Ein Anruf in der Nacht

Anmerkung der Autorin: Dies ist eine Kurzgeschichte, die ich einfach mal so geschrieben habe und die in keinem Zusammenhang mit irgendeinem anderen meiner Werke steht. Ich bekam eben so mal eine Inspiration das hier zu schreiben, und das habe ich dann auch gemacht. Ich hoffe ihr habt Spaß beim Lesen :)

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Leise schließt er die Balkontür hinter sich. Es ist spät in der Nacht und der Mond scheint hell über der Stadt Paris. Er atmet tief ein während die kalte Luft ihm in die Haut beißt. Er hat kein Shirt übergezogen denn er weiß, dass dies nicht lange dauern wird, aber er ist froh, dass er daran gedacht hat eine Hose anzuziehen.

Mit der Hand hält er sein Handy umklammert, aber er zögert die Nummer zu wählen die er so gut kennt. Wird sie ans Telefon gehen? Wird sie es überhaupt ertragen können, seine Stimme zu hören? Wie wird ihre Stimme klingen? Stark? Er schüttelt den Kopf bei seiner letzten Frage. Natürlich wird sie stark klingen. Sie war immer stark geblieben, selbst in den schlimmsten Zeiten.

Er schiebt all diese Gedanken beiseite und beginnt schnell zu wählen. Dann hebt er das Telefon ans Ohr und stützt sich auf das Geländer des Balkons. Mit jedem Klingeln schlägt sein Herz lauter und lauter. Fast glaubt er schon, dass ganz Paris sein Herz klopfen hören kann, da nimmt endlich jemand ab.

"Hallo?"

Die Stimme ist so melodisch süß, dass sein Herz schmilzt und ein Lächeln auf seinem Gesicht erscheint. Gott, wie er sie vermisst.

"Hallo?"

Die Stimme klingt leicht unsicher, als sie noch einmal nachfragt. Er räuspert sich und antwortet einfach mit "Hi, Em."

"Oh," murmelt sie, als sie die sanfte Stimme erkennt, die sie schon so oft gehört hat.

An ihrem Ende der Leitung steht sie im Esszimmer. Langsam lässt sie sich in einen Stuhl sinken. Seine Stimme wieder zu hören lässt ihre Knie weich werden. Sie hat seit Wochen nicht mit ihm gesprochen, also ist das eine Überaschung für sie. Sie weiß nicht einmal was sie zu ihm sagen soll.

"Emma?" beginnt er erneut. Er befürchtet schon, das die Verbindung unterbrochen worden ist. Er versucht die Panik die er angesichts dieses Gedankens fühlt nicht zu zeigen.

"Ich bin noch da, Vince," sagt sie schnell. "Herrje, bei dir muss es ja spät sein."

Er lächelt als er sich vorstellt, wie sie sie die genauen mathematischen Berechnungen im Kopf anstellt. "Hier in Paris ist es erst zwei Uhr morgens."

"Zwei Uhr morgens?" fragt sie überascht. "Bei uns ist es acht Uhr abends."

Er kann sich ein leises Lachen nicht verkneifen als er an New York denkt, sein Zuhause.

"Ich war wach", erklärt er einfach. "Ich wollte dich einfach mal anrufen."

"Ich wette Paris ist wunderschön", flüstert sie wie zu sich selbst. "Ich wollte schon immer mal nach Paris."

Sein Herz bricht als er ihre Worte hört. Sie erinnern ihn daran was nicht länger sein kann, und es tut mehr weh als er gedacht hätte. Durch das Telefon hört er eine Kinderstimme etwas rufen, und das erinnert ihn an den wirklichen Grund für seinen Anruf. Er räuspert sich erneut und versucht ruhig zu bleiben.

"Kann ich mit ihnen sprechen?"

Er muss nicht erklären was er meint. Sie weiß wen er meint und ihr Herz schmerzt bei dem Gedanken ihn gehen lassen zu müssen. Er ruft an um mit ihnen zu sprechen, wie es sein gutes Recht ist, aber es tut weh, dass sie nicht länger wichtig ist.

