Kapitel 5
{Azrael}
Ob ich es für eine gute Idee halte, Ebony aufzusuchen und um Hilfe zu bitten?
Eher nicht.
Doch sie ist die Einzige, die mir vielleicht helfen kann, Ivory zu finden.
Das mich das zum größten Arschloch auf diesem Planeten macht, ist mir bewusst.
Erst schlafe ich mit Ebony und lasse sie fallen, nur um sie dann ein Jahr später um Hilfe zu bitten, meine verschwundene Jugendliebe zu suchen.
Es hat mich auch eine Menge Überwindung gekostet, ehrlich!
Nicht, weil ich mich ihr nicht stellen will oder weil ich nur ein einziges Mal in meinem Leben ein anständiger Typ sein will, sondern weil der Gedanke daran, Ebony wieder zu sehen, etwas in mir ausgelöst hat.
Und ich will das nicht.
Schlimm genug, das ich sie wie verrückt vermisst habe und es nicht vor Ivory verbergen konnte.
Und genau das führte schlussendlich zu einem Streit, der vollkommen eskalierte.
Ivory griff mich mit einem Messer an und verletzte mich am Arm, ehe sie die Wohnung verließ und seither nicht zurückgekehrt ist.
Ich schulde es Ivory, jeden Stein auf der Suche nach ihr umzudrehen. Ich muss es wieder gut machen. Denn ich habe sie zurückgeholt und ihr meine Liebe geschworen, nur um ihr dann das Herz zu brechen, weil meines einer Anderen gehört.
Gehörte.
Vergangenheit.
Und so soll es auch bleiben.
Ich hebe meinen Blick, als sich die Tür des Black Leafs öffnet.
Einen Moment lang stockt mir der Atem und ich beiße mir auf die Unterlippe, bis ich Blut schmecke.
Da ist sie.
Und sie ist genauso schön, wie ich sie in Erninnerung habe.
Ihr ebenholzschwarzes Haar fällt ihr in sanften Wellen wie flüssige Seide über die Schultern.
Sie trägt einen Faltenrock, eine schwarze Strumpfhose zu ihren Buffalo Boots.
Dazu trägt sie ein verwaschenes Bandshirt, ich kann jedoch nicht erkennen, um welche Band es sich handelt.
Doch ich bin mir sicher, es ist eine Gute.
Darüber trägt sie ihre Lieblingsjeansjacke. Die, mit den vielen Patches.
Bei ihr ist Alice.
Ihre beste Freundin.
Sie war mir immer ein Dorn im Auge.
Zu direkt.
Zu offen.
Zu ehrlich.
Ebony sieht sich um und ich erstarre, als unsere Blicke sich treffen.
Sie ist zu weit weg, als dass ich ihre Augenfarbe erkennen könnte, trotzdem färbt meine Erinnerung sie augenblicklich dunkelgrün. Mit einem grauen Kranz um die Iris.
Ebony wendet den Blick von mir ab und ich atme hörbar aus, als sie sich bei Alice einhakt und den Heimweg antritt.
Ich ziehe mich tiefer in die Dunkelheit zurück und fahre mir durch die Haare.
Ebony nach einem Jahr wiederzusehen löst genau das in mir aus, wovor ich am meisten Angst hatte.
Sehnsucht.
Ich lehne mich an den Tresen und senke den Blick, während die Band sich bereit macht.
Im Augenwinkel sehe ich Alice, die Rob zwei Finger vor die Nase hält.
Langsam löse ich mich von Tresen und begebe mich in eine dunkle Ecke der Kneipe.
Von hier aus habe ich die Bühne im Blick, bin jedoch vor neugierigen Blicken geschützt.
Das Alice mich hier entdeckt, kann ich nicht gebrauchen.
Denn ich habe mich noch nicht entschieden, was ich als nächstes tun werde.
Eigentlich wollte ich heute Abend gar nicht hier her kommen.
Doch es hat mich hergezogen, als wäre Ebony ein Magnet.
Die Band beginnt zu spielen und ich hebe meinen Blick.
Ebony positioniert sich vor dem Mikrofon, legt eine Hand darum und beginnt zu singen.
Augenblicklich stellen sich meine Nackenhaare auf.
Ihre Stimme geht mir durch Mark und Bein.
Ich hab sie so lange nicht mehr hören dürfen.
Ich hatte gehofft, dass das Jahr, in dem ich Ebony weder gesehen noch gesprochen habe, etwas an meinen Gefühlen für sie ändern würde. Doch ich muss feststellen, das ich mich geirrt habe.
Eigentlich ist es nur noch schlimmer.
Das Verlangen, sie zu küssen, sie zu berühren, keimt in mir, seit ich sie vor der Bar wiedergesehen habe.
