Kapitel 6
{Azrael}
Die Erinnerungen prasseln auf mich nieder wie Hagelkörner und hinterlassen eben jene Kälte, die sie benötigen, um vom Himmel zu fallen.
Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe zu dem Fenster hinauf, aus dem sanftes Licht auf den Gehweg fällt.
Seit einer Stunde stehe ich hier. Rühre mich nicht. Starre empor.
Ringe mit mir.
Kämpfe gegen das Chaos in mir.
Spüre Ebonys Lippen auf meinen. Schüttle sie ab. Spüre sie erneut.
Es will nicht enden.
Es zerreißt mich.
Ein Schatten erscheint am Fenster, sieht zu mir herab. Ich trete einen Schritt zurück, verschmelze mit der Schwärze der Nacht.
Der Schatten verschwindet. Ich atme aus.
Was mache ich hier?!
Es hat keinen Zweck.
Sie wird mich nicht anhören.
Diese Wut in ihren Augen.
Wie schlängelnde Flammen haben sie sich in mich gebohrt.
Mir in meinem Innersten einen nie gekannten Schmerz zugefügt.
Ich schließe meine Augen.
Atme tief ein und aus.
Und wende mich zum Gehen.
Ich fahre zusammen als ein ohrenbetäubender tiefer Ton sich schmerzhaft in meine Gehörgänge drängt.
Ohne zu zögern drehe ich mich um und reiße die Eingangstür des Apartmenhauses auf. Ich sprinte die Treppe hinauf und mache vor der Tür mit der Nummer Zwei Halt.
Ich hämmere mit meiner Faust dagegen.
Der Boden unter meinen Füßen bebt und ich spüre Panik in mir aufkommen.
Meine Ohren schmerzen und ich verziehe gequält das Gesicht.
Die Tür bleibt verschlossen und ich entscheide mich dazu, sie aufzubrechen.
Ich mache zwei Schritte zurück und stemme mich dann mit einem Ruck mit meiner Schulter gegen die Tür.
Sie erzittert unter der Wucht, hält ihr jedoch stand.
Aus dem Inneren der Wohnung ertönt ein erstickter Schrei und mir läuft ein Schauer über den Rücken.
Ich ramme erneut mein ganzes Gewicht gegen die Tür und sie gibt berstend nach und fliegt auf.
Ich stolpere nach vorn, kann mich gerade noch auf den Beinen halten und kneife die Augen gegen die sengende Hitze, die mir entgegenschlägt, zusammen.
Ich stürze nach vorn und erreiche die offene Küche.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen.
Hilflos sehe ich dabei zu, wie Lucifer Ebony, an der Kehle gepackt, gegen die Wand drückt.
Bevor ich mich aus meiner Starre lösen kann, umklammert eine Hand fest meinen Arm und ich werde zur Seite gerissen.
Ich stoße gegen Alice und sie zieht mich grob zurück in den Flur.
"Vergiss es! Er bringt dich in einem Wimpernschlag um!",zischt sie und ich versuche mich aus ihrem Griff zu winden.
"Du kannst ihr nicht helfen!"
Ich starre Alice fassunglos an.
"Er wird ihr nichts tun",fügt sie hinzu und legt dann einen Finger auf ihre Lippen.
Ich lausche angespannt.
"Was interessiert dich eine Rückkehrerin?!",presst Ebony erstickt hervor.
"Du wagst es, mir eine Frage zu stellen?!",ertönt Luzifers tiefe, grollende Stimme und ich zucke unwillkürlich zusammen.
Luzifer bringt seine Fratze näher an Ebonys Gesicht und sie versucht angewidert ihren Kopf zu drehen.
"Du hast meine Befehle zu befolgen und keine Fragen zu stellen, Rondahr!"
Das letzte Wort spuckt er förmlich aus und ich balle wütend meine Hände zu Fäusten.
Rondahr.
Sklavin.
Auf Ebonys Wange glitzert eine Träne und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen.
"Finde sie!",brüllt Luzifer und im nächsten Moment ist er verschwunden und mit ihm die sengende Hitze und der dröhnende Ton.
Ebony rutscht an der Wand hinab zu Boden und ich stolpere zu ihr, dicht gefolgt von Alice, die mich zur Seite stößt und Ebony vor mir erreicht.
"Ebbie!"sagt sie besorgt und nimmt ihr Gesicht in ihre Hände.
"Ist alles in Ordnung?"
Ebony nickt stumm und legt schwer atmend den Kopf in den Nacken.
