schnell ärgern, wir machen doch nur Spaß.«
»Kann ich Lewis bei dem nächsten unangebrachten Kommentar trotzdem hauen?«, frage ich schmollend.
Zoey nickt und sagt: »Ich helfe dir dabei. Ich kann ja nicht zulassen, dass du dich noch verletzt.«
Ich verkneife mir einen Kommentar und muss dann sogar Widerwillens grinsen. »Siehst du? Ich lasse mich nicht schnell ärgern. Aber trotzdem müssen wir Frauen zusammenhalten.«
»Du hast ja Recht. Lewis sollte sich mal seine Frauenheldkommentare von vorgestern abgewöhnen, aber die sind zum Glück sowieso außer Mode gekommen«, meint Zoey.
»Also bei den meisten Mädchen funktionieren die immer noch«, gibt Lewis schulterzuckend von sich.
»Tja, wir gehören eben nicht zum Durchschnitt«, sagt Zoey grinsend und schnappt sich dann ihren Teller mit Essen.
Wir schweigen ein bisschen, und ich betrachte die Sterne.
»Heute ist mein sportlicher Tag gewesen, erst hier her fahren und dann auch noch Treppen hochsteigen und gefährliche Leitern erklimmen. Das leitet doch perfekt den Tagebucheintrag ein«, sage ich, während ich in die kleine Tasche greife, in der ich meine Kamera habe. Mein schlechtes Wortspiel verleitet Lewis dazu, leise aufzulachen und Zoey schüttelt grinsend den Kopf. Ich mache erst ein Foto von dem mit Sternen übersäten Himmel, was man aber leider nicht so gut erkennen kann und dann drehe ich die Kamera mit dem Selfiemodus um und halte so uns drei, an den Ziegelschornstein gelehnt, Zoey sich gerade eine Karotte in den Mund schiebend und Lewis schmunzelnd, mit einem Klick fest.
»Warum hast du eigentlich so ein uraltes Handy? Ist das nicht verboten?«, fragt Zoey.
»Es weiß ja niemand davon«, sage ich. »Bei uns ist das ja egal, ob ich ein verbotenes Handy benutze.«
Zoey seufzt leise. »Ich stelle mir das unbeschwert vor. Das wo du herkommst. Wo genau ist das eigentlich?«
Ich schüttele sanft den Kopf. »Das wiederum sage ich euch nicht, weil ich es erstens nicht genau weiß und zweitens auch nicht sagen will.«
Ich packe die Kamera weg und nehme mir meinen Teller. Endlich komme ich auch dazu, etwas zu essen, was mein Magen freudig begrüßt.
Die beiden sind so... normal. Ich hatte mir alles anders vorgestellt. Fremder. Aber das hier fühlt sich fast bekannt an. Also der Umgang miteinander. Auch wenn ich immer noch nicht genau weiß, wie das normale Leben aussieht. Also wo und wie die Leute arbeiten und was sie in ihrer Freizeit machen. Sicherlich nicht Unkraut jäten.
Ich weiß nur, dass alle innerhalb von Städten wohnen und nur wenigen ist es erlaubt, diese zu verlassen und woanders hin zu ziehen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Penthesilea hat einen besseren Überblick über die Bewohner, und die Brände erreichen die Stadt nicht so schnell, da die Stadt einen langen Streifen umrahmt, auf dem nichts gepflanzt ist, eine sogenannte Brandschneise. Aber für Ausflüge darf man die Stadt verlassen, soweit ich weiß. Ansonsten hätten Mama und ich ja auch nicht hier her gekonnt.
Zoey holt ihr Handy aus der Tasche und entsperrt es, wobei sie ihren Finger an das Handy hält. Nachdem sie sich vergewissert hat, keine Nachrichten zu haben, was sie mit einem verwirrten Stirnrunzeln quittiert, legt sie das Handy wieder weg.
»Wie hast du dein Handy eigentlich entsperrt gerade eben?«, frage ich interessiert, weshalb mir Zoey einen verwirrten Blick zuwirft. Lachend antwortet sie: »Touch-ID, das müsstest du kennen, die Technologie ist total alt!«
Meinen fragenden Blick bemerkend sagt Lewis: »Dein Fingerabdruck wird zum Entsperren des Handys genutzt.« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Der wird dann einfach da drin gespeichert?«
»Ja, genau, der ist dann im System eingespeichert.«
»Das ist doch voll die Überwachung!«, rufe ich entsetzt. »Dann haben die ja deinen Fingerabdruck und...«
»... man braucht den Fingerabdruck sowieso für den Pass«, sagt Lewis.
»Genau, es ist egal, ob man den zum Entsperren benutzt, oder nicht. Das ist wirklich harmlos«, ergänzt Zoey.
