SAM - 36

Diesmal schafft sie ihre komplette Challenge in unter 48 Stunden. Ich habe gerade mal die erste meiner drei Aufgaben abgeschlossen. Das ist beinahe unheimlich und eigentlich unmöglich. Oft haben wir drei oder vier Wochen gebraucht, um alles abzuhaken. Das ist doch völlig abgefuckt. Sie führt uns hinters Licht. Ich weiß nur nicht, was an der Sache faul ist.

Wieder schiebt sie den Umschlag ein. Diesmal ziert sie sich nicht lange und legt ohne zu zögern ihre Liste vor, drückt das Geld ab und geht. Das ist ziemlich heiß und ziemlich schräg.

„Wie ist die denn drauf?", fragt Ian, als sich die Tür hinter ihr schließt.

„Ich möchte schon mal wissen, wie sie das macht. Die zockt uns total ab", jammert John.

Tony zuckt nur lakonisch mit den Achseln. „Wir sind eben träge geworden. Sie hat noch Biss. Sie hat Feuer. Im Bett ist sie sicher wie ein Wirbelsturm. Schaut sie Euch an. Bei dem Körper wird ein Priester schwach. Wer sollte ihr widerstehen können, wenn sie es drauf anlegt?"

Er hat recht. Wer könnte? Ich, weil ich muss.

„Tony, stehst du etwa auf sie?", neckt ihn John.

Seine Antwort will ich echt nicht hören und schiebe meinen Stuhl zurück.

„Ich bin dann weg", sage ich und werfe zwanzig Dollar für meine Getränke auf den Tisch.

Als ich nach Hause komme, brennt bei Cat kein Licht. Sie ist wohl bereits auf der Pirsch. Wütend schlage ich die Tür hinter mir zu. Die letzten zwei Wochen habe ich sie kaum zu Gesicht bekommen. Die nächsten Tage wird es nicht besser: Freitag und Samstag. Da ist sie mit Max und James oder mit Emmi unterwegs. Wann habe ich angefangen sie zu vermissen? Irgendwann nach diesem Kuss im Lift.

Ich schnappe mir ein Six-Pack Bier aus dem Kühlschrank und gehe hinauf auf die Dachterrasse. Überrascht stelle ich fest, dass Cat dort sitzt und auf den Colorado hinausstarrt. Eigentlich sitzt sie nie hier, wenn überhaupt ist sie auf ihrer Seite der Abmauerung.

„Hi", sagt sie. „Ich hoffe es ist okay, dass ich hier sitze? Der Ausblick ist schöner als bei mir."

„Klar. Passt schon", sage ich während ich mich neben sie setze. Aber eigentlich passt es mir gar nicht. Ich will mich einfach zuschütten und dann schlafen. Nachdem ich mir vielleicht noch einen runtergeholt habe, während ich an ihren Kuss denke und mich daran erinnere, wie sich ihre Hand angefühlt hat, als sie... Samuel, pfui, ermahne ich mich. Aber jetzt sitzt sie hier neben mir, da fällt mein Plan A wohl aus.

Cat lächelt mich an. Dann fällt ihr Blick auf das Bier. „Erwartest du noch jemanden?", fragt sie erstaunt.

Mein Grinsen gerät etwas schief. „Ne. Ist alles für mich."

„Das ist ziemlich viel für einen Donnerstagabend, Sam", bemerkt sie.

Wie wahr. Ziemlich viel. Aber nicht annähernd so viel, wie ich bräuchte um ihren Erdbeerduft auszublenden.

„Und", sagt sie unvermittelt. „Wirst du mit mir schlafen?"

Meine Güte ist die hartnäckig. Was süß, aber gleichzeitig nervig ist, weil ich Angst habe, dass ich einknicken werde.

„Cat, warum lässt du es nicht einfach? Ich habe es dir doch erklärt."

„Ist es wegen des Mädchens, das hier vergewaltigt wurde?" fragt sie.

Shit. War ja klar, dass die Scheiße immer wieder hochkommt. Und das Letzte, was ich brauche, ist es, das Ganze noch hundert Mal durchzugehen. Ich will nicht darüber reden. Nicht mal daran denken.

„Nein, Cat es liegt an dir. Ich will einfach nichts von dir. Das unter der Dusche war nett. Aber mehr nicht."

„Myra, hier ist Sam", melde ich mich über die Freisprechanlage. „Wie geht es dir?"

„Ganz gut, danke. Bist du im Auto?"

„Ja, ich war grad in der Nähe und wollte fragen, was du grad machst. Lust auf Kaffee?"

Okay das ist nicht ganz die Wahrheit. Ich bin in ihrer Nähe. Zugegebenermaßen aber nur, weil ich mit ihr reden muss. Dringend.

„Ich bin schwanger. Kein Kaffee für mich. Du kannst aber gerne vorbeikommen."

Ich parke vor ihrem Haus. Ich muss es wissen.

