X.
Kapitel 10
,,Edward, ich bin jetzt schon tot, wir müssen eine Pause machen!", schreie ich Edward von hinten aus zu, während wir die Lichtentaler Allee entlang joggen. Um diese Zeit ist es hier so gut wie leer, nur ein paar Hundebesitzer gehen mit ihren Hunden Gassi oder ein paar andere Menschen sind so doof wie wir und gehen um diese Zeit joggen.
,,Wir joggen jetzt seit genau fünf Minuten, wie kannst du jetzt schon tot sein, Felicia?"
,,Joggen", keuche ich und nehme schnappend Luft. ,,...ist verdammt anstrengend!"
,,Wir joggen mindestens 20 Minuten, ich habe damit gerechnet, also schaffst du das jetzt auch! Streng dich gefälligst etwas an!" Wie schafft er es nur, noch so normal zu reden? Wie kann man so eine gute Ausdauer haben? Ich bin jetzt schon rot wie eine Tomate, während Edward immer noch aussieht wie ein perfekt gestyltes Sportsachen-Model, das aber nicht wirklich rennt.
,,Das Laufband war irgendwie leichter als das hier", beschwere ich mich außer Atem und versuche, dass Seitenstechen an meiner Taille zu ignorieren.
,,Das liegt daran, dass ich es so ziemlich auf die leichteste Stufe gestellt habe. Und mal so ein Tipp: Wenn du aufhörst zu reden, hast du kein Seitenstechen."
Woher um alles in der Welt weiß er denn, dass ich Seitenstechen habe?! Das ist wirklich nicht mehr normal! Da er aber zum ersten mal überhaupt recht damit hat, dass ich schweigen soll, halte ich wirklich meinen Mund und schaffe es tatsächlich, diese 20 Minuten durchzurennen, ohne eine Pause.
Währenddessen betrachte ich die Ansammlung an Bäumen, da diese Allee wirklich wunderschön ist. Baden-Baden ist eben eine wunderschöne Stadt, dennoch bin ich jedes Mal auf's Neue fasziniert, wenn ich die schönen Parks, die alten Gebäude und die ordentlichen Straßen sehe. Das muss wohl der Grund sein, warum es hier so viel Tourismus gibt.
Ich bin jedoch vollkommen demotiviert, als Edward mir, nach einer kurzen Pause, in der ich mich wie ein kleines Kind darüber gefreut habe, so viel gerannt zu sein, eröffnet, dass wir diesen gesamten Weg noch zurück rennen werden. Er hätte mich wirklich vorwarnen können, dann wäre ich nicht so überrascht gewesen.
So komme ich also vollkommen erschöpft wieder 'zu Hause' an und möchte um ehrlich zu sein sofort in die Dusche. Da ich aber klug mitdenke, entscheide ich mich, nach dem Training zu duschen, das macht deutlich mehr Sinn.
Kaum dass ich ein bisschen Zeit zum Ausruhen hatte, hält ein Lieferwagen vor der Tür. Zwei schwarz gekleidete Männer bringen einige Taschen in mein Zimmer, in denen sich eigentlich alles, was ich besitze, befindet.
Ich brauche ungefähr zwei Stunden, um alles einzuräumen. In einer der Taschen finde ich auch einen kleinen Zettel, auf dem eine Handynummer steht. Darunter steht in einer unordentlichen Schrift, die ganz sicher von Vincent ist: Weil du meine Nummer immer noch nicht kannst :)
Ich grinse sofort wie ein Idiot. Immerhin kann ich jetzt mit meinem besten Freund telefonieren. Bei all dem Stress habe ich vergessen, dass ich seine Nummer nur auf meinem alten Handy hatte, und nicht auf dem Neuen.
Da ich Vincent unbedingt alles erzählen möchte, speichere ich, nachdem ich alles eingeräumt habe, seine Nummer in meinem neuen Handy ein und rufe ihn an. Es tutet zwei Mal, dann nimmt er ab: ,,Hallo?"
