XXXV.

Kapitel 35

,,Also Fee, mir ist als wir bei E.A.T.E.R. waren eine Kleinlichkeit an deinem Kampfstil aufgefallen, die man verbessern sollte, Ideen, was das sein könnte?"

Desinteressiert und gleichgültig starre ich Edward an, stelle mich breitbeinig hin und verschränke meine Arme vor der Brust. Ich rette ihm das Leben und er dankt mir mit Kritik an meinem Kampfstil! Nicht unbedingt nett.

,,Ja, mir ist auch ein kleiner Fehler aufgefallen, und zwar dein Leben zu retten", entgegne ich Edward also bissig, wobei sich meine Augen verengern, ich jedoch große Probleme dabei habe, nicht zu schmunzeln, als sich Edwards Mundwinkel heben.

Er steht circa eineinhalb Meter vor mir, zieht nun fragend seine rechte Augenbraue hoch und verankert seinen Blick in meinen Augen. ,,Da ist wohl jemand nicht kritikfähig. Also jetzt im Ernst, fällt dir gar nichts ein?"

Ich breche den Blickkontakt mit Edward, sehe, wie sich seine Lippen zu einem noch größeren Lächeln ziehen. Seine Lippen, die vor ein paar Stunden auf meinen lagen. ,,Sag es mir doch einfach!", meine ich schließlich augenverdrehend, woraufhin sich Edwards Augenbrauen leicht zusammenziehen. 

,,Gut, also folgendes Problem ist mir aufgefallen: Du kämpft ziemlich berechenbar. Wenn man mit dir kämpft, weiß man schon sofort, was dein nächster Schritt sein wird, als wäre es dir ins Gesicht geschrieben."

,,Das steht mir nicht ins Gesicht geschrieben, du weißt nur, was ich als nächstes tue, weil du jeden verdammten Tag mit mir kämpfst und alles was ich kann mir beigebracht hast!", protestiere ich empört, rümpfe dabei meine Stupsnase.

Edward legt den Kopf etwas schief, sieht mich abschätzend an. ,,Ein guter Kämpfer gewöhnt sich schnell an deinen Kampfstil, dann hast du eigentlich schon so gut wie verloren. Heute musst du also mal versuchen, etwas Unerwartetes zu machen und gegen mich kämpfen, ohne dass ich bereits weiß, was du als nächstes tun wirst."

Ich presse meine Lippen zusammen und verengere meine Augen noch mehr. Dabei nehme ich mir fest vor, Edward wirklich beim Kämpfen zu überraschen. Irgendetwas wird mir schon einfallen. Deswegen ziert sich ein breites, triumphierendes Grinsen auf meine Lippen. ,,Geht klar, Eddilein", antworte ich ihm schließlich in einem herausforderndem Ton und löse meine Arme voneinander, um mich in Kampfposition zu stellen.

Edward zieht etwas belustigt eine Augenbraue hoch, kommt mir schließlich aber näher und stellt sich ebenfalls in Kampfposition. ,,Dann lass den Kampf beginnen", sind Edwards letzte Worte, dann nähre ich mich ihm und greife ihn einem einem Tritt meines linken Beines gegen seine Rippe an.

Diesen währt Edward jedoch mit seiner rechten Hand ab, grinst mich schließlich vielsagend an, worauf ich verstehe, was er meint. Edward wusste ganz genau, dass ich mit dem linken Bein beginnen werde. Ich atme tief durch, stelle mich wieder gerade hin und greife Edward ein weiteres Mal an, doch auch dieses Mal währt er ab.

,,Verstehst du jetzt, was ich meine?", fragt er triumphierend, weswegen ich meine Augen zusammenkneife und wieder auf Edward zukomme, dieses Mal jedoch mit den Armen zuerst angreife, mich über ihn katapultiere, da er meinen Schlag abwehrt und schließlich am Rand des Boxringes zum Stehen komme, unregelmäßig atme, als Edward auf mich zukommt und mich angreift.

Ich drehe seine Hand jedoch in der Luft um, entferne mich von dem Seil und drücke Edward dagegen, während seine große Hand immer noch in meinem Griff ist. Ich stehe jetzt so nah an ihm, dass mein Puls wieder höher schlägt, als ich seine Hand loslasse, meinen Blick dabei aber nicht von seinen Augen nehme. 

Edward schaut mich gebannt an, scheint nicht in der Lage zu sein, zu reagieren. Langsam stelle ich mich auf meine Zehenspitzen, lege meine eine Hand an seiner Schulter ab und platziere meinen Mund an seinem Ohr, um dann zu flüstern: ,,War das unerwartet genug?"

