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Ich packte meine Kleidung aus dem Koffer und verstaute sie in meinen alten Kleiderschrank. Auch wenn wir nicht zu lange hier bleiben wollen, muss ich auf alles gefasst sein.

Ich blieb in meiner Bewegung und starrte geradeaus in den Schrank hinein. Noch niemals hatte ich so eine große Befürchtung wie bei dieser Sache.

Das Event war eine Hürde, doch das hier war eine Last. Eine Verantwortung. Eine große Entscheidung, die mich bis an mein Leben begleiten würde.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte.

»Herrein.«

»Na, fühlst du dich wohl?« fragte mich Lin, schloss die Tür und setzte sich auf's Bett.

»Kann man noch nicht so sagen« entgegnete ich lachend. »Das Zimmer war ja nie meins und ich bin nervös wegen der ganzen Geschichte mit der Firma.«

»Mach dir darüber erstmal keine Gedanken. Wir sind hier, weil die Beerdigung morgen stattfindet.«

Ich schaute auf die Bluse, die ich gerade in meinen Händen halte. »Wenn ich Papa nur noch einmal sehen könnte« flüsterte ich.

»Er wäre sehr stolz auf dich, Yoona. Denk über ihn nach. Auch wenn du traurig wirst. Lass deine Gefühle zu, denn nur so kannst du damit arbeiten. Fress das nicht hinein. Manchmal muss man schwach werden, damit man von anderen Hilfe bekommt.«

Lin stand auf und nahm mich in den Arm. »Auch starke Menschen sind schwach.«

»Aber ich will keine Schwäche zeigen.«

»Dann wirst du irgendwann fallen. Jeder Mensch hat eine bestimmte Grenze.«

Ich atmete hörbar aus. Ich wollte jedem helfen und nie Schwäche zeigen. Denn wenn man seine Schwäche zeigt, können andere darauf zugreifen und sie gegen dich benutzen. Doch wer aus meiner Familie würde mich angreifen wollen?

»Ich denke du hast Recht, Lin. Ich nehm mir die Worte zu Herzen.«

»Wenn du willst, kannst du deine Gefühle und Gedanken aufschreiben und sie morgen an der Beerdigung vortragen. Dein Papa hätte seine Tochter gehört und du hättest noch deine Gedanken ausgesprochen.«

»Ich überlege es mir.«

Lin löste sich aus der Umarmung, küsste mich sanft auf meinen Kopf und verließ danach den Raum. Überwältigt von allem setzte ich mich wieder auf mein Bett.

Papa.

Dieses Wort werde ich nie wieder zu ihm sagen können. Ich raffte mich hoch, setzte mich an den Tisch und fing an, alles aufzuschreiben, was mir in den Sinn kam. Was ich fühlte. Ab und an vergoss ich Tränen. Tränen der Trauer und der Freude.

Nachdem ich fertig war, ging ich runter in die Küche und half meiner Mutter beim Decken des Tisches für das Abendessen.

Lin kam danach auch nach unten und wir aßen gemeinsam zu Abend. Was mir aufgefallen war: Ich fühlte mich seit langem wie in einer Familie.

Ich hatte Lin getroffen - unabsichtlich - und habe damit meinen Onkel gefunden. Nun hier mit beiden zu sitzen und den Abend zu verbringen, erfüllt mich mit einer inneren Freude. Ich wusste, dass mich meine Mutter liebte, doch wenn man in Deutschland alleine in einer Wohnung wohnt und jeden Tag alleine meistert, ist das Familienleben von einem entfremdet.

Hier in Amerika scheint alles besser, was aber nur daran liegt, dass es nicht meine Heimat ist. Ich fühle mich hier wohl - keine Frage - aber meine Heimat bleibt einfach Deutschland.

Und da man seine Heimat mit Arbeit verbindet, ist Amerika nun mal ein Urlaubsziel für mich. Doch in den nächsten Tagen kann sich das ändern, denn wie sich die Vertreter entscheiden, ist mir noch nicht klar, doch es kann mein ganzes Leben um 180 Grand wenden.

Um ehrlich zu sein, wollte ich nicht in der Firma arbeiten. Was sollte ich ohne meine Freunde tun? Was soll ich ohne Namjoon und die anderen Jungs machen?

Ich will irgendwann heiraten, eine Familie gründen und mein Leben so gestalten, wie ich es möchte. Es soll nicht in eine Form gesteckt werden wie die restlichen Leben auf dieser Welt. Ich will noch reisen, mit der Band vieles erleben und diese Firma würde all das zerstören.

Mein gesamter Plan für mein Leben.

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