»Harmlos?!«, brause ich auf, »Wie soll es denn harmlos sein, wenn ein Staat dich anhand deines Fingerabdruckes erkennen kann?!«
»Wir haben ja eh alle einen kleinen Chip in der Haut, wo unsere Aktivitäten verfolgt werden, weil man überall - egal ob Fitnesscenter oder Restaurant - sich damit registrieren muss. Man bekommt Plus- und Minuspunkte, außerdem hat man ein Limit, wie oft man wo hin kann«, sagt Zoey.
»Können die damit auch den Standort überwachen?«, frage ich entgeistert.
»Nein, dass nicht, dagegen haben sich genügend aus der Bevölkerung gewehrt. Zum Glück«, sagt Lewis.
Ich brauche einen kleinen Moment, um das zu verarbeiten. Wenn ich in der Stadt geboren worden wäre, würde ich überwacht werden. All meine Aktivitäten würden verfolgt werden. Ich könnte mir nicht frei aussuchen, wie oft ich etwas mache. Bei dem Gedanken wird mir schwindelig.
»Aber ich finde es eigentlich gar nicht so schlimm. Was mich mehr stört, ist dass man eben nicht frei denken darf«, sagt Zoey.
»Wie jetzt?«
»Naja, ich finde, dass es gut ist, wenn man sich ab und zu mal beschränken muss, aber es gibt keine Pressefreiheit, dabei würde ich sehr gerne Journalistin werden und freie Texte schreiben.«
Ich will gerade noch zu einer weiteren Frage ansetzen, werde aber von einer rufenden Quentine unterbrochen. »Zoey?«
»Ja?«
»Frida ist da!«
»Ich muss jetzt leider runter, Frida bekommt Nachhilfe von mir«, sagt Zoey zu uns und umarmt mich. »Bis später und Frodo«, sagt sie an Lewis gewandt, »Nimm mir nicht meine neue beste Freundin weg.«
»Keine Sorge, in eure Ehe werde ich mich nicht einmischen«, verspricht Lewis mit erhobenen Armen, während ich ihn grinsend anschaue: »Frodo?«
»Er hatte früher so einen Ring, der eigentlich nur die Verpackung von so einem Lolli gewesen ist, und auf den hat er übertrieben aufgepasst, und er war früher auch so drollig wie Hobbits«, erklärt Zoey mit einem triumphierenden Blick zu Frodo a.k.a. Lewis und steigt dann die Leiter nach unten. »Musstest du das jetzt erzählen?«, fragt Lewis noch, aber bekommt von Zoey keine Antwort mehr.
Zum Glück von Lewis ziehe ich ihn nicht weiter damit auf. Obwohl ich das auf jeden Fall noch tun werde, es steht auf meiner Liste. Stattdessen greife ich das Thema wieder auf.
»Und haben die auch Gesichtserkennung oder so?«
»Weiß ich nicht. Aber du wirst auf jeden Fall schon gesucht in den Daten.«
»Warum das?«, frage ich verwundert.
»Deine Bratpfannen-Frauenpower-Autofahrer-Aktion«, erwidert er und lacht leise auf. »Jemand hat es gefilmt und jetzt ist es überall zu finden. Das Video.«
»Heilige Hasenscheiße.« Das könnte schlimmer sein, als in einem frischen Kuhfladen zu landen. In Kuf-läden gäbe es immerhin Glückshufeisen - sorry, der war flacher als der Witz, den meine Mutter gerissen hat, als sie gesehen hat, wie ich mich in den frischen Fladen gesetzt habe. Also nicht, dass es mir schon einmal passiert ist, so etwas würde mir doch niemals passieren. Aber das mit dem Video ist genau so unauffällig, wie der Fleck des Fladens an der Hose, als ich wieder aufgestanden bin.
»Heilige was?«, fragt Lewis lachend.
»Sagt man das bei euch nicht? Heilige Hasenscheiße? Meine Oma hat damit angefangen, also haben wir es übernommen.«
Lewis' Blick wird ernst und irgendwie kann ich darin auch ein bisschen Trauer erkennen. Dann ist der Schatten verschwunden.
»Wenn du das nächste Mal in die Stadt kommst, dann muss das unauffälliger sein«, sagt er.
»Das nächste Mal?«, frage ich erstaunt.
»Ich dachte, Sonja hätte irgendwas in die Richtung angedeutet.«
»Kann sein. Vielleicht«, sage ich und fühle mich ertappt dabei, nicht zugehört zu haben und stattdessen mit den Gedanken bei Lewis gewesen zu sein. Ich schaue wieder zu den Sternen und genieße die Stille. Wie aus der Ferne kann ich vereinzeltes Rauschen der Autos hören, aber ansonsten ist es still und friedlich.
