30 | Echo

Obwohl es nicht so kraftvoll aus mir herausgebrüllt kommt, wie es meinen Körper verlässt – beziehungsweise verlassen müsste, hinterlässt es eine unbändige Wucht in mir. Ich bin ein Findelkind. Als würde das Gesagte sich direkt wieder einen Weg hineinsuchen. Von einem inneren Widerstand zum nächsten wird es auf heftige Weise weitergetragen; eher gehallt. Ich bin ein Findelkind. Gefolgt von einem unablässigen Echo. Der den Damm den letzten Spliss zufügt. Ich bin ein Findelkind.

Nicht nur dieser Wall wurde durchdrungen ... Auch die Mauer, die sich offensichtlich um meine Instinkte herum aufgebaut hat, ist aufgesprungen. Sie sind neu erwacht worden. Gelten Mauern nicht sonst als Beschützungsobjekte? Da ist ja mal wieder ordentlich was schief gegangen bei mir.

Ruckartig komme ich ins Bewegen. Wie ferngesteuert. Im Abwenden bücke ich mich, greife ein paarmal daneben, doch kann ich den Seesack endlich an einem Tragegurt schnappen. Tränenverschleiert laufe ich zurück über die Wiese. Den Seesack schleife ich dabei das erste Stück hinter mir her. Der Fokus liegt auf ›weg hier‹.

Weg hier du Findelkind. Am Rand zum Vorplatz, auf dem die Rollen von Inlinern und Skateboards über den Boden rattern, schultere ich den Sack und gehe, ohne mich umzudrehen auf den Weg zu, der mich hier raus führt.

Wie sollen wir Vertrauen aufbauen? Findelkind. Raus!

So wirr es in meinem Kopf ist, werde ich wahrscheinlich auch gerade auf andere wirken. Ich laufe einfach da lang, wo mein Körper sich hinbewegt. Hauptsache in Bewegung bleiben. Meine Tränen versiegen allmählich. Doch nichts macht mir gerade etwas aus. Es ist mir eher gleich. Oder gleichgültig.

Das Zeitgefühl ist mir wie fast jedes andere Gespür abhandengekommen. Auch dass der Tag in den Abend gleitet, nehme ich lediglich durch den Himmelstausch wahr. Ganz zufällig. Doch mein Körper ... Der spürt ... Das macht er deutlich klar. Er will und kann nicht mehr. Erst da bemerke ich meine bleiernen Knochen.

Ich fühle mich wie in einem Irrgarten, einem Labyrinth. Wenn ich jetzt immer rechts abbiege, werde ich dann an einem Ziel – vielleicht einem für mich bestimmten – ankommen? Was für ein Schwachsinn!

Mechanisch schlage ich die Richtung ein, um zu dem einzigen Fleck, den ich – neben dem Jugendtreff break'n'hut – kenne, zu gelangen.

Je näher ich dem Hafen komme, desto dunkler wird es. Ein Zeichen? Oder einfach die Natürlichkeit des Tages ... Ein Tag beginnt und er endet auch wieder ... Und alles, was dazwischen liegt, ist gefüllt mit Dingen, die dir zustehen ... Vermutlich. Ja, er ist voll mit Abfuck in meinem Fall.

Mit der untergehenden Sonne frischt es auf. Zudem weht der Wind nun mehr, da ich mich dem Wasser nähere. Nachdem ich mich umgeschaut habe, entscheide ich mich, kurz einen Stopp einzulegen. Während ich den Seesack abstelle, damit ich mir einen dickeren Pullover herausholen kann, blicke ich hoch in den Himmel. Die Sterne und der Mond. Sie faszinieren mich und trotzdem machen sie mich auch manchmal wütend. Denn wo ist diese beschissene Magie?

Wenn du nach den vielbesagten Sternen greifst; nach diesen Teilen da oben, die du eh nie erreichen wirst können, dann bekommst du einen ordentlichen Dämpfer – zumindest ist es bei mir so – und wirst dorthin geschickt, wohin du gehörst. Und das bekommst du zu spüren.

Meinen Blick von dort oben abwendend, um ihn der wichtigeren Aufgabe zuzuwenden, krame ich in dem verdammten Seesack herum. Mit der neuen Ordnung werde ich schnell fündig und kann mir meinen schwarz-weiß karierten Wollpulli überziehen.

Auf der anderen Seite, kommt mir der Gedanke, dürfte ich für mein ›dorthin, wohin du gehörst‹ etwas dankbarer sein. Immerhin hätte ich es schlechter treffen können. Mit geschulterter Tasche schlendere ich den Pfad weiter. Nach kurzer Zeit kommt der Hafen in mein Sichtfeld. Mein Inneres, darunter auch mein Herzschlag beruhigt sich etwas. Der Hafen strahlt auch ohne viel Licht eine besondere Atmosphäre aus. Ich fühle mich nicht bedroht. Auch nicht im Dunklen. Ich fühle mich ... angenommen. Obwohl hier nichts mehr los ist; keine Menschenseele zu entdecken ist – außer mir.

Vielleicht wurde ich hergerufen. Von diesem Fleck. Ein Echo über Jahre hinweg, was mich endlich getroffen hat.

Vielleicht habe ich auch deswegen keine Angst, weil es zu mir passt.

Hier, wo mich keiner finden wird, es aber auch keiner will oder auch nur vorhat.

So, wie es schon immer war. Ich wurde abgeschoben. War nie gewollt. Werde nicht gebraucht.

Findelkind. Vertrauen? Raus!

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