Myra steht in ihrer Küche mit den roten Hochglanzfronten. Passend zu ihrer Kitchen Aid. Ich kriege hier Augenkrebs! Meine Schwester stellt eine Tasse mit Kaffee auf den Tresen und setzt sich mit ihrer Teetasse zu mir.

„Myra, bist du glücklich mit Steve?", frage ich.

Sie strahlt über das ganze Gesicht. Okay. Da habe ich meine Antwort.

„Denkst du manchmal an dein erstes Mal?", platze ich ohne Vorwarnung raus. Ich bin nicht der Diplomat und Myra lächelt ein wenig gequält. Dann nickt sie, legt ihre Hand auf meine.

„Ich wünschte, ich hätte auf meinen kleinen Bruder gehört, der mir viele Monate lang gesagt hat, dass Dan ein Arsch ist", sagt sie dann. „Aber manchmal treffen wir eben dumme Entscheidungen. Und dann müssen wir damit leben. Dass ich ihn auf deine Party mitgebracht habe, das tut mir noch immer entsetzlich leid. Wie hätte ich ahnen sollen, dass er so einen Scheiß abzieht? Wir hatten drei Jahre keinen Kontakt und er wirkte wirklich, als hätte er sich verändert."

Ich fürchte mich vor der nächsten Frage, aber ich muss sie stellen: „Würdest du es rückgängig machen, wenn du könntest? Ich meine, mit ihm zu schlafen, wenn du geahnt hättest, wie sich alles entwickeln würde?"

Sie überlegt eine Weile und in der angespannten Stille hört man nur unser beider Atem und das leise ticken der Wanduhr.

„Ich glaube nicht. Ich war verliebt und ich habe ihm zu dem Zeitpunkt vertraut. Die Sache an sich war ja gut", sie lächelt verschmitzt. „Das Drama außenherum und meinen Fehler, die Sache nach drei Jahren wieder aufwärmen zu wollen, das hätte es nicht gebraucht. Davor hattest du mich aber ja gewarnt."

Ja, ich hatte sie gewarnt. Doch statt ihn im Auge zu behalten, habe ich mich total volllaufen lassen, bis ich nicht mehr geradeaus schauen konnte. Und bis heute mache ich nichts anderes: feiern, ficken und wetten.

Weil es mich ablenkt. Weil ich nicht zum Nachdenken komme, solange ich gut ausgelastet bin. Weil ich ohne die Wetten nicht sein kann. Weil ich ein Arsch bin. Weil ich keine Verantwortung übernehmen will. Weil ich keine Beziehung haben kann. Weil ich ein blöder Wichser bin. Weil ich vor meiner Vergangenheit flüchte.

„Dich trifft keine Schuld", sagt Myra mir zum hundertsten Mal. Aber ich weiß, was Schuld ist. Ich weiß, wie es ist, mit dieser Schuld zu leben.

„Sam, da ist vielleicht noch eine Sache, über die wir reden sollten, ich wollte es nicht am Telefon. Deswegen bin ich ganz froh, dass du hier bist." Sie legt mir ihre Hand auf die Schulter und drückt sie ganz sanft. Mir schwant Übles.

„Du darfst dich aber keinesfalls aufregen, ja? Versprich es mir", fordert sie.

Wie kann ich es versprechen, wenn ich nicht weiß, worum es überhaupt geht? Aber trotzdem nicke ich. Das ist ja schließlich das, was sie von mir erwartet.

„Dan ist seit letztem Mittwoch draußen. Auf Bewährung. Und er wohnt bei seinen Eltern."

Was nichts anderes heißt, als dass er fast direkt vor meiner Tür wohnt. Kann der Tag noch beschissener werden?

„Woher weißt du es?"

„Dan hat Tony gestern Abend angerufen. Und der hat mir dann geappt."

Ja, der Tag kann beschissener werden, denn sie fährt fort:

„Sie treffen sich heute bei der Party im Verbindungshaus, Sam. Ich habe Tony gesagt, dass das nach der Vorgeschichte Mist ist, Dan mit Alkohol und betrunkenen jungen Mädchen unter einem Dach. Aber Tony meint mit der Bewährung würde Dan sich keinen krummen Sachen leisten."

Sein Wort in Gottes Ohr.

„Ich werde ein Auge auf Dan haben. Und James wird ihm eh sagen, dass er sich verpissen soll."

„Sam, und bitte pass auf Cat auf, ja? Sie ist wirklich ein liebes Mädchen und sie passt genau in Dans Beuteschema."

Was zusammengefasst nichts anderes heißt, als dass ich den Abend in Cats Nähe verbringen muss, nachdem ich sie gestern habe abblitzen lassen. Ihr gegenüberzutreten, nachdem ich sie grob behandelt und verletzt habe ist wirklich ätzend. Aber es wird nichts helfen, denn wo James eine Party macht, da ist Max und dann ist auch Cat nicht weit weg.

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