Ich stehe auf zitternden Beinen, während ich Ebony wortlos meine Hand entgegenstrecke.
Sie beäugt sie zögernd und sieht mich an.
Misstrauen und Zorn blitzen in ihren Augen auf. Und doch ergreift sie meine Hand und lässt sich von mir auf die Beine ziehen.
Sie zieht augenblicklich ihre Hand zurück und fährt sich durch die Haare.
"Verdammt, der Bastard ist echt angsteinflößend",presst sie hervor und als sie in sich zusammensackt, kann ich sie gerade noch auffangen.
"Oh, glaub ja nicht, das ich dich das machen lasse! Geh zur Seite!",fährt Alice mich an und stößt mich grob weg.
Ich rolle genervt mit den Augen und räume das Feld.
Auf eine Diskussion darüber, wer Ebonys Brandwunden am Hals versorgen darf, möchte ich mich nicht einlassen.
"Was machst du überhaupt noch hier?!",will Alice grummelnd wissen und ich beobachte sie dabei, wie sie vorsichtig mit zwei Fingern eine Brandsalbe auf Ebonys geschundene Haut reibt.
"Oh, du meinst ich soll abhauen? Bitte sehr!",sage ich und erhebe mich.
Auf halben Weg bleibe ich stehe.
"Ich dachte, vielleicht ist ein Jäger an eurer Seite ganz hilfreich, wo ihr doch jetzt den Auftrag habt, Ivory zu finden",murmle ich ohne mich umzudrehen.
Alice schweigt und ich setze meinen Weg zur Tür fort.
"Warte",sagt sie dann und ein Lächeln huscht über mein Gesicht, bevor ich mich ihr zuwende.
Ich hebe fragend die Augenbrauen und Alice verzieht das Gesicht.
"Schau nicht so selbstgefällig, du Arschloch. Es ist eine reine Zweckgemeinschaft, ist das klar?!"
Ich nicke zufrieden und lasse mich auf einen Sessel fallen.
"Und merk dir meine Worte",knurrt Alice und funkelt mich aus wütenden Augen an, "Halte dich von Ebbie fern oder ich bringe dich um!"
Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie mich diese Drohung trifft.
Ich nicke stumm und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter.
Ebony gibt einen gequälten Laut von sich und blinzelt.
"Ihr seid ja kaum zu ertragen",stöhnt sie und ich schmunzle.
Alice und ich haben uns noch nie leiden können und Ebony hat es immer amüsiert beäugt.
"Halt still",ermahnt Alice sie und beginnt ein Verband um ihren Hals zu wickeln.
"Wasser, bitte",krächzt Ebony und ich erhebe mich.
Ich gehe in die Küche und komme mit einem gefüllten Glas in der Hand zurück.
Sie nimmt es dankbar entgegen und der Zorn in ihren dunkelgrünen Augen verflüchtigt sich ein wenig.
Vielleicht ist noch nicht alles verloren.
Vielleicht kann sie mir eines Tages verzeihen, was ich ihr angetan habe.
{Ebony}
Verstohlen nutze ich die Gelegenheit und beobachte Azrael dabei, wie er in die Küche geht, um mir ein Glas Wasser zu holen.
Wieso muss dieser Mann auch so attraktiv sein? Seine schwarzen Locken liegen auf seinen Schultern und ab und an streicht er sich Strähnen aus dem Gesicht.
Er trägt eine schwarze, löchrige Hose, ein Shirt von Billy Talent und die Lederjacke, die mich schon in manch kühler Nacht gewärmt hat.
An seinen Fingern trägt er jene Ringe, deren kühles Metall ich bereits auf meiner Haut gespürt habe.
Um seinen Hals hängt eine silberne Kette mit großen Gliedern. Daran baumelt ein Pentagramm mit einem Totenschädel in der Mitte.
Das Zeichen der Jäger.
Azrael reicht mir das Wasser und ich nehme es dankbar entgegen.
"Reicht es dir eigentlich nicht, ein Arschloch zu sein? Musst du auch noch Jäger werden um damit zu einem wertlosen Stück Scheiße befördert zu werden?",frage ich und leere das Glas in einem Zug.
Azrael schnaupt verächtlich.
"Leck mich",erwidert er.
"Ungern."
Alice verdreht die Augen.
"Oh Gott, wenn ich das von jetzt an ertragen muss, müssen wir einen riesen Vorrat Gras mitnehmen!",sagt sie, ich richte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und lege grinsend den Kopf schief.
"Ich hab noch was da."
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