Yin & Yang

~ Alles hat einen Sinn, nur ist er den meisten unbekannt. ~

Dojan lag rücklings auf seinem Bett und starrte den matt scheinenden Gegenstand an. Es war ein Anhänger, den er da in den Händen hielt und gedankenverloren zwischen seinen Fingern hin- und herdrehte. Zwei Hälften waren darauf zu erkennen, ineinander verschlungen, die eine weiß, die andere schwarz. Das Zeichen für zwei Kräfte, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen.

In allem Schlechten steckt etwas Gutes, in allem Guten auch etwas Schlechtes.

Er hatte den Anhänger wie zufällig auf der Kiesfläche vor dem Haus gefunden, wo normalerweise Autos parkten. Auf den ersten Blick schien es, als wäre es ein Geldstück und jemand hatte es beim Aussteigen einfach fallen lassen.

Doch das war es eindeutig nicht, die Formen waren ihm nur allzu bekannt. Es war unverkennbar ein Yin und Yang. Und irgendjemand hatte es auch nicht fallen lassen. Es musste von einem Botschafter stammen.

Die runde flache Scheibe besaß ein stecknadelkopfgroßes Loch, durch das wahrscheinlich mal ein Faden geführt hatte. Die Kette musste gerissen sein, und zwar durch Gewalt. Eigentlich durfte niemand Botschafter angreifen, doch jemand musste es getan haben. Ein Mensch hätte dies ganz sicher nicht fertig gebracht.

Eigentlich. Und trotzdem hatte - nein musste - einer seiner Brüder oder Schwestern den Botschafter überwältigt haben. Er würde es ansprechen müssen.

In den letzten Jahren war die Gemeinschaft in dem großen Haus am Stadtrand zusammengeschrumpft, fehlte nur noch, dass die letzten Verbliebenen leichtsinnig wurden. Wie aus dem Nichts verschwanden Nyklane und Engelswesen im letzten Jahr. Was der Grund war, wusste keiner. Doch Vorsicht musste gewahrt werden.

Trotzdem, niemand durfte das labile Gleichgewicht durch Anzweiflung oder Angriffe auf die Neutralität gefährden. Auch wenn die Botschafter schon seit Jahren nur noch aus den Reihen der Engelswesen gewählt wurden, sie waren elementarisch für das System, welches schon seit Jahrhunderten den absoluten Krieg verhinderte.

Noch einmal strich er mit der Fingerkuppe die Linien auf dem Anhänger nach. Sein Daumen verweilte auf der schwarzen Seite. Das war er. Er war die dunkle Seite Yin. Ein Nyklan eben. Vorsichtig berührte er den kleinen weißen von Schwarz umschlossenen Punkt. Ob es das wirklich gab? Das Gute ihm 'Bösen' oder 'Schlechten'?

»Dojan. Mach auf.«

Die leise aber bestimmte Stimme von Sael drang durch die Tür und unterbrach seine Gedanken.

Als Antwort brummte er mehr etwas, als das es wirklich eine Reihe an zusammenhängenden Wörtern bildete. Er stand auf und nahm den Anhänger mit. Die Abendsonne schickte gerade eine ihrer letzten warmen Strahlen auf die Erde, doch die Fensterläden ließen nur ein paar helle Linien auf der gegenüberliegenden Wand übrig. Aber selbst das war ihm zu hell. Dojan musste mehrere Male blinzeln, bevor er zur Tür ging und den Schlüssel im Schloss umdrehte.

Hätte Sael unbedingt in das rechteckige Zimmer kommen wollen, wäre ihm die Tür kein Hindernis gewesen, aber aus Respekt hatte er gewartet, bis sich die Tür von innen öffnete. Er blickte in das von Schatten übersäte Gesicht seines Mitstreiters und erschrak fast ein wenig vor dem harten Ausdruck in seinen Augen.

»Ajen und Ciar wollen uns etwas mitteilen.«

Fest und ohne mit der Wimper zu zucken waren ihm die Worte über die Lippen gekommen, obwohl er doch so innerlich aufgewühlt war.

Seine Mitteilung war wurz und knapp wie immer. Das Verhältnis der Wesen im Haus der Arkana war nicht kalt, aber die verbale Kommunikation zwischen den 8 Bewohnern wurde immer auf ein Minimum reduziert, es schien eine unausgesprochene Regel. Mittlerweile störte es ihn nicht mehr. Er hatte gelernt, auf die Körpersprache zu achten.

»Ist es wichtig?«

»Scheint so. Sie waren ein wenig aufgebracht.«

Eine klare Untertreibung, das wusste auch Dojan. Doch hier wurde nie eine Maus zum Elefant gemacht, sondern eher andersherum. Es war eine der Eigenschaften, die er am Haus der Arkana zu schätzen wusste, die ständige Übertreibung in seiner Umwelt hatte ihn früher so manches Mal in die Verzweiflung getrieben.

Schließlich nickte er und folgte Sael, der sich indessen umgedreht hatte und die Stufen zur Küche hinunterstieg. Seine schlechte Stimmung hob sich nicht in Erwartung endlich wieder jemanden zu Gesicht zu bekommen, eher erreichte sie einen neuen Tiefpunkt. Er mochte das Haus, in dem sie wohnten, doch hier zu leben war immer mit einer leichten Unwohlsein und einer starken Verantwortung verbunden. Diese spürte er im Moment mehr als bewusst auf seinen Schultern lasten und sie wuchs mit jedem Schritt, dem er dem Tisch von eingeschworenen Mitstreitern näher kam. Er wollte keinem von ihnen die Schuld anheften, für den verletzten Botschafter, doch er musste es ansprechen.

Unten angekommen blickte er in fünf angespannte Gesichter entgegen, nur Ajen und Ciar blickten eher besorgt drein. Stumm setzte er sich auf den letzten leeren Stuhl neben Mael und wartete, dass sie mit der Nachricht rausrückten.

Ajen stand auf, lächelte jeden schwach an und schaute entschuldigend in die Runde , ehe sie anfing. Es war ihre Art, mit einer schlechten Nachricht zu beginnen. Nur Dunja hatte das Lächeln erwidert, sie war noch nicht so lange bei ihnen und hatte sich noch nicht ganz an das Haus der Arkana und seine Bewohner gewöhnt.

»Marin ist verschwunden. Er ist nicht von seinem Rundgang wiedergekommen. Um 6 hat er Ciaràn gesagt, dass er die Route durch den Wald nehmen würde, aber dafür müsste er längst zurück sein.«

Obwohl vorher schon niemand etwas gesagt hatte, könnte man meinen, dass sich eine gespenstige Stille über den quadratischen Raum gelegt hatte. Selbst das Brummen den Kühlschranks schien zu verstummen. Mehr schlechte Nachrichten konnte keiner von ihnen gebrauchen, nicht Sael und Ajen, nicht Dunja und Mael, nicht Ciar und auch nicht Sibel. Besorgte Blicke wechselten und man spürte deutlich die Welle an Unmut.

Marin war hier schon seit ungefähr fünf Jahren und sie alle kannten ihn gut, doch vor allem Ciar wirkte niedergeschlagen. Er und Marin waren schon bevor ihre Entscheidung getroffen wurde unzertrennlich und hatten alles gemeinsam durchgemacht. Marin war für Ciaràn wie Sael für Dojan und Mael für Ajen. Ein Freund fürs Leben.

Schwer seufzend war er es schließlich, der die Stimme erhob und wieder das beklommene Schweigen durchbrach.

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