"Natürlich", erwidert sie leise. "Sie haben sich gerade fürs Bett fertig gemacht. Ich hole sie ans Telefon."

Sie steht auf und läuft vom Telefon fort. Er kann sich leicht vorstellen welchen Weg durch das Haus sie nimmt um zu dem Raum zu kommen. Wenn die Umstände anders wären, würde sie sich wie in den alten Zeiten fühlen. Sie hält das Telefon etwas vom Ohr weg damit er nicht ihr scharfes Einatmen hört. Sie muss kämpfen um die Tränen zurückzuahalten.

Er stellt sich die Übergabe des Telefons einfach vor. Sie erscheint ihm stark wie eh und je. Nichts kann sie zerbrechen.

"Alana," sagt sie leise als sie ihr Ziel im Haus erreicht. "Daddy ist am Telefon."

Das kleine Mädchen sitzt in ihrem Bett und hält ihr Stofftier, einen kleinen Hasen, umklammert. Ihre großen grünen Augen wirken durch ihre Brille vergrößert. Ihr blondes Haar ist zu Zöpfen gebunden die dem Mädchen ein süßes Aussehen verleihen. Sofort ist ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Mutter gerichet, die gerade das Zimmer betreten hat. Sie springt aus dem Bett und rennt zum Telefon, um sich das Gerät zu schnappen.

"Daddy?" fragt sie schnell durchs Telefon.

Sein Herz schmilzt noch mehr dahin, als er die Stimme des kleinen Mädchens hört. "Hey, Lana."

"Hi, Daddy!" das kleine Mädchen begrüßt ihn aufgeregt. Sie rennt zu ihrem Bett zurück und umarmt den Stoffhasen, der in ihrer Nähe liegt. "Ich hab Fräulein Schnucki direkt neben mir."

Er lacht leise. "Hilft sie dir besser zu schlafen?"

"Ja", antwortet sie leicht. "Ich habe ihr gerade eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen!"

"Wirklich?" fragt er interessiert. "Kannst du mir ein Stück davon vorlesen?"

"Na klar!" Es liegt so viel freudige Erwartung in ihrer Stimme, dass es ihm vorkommt als müsse sie gleich platzen. Es ist eine Geschichte über ihr Lieblingsabenteuer mit Winnie Pooh und er lehnt sich gegen das Balkongeländer während sie versucht die langen Wörter richtig auszusprechen.

Er kann sie in seiner Vorstellung deutlich vor sich sehen, wie sie mit dem Buch und dem rosa Plüschhasen auf dem Schoß dasitzt. Sie sieht ihrer Mutter so ähnlich, dass es fast weh tut ihr Bild in seinen Gedanken zu sehen, aber er weigert sich dieses Bild verschwinden zu lassen. Er erinnert sich an den Kauf des Plüschhasen. Seine Tochter hatte plötzlich begonnen Probleme in der Schule und mit ihren Freundinnen zu haben. Sie wurde von schrecklichen Albträumen geplagt, und nichts was ihre Mutter versuchte half dagegen. Am Tag nachdem er das erfahren hatte ging er los und kaufte Fräulein Schnucki. Er brachte das Plüschkaninchen seiner Tochter und sagte ihr, das Fräulein Schnucki immer für sie da sein würde, was auch immer passieren würde..

Die Albträume sind nicht mehr so schlimm und hören langsam auf. Es gibt noch Nächte in denen sie schreit, aber es wird immer besser. Das ist es, was zählt.

Ihre Mutter schaut von der Schlafzimmertür aus zu wie ihre Tochter eine Geschichte vorliest. Dieses arme kleine Mädchen musste im letzten Jahr so viel durchmachen, aber sie blieb stark. Sie ist viel erwachsener geworden als das für ein Mädchen in ihrem Alter üblich ist. Sicher, sie hat ihre Probleme, aber welches Kind hat die nicht? Sie sieht ihre Tochter an, und ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Wenigstens will ihr Vater sie in seinem Leben haben. Sie unterstützt ihn dabei von ganzem Herzen und ist froh, dass er es tut. Sie kommt gut allein zurecht, aber manchmal braucht sie immer noch seine Hilfe.

