XIV.

Kapitel 14

,,Los, steh auf, es gibt Frühstück!", sind die liebevollen Worte, die mich an nächsten Morgen wecken. Immerhin sind sie freundlicher als sonst. Normalerweise platzt Edward wenn ich verschlafe, was eigentlich immer der Fall ist, laut in mein Zimmer rein, schaltet das Licht an und sagt, wenn er ganz sozial ist, noch das Wort 'Frühstück'.

Auch wenn man sich unter einer angenehmen Art des Weckens etwas anderes vorstellt, war das für Eddieleinis Verhältnisse eindeutig eine außergewöhnliche Tat, die gefeiert werden sollte.

Seufzend, da die Kopfschmerzen von gestern leider nicht verschwunden sind, stehe ich auf und suche nach einer E.A.T.E.R. Kopfschmerztablette in meinem Rucksack. Ich gieße mit einer Karaffe, die ich mir auf meinen Nachttisch gestellt habe, Wasser in ein Glas und lasse anschließend die Tablette darin auflösen. In einem Zug trinke ich das gesamte Glas aus und beginne schließlich, mich umzuziehen. Sobald ich meine dunklen Haare in einem Messidutt zusammengebunden habe, verlasse ich sehr verschlafen den Raum. Mir die Augen reibend betrete ich die Küche.

,,Zwar habe ich mir das perfekte Wecken von meiner nicht existierenden Mutter etwas anders vorgestellt, aber das hier gerade war sozialer denn je, wie kam es zu diesem Geistesblitz?"

,,Du hast dir vorgestellt, wie deine Mutter dich wecken würde?", möchte Edward von mir wissen, der an der Kaffeemaschine steht und irgendwelche Knöpfe betätigt. Ich setze mich auf eine Küchenablage, betrachte ihn dabei.

,,Natürlich habe ich das. Das macht doch jedes Kind, oder? Jedenfalls bis man versteht, dass es nie so sein wird." Gegen meinen Willen wird meine Stimme etwas verbittert gegen Ende. Wahrscheinlich guckt Edward auch aus diesem Grund zu mir, versucht, meinen Blick zu deuten.

Doch ich habe gelernt, damit zurechtzukommen, ich habe gelernt, meine Gefühle zu verstecken, also frage ich eine Gegenfrage: ,,Was ist mit dir? Hast du Familie?"

,,Warum versteckst du deine Gefühle?", hinterfragt Edward jedoch auch meine Frage. Hätte ich mir doch denken können. Er kennt jeden dieser Tricks.

,,Warum entweichst du meiner Frage?"

,,Ich hab zuerst gefragt", behauptet Edward, nimmt seine Tasse Kaffee in die Hand und dreht sich mit seinem gesamten Körper zu mir.

,,Ich verstehe einfach nicht, wie ihr alle so etwas ekeliges wie Kaffee trinken könnt", entgegne ich ihm jedoch, in der Hoffnung, ihn dieses Mal vom Thema ablenken zu können.

Edward wirft seinen Blick auf die Tasse in seinen Händen, lacht etwas. Sein Lachen ist wirklich schön, ehrlich und tief. Auch wenn ich ihn bis jetzt selten Lachen gesehen habe. ,,Für uns Unmenschen ist Kaffee gar nicht so eklig."

,,Ich wusste doch schon immer, dass du kein Mensch bist", antworte ich ihm schmunzelnd, kratze mich an meiner Stupsnase.

,,Jetzt im Ernst, Kaffee schmeckt doch gut, was hast du dagegen?"

,,Ich mag keinen Kaffee", sage ich schlicht, zucke mit den Schultern.

,,Das ist keine Antwort. Hast du Kaffee überhaupt schon mal probiert?"

,,Klar habe ich das. Schmeckt bitter. Außerdem hat ein Typ aus dem Waisenhaus mal eine Tasse von dem Zeugs über mir verschüttet, als ich fünf war. Und das war scheiße heiß. Seitdem hasse ich Kaffee. Gut, da hatte ich ihn wirklich noch nicht probiert."

,,Wir sollten beginnen, zu frühstücken", meint Edward und setzt seine Beine in Bewegung, um zum Esstisch zu laufen.

,,Sag mal?", frage ich Edward während wir uns an den Tisch setzten. ,,Du hast mir immer noch nicht erzählt, wie alt du bist, kannst du mir das vielleicht endlich sagen?"

Edward nippt an seiner Tasse Kaffee, lächelt ein bisschen. ,,Warum dich das bloß so sehr interessiert? Ich bin 21 Jahre alt."

Er ist also doch keine 40 und hat schon sehr viel Botox im Gesicht. Zum Glück. Das wäre nämlich echt verstörend gewesen. ,,Hast du Familie?", frage ich weiter, um so lange er noch etwas gesprächig ist, so viel wie möglich über ihn zu erfahren.