Edward braucht etwas Zeit zu reagieren, hebt anschließend aber eine Hand zu meiner, die auf seiner Schulter weilt. Mein Herzschlag wird immer schneller, als er sie über meine legt und seine Finger durch meine gleiten lässt. Wir starren uns beide einen kurzen Moment an, in dem keiner etwas sagt und ich mich nur auf das Grau seiner Augen konzentriere.

Plötzlich nimmt Edward aber seine Hand mitsamt meiner von seiner Schulter, dreht mich mithilfe seiner anderen Hand, sodass ich jetzt wieder an das Seil gelehnt stehe und er genau vor mir. Edward platziert seine Hand an einer meiner Haarsträhnen, die sich aus meinem Zopf gelöst haben und beugt sich etwas nach unten, sodass sich unsere Stirnen berühren, schaut mir eindringlich in die Augen, während sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen ziert.

,,Das war unerwartet!", raunt er mir leise zu, kommt mit seinem Mund immer näher. Wie gebannt starre ich Edward an, wie er mir immer näher kommt, seine freie Hand schließlich an meinem Kinn platziert und es etwas nach oben schiebt. Unsere Lippen sind nur noch einen einzigen Zentimeter getrennt, da schaltet sich mein Verstand plötzlich wieder ein und ich komme auf eine Idee.

Langsam überwinde ich den Abstand zwischen unseren Lippen, streife mit meinen über Edwards Lippen, doch bevor in ihn küsse, trete ich mit meinem Bein gegen seine Wade, sodass Edward das Gleichgewicht verliert und mit dem Rücken auf den Boden kracht, schmerzerfüllt aufschreit.

Ich grinse ihn triumphierend an, beuge mich über Edward und schaue ihm in die Augen. ,,Tipp Nummer eins beim Kämpfen mit gutaussehenden Mädchen: Lass dich nicht von ihnen verführen!", meine ich schließlich selbstgefällig, schenke ihm noch ein letztes Lächeln und stolziere schließlich aus dem Boxring in Richtung Tür. Jedenfalls versuche ich, zu stolzieren, stolpere aber, als ich den Boxring verlasse, weswegen ich fast hinfalle, mich aber im letzten Moment fasse, gerade hinstelle und so tue, als hätte niemand es gesehen.

,,Das hab ich gesehen, Fee!", kommt es aber von hinten, weswegen ich mir einen inneren Schlag für meine Dummheit verpasse, mich jedoch nicht zu Edward umdrehe, da ich mich sonst an seinem Anblick verlieren würde.

So öffne ich also die Tür, trete aus dem Raum und werfe einen letzten Blick auf Edward, der sich inzwischen aufgesetzt hat und mir nachguckt. ,,Wir sind noch nicht fertig mit dem Training, Fee!", ruft er mir zu, doch ich lächle nur entschuldigend und schüttle den Kopf.

,,Mein Hals wurde mir gestern aufgeschnitten, ich denke das reicht für heute." Schließlich schließe ich die Tür hinter mir und atme erleichtert aus, grinse dabei wie ein Idiot. Edward hat sich von mir verführen lasen. Ich habe den Kampf gewonnen. Tatsächlich habe ich etwas Unerwartetes gemacht.

Den restlichen Tag verbringe ich größtenteils damit, in meinem Zimmer wie eine Verrückte herumzulaufen und zu versuchen, das Durcheinander in meinem Kopf zu sortieren. Das stellt sich jedoch als ein bisschen kompliziert heraus, da mein Kopf sowieso immer ein Durcheinander ist, was meine derzeitige Situation nur noch verschlimmert.

Die letzten Tage waren alle so ereignisreich, es ist eigentlich zu viel für mich. Gestern morgen waren Edward und ich noch bei E.A.T.E.R., dann haben wir uns geküsst und nur einen Tag später küsst er mich noch einmal. Irgendwie kommt es mir so vor, als wäre gestern vor einer Woche gewesen, doch als ich auf mein Handy schaue bestätigt es sich, dass es Dienstag ist.

Um dem Ganzen noch einen draufzusetzen ist Lee auch noch entführt worden und Isabelle möchte mich ausliefern, um ihn zurück zu bekommen. Weiterhin etwas, das mir vollkommen suspekt ist. Eigentlich ist das alles zu viel für mich, ich wünschte so sehr, ich wäre immer noch das naive Mädchen im Waisenhaus, dessen größtes Problem es ist, dass die Sommerferien viel zu kurz sind.