Plötzlich fühlt sie ein Ziehen an ihrem Hosenbein. Sie blickt hinunter in die dunkelbraunen Augen ihres fünfjährigen Sohns. Er reibt sich die Augen und gähnt, bevor er etwas sagt.

"Meine Zähne sind jetzt geputzt! Ich möchte mit Daddy reden," posaunt er heraus. Seine Mutter lächelt zu ihm hinab und hebt ihn hoch, um ihm schnell einen Kuss auf die Wange zu geben.

"Lass zuerst Lana mit ihm reden, Zach."

Der kleine Junge verschränkt aus Protest die Arme. Es gefällt ihm gar nicht, dass seine Schwester vor ihm telefonieren darf.

"Du kannst Daddy sagen, was dir heute passiert ist," sagt seine Mutter aufgeregt.

"Ich weiß!" schnaubt der kleine Junge. "Das wollte ich ja machen!"

"Verzeih mir", murmelt seine Mutter mit einem Lächeln im Gesicht. Sie streicht das dunkelblonde Haar aus seinem Gesicht und küsst wieder eine seiner Pausbacken. Sie hört das Ende der Geschichte und weiß, dass ihre Tochter fertig mit Telefonieren ist.

"Du brauchst einen Haarschnitt", sagt sie dem kleinen Jungen in ihren Armen. Er schüttelt den Kopf und versucht sich aus dem Griff seiner Mutter zu befreien.

"Kann ich jetzt das Telefon haben?"

Sie setzt ihn ab und er rennt zum Bett seiner Schwester herüber. "Ich will reden! Ich will reden!"

Die ungeduldigen Rufe des Sohnes übertönen die Worte der Tochter. Er hört ihn am anderen Ende der Leitung und lacht in sich hinein, als er sich die Zankerei der Beiden vorstellt.

"Das war eine tolle Geschichte, Lana", sagt er zu seiner Tochter. Das bringt ihm ein Grinsen ein, das er jedoch nicht sehen kann. "Aber kann ich jetzt mit Zachary reden?"

Seine Tochter klingt traurig, aber sie ist einverstanden. "Ich liebe dich, Daddy."

"Ich liebe dich auch, Lana", antwortet er schnell bevor das Telefon an den kleinen Jungen weitergereicht wird.

"Daddy! Daddy! Daddy!"

Er muss den Hörer vom Ohr weg halten, um sein Gehör zu schützen. Trotzdem wird sein Grinsen bei den Worten seines Sohnes noch breiter.

"Was? Was? Was?" gibt er zur Antwort.

"Rate mal! Rate mal! Rate mal!"

Er schüttelt den Kopf. Warum ist sein Sohn nur so aufgeregt? "Ich weiß nicht wovon du redest! Was ist los?"

Der Sohn blickt zu seiner Mutter hinüber, ein teuflisches Grinsen auf dem Gesicht. Er liebt es einfach mehr zu wissen als andere. Seine Mutter gibt ihm mit einem Wink zu verstehen er solle weitermachen und seinem Vater die Neuigkeiten erzählen.

"Mein erster Zahn hat angefangen zu wackeln!"

"Wirklich?" Sein Vater ist eindeutig begeistert. "Weißt du was das heißt?"

"Die Zahnfee kommt mich bald besuchen!"

"Das ist richtig," bestätigt sein Vater. "Wirst du ihn ziehen lassen?"

Da wird sein Sohn plötlich zaghaft. "Nein…"

"Warum nicht?"

"Es wird wehtun!"

"Aber wie kann die Zahnfee kommen, wenn er noch nicht draußen ist?"

"Gut… dann kann sie eben noch nicht kommen."

Er lacht über die Arglosigkeit seines Sohnes. In der Welt der Kinder ist alles ja so einfach. Darauf ist er ein wenig eifersüchtig.

Sie bringt ihre Tochter ins Bett, während ihr Sohn weiter ins Telefon spricht.

"Mami?"

Sanft lächelt sie ihre Tochter an. "Ja, Lana?"