,,Sag mal, wird das jetzt ein Verhör, oder wieso fragst du mich so aus?"

,,Ich frage dich nicht aus, ich habe gerade einmal zwei Fragen gestellt. Im Ernst, du weißt bestimmt extrem viel von mir, wahrscheinlich sogar mehr als ich selbst, also darf ich doch bitte etwas mehr als deinen Namen wissen! Nicht einmal den kenne ich vollständig."

,,Nun gut, da es tatsächlich stimmt, dass ich ziemlich viel über dich weiß, antworte ich. Ich habe eine kleine Schwester, Christina."

,,Christina", überlege ich. ,,Wie alt ist sie denn?"

,,Sie ist 16, würde sich dir gutalso  verstehen", entgegnet mir Edward, etwas lächelnd von der Vorstellung seiner Schwester. ,,Sie geht aber auf ein Internat etwas weiter weg, sie kommt mich also selten besuchen."

,,Und was ist mit deinen Eltern?", möchte ich von Edward wissen, beiße schließlich ein Stück von meinen Brötchen ab.

,,Ich habe keinen Eltern mehr", ist Edward's schlichte Antwort.

,,Oh", sage ich etwas betroffen, jedoch nicht zu sehr, immerhin kenne ich dieses Szenario genauestens. ,,Naja, da haben wir wohl das selbe Schicksal."

Als jedoch Edward nur seinen Kopf einzieht und mir nicht antwortet, werde ich etwas skeptisch. Vor allem wenn ich an die Worte denke, die der Mann im Aufzug sagte. Er sagte, 'sie' sei seine Tochter. Also ist meine Vermutung, dass ich einen Vater habe, korrekt?

,,Edward?", frage ich also und sehe ihn zweifelnd an. ,,Das stimmt nicht, oder?"

,,Was denn?", fragt er, als wüsste er nicht, wovon ich spreche.

,,Du weißt ganz genau, wovon ich spreche."

,,Hm", entgegnet er mir, leert plötzlich seine gesamte Tasse Kaffee, steht auf und meint: ,,Mein Kaffee ist leer, ich glaube, ich mache mir einen neuen."

Und schon wieder habe ich es vermasselst, etwas über mich herauszufinden. Immerhin habe ich jetzt aber die Bestätigung, dass ich mindestens noch ein Elternteil habe. Vielleicht sogar beide.

Komisch. All die Jahre habe ich mir immer gewünscht, Eltern zu haben. Jedes Kind im Waisenhaus hatte die Hoffnung, dass eines Tages die Eltern im Waisenhaus auftauchen und einen mitnehmen. Doch jetzt, als mich diese Information so plötzlich und in diesem bescheuerten Zusammenhang überrumpelt, weiß ich nicht, wie ich darüber denken soll.

Vielleicht sind meine Eltern auch nicht die sympathischsten Leute. Womöglich haben sie mich sogar weggegeben, weil sie keine Lust mehr auf mich hatten. Das wäre dann schon eine der schlimmsten Vorstellengen.

Eins ist jedenfalls klar: Edward ist zur Zeit meine einzige Chance, an diese Informationen zu gelangen, also darf ich nicht aufgeben, ihn diesbezüglich auszufragen.

Wie es sich leider aber ein weiteres Mal zeigt, ist das ganze nicht unbedingt einfach. Genauer gesagt, bekomme ich das gesamte Frühstück nicht eine einzige Information über meine Eltern. Oder über Edward. Um ehrlich zu sein hatte ich aber auch nichts anderes erwartet. Edward ist zwar ausgesprochen nett heute, doch darüber scheint er immer noch nicht reden zu wollen.

Da wir heute zum Glück nicht joggen gehen, trainieren wir sofort nach dem Frühstück. Vollkommen fertig stehe ich also im Boxring und versuche mich, von dem Krafttraining von gerade eben zu erholen, während ich mir die Boxbandagen um die Hände binde. Zum Glück hat die Kopfschmerztablette gewirkt, auch wenn ich das letzte Mal davon umgekippt bin und deswegen im Krankenhaus lag. Womöglich war das vorhin ein wenig unverantwortlich, doch ich habe aus Gewohnheit aus gehandelt.

,,Also, heute wollen wir das Verbinden all der Kampftechniken, die du inzwischen kannst noch etwas besser üben", meint Edward, der noch längst nicht so angestrengt aussieht wie ich, dabei hat er all das Krafttraining ebenfalls mitgemacht.

,,Wozu das denn wieder?", nörgle ich, denn das ist so ziemlich das Anstrengendste überhaupt.

,,Naja, du bist noch etwas starr beim Kämpfen, du musst dich entspannen und alles anwenden, was du kannst, damit du wirklich gut kämpfen kannst."

