16 | Nichts
»Begrüßt du andere immer so ... Wie soll ich es denn mal nennen? Stürmisch?«
Es wird kein geringeres Gesicht als das von ihm entblößt, nach dem mein Pullover weggezogen wird. Oh. Mein. Gott.
»Baggy?«, rufe ich überrascht aus, was er wohl auch ist. Shit! »Ich meine: Gabe?«
»Ja, das bin ich«, gibt er von sich und zeigt dabei aus seiner hockenden Position umständlich auf sich. »Und wer ist Baggy?«
Äh ja ... Nein, darauf erwidere ich nichts. Daher winke ich ab. Das will ich ihm jetzt nicht erklären. Außerdem ist mir das hier eh schon peinlich genug. Und er mir eigentlich viel zu nah. Für mich zumindest. Er ist in meiner Schutzzone.
»Mo, jetzt mal im Ernst. Was tust du hier?«, hakt er nach. Ich meine eine Spur Sorge heraushören zu können. Really bei Baggy?! Andererseits ... Ich kenne ihn ja nicht wirklich.
»Nichts?«
Er reagiert mit einer hochgezogenen Augenbraue.
»Okay. Abhängen«, antworte ich ihm so ehrlich wie möglich und ziehe meine Beine an mich heran.
»Das sehe ich wohl«, antwortet er resignierend, wodurch ich hoffe, dass er es nun dabei belässt. Dann setzt er sich doch allen Ernstes neben mich. Er hat es wohl nicht so mit Körpersprache? Ich dachte, dass Menschen so was erspüren können, wenn Nähe zu nah wird?! Mein Herz und Puls schnellen unvermittelt sonst wohin ... Augen zu, durchatmen ... Augen auf ...
Oh. Da bemerke ich, dass er einen gewissen Abstand einhält. Okay – das lässt ihn eindeutig ein paar Pluspunkte einkassieren. Zwischen uns liegt sogar mein Zip-Pullover, als würde er eine kleine Sicherheitszone darstellen.
»Und du? Es ist nachts«, frage ich zurück und merke selbst, wie bekloppt das klingen muss, dass ausgerechnet ich das betone.
»Oh«, antwortet er theatralisch, spielerisch legt er dabei seine Hand auf den Mund und hebt dann wie in Zeitlupe seinen Schädel nach oben, um in den Himmel zu schauen, »jetzt, wo du es sagst. Stimmt.«
Er tut dabei so, als würde es ihm erst jetzt auffallen – das ist mir klar. Und obwohl ich mir darüber bewusst bin, folge ich automatisch seinem Blick. Aber ich mag es, den Nachthimmel zu betrachten. Dort sind immer wieder neue kleine Wunder zu bestaunen.
Im Augenwinkel kann ich erkennen, dass er zwischenzeitlich seinen Kopf wieder senkt und mich betrachtet. Ich halte meinen jedoch weiterhin nach oben gerichtet, muss aber leicht grinsen. Er gibt mir keine weitere Antwort und ich erwidere auch nichts mehr. Es entsteht eine Ruhe, die uns umhüllt. Eine Stille, die dieses Mal nicht unangenehm zwischen uns wird. Wir machen Fortschritte.
Nach einer Weile muss ich abwägen, was ich besser aushalten könnte. Die Kühle oder das Aufgeben der Pufferzone. Nehme ich den Pullover an mich und hülle ich mich ein, löse ich damit die kleine feine Sicherheitszone auf. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt, aber wenn ich den da liegen lasse, dann ...
»Nachts wird es schon frisch oder?«, wirft er unverfänglich ein, wobei ich mich frage, ob er meine Gedanken lesen kann.
»Hm.« Nun kann ich nicht anders – durch seine Worte ist die Aufmerksamkeit noch mehr dahingewandert –, als zu meinem Pulli zu schielen und mir über meine Arme zu streichen.
»Nimm deinen Pullover schon«, er schiebt ihn ein wenig zu mir hin, »das kann ja jeder spüren, dass du frierst.«
Peinlich berührt schnappe ich danach und schlüpfe mit den Armen in die Ärmel, sodass der Pullover mit dem Rückenteil auf mir liegt.
»Zufrieden?«, hake ich bewusst schnippisch nach und drehe meinen Kopf – noch immer an der Wand hinter mir gelehnt – ein Stück zu ihm.
»Definitiv.« Er schaut mich auch an. Sein Kopf ist ebenso an der Wand gelehnt und in meine Richtung gedreht. Der Abstand ist ausreichend. »Ich denke, wir hatten beide einen Grund, heute herzukommen«, fügt er an. Melancholisch, ja, er klingt seltsam traurig.
»Kann sein, aber ich glaube, dass unsere sehr verschieden sind.«
»Vielleicht.«
Er weicht meinem Blick aus. Es scheint, als würde er an mir vorbeisehen, als würde er gerade immer weiter abdriften. Und als könnte ich ihn dabei beobachten, nur dass ich sein Ziel nicht kenne, geschweige denn die Route. Fasziniert beuge ich mich etwas vor, nur ganz leicht, wahrscheinlich kaum merklich. Doch leider kann ich nicht mehr davon erhaschen. Seine kringeligen Locken nehme ich nur am Rande wahr, als würden sie einen verwaschenen Rahmen darstellen. Ansonsten sehe ich nur das Blau. In seinen Augen. Ein dunkles Blau. Vielleicht, weil es Nacht ist. Vielleicht, weil er irgendwo im Düsteren entschwindet. Vielleicht, weil sie einfach so wunderschön sind. Gerade als ich mich trauen will, noch näher heranzugehen, klaren seine Augen auf.
»Was bedeutet break'n'hut?« Eine Frage, auf die ich überhaupt nicht vorbereitet bin. Wie auch?! Und die für mich aus dem Nichts kommt. Vielleicht aus dem Nichts, aus dem er gerade kommt?
»Ich glaube, übersetzt heißt es Bruchbude?«, antworte ich zögerlich und noch immer überrumpelt.
»Das ist richtig«, lässt er mich wissen und am Ton kann ich schon erkennen, dass noch ein ›aber‹ folgt. »Aber«, setzt er auch schon an – ich wusste es doch – und betrachtet mich interessiert, »das war nicht meine Frage.«
»Wie?«
»Was bedeutet break'n'hut?«
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