"Wird Daddy je wieder bei uns wohnen?"

Ihre Stirn legt sich in Falten. Dieses Thema war nicht so einfach zu erklären. "Daddy wird sein eigenes Haus haben. Also wirst du zwei Zimmer haben!"

"Ich will keine zwei Zimmer", stellt sie einfach fest. "Ich will, dass Daddy mit dir und mir und Zach zusammen ist!"

Sie küsst die Stirn ihrer Tochter, unfähig eine Antwort zu geben. Sie küsst auch Fräulein Schnucki und vergewissert sich, dass ihre Tochte gemütlich im Bett liegt. Sie überzeugt sich, dass das Nachtlicht an ist, bevor sie zu ihrem Sohn zurückkehrt und seinem Gespräch ein Ende setzt.

"Daddy hat nicht die ganze Nacht Zeit", sagt sie.

Er hört das und will widersprechen. Er könnte Stunden damit zubringen, seinem Sohn und seiner Tochter zuzuhören und mit ihr zu reden. Aber er beschließt trotzdem Schluss zu machen, weil sie es so will.

Sie nimmt das Telefon zurück und hält es hoch.

"Sagt Daddy 'Gute Nacht'", fordert sie ihre Kinder auf. Sie ließen im Chor ein 'Gute Nacht' vernehmen. Seine Antwort kommt genauso energisch. Sie hält das Telefon ans Ohr und fragt ihn, ob er einen Moment dran bleiben könne, sie müsse nur schnell ihr jüngstes Kind ins Bett bringen. Schnell sagt er ja. Er wünscht sich eine Gelegenheit mit ihr zu sprechen, mit ihr ganz allein.

Ihr Sohn ist schon halb eingeschlafen. Die Aufregung darüber seinem Vater die Neuigkeiten erzählen zu können hat ihn erschöpft. Es dauerte nur etwa drei Minuten ihn ins Bett zu bringen. Dann geht sie zurück ins Wohnzimmer und lässt sich auf ihrer Couch nieder.

"Also, wie geht es dir?" fragt sie. Sie ist sich nicht sicher was für eine Antwort sie hören möchte. Dass es ihm mit seinem neuen Leben gut geht? Das ist, was sie zu hören erwartet, ja. Aber es tatsächlich aus seinem Mund zu hören würde neuen Schmerz, neue Tränen mit sich bringen.

"In Ordnung", antwortet er einfach. Ich vermisse dich. Das ist das, was er sagen will, aber bringt es nicht über die Lippen.

Schließlich hatte er ihr zugestimmt, als sie die Scheidung eingereicht hatte. Er hatte der Presse erzählt, dass es seine Schuld war. Er hatte nicht zugelassen, das sie in ein schlechtes Licht gerückt wurde, als man ihn danach fragte. Er war Vince Wells, der Vorstandsvorsitzende einer bekannten Computer-Firma. Er hatte mehr Geld, als er je ausgeben konnte und ein perfektes Leben, das er ohne Probleme hätte in Frieden leben können.

Er hat keine Ahnung, wieso es falsch lief. Wieso er es getan hat. Die Presse denkt, er hat es gemacht "weil er sich gelangweilt hat", aber ganz offen gesagt weiß er es selbst nicht.

"Eine Menge Leute haben bedeutungslose Affären", hat ihm sein Anwalt erzählt. "Es wird sich schon wieder alles einrenken."

Aber es hatte sich eben nicht alles wieder eingerenkt. Die Tatsache, dass er überhaupt mit einem Anwalt sprach war der erste Hinweis darauf. Seine Frau war am Boden zerstört als sie es erfuhr. Dass sie es aus der Boulevardpresse hatte erfahren müssen hatte alles noch schlimmer gemacht. Seit damals wurde sie nur noch bemitleidet.

"Arme Frau", flüsterten die Leute. "Sie sieht so glücklich aus - und die ganze Zeit über wird die Ahnungslose von ihrem Mann betrogen."

Und er versuchte es ihr zu erklären, aber… Er konnte es nicht. Er verstand es selbst nicht.