,,Ja klar, ich bin natürlich tiefen entspannt, wenn ich gegen einen drei Köpfe größeren mit muskelbepackten Typen kämpfe, der all meine Kampftechniken kennt, da er sie mir schließlich beigebracht hat!"

,,Und genau das ist dein Problem!", sagt Edward energisch, während ich nur skeptisch mein Gewicht auf das andere Bein verlagere. ,,Du denkst, dass du gegen einen größeren Typen nicht gewinnen könntest und hast deswegen Angst. Gut, gegen mich würdest du wirklich nicht gewinnen, aber das musst du doch auch gar nicht. Im ernst, erinnerst du dich an den Typen im Aufzug? Den hättest du locker besiegt."

Ich schnaube skeptisch aus, weil ich Edward nicht wirklich glaube. ,,Du glaubst mir nicht, oder?", fragt Edward und liest damit ganz genau meine Gedanken. ,,Es ist aber so. Auch wenn ich so etwas noch nie gesagt habe, aber inzwischen bist du wirklich ziemlich gut. Nur weil du klein und zierlich bist, heißt das doch nicht, dass du schlecht wärst. Also streng dich jetzt bitte wirklich an, ich werde dir nicht wehtun."

Ich seufze ergeben und stelle mich in Kampfposition. Nach drei Runden, in denen ich jedes Mal wieder von Edward auf den Boden geschleudert wurde, bin ich dann aber wieder demotiviert.

,,Du hast Recht", meine ich, gucke mir die Decke des Raumes an, während ich verschwitzt auf dem Boden des Boxringes liege. ,,Ich werde nie gegen dich gewinnen. Natürlich außer wenn du dich extra schlecht stellst."

Edward reicht mir seine Hand und hilft mir auf. ,,Wenn du den Schwung nutzen würdest, wenn ich dich über meinen Kopf schleudere, würde das ganz anders aussehen. Das ist ein Vorteil, wenn man klein ist. Du musst so eine Art halben Salto machen, dich wieder hinstellen und dann den Moment des Verwirrens deines Gegners nutzen, um ihn auszuschalten."

,,Ach sonst noch was?", möchte ich frustriert wissen, denn Saltos gehören zufälligerweise nicht wirklich zu meinem Fachgebiet.

,,Das ist nicht so schwer, wie es klingt. Roxy hat das in einem Tag gelernt und ist vor allem mit diesem Trick eine der besten Agentinnen in...äh, naja, sie ist eine der Besten."

,,Ich dachte immer, den Physikkurs satt dem Biokurs zu nehmen wäre mein größter Fehler gewesen, aber mein größter Fehler war es eher, als du mich entführt hast nicht wegzulaufen", meine ich frustriert, stelle mich in Kampfposition.

Edward greift mich an, rechtfertigt sich währenddessen: ,,Ich habe dich zurück entführt, damit das klar ist. Hätte ich das nicht getan, dann wärst du jetzt...naja, dann wäre jede Menge Scheiße passiert. Außerdem wissen wir beide, dass du es keine hundert Meter weit geschafft hättest."

Ich entweiche einem Schlag von Edward, trete ihm anschließend in den Bauch. ,,Ich hätte es bestimmt einen halben Kilometer weit geschafft!"

,,Ach komm", widerspricht mir Edward, entwicht geschickt einem Angriff von mir. ,,Du bist schlecht in Physik?"

,,Ja", stimme ich ihm zu, kassiere einen Tritt von Edward gegen meinen Oberschenkel ein und zische schmerzerfüllt auf. ,,Wenn es um Naturwissensschaffeten geht, bin ich das klischeehafte Mädchen, grottenschlecht. Das ist wirklich bescheuert, ich hasse nämlich Vorurteile!"

,,Da ergänzen wir uns ja gut", meint Edward etwas lachend. ,,Da bin ich nämlich der klischeehafte Typ."

,,Tatsächlich?", frage ich nach, doch kann den Rest meiner Frage nicht formulieren, da Edward den Moment nutzt, in dem ich abgelenkt bin, mich auf den Boden schleudern möchte. Ich denke jedoch daran, was Edward gesagt hat, nutze den Schwung, mache auch wirklich nur eine Art Salto, stelle mich wieder hin und nutze Edward's Verwirrung, um gegen seine Beine zu treten, woraufhin er auf den Boden fällt. Ich stelle meinen Fuß auf seinen Bauch, um zu demonstrieren, dass ich gewonnen habe.

Edward lächelt mich von unten an, ich reiche ihm meine Hand und helfe ihm hoch. ,,Du könntest mir ja Nachhilfe geben, damit ich mein Abi bestehe", sage ich grinsend.

,,So schlecht bist du also?", fragt er nach, sobald er wieder auf den Beinen steht.

,,Naja, bis jetzt war das nur in Physik so, in Chemie auch, aber das hab mich ich abgewählt."

,,Wir werden sehen", antwortet mir Edward, stellt sich wieder in Kampfposition.

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