,,Ramses Pyramiedenverleih hier, es geht um ihre Bestellung vom 12.5. hätten sie kurz eine Minute Zeit?", begrüße ich Vincent mit einem Insider, sodass er mich sofort erkennen kann.
,,Also echt, Fee, langsam ist das nicht mehr lustig, lass dir mal einen neuen Spruch einfallen!", beschwert sich Vincent daraufhin sofort und ich höre etwas hinter der Leitung rascheln. Wahrscheinlich hat er sich auf sein Bett gelegt. Ich gebe zu, dieser Spruch ist wirklich veraltet und Menschen die ihn nicht verstehen, sollten wirklich denken, ich wäre verrückt. Sie können schließlich nicht wissen, dass Vincent und ich früher immer Ägypter gespielt haben. Wie dieser Satz entstand, weiß ich jetzt auch nicht mehr. Leider.
,,Ja, ich bin schon dabei, aber so etwas ist echt nicht einfach, musst du wissen! Außerdem finde ich es lustig, dass es dich nervt. Aber kommen wir nun zu den wichtigen Sachen: Sag mal Vivien, dass ich es überhaupt nicht cool finde, dass sie mir einfach meine 'Naked 2' Palette geklaut hat. Und wehe sie kommt jetzt mit der Ausrede, dass das aus Versehen war, denn das glaube ich ihr nicht, sie ist nämlich schon seit ich sie mir gekauft habe, hinter dieser Palette her."
,,Okay, ich hab keine Ahnung von was du da gerade geredet hast. Kommen wir zu den wirklich wichtigen Dingen: Wo bist du und was machst du?"
,,Oh, da hab ich dir eine Menge zu erzählen. Also ich weiß nicht, was man euch erzählt hat, aber wahrscheinlich, dass ich adoptiert wurde. Naja, rein theoretisch wurde ich das ja auch. Also, zur Kurzfassung: Ich war im Krankenhaus, da haben mich irgendwelche Idioten entführt, ich bin in so einem bescheuerten Kerker aufgewacht, wurde dort von einem verdammt gut aussehendem Typen gerettet, der aber ein Arsch ist. Der hat mich zu einem mysteriösem Hauptquartier von einer mysteriösen Organisation mit mysteriösen Mitgliedern gebracht, die mir nichts erzählt haben, außer, dass ich in Gefahr bin und mein Arschloch-Retter jetzt auf mich aufpassen muss, also wohne ich jetzt bei ihm, hab ein richtig krasses Zimmer und ein Iphone. Der Nachteil ist, dass ich auch zu einem Spion oder so ausgebildet werde, also muss ich den ganzen Tag Sport machen und gesundes Essen essen."
,,Ach du scheiße", sind die ersten Wörter, die nach einer kurzen Pause aus dem anderen Ende der Leitung kommen. Ich muss grinsen, denn ich kann mir das Gesicht, das Vincent jetzt machen sollte, genaustens vorstellen. ,,Und uns wurde erzählt, dass du von einer ganz tollen Familie mit zwei kleinen Kindern adoptiert wurdest."
,,Kreativ", ist meine schlichte Antwort darauf. Frau Müller war noch nie besonders gut im Lügen. Vincent und ich reden noch einige Zeit miteinander, ich erläutere ihm die letzten beiden Tage genauer und wir diskutieren über Edward und auch die Organisation. Ich eröffne ihm auch meinen Plan, heute in Edwards Büro einzubrechen.
Doch eventuell hätte ich etwas leiser sprechen sollen, während ich mit Vincent telefoniert habe, denn beim Mittagessen, wir essen das was von gestern Abend übrig geblieben ist, fragt mich Edward, mit wem ich denn vorhin geredet habe.
,,Ich...habe mit niemandem geredet. Mit wem auch?", ist meine Antwort auf besagte Frage. ,,Das waren...Selbstgespräche."