"Ein Moment der Schwäche", versuchte er zu sagen. "Ich konnte nicht nein sagen."

Es war nutzlos. Sogar er glaubte seine eigenen Entschuldigungen nicht. Was sie am meisten verletzte, war die Tatsache, dass sie nicht mehr gut genug für ihn war. Er hatte ein Mädchen aufgegabelt, dass halb so alt war wie sie und als 'Frischfleisch' betrachtet werden könnte. Das Mädchen war dem Alter ihrer Tochter näher als seinem eigenen. War sie nicht länger eine attraktive Frau? Hatte sie einem so erfolgreichen Mann wie ihm nichts mehr zu bieten? Musste sie wie das Flittchen aussehen, mit der er zusammen war? Bedeuteten ihm zehn Jahre Ehe nichts?

In dem Moment als er die Entscheidung getroffen hatte, wusste er schon, dass er sie bereuen würde. Er hasste sich selbst dafür. Er hasste die Art wie seine Frau ihn ansah, voll Abscheu und Traurigkeit zugleich. Die Enttäuschung in ihren Augen war mehr als er ertragen konnte und er schlief im Büro in der Nacht, nachdem sie ihn zur Rede gestellt hatte.

Trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Sie versuchte, mit ihm darüber zu reden, versuchte irgendeine Lösung zu finden. Alles was sie wirklich wollte war eine Antwort. Wieso? 

Er konnte sie ihr nicht geben und binnen einer Woche waren die Scheidungspapiere unterschrieben. Noch immer hatte er keine zufriedenstellende Antwort auf ihre Frage gefunden.

Sie schaffte es nicht. Das waren ihre Entschuldigung für Zeitungen. Die Boulevardpresse bestimmte jeden Moment ihres Lebens. Überall wo sie hinging sah sie das Gesicht des Flittchens, das stolz verkündete, dass sie eine Affäre mit dem hochrangigen Vorstandsvorsitzenden hatte. Sie begriff zuerst nicht, was sie ihrer Familie damit angetan hatte.

Es ihren Kindern beizubringen, war schwierig. Sie brachten das zusammen hinter sich, das mussten sie einfach tun. Ihre Tochter verstand mehr als ihr Sohn, aber es war trotzdem hart für beide. Danach fingen die Probleme bei ihrer Tochter an. Ihr Sohn verstand die Situation nicht wirklich und ging leichter damit um.

Er nahm die Dinge mit der Presse selbst in die Hand. Er bekannte sich zu der Affäre. Er stellte sicher, dass niemand ihr die Schuld für irgendetwas zuschieben würde. Er gab bekannt, dass die Scheidung ihre Idee war. Sie wollte einfach nicht mehr das Mitleid der Massen ertragen müssen.. Sie nahm ihr Leben selbst in die Hand, wie es sich gehörte. Er machte ihr keine Vorwürfe wegen der Scheidungspapiere, aber sie erfüllten ihn mit Trauer. Er wollte sie nicht  aufgeben, aber er akzeptierte ihre Wünsche.

Er hätte ihr die Welt zu Füßen gelegt wenn sie das von ihm verlangt hätte. Eine Scheidung war das mindeste, was er ihr geben konnte. Er ging nicht wegen der Kinder vor Gericht. Nichts wäre ihm lieber gewesen als sie bei sich zu haben, aber sie hätte hart um die beiden gekämpft. Er akzeptierte ihren Wunsch, sie selbst aufzuziehen und stimmte sofort zu als sie ihn bat trotzdem noch ihr Vater zu sein. Er hätte das nicht aufgegeben und glücklicherweise hatte sie es nicht verlangt.

Das folgende Jahr war hart. Er zog aus und ließ sie das Haus behalten. Er wollte weder sie noch die Kinder belasten. Er mietete eine Wohnung in der Nähe seiner Firma und versuchte, seine Familie vor den gierigen Blicken der Paparazzi zu schützen.

Er ging weiterhin mit dem Flittchen aus, das alles zerstört hatte. Er wollte, dass sein Ruf angeschlagen wird, nicht der seiner Familie. Aber die vielen Nächte allein oder mit dem jungen Mädchen machten ihm eines begreiflich: Noch immer liebte er seine Frau... Nun ja, Ex-Frau.

