Kapitel 12

Jil

Nach der Schule gehe ich direkt nach Hause, anstatt mit zu einer meiner besten Freundinnen zu gehen. Tessa hat heute Nachmittag nämlich selbst noch etwas vor, während ich heute ehrlich gesagt keinen Nerv für Thalia habe. Ich will nicht sagen, dass sie nervig oder anstrengend ist, doch unsere Interessen unterscheiden sich ziemlich. Während sie viel und gerne über andere tratscht und herzieht, bin ich daran weniger interessiert und unterhalte mich mit meinen besten Freundinnen lieber über anderes.

Außerdem brauche ich einfach mal ein wenig Zeit für mich selbst. Das Treffen mit Hope hat mich irgendwie aus der Bahn geworfen. Für wenige Sekunden habe ich irgendwie etwas zwischen uns gespürt.

Schnell verdränge ich den Gedanken aus meinem Kopf und ziehe meine Schuhe im Flur aus. Dann ziehe ich die Jacke aus und hänge sie an den Kleiderhaken. "Mom? Dad?", frage ich, unsicher ob sie da sind. Manchmal bleiben beide nämlich länger auf der Arbeit und dann bin ich meistens einige Zeit alleine.

"Ich bin hier, Schatz", ertönt jedoch die motivierte Stimme meiner Mutter. Mit fragendem Blick mache ich mich, mit der Tasche auf meiner Schulter gehängt, auf den Weg auf die Küche: "Muss du nicht arbeiten?" "Ich freue mich auch dich zu sehen", sagt sie, lächelt mich aber an und schließt die Kühlschranktür.

"Natürlich freue ich mich", erwidere ich und lasse mich auf einen Barhocker fallen, bevor ich mich mit den Ellenbogen auf die Küchentheke stütze: "Es wundert mich einfach nur. Normalerweise arbeitest du doch." In die Aussage hat sich ein leicht kritischer Ton geschlichen. Mom wirft ihren üblichen Tagesablauf, nämlich kaum einfach so über Bord. Das passt einfach nicht zu ihr.

"Ich habe meine Mittagspause heute eher begonnen, in der Hoffnung dich noch zu erwischen", sie sieht mich mit einem Blick an, der mich vermuten lässt, dass ihre Bitte jedem Moment folgen wird: "Lillys Kindergarten hat vorhin nämlich angerufen und gesagt, dass ich sie abholen soll."

Meine Augenbrauen wandern automatisch in die Höhe: "Was? Warum?" "Scheinbar gab es einen Rohrbruch, weshalb die Kinder heute nicht mehr bleiben können", sie sieht mich mit einem leicht entrüsteten Blick an: "Deshalb wollte ich dich bitten, das Babysitten zu übernehmen."

Als ich den Kopf schief lege, spricht mein Gesichtsausdruck scheinbar Bände, denn meine Mutter redet sofort weiter: "Nur dieses eine Mal. Versprochen!" Die Verzweiflung ist ihr leicht anhören. Dies weckt in mir den Gedanken, dass sie auf die Schnelle niemand anderen gefunden hat, der den Job übernehmen könnte.

Deshalb seufze ich nachgiebig: "Na gut, aber nur dieses eine Mal. Schließlich bin ich ja ihre Schwester." Zwar tue ich nach außen hin gequält, doch innerlich finde ich es eigentlich gar nicht so schlimm auf meine Schwester aufzupassen. Normalerweise ist sie nämlich ein liebes, süßes Mädchen, doch meine Eltern verwöhnen sie meiner Meinung zu sehr. Dementsprechend zeigt sie hin und wieder auch ein Verhalten, was dem gerecht wird.

"Vielen Dank, Schatz", Mom lehnt sich über die Theke und gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn, bevor sie mit gerunzelter Stirn auf ihre Armbanduhr schaut: "Ich muss dann auch wieder los. Gerade schläft Lilly und wenn du leise bist, wird das wahrscheinlich auch noch ein wenig so bleiben. Die ganze Aufregung hat sie nämlich ein wenig müde gemacht."

"In Ordnung, ich mache dann einfach Hausaufgaben", ich schenke ihr ein beruhigendes Lächeln, mit dem ich ihr versichere, dass sie sich keinerlei Sorgen zu machen braucht. Trotzdem dreht sie sich aber noch einmal zu mir herum, bevor sie in ihrem Mantel schlüpft: "Ruf mich bitte an, wenn irgendwas ist."

"Mache ich", sage ich amüsiert von ihrer Sorge. Manchmal ist sie echt übervorsichtig. Für einen Moment mustert sie mich und lächelt dann matt: "Danke, du bist echt die Beste." "Ich weiß", scherze ich und begebe mich dann an den Wohnzimmertisch, wo ich mich, wie versprochen, an die Hausaufgaben mache.

Andere Schüler in meinem Alter haben am ersten Schultag wahrscheinlich keine oder mindestens kaum Hausaufgaben. An meiner Schule ist aber leider anders. Mit Sicherheit werde ich meinen Lehrer dafür in der Zukunft sicher dankbar sein, wenn ich einmal selbst einen guten Job habe und hoffentlich erfolgreich bin. Momentan finde ich das Ganze aber ziemlich lästig.

Als ich gerade mein Englischbuch aufschlagen will, ertönt der Klingelton meines Smartphones. Gespannt werfe ich einen Blick auf das Display und erstarre, als ich den Namen lese, während mein Herz schneller zu schlagen beginnt.

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