»Die fehlenden Straßenlaternen lindern zwar die Lichtverschmutzung, aber gleichzeitig verhindern sie auch, dass man abends noch unterwegs ist. So ist es viel gefährlicher«, sagt Lewis.
»Gehst du trotzdem abends raus?«, frage ich und er antwortet: »Ja. Manchmal, aber meistens bleiben wir drinnen. Weniger Lärm ist besser für uns. Man kann besser schlafen, das macht uns aktiver. Die wenigen Straßenlaternen haben Vorteile. Aber wenn wir uns abends draußen treffen, achten wir darauf, dass wir immer in einer Gruppe unterwegs sind. Alleine ist es viel zu gefährlich. Vielleicht können Zoey und ich dich auch einmal mitnehmen.«
»Hattest du nicht gerade etwas von gefährlich gesagt?«, frage ich.
»Na und? Magst du Abenteuer?«, fragt Lewis, meine Frage nicht direkt beantwortend. Vielleicht kommt es mir nur so vor, aber kann es sein, dass er ein bisschen näher gerutscht ist, seitdem Zoey aus dem Sichtfeld verschwunden ist?
»Kommt drauf an, welches«, erwidere ich leise. Er lächelt leise und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Bei seiner Berührung geht ein Kribbeln von meinem Wangenknochen zu meinem Herzen.
»Ich hätte einige Abenteuer zu bieten.«
»Solange sie nichts mit „schmutziges Geheimnis" zu tun haben, wäre ich dabei«, sage ich leise mit rauer Stimme. Heiliger Bimbam, was ist denn gerade los mit mir?
»Sicher?«, fragt Lewis. »Oder wärst du nicht eigentlich gerade bei denen dabei?«
Ich antworte nicht, sondern schaue ihm einfach in die Augen. Ich weiß, dass ich ihn erst seit wenigen Stunden kenne, aber irgendwas an ihm fasziniert mich. Er ist nicht einer der Traumtypen, von denen ich vielleicht auch geträumt hatte, eigentlich ist er ein ganz normaler Typ. Aber was heißt schon normal? Normal vom Äußeren vielleicht. Aber irgendwie mag ich seine Art wie er Witze reißt und wie er spricht. Es ist vertraut, ich fühle mich wohl, hier neben ihm sitzend, auf dem Dach mit dem Blick zu den Sternen. Ich bemerke, dass sein Blick von meinen Augen zu meinem Mund gleitet und er ein bisschen näher ran rutscht. Was hat er vor? Will er etwa-? Aber anstelle von Ekel und Abneigung gegenüber der Vorstellung, von ihm geküsst zu werden, habe ich ein wohliges Gefühl im Bauch, als würden kleine Schmetterlinge gelernt haben, zu fliegen.
Zu meiner Enttäuschung legt er einen Arm um mich und zieht mich an ihn ran. Wie armselig - nein, eigentlich mag ich es so. Ich kuschele mich an ihn und schaue weiter in die Sterne. Ja, vertraut und wohl. Geborgen.
»Ich schulde dir was«, sagt er leise an meine Haare und ein leichter Schauer fährt über meinen Rücken.
»Warum das denn?«, murmele ich.
»Als du den Autofahrer fertig gemacht hast, war ich gerade mit ein paar Kumpels da und wir haben gewettet, wer von euch beiden gewinnen wird. Habe zehn E-Mark gewonnen.«
»Du hast auf mich gesetzt?«, frage ich leise.
»Hm-mh.«
»Ich fühle mich geehrt.« Er nimmt eine meiner Haarsträhnen und zieht sanft an ihr, so dass es aber angenehm ist. Ich versuche nicht darüber nachzudenken, mit welchem schmutzigen Geheimnis er das ausprobiert hat, dass es nicht ziept. Aber natürlich tue ich es trotzdem.
Ein kleiner mieser Verräter, das ist mein Gehirn. Anstatt es einfach zu genießen, hier zu sein, setzt es mir Bilder in den Kopf, die mir gegen den Strich gehen. Ich sehe schon den neuen Buchtitel vor mir „Das Gehirn ist ein mieser Verräter".
Plötzlich spüre ich, wie Lewis sich ein bisschen gerader hinsetzt und dann erschrocken aufsteht. »Scheiße.«
»Was ist?«, frage ich, genervt darüber, dass ich gerade fast auf den Terrassenboden gefallen wäre. Ich bemerke seinen geschockten Blick in die Ferne und verstehe erst nicht, worum es geht. Erst rieche ich es und dann sehe ich es auch.
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