33 | Offen

Wie vom Blitz getroffen – diese Frage strömt sturzflugartig in mich ein. Woher weiß er das? Es liegen etliche Stunden zwischen diesem – nennen wir es halt so – ›Gespräch‹ und jetzt, welche Uhrzeit auch immer sein mag. Seinem Eindringen an meinem Ort. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und meinen Händen, die ich auf dem rauen Stein vor mir abstütze, mustere ich ihn. Ich sitze wieder im Schneidersitz.

Sein Blau verrät mir nichts darüber, woher er es wissen könnte. Hatte ich den Hafen erwähnt gehabt? Nein oder? Ich meine nicht. Ist er vielleicht wirklich gut im Detektivieren? Irgendwie glaube ich das nicht. Oder bin ich einfach wie ein Buch? Kein wunderschönes graziles, das in einem antiken Regal steht. Natürlich nicht. Auch kein geschlossenes – gar mit einer Kordel zusammengeschnürtes oder mit einem Schloss versehenes. Eher eines, das irgendwo auf einem Grabbeltisch liegt und von Glück reden kann, wenn es noch einen Blick abbekommt. Dessen Seiten offen daliegen. Abgenutzt, aber dadurch irgendwie auch dazu einladen, darin herumzublättern, um jedes Mysterium herauszufinden, ganz gleich, ob es gewollt ist oder nicht. Ist es so? Bin ich so?

Der Glanz aus seinen Augen, mit dem er dem Meer Konkurrenz machen könnte, verschwimmt. Zurück bleibt dieses tiefe undurchdringliche Blau.

»Als du auf und davon bist ... Also vorhin ...«, beginnt er, während er seine Cappy absetzt und sich über seine Locken strubbelt; wodurch er ebenso meine Verbindung zu seinen Augen beendet. »Da wollte ich dir eigentlich direkt hinterher. Also fast. Erst stand ich unter Schock. Aber dann.« Er fummelt mit seinen Fingern an der Cap herum und scheint zu überlegen, was er sagen soll. »Dann wollte ich dir schnell folgen, mich vergewissern, ob es dir gut geht. Jedoch hat Balou wohl einiges mitbekommen. Sie hat nichts gehört, dafür standen wir ja zu weit weg, aber sie kam offenbar irgendwann raus und hat uns gesehen.« Wieder unterbricht er sich. Balou hat uns gesehen? Ich habe sie gar nicht wahrgenommen, als ich abgehauen bin. »Sie hat mich nicht gelassen und ist stattdessen mit mir eine Runde um den Block gegangen. Oh man und dabei hat sie mir ordentlich den Kopf gewaschen.« Er ruckt sein Gesicht nun ein wenig hoch und muss schmunzeln.

»Ich kann es mir vorstellen«, gebe ich zu.

»Sie hat dich echt in ihr Herz geschlossen«, sagt er mir, doch ich weiß darauf nichts zu erwidern. Auch wenn es mich sehr ... bewegt.

»Das kannst du doch so nicht machen, hat sie gesagt. Und: Wieso bedrängst du sie nur so krass? Und noch einiges mehr. Als sie mit mir fertig war, hat sie mich dann losgeschickt, mit der Ansage, dass ich mich erst wieder blicken lassen soll, wenn ich dich gefunden habe.«

»Ach, das meint sie doch nicht so.«

»Oh doch«, erwidert er sofort. »Balou meint das so. Und ich gebe ihr recht. Ich habe es vermasselt. Außerdem wollte ich ja sowieso nach dir sehen. Egal, ob sie es nun gesagt hätte oder nicht.«

»Und wie kamst du auf den Hafen?«

»Eigentlich gar nicht.« Fragend schaue ich ihn an. »Ich habe es für heute schon aufgegeben. Nachdem ich alle möglichen Plätze abgesucht habe, bin ich hierher gekommen.«

»Wieso bist du hier her?«, frage ich nun anders.

»Warum bist du hier?«, kommt die Gegenfrage.

»Jetzt fängt das wieder an ...« Ich seufze.

»Lass uns einen Deal machen«, schlägt er vor.

»Ich höre.«

»Wir beantworten beide diese Frage, okay?«

»Okay.« Sicher, Mo?, frage ich mich selbst, aber ich habe bereits zugesagt.

»Ich bin hier, weil ich den Hafen bei Nacht angenehm finde. Ich komme her, wenn ich allein sein möchte; wenn ich nachdenken möchte; wenn ich etwas verbockt habe; wenn ich nicht weiter weiß ...« Gabe schaut mir in die Augen. »Und so was eben. Und du?«

»Da habe ich jetzt nichts mehr hinzufügen. Das hast du sehr gut gesagt.«

»Das war ja jetzt sehr diplomatisch«, erwidert er mit einem Lächeln.

Seine Worte dringen zwar zu mir durch, aber mein Fokus liegt auf meinem Inneren, weil ich ihm schon noch eine aufrichtige Antwort geben mochte. »Aber es gibt einen Grund, warum ich hier überhaupt gelandet bin; ihn entdeckt habe als diesen wunderschönen Ort mit seiner einzigartigen Ruhe und Atmosphäre, in der ich mich aufgehoben fühle. Nämlich ...« Ich wende mein Gesicht von ihm ab, ziehe meine Beine aus dem Schneidersitz zu mir hoch und winkle sie an. »Ich ...«, setze ich an, unterbreche mich jedoch direkt wieder. Es ist so unglaublich schwer, es auszusprechen. Mit einem scheuen Blick schaue ich zu ihm. Er sieht geduldig aus, abwartend, als hätte er alle Zeit der Welt. »Ich kann ... nirgends anders hin«, traue ich mich, es endlich laut zu sagen.

Doch daraufhin drehe ich meinen Kopf wieder von ihm weg. Ich will nicht komplett offen wie so ein Buch aus meiner Vorstellung daliegen ... Mit all dem, was in mir ist.

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