Es verletzte sie. Er bekam das nie mit. Er versuchte, die Kameras von seinen Kindern und von ihr fernzuhalten, aber das verletzte sie. Jedes Mal, wenn ein neues Bild von ihm und ihr auf den Titelseiten der Magazine erschien, verletzte sie das. Es war ein Schlag in ihre Magengrube. Sie wusste, was er tat. Er lenkte das Scheinwerferlicht auf sich, damit es nicht zu ihr schwenkte. Aber er begriff nicht, was ihr das trotzdem antat.

Die mitleidigen Blicke nahmen nur noch zu. Statt "Emma Wells: die Frau des Vorstandsvorsitzenden' zu sein, wurde sie zu "Emma Wells: die Ex-Frau von diesem Firmenchef, dem Mistkerl". Die Blicke, die die Leute ihr im Supermarkt zuwarfen waren schlimmer verglichen mit denen die sie hatte ertragen müssen bevor die Wahrheit herausgekommen war. Sie wünschte sich fast zurück durch die Zeit reisen zu können: zu einem Zeitpunkt, als nicht nur die Welt, sondern auch sie selbst von der Affäre noch nichts geahnt hatte.

Es würde nie wieder so sein wie früher.

Sechs Monate, nachdem die Scheidung vom Tisch war und die Situation gerade angefangen hatte sich etwas zu beruhigen, kam die Ankündigung. Er würde wieder heiraten... und auch noch das Flittchen.

"Wie war die Hochzeit?" fragt sie sanft. Sie war nicht anwesend und ihre Kinder auch nicht.  Er dachte, es würde zu traumatisierend für die beiden sein und zu unangenehm für sie. Sie alle mussten das Flittchen kennenlernen und die Kinder schienen sie sogar ganz gern zu mögen. Warum auch nicht? Im Grunde war sie ja selbst noch ein Kind.

Sie war freundlich zu dem Flittchen. Was hätte sie sonst tun sollen? Sie hätte gemein sein können, aber sie wollte ihren Kindern kein schlechtes Beispiel sein. Also lächelte sie in Gegenwart des Mädchens und weinte hinter den Kulissen.

"Ganz nett", antwortet er kurz. Es war eine nette Feier, wenn auch etwas kurz und übereilt. Aber sie bedeutete ihm nichts, nicht wie seine erste Hochzeit. Keiner von den wichtigsten Menschen in seinem Leben war anwesend. Nicht, dass er sie überhaupt dabei haben wollte. Er könnte nicht einfach dastehen, in die wunderschönen, smaragdfarbenen Augen seiner Ex-Frau hinübersehen, dabei jemandem das Jawort geben, der nur halb so viel wert war wie sie.

Wieso er das Mädchen geheiratet hat? "Es war gute Publicity", behauptet sein neuer Presseagent. Auf diese Weise würde es so scheinen, als hätte er nicht einfach seine Frau betrogen, sondern sich in eine andere verliebt. So war es dann kein Totalschaden. Aber er empfand es so. Er wollte kein Leben mit dieser anderen Frau, aber er musste retten was von seinem guten Ruf noch zu retten war. Er würde wohl zwei Jahre mit dieser Frau verbringen und sich dann auch von ihr scheiden lassen. Hoffentlich würden sie keine Kinder bekommen. Er hatte schon die besten Kinder der Welt und glaubte nicht, dass irgendwelche anderen ihnen das Wasser reichen könnten.

"Und die Flitterwochen?" fragt sie, und versucht dabei nicht in Tränen auszubrechen.

Nicht wie unsere, denkt er, aber er traut sich nicht, das zu sagen. Die Dinge sind so anders. Er glaubt, dass sie über ihn hinweg gekommen ist. Sie glaubt, dass er sie für ein zwanzig Jahre altes Flittchen verlassen hat. Keiner von ihnen weiß, dass der andere ihn noch immer liebt.