,,Selbstgespräche?", möchte Edward verwundert wissen und zieht seine (übrigens perfekt geformte) Augenbraue hoch.
,,Ja, die sind echt super, wenn man seine...Gedanken sammeln muss, solltest du auch mal versuchen." Ich lächle ihn unschuldig und überzeugend an, worauf er nur mit einem skeptischem Blick antwortet.
Inzwischen sollte Edward mich wirklich für verrückt halten.
Wenn man es genau nimmt, halten mich alle Menschen, die mich nicht lange kennen, für verrückt, aber das hat auch Vorteile. Somit werde ich immer unterschätzt und wenn ich dann später die Erwartungen mit meiner eindeutig vorhandenen Intelligenz übertreffe, sind alle so überrascht, dass sie denken, ich wäre ein Superhirn. Wie Sherlock Holmes.
Okay, ich sollte es nicht übertreiben.
Nach dem Essen ist es dann so weit, ich werde sterben. Genauer gesagt muss ich dann mit Edward trainieren, was aber dieses Mal noch härter ist, immerhin bin ich schon vom Joggen am Morgen angestrengt. Wir trainieren die Arme und die Schultern, worin ich anscheinend noch schlechter bin, als bei den Beinen. Falls das überhaupt noch möglich ist.
Danach bringt mir Edward Judo bei, was ausgesprochen viel Spaß macht, um ehrlich zu sein. Es macht wirklich Spaß. Ich bin sogar besser als gedacht. Zwar habe ich mir auch nicht unbedingt hohe Erwartungen angestellt, aber das muss schließlich niemand wissen.
Sobald wir endlich mit dem Training fertig sind, begebe ich mich in meine hoch ersehnte Dusche. Danach ziehe ich mir eine schwarze Leggins und einen schwarzen Oversize- Pulli an, um bei meiner Mission seriöser zu wirken. Nur, dass mich niemand sehen wird, das Ganze also vollkommen sinnlos ist.
Kaum dass Edward die Wohnung verlassen hat, öffne ich die Zimmertür und tapse durch die Wohnung, auf der Suche nach dem Schlüssel zu Edwards Zimmer. Natürlich habe ich erst versucht, die Tür zu öffnen, obwohl mir eigentlich klar war, dass er sie abgeschlossen hat. Hoffentlich hat er den Schlüssel aber nicht mitgenommen, das wäre nämlich äußerst fatal.
Jetzt ist also nur die Frage, wo er ihn versteckt hat. Zuerst gucke ich über der Tür von seinem Zimmer, doch dass der Schlüssel dort nicht ist, hätte ich mir denken können. Edward ist klug, also muss er sich etwas Kreativeres einfallen lassen haben. Aber was?
Ich schaue noch an einigen Orten, wie z. B. in seinem Bücherregal im Wohnzimmer, im Vorratsschrank oder im Badezimmer, doch nirgendwo ist der Schlüssel zu finden. Als ich gerade den Weg zurück in den Flur gehe, kommt mir eine Idee.
Edward ist wirklich klug, er würde also einen Ort nehmen, an dem niemand den Schlüssel erwartet. Dort, wo er gut getarnt ist. Dort, wo ein Mensch, der nie nach Geheimnissen sucht, ihn wahrscheinlich auch sofort finden würde.
Der Schlüsselkasten.
Eigentlich eine ziemlich gute Idee, vor allem wenn man bedenkt, dass ich alles immer viel dramatischer mache, als es das ist. Edward wird sich gedacht haben, dass ich erst an all den guten Verstecken gesucht habe. Was ich, wenn man es genau nimmt, auch getan habe.
Neben der Tür befindet sich der Schlüsselkasten, den ich öffne und schließlich darin nach einem einzelnen Schlüssel suche. Davon finde ich ganze vier Stück. Ich nehme alle mit und probiere sie an Edwards Tür aus. Der zweite, mit dem ich das Öffnen der Tür versuche, ist der Richtige.