Damals hatte ich keine Sorgen und keine Probleme, ich habe gelebt, ohne mir je Gedanken über etwas zu machen. Aber wäre ich wirklich gerne wieder so? Die Zeit hier hat mich einiges gelehrt. Und damit meine ich nicht nur, wie man mehr als zwei Liegestützen macht, nein, ich denke ich wurde auch erwachsener. Auch wenn Edward stets noch behauptet, ich sei kindisch, so habe ich mich eindeutig verbessert. Ich beginne langsam, Verantwortung zu tragen, mir Gedanken zu machen und etwas taktvoller zu werden.

Anscheinend hat also nicht nur mein Verhalten auf Edward abgefärbt, sondern auch ein kleines Fünkchen seiner Vernunft auf mich. Aber auch wirklich nur ein sehr kleines.

Beim Abendessen verhalten Edward und ich uns, als wäre nichts zwischen uns geschehen. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem Edward folgendes fragt: ,,Geht es dir gut?"

Ich schaue mit gerunzelter Stirn zu ihm auf, wundere mich, warum er das genau jetzt fragt. Wahrscheinlich wirke ich etwas neben der Spur. Das bin ich auch, ich hätte aber nicht gedacht, dass Edward genug Empathie besitzt, um das zu merken. ,,Klar, wie kommst du darauf, mir würde es nicht gut gehen?", frage ich also und überspiele meine Verwirrung, schiebe mir anschließend lächelnd eine Nudel in den Mund.

Edward schaut mich misstrauisch an. Ich erkenne in seinen Augen aber auch etwas anderes als Misstrauen, es sind Angst und Verschlossenheit. Seit wann ist Edward wieder verschlossen mir gegenüber? ,,Edward? Dir geht es nicht gut, oder?", frage ich also mit einem ebenso misstrauischem Blick, da mich sein Verhalten gerade wirklich verwundert.

,,Mir geht es gut es ist nur..." Er verstummt. Ich schiebe meine linke Augenbraue erwartend hoch, doch Edward senkt nur seinen Kopf und sticht eine Nudel mit seiner Gabel auf.

,,Sag mir einfach, was Sache ist, Edward. Um den Brei herumzureden bringt jetzt auch nichts." Edward schaut wieder auf, nickt entschlossen und presst dabei seine Lippen zusammen. Er atmet tief durch, erklärt schließlich:

,,Um halb acht ist ein Meeting und-"

,,Warte!", unterbreche ich ihn schmunzelnd aber dennoch verwirrt, werfe Edward einen Ist-Das-Dein-Ernst-Blick zu. ,,Du macht hier so ein Drama um ein Meeting?"

Edward seufzt tief, aber kaum hörbar, weiterhin mit etwas Verschlossenheit in seinem Ausdruck. ,,Du hast mich ja auch nicht ausreden lassen, was ich nämlich eigentlich sagen wollte, ist, dass du nicht mitkommst."

,,Bitte was?" Ungläubig schaue ich Edward an. ,,Wieso sollte ich nicht mitkommen, immerhin wird es um mich gehen!"

,,Ich weiß, dass du größtenteils das Thema sein wirst und Isabelle hat auch gesagt, dass du mitkommen sollst aber-"

Weiter kommt Edward nicht, denn ich unterbreche ihn wieder: ,,Isabelle hat sogar gesagt, ich soll kommen? Also ist das doch klar, ich komme mit!" Langsam baut sich etwas Wut in mir auf. Wie kann sich Edward überhaupt die Freiheit nehmen, zu entscheiden, ob ich mitkomme oder nicht? Das ist ganz allein meine Entscheidung!

,,Fee, du kannst nicht mitkommen, das ist-"

,,Das ist was?", unterbreche ich ihn noch ein weiteres Mal. ,,Edward, es liegt ganz allein bei mir, zu entscheiden, ob ich mitkomme oder nicht, das hast du nicht zu entscheiden, nur weil du der Ansicht bist, man könnte mich noch wie ein Kind behandeln! Ich werde zu diesem Meeting gehen, ob du willst, oder nicht."

Der Ausdruck auf Edwards Gesicht verhärtet sich. Es sieht nicht mehr so aus, als würde er vorsichtig mit mir sprechen wollen, sondern als hätte ihn jetzt auch etwas Wut gefasst. Eventuell, weil ich ihn die ganze Zeit unterbreche. Das hat er aber auch verdient, denn ich bin es langsam so Leid, wie ein Kind behandelt zu werden, das soll Edward gefälligst verstehen!

Edward atmet tief durch, schließt seine Augen, öffnet sie wieder und zischt: ,,Du wirst heute Abend nicht mitkommen, Fee. Mir ist es scheißegal, ob du das willst oder nicht, du kommst nicht mit! Im Notfall sperre ich dich in deinem Zimmer ein!"