"Paris ist nett", murmelt er stattdessen. Er denkt zurückt an ihre Flitterwochen auf Hawaii. Sie waren angefüllt mit so viel Liebe und Leidenschaft, dass keiner von ihnen wirklich etwas von Hawaii gesehen hat, von ihrem Hotelzimmer einmal abgesehen. Jetzt muss er mit seiner neuen Braut so viel wie möglich ausgehen, um gesehen zu werden.

"Gut, Ich sollte dich zurücklassen," sagt sie plötzlich. "Ich bin mir sicher, dass deine neue Frau nicht glücklich darüber ist, dass du nicht bei ihr bist."

"Sie schläft," versichert er ihr schnell. Er fühlt sich nicht fähig sie gehen zu lassen. Wer weiß, wann er die nächste Chance bekommt um mit ihr zu reden? Wann er seine Kinder wiedersehen wird? Er hat nicht so viel Zeit mit ihnen zu telefonieren wie er gerne hätte. Er weiß, dass er mit seinen 'Ferien' beschäftigt sein wird.

Er brennt darauf sie zu sehen und sich wieder einmal richtig mit ihr zu unterhalten. Für ihr Alter sieht sie großartig aus. Klar, sie versucht ihre zunehmenden Falten zu verstecken, genau wie die paar Pfunde mehr, die sie jetzt auf den Rippen hat, aber es gelingt ihr gut. Abermals fragt er sich warum er je auch nur daran gedacht hat, sie zu betrügen. Nie erschien sie ihm unattraktiv, aber er ließ sie gehen. Er ließ sie einfach so durch seine Finger gleiten. Jetzt ist es zu spät und er kann nichts mehr daran ändern. Sie würde schließlich jemand anderes finden, jemand der dafür sorgte, dass sie sich so schön fühlte wie sie war. Allein schon der Gedanke macht ihn wütend. Aber vor allem richtet sich seine Wut gegen sich selbst, weil ihm das nie gelungen war.

Sie wollte ihn nicht zu Gesicht bekommen. Er erschien ihr immer so fröhlich und sorglos, als wäre zwischen ihnen beiden nie etwas gewesen. Es schmerzte, ihn so auftreten zu sehen. Auch er war nicht unattraktiv für sein Alter. Klar, sein kastanienbraunes Haar wurde langsam grau und er hatte etwas mehr Speck als er zugeben wollte, aber er war noch immer derselbe Mann, den sie vor so vielen Jahren getroffen hatte.

Ohne Zweifel, die Dinge hatten sich geändert. Keiner von ihnen hätte gedacht, dass ihr Leben auf diese Weise verlaufen würde, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Aber so war es geschehen.

Er blickte zurück zu der Tür, die zur Flitterwochen-Suite führte. Auf der anderen Seite der Tür schlief seine wunderschöne junge Braut, und doch wünschte er sich mehr als alles andere auf der Welt er könnte mit der Frau zusammen sein, mit der er übers Telefon spricht.

"Ich vermisse dich", gibt er zu, bevor er sich zurückhalten kann.

Ihr stockt der Atem, aber er hört das Geräusch am anderen Ende der Leitung nicht. Sie kann das nicht noch einmal durchmachen. Sie darf sich keine Hoffnungen machen.

Stattdessen sagt sie: "Du solltest jetzt Schluss machen. Sie wartet sicher schon auf dich."

Sein Herz zerbricht am Ton ihrer Stimme. Sie ist über ihn hinweg. Sie liebt ihn nicht mehr so, wie er sie liebt.

"Ja, das sollte ich wohl", murmelt er enttäuscht. Sie weigert sich, seinen Ton zu registrieren. Sie kann nicht noch eine Tragödie ertragen. Ihr Herz würde zerbrechen. Es ist Zeit, dass sie ihr neues Leben akzeptiert. Sie würde über ihn hinwegkommen, wie er es schon getan hatte. Sie würde nur nicht so schnell sein wie er.

"Viel Spaß", sagt sie höflich. "Ich wünsche euch zwei das Beste."

"Danke."

"Adieu, Vince."