Mich wie in einem Actionfilm fühlend, öffne ich geheimnisvoll die Tür und schaue mich in dem Zimmer um. Dieses Zimmer ist noch gigantischer als meins. Es hat ebenfalls ein großes Himmelbett in der Mitte, aber eine noch größere Glasfront. Der schwarze Schreibtisch, den ich gestern gesehen habe, ist umzingelt von einem Bücherregal. Ich überfliege die Bücher, finde aber nichts Spannendes, abgesehen von einer Sache.
Hat Edward tatsächlich alle Sherlock- Staffeln in seinem Bücherregal? Um ehrlich zu sein traue ich anfangs meinen eigenen Augen nicht. Er sagte zu mir, dass er die Serie ganz okay finden würde, aber ich glaube, er hat dabei etwas gelogen. Aber Sherlock ist schließlich auch eine Serie, die zu Edward passt. Beide sind so klug und abweisend. Sherlock ist aber klüger und cooler als Edward.
Da ich auf einer wichtigen Mission bin, reiße ich mich zusammen und versuche, mich zu konzentrieren. Ich stelle mich vor den perfekt aufgeräumten Schreibtisch und öffne die Schublade, die mir am wichtigsten vorkommt.
In dieser Schublade befinden sich sehr viele Papiere, einfach hinein geschmissen. Das sieht unserem überaus ordentlichen Edward aber überhaupt nicht ähnlich. Ich kann mir es um ehrlich zu sein überhaupt nicht vorstellen. Vielleicht wollte er etwas hier drin verstecken, immerhin erwartet niemand ein wichtiges Dokument in dieser Unordnung, oder?
Ich hebe den Stapel aus der Schublade und beginne, jedes einzelne Blatt darin zu überfliegen. Das erste, das mir als auffällig ins Auge sticht, ist ein kleiner Notizzettel. Auf ihm steht in einer Mädchenschrift geschrieben: Elitepartner Password: Roxyistcool
Darunter steht in der selben Schrift: In der Hoffnung, dass du es doch mal verwendest :)
Warum um alles in der Welt hat Edward einen Elitepartneraccount? Ich kann mich nicht halten, so sehr muss ich lachen. Das ist zu gut. Also ich wollte zwar eher etwas über die Organisation herausfinden, aber darauf werde ich ihm mal im richtigen Moment ansprechen, auch wenn ich mir bewusst bin, dass ganz sicher Roxy ihm diesen Account gemacht hat, nerven werde ich ihn damit trotzdem.
Das nächste seltsame, dass ich finde, sind IKEA-Möbel Anleitungen. Bei diesen muss ich noch mehr lachen, denn das ist wirklich etwas verstörend. Wer hebt denn bitte sehr so etwas so geordnet auf? Wer benutzt überhaupt Anleitungen? Die sind genauso unwichtig wie die Datenschutzbestimmungen bei den Internetseiten.
Somit hätte ich dann auch schon die nächste Waffe gegen Edward. Er ist schlecht im Schränke aufbauen. Das ist aber immer noch nicht das, wonach ich gesucht habe, also wühle ich weiter.
Endlich stoße ich auf ein Dokument, dass nach einem Wichtigen aussieht. Ein Arbeitsvertrag. Ich überfliege den Zettel, auf dem mehrere Paragraphen mit irgendwelchen Regeln stehen. Was mir ziemlich wichtig erscheint, ist folgender Teil:
Nach § 1 der DSDB (Division zum Schutz Deutscher Bürger) gewähre ich vollkommene Schweigepflicht. Das Weitergeben von Geheimplänen oder geheimen Informationen bedeutet-
Ein Geräusch unterbricht mich. Es ist die sich öffnende Tür und Edwards Stimme: ,,Ich hab es gewusst!"
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