,,Sonst noch was?", rufe ich empört aus, lasse meine Gabel geräuschvoll in den Teller fallen und stehe energisch auf. ,,Ich komme mit, ob du es willst oder nicht!" Anschließend nehme ich mir meinen Teller und stolziere zur Küche, wo ich ihn in die Spülmaschine einräume.

Daraufhin mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer, würdige Edward keines Blickes, während ich an ihm vorbeilaufe und schlage die Tür laut hinter mir zu, sobald ich in meinem Zimmer bin.

Nach einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es bereits sieben Uhr ist, wir also in einer halben Stunde im Hauptquartier sein müssen, weswegen ich mich umziehe und anschließend immer noch wütend auf meinem Bett sitzend darauf warte, dass Edward die Wohnung verlässt.

Nach ungefähr fünf Minuten öffnet sich die Tür zu meinem Zimmer, woraufhin ich aufschaue und sehe, wie Edward etwas schüchtern lächelnd in der Tür steht. ,,Also das Zuschlagen der Tür war wirklich ein bisschen kindisch", bemerkt er schmunzelnd, weswegen ich meine Augen verdrehe, aber auch etwas zurück schmunzle.,,Ich gehe jetzt los-"

,,Wir gehen jetzt los", verbessere ich ihn, stehe auf, doch Edward schüttelt entschlossen mit dem Kopf.

,,Edward, ich werde mitkommen!", protestiere ich und wieder kommt diese Wut in mir auf, weswegen ich meine Hände in die Taille stemme. Edward spannt seinen Kiefer an, was ihn verdammt seriös und gut aussehen lässt, doch kaum dass ich das gedacht habe, verdränge ich diesen Gedanken. Ich streite mich gerade mit Edward, kann also nicht währenddessen über sein perfektes Aussehen schwärmen!

Edward jedoch scheint nicht unbedingt an einem Streitgespräch interessiert zu sein, er macht nämlich einfach auf dem Absatz kehrt und läuft in Richtung Tür. Wutentbrannt folge ich ihm, sehe, wie er die Tür nach draußen bereits öffnet. ,,Edward!", schreie ich, komme auf ihn zu und zerre an seinem Arm, um ihn daran zu hindern, rauszugehen.

Er jedoch schüttelt mich ohne Probleme ab, weswegen ich ein paar Schritte nach hinten stolpere, Edward in dieser Zeit nach draußen tritt. ,,Sei mir nicht Böse, es muss so sein. Ich schließe dich ein, Fee."

Ich möchte ihn daran hindern, doch schon hat Edward die Tür geschlossen, woraufhin ich höre, wie er sie von außen schließt. ,,Verdammtes Arschloch!", schreie ich ihm zu, in der Hoffnung, dass er es hört. Anschließend verlasse ich energisch den Flur, stehe unentschlossen vor Edwards Zimmertür.

Warum ich gerade auf dieses Thema so wund reagiere kann ich mir nicht erklären, doch dass Edward mich einfach so hier eingeschlossen hat, macht mich verdammt wütend. Wahrscheinlich, weil ich dachte, er hätte aufgehört, mich wie ein Kind zu behandeln. Ich dachte, endlich würde mich eine Person respektieren, doch mal wieder war ich zu naiv.

Edward ist wie jeder andere und hält mich für einen Witz. Verdammt, ich bin ein Witz! Ich atme tief durch, öffne schließlich Edwards Zimmertür, die er zum Glück nicht mehr vor mir abschließt. Was ich in seinem Zimmer vorhabe, weiß ich selbst nicht, doch keinen Plan zu haben, ist schließlich nichts Neues für mich.

Mir auf die Lippe beißend schaue ich mich in seinem Zimmer um. Es sieht so aus wie immer, perfekt aufgeräumt. Das ist bei meinem nicht der Fall. Als mein Blick jedoch auf Edwards Nachttisch fällt, entdecke ich etwas, das nicht aufgeräumt ist. Ein Buch. Neugierig nehme ich es in die Hand und schmeiße mich auf Edwards weiches Bett.

Ich erkenne sofort am Cover, welches Buch es ist. '20000 Meilen unter demMeer' von Jules Verne ist eines meiner Lieblingsbücher. Lächelnd schlage ich die erste Seite auf und bemerke, dass Edward dieses Buch mit Garantie nicht zum ersten Mal liest.

Kaum habe ich jedoch die ersten Seiten gelesen, kann ich auch nicht mehr aufhören und lese immer weiter. Aus irgendeinem Grund überkommt mich mit der Zeit jedoch eine Müdigkeit, weswegen ich nach öfterem Gähnen in einen tiefen Schlaf falle.

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