Die Art, wie sie es sagt, lässt es wie ein endgültiges 'Adieu' klingen. Er will das nicht. Er will sie für immer in der Leitung haben. Er will, dass sie darauf wartet, dass er zu ihr zurückkehrt. Er will so vieles, aber hat er nicht schon zu viel von ihr verlangt? Er wollte, dass sie versteht was er getan hat, obwohl er es selbst nicht verstehen kann. Er will so vieles, aber findet die Worte nicht um sie zu bitten...

"Auf Wiedersehen, Emma. Umarme Alana und Zach für mich."

Sie lächel. Seine Sorge um die Kinder - das war eine Sache, für die sie ihm immer dankbar sein wird.

"Werde ich machen," flüstert sie.

Jetzt ist der Moment gekommen. Einer von ihnen sollte den Anruf zu beenden, aber keiner tut es. Keiner will jetzt schon aufhören…

Sie nimmt den Hörer von Ohr und drückt die Anruf-beenden-Taste - dann packt sie das Telefon und wirft es so weit wie möglich von sich weg. Ein Seufzer entweicht ihr, und mit dem Seufzer entweicht die ganze aufgestaute Frustration.

Mit schwerem Herzen lauscht er dem Piepton. Jeder Ton betrübt ihn mehr und schließlich legt er das Telefon beiseite. Vom Balkon hinab schaut er auf die Straßen von Paris. In der Ferne kann er den Eiffel-Turm erkennen und das Mondlicht kleidet die Stadt in ein wunderschönes Gewand. Warum hat er sie nie in die Stadt der Liebe mitgenommen? 

Langsam geht sie zurück ins Schlafzimmer. Sie sitzt auf dem Bett. Es ist das Bett, dass sie früher teilten. Jetzt ist es leer, genau wie ihr Herz. Sie wickelt sich in ihre Decke und seufzt, bevor sie die Augen schließt. Es nützt nichts, der Vergangenheit hinterherzutrauern. Ihre Kinder sind ihre Zukunft und darauf wird sie sich von nun an konzentrieren.

Leise schleicht er zurück in seine Flitterwochen-Suite. Seine Braut liegt unbekleidet unter der Decke. Sie wäre der Traum jedes Manns, nur nicht der seine. Für jeden anderen Mann wäre dies der Himmel, aber für ihn würde es immer eine Hölle bleiben, die ihn daran erinnert, was er verloren hat. Er seufzt, als er sich zu seiner neuen Frau ins Bett legt. Instinktiv schmiegt sie sich an ihn, und Trauer und Abscheu steigen in ihm auf.

"Was war los?" fragt sie verschlafen.

"Nichts", weicht er aus, als er sich schnell von ihr weg dreht. Sie sieht ihn verwirrt an, aber dann dreht sie sich um, sodass ihre Rücken  sich berühren. Er hat genug Geld, um sie für lange Zeit glücklich zu machen. Aber er - er war in der Stadt der Liebe und alles was er fühlte war Einsamkeit.

Sie hat ihre Kinder.

Er hat seine neue Frau.

Sie beide wollen einander noch immer. Keiner von beiden wird es je wissen.

Es war ein kurzer Anruf mit nur wenigen Worten. Jedem anderen wäre es als nichts erschienen. Für die beiden bedeutete er alles.

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2.Anmerkung der Autorin: So, das war eine recht zufällige Geschichte. Ich hatte diese kleine Geschichte in meinem Kopf und entschied sie aufzuschreiben.Ich denke, es ist relativ gut ausgegangen. Es ist nicht mein typisches 'Happy-End' Es ist ein bisschen bittersüß und ich mag es. Und es ist auch realistischer. So eine Geschichte könnte wirklich passieren, und ich bin mir sicher irgendwo, irgendwann war das auch mal der Fall.

Das ist eine Kurzgeschichte, also ist sie schon zu Ende. Es war einfach eine Idee, die mich zum schreiben inspiriert hat, und da habe ich sie eben aufgeschrieben.

Ich hoffe, ihr mögt sie als kleine Abwechslung von all meinen anderen Geschichten!

~GermanSam

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