Und es wächst von Sekunde zu Sekunde.
Mein Blick hängt noch immer an ihr und ich kann nicht einmal daran denken, ihn von ihr abzuwenden.
Sie ist wunderschön und wahnsinnig anziehend.
Wie sie alles um sich herum vergisst und mit der Musik eins wird.
Wie sie zu einem anderen Menschen wird.
Zu einem Menschen, dessen Zorn tiefe Wurzeln geschlagen hat.
Ihr Temperament hat mich von Anfang an angezogen.
Sie hat Feuer.
Und ich schürte es leidenschaftlich gerne, denn es ließ in ihren Augen etwas aufblitzen, das mich beinahe um den Verstand brachte.
Das wir miteinander schliefen hatte ich nicht geplant. Eigentlich war es sogar die größte Dummheit, die ich je begangen habe.
Denn der Sex war unglaublich.
Nie habe ich so viel Leidenschaft spüren dürfen.
So viel Hingabe.
Und am Ende hat mich genau das an einen Punkt gebracht, der mich die Entscheidung treffen ließ, es hier und jetzt enden zu lassen.
Ich habe Ivory an ihrem Grab ein Versprechen gegeben.
Ich werde niemals aufhören sie zu lieben.
Und das habe ich auch nicht.
Die Band verstummt und ich beobachte Ebony dabei, wie sie sich, mit vor Schweiß glänzendem Dekolleté, was mich kurz aus dem Konzept bringt, zu Alice herunter beugt.
Als sie sich auf den Weg zum Ausgang machen, treffe ich binnen Sekunden meine Entscheidung und setze mich in Bewegung, verlasse vor ihnen die Bar.
Ich lehne mich betont lässig an die Wand neben der Tür und warte mit klopfendem Herzen.
Ebony kommt voran durch die Tür und bemerkt mich zunächst nicht.
Alice hingegen bleibt wie angewurzelt stehen und starrt mich an.
Als auch Ebonys Blick auf mir ruht, hebe ich den Kopf und erwidere ihn.
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Der Ausdruck auf Ebonys Gesicht wechselt von Erstaunen zu Wut.
"Was willst du hier?", fährt sie mich an und es sticht mich ein wenig, das sie so viel Zorn gegen mich hegt.
Doch das habe ich mir selbst zuzuschreiben.
"Auch schön dich zu sehen, Liebes",sage ich betont lässig und Ebony zischt wütend.
"Wag es nicht noch einmal, mich so zu nennen",knurrt sie und macht einen Schritt auf mich zu, sodass sie dicht vor mir steht. Ich halte den Atem an.
"Hast du mich verstanden?"
"Ich bin ja nicht taub",antworte ich ruhig, während in mir drin das Chaos regiert.
Ich durchlebe ein Wechselbad der Gefühle und versuche krampfhaft, es mir nicht anmerken zu lassen.
"Ich brauche deine Hilfe",sage ich und in Ebonys Gesicht steigt Zornesröte.
"Du Arschloch",zischt sie durch zusammengebissene Zähne und ich beobachte angespannt, wie sich Tränen in ihren Augen sammeln.
"Verpiss dich",presst sie hervor und wendet sich schnell von mir ab.
Ich presse meine Lippen aufeinander und atme bebend ein und aus.
"Das geht nicht."
Ebony wirbelt herum und funkelt mich aus zornigen Augen an.
"Das geht nicht?! Ist das dein scheiß Ernst?!",brüllt sie nun und ich straffe meine Schultern.
"Ich bin gerade nicht zu scherzen aufgelegt",antworte ich und versuche das Zittern in meiner Stimme zu überspielen.
"Ich fasse es nicht. Alice, kneif mich doch mal, ich muss träumen!",sagt Ebony und lacht laut auf.
"Du traust dich ernsthaft, mich um Hilfe zu bitten, deine verdammte Jugendliebe zu suchen?!"
Ich verenge wütend meine Augen.
"Pass auf, was du sagst",zische ich und Ebony bricht in schallendes Gelächter aus.
Nach Luft schnappend hält sie sich den Bauch und ich lege meine Stirn in Falten.
"Und dann besitzt du auch noch die Frechheit, mir zu drohen!"
Ihr Lachen verstummt und sie kommt auf mich zu, packt mich am Kragen.
"Ich sagte, du sollst dich verpissen!",knurrt sie und stößt mich von sich, ehe sie die Tür der Bar aufreißt und im Inneren verschwindet.
"Das hast du ganz toll gemacht, Azrael. Gratuliere!",sagt Alice und klatscht demonstrativ in die Hände.
Dann zeigt sie mir den Mittelfinger und verschwindet im Black Leaf.
Ich raufe mir stöhnend die Haare.
Das ist ja super gelaufen.
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