SAM - 20

„Naja, klar kann man das machen. Schön ist aber was anderes", gibt Myra zu bedenken und sieht sich im ersten Stock prüfend um.

„Aber es ist besser, als auf der Straße zu stehen", sage ich und Myra stimmt mir zähneknirschend zu.

Myra nickt immer wieder geistesabwesend, während sie im Kreis herumgeht und kritzelt auf ihrem Block. Die Idee ist eigentlich, wenn ich länger nachdenke, richtiger Mist. Total unausgegoren.

Max sieht angesäuert aus und seiner Stelle würde ich keinesfalls wollen, dass meine Fake-Freundin unter der Wohnung eines totalen Freaks einzieht.

„Wo soll sie eigentlich kochen?", fragt Max. Doch Myra, die grade mit einem Handwerker telefoniert, der das Bad herrichtet, bedeutet uns, leise zu sein. Anschließend macht sie einen weiteren Anruf.

„Wie weit seid ihr in der Smith-Wohnung?", erkundigt Myra sich bei ihrem Gesprächspartner. Sie lauscht auf die Stimme am anderen Ende der Verbindung. „Okay, das klingt doch toll!", lobt sie wen auch immer, „die Küche zieht ihr bitte vor und bringt die Sachen..." Mehr muss ich nicht hören, um zu wissen, dass meine Schwester Weltklasse ist und alles im Griff hat. Ich grinse Max an und widerwillig grinst er zurück. Myra denkt einfach an alles.

Nun fehlt nur noch die Zustimmung von Cats Eltern. Wobei ich an ihrer Stelle drauf scheißen würde, was die alten Herrschaften sagen, aber ich bin zum Glück in der Position fast sechs Jahre älter und finanziell unabhängig zu sein. Dass ihr wichtig ist, was ihre Eltern von der Sache halten, ist lästig aber nachvollziehbar.

Als das Auto der Mutter wenige Tage später vor dem Haus hält, bin ich ein nervöses Wrack. Eigentlich dürfte das nicht sein, für mich geht es schließlich um nichts. Dennoch scheint mein Körper anderer Meinung und reagiert auf das bevorstehende Gespräch mit deutlichen Stresssymptomen, wie feuchten Handflächen und leichtem Herzrasen.

Um meine Anspannung zu kaschieren nehme ich beschwingt zwei Treppenstufen auf einmal, begrüße die Mutter und danach Cat, deren Gesicht die gleiche Nervosität widerspiegelt, die ich empfinde. Ich hätte erwartet, dass Cats Mutter total angepisst ist von mir, aber sie schüttelt mir die Hand, als wäre ich nicht verantwortlich für den Rauswurf ihrer Tochter.

„Mr. Lake-Palmer", sagt sie freundlich lächelnd. „Sehr erfreut."

Entweder lügt sie wie gedruckt oder hat noch nie was von unserer Familie gehört. Das kann ich mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen. Eher ist sie hier, weil sie von mir gehört hat und mich unter die Lupe nehmen will.

Ich bin mindestens genauso gespannt, einen Blick auf die Frau jenes Senators zu werfen, der mir ständig, am laufenden Band mit entnervender Regelmäßigkeit ans Bein pinkelt mit seinen blödsinnigen Ideen zum Thema Waffenbesitz. Aber seine Frau sieht überraschend sympathisch aus. Vielleicht denke ich das aber nur, weil sie aussieht wie Cat, nur drei Jahrzehnte älter.

„Es ist kein Palast, wir haben nur gedacht, ich zeig ihnen mal, was wir schon geschafft haben und dann sehen wir weiter..." Myra wartet oben. Und ich hoffe sie übernimmt das Reden, ich bin total übermüdet und krieg das alles nicht überzeugend erklärt wie meine Schwester.

„Willkommen auf deiner Baustelle", Myra zwinkert Cat zu, dann begrüßt sie souverän die Mutter. Solche Präsentationen macht meine Schwester ständig und sie kann das wirklich gut. Das liegt daran, dass sie mit schöner Regelmäßigkeit Taubeneier wie Fabergé darstellen muss, damit sich die Leute vorstellen können, wie ihr Haus aussieht, wenn Myra sich darin ausgetobt hat.

„Hier haben wir heute noch auf die Schnelle eine Trockenmauer gezogen, damit du eine geschlossene Wohneinheit hast. Vierhundert Quadratmeter erschienen uns für den Anfang etwas viel." Dann geht Myra weiter, streicht sich das brünette Haar aus dem Gesicht, das wir alle von unserer Mutter geerbt haben, nur mit dem Unterschied, dass Mum es schon immer blondiert hat.

„Das ist das Bad. Die neu verlegten Leitungen isolieren wir im Laufe der Woche und mauern davor einen Sockel. Die Toilette schließen die Handwerker heute Abend noch an und machen vorsichtshalber einen Testlauf." Sie dreht sich im Kreis.

„Die freistehende Badewanne kommt hier an die linke Seite." Da die Wanne noch nicht angeliefert wurde, tippt auf dem Handy herum und sucht Bilder davon in ihrer Fotogalerie.
„Die sieht so aus. Den Duschvorhang wollen wir noch tauschen und sie kann ein bisschen Scheuermittel vertragen. Sonst ist die aber noch tiptop in Schuss."

Dann erklärt Myra weiter: „Lampe ist das Model Kabelbrand. Nach dem Mauern und Fliesenlegen können wir die Fassung austauschen und was Schöneres aufhängen." Wie ich sie kenne, steht das Passende bereits in ihrer Garage.

„Die Küche mussten wir auf der Rückseite des Bades planen, daher ist eine offene Gestaltung, wie oben bei meinem Bruder, aktuell nicht möglich."

„Cats Wohn - und Arbeitszimmer wäre mit gut achtzig Quadratmetern deutlich größer als im Wohnheim, zudem steht ihr Bett auf der Empore. Dort war früher der Schichtleiter untergebracht und hat auf seine Arbeiter herabgeblickt."

„Hier geht es nach draußen auf die Feuerleiter", erklärt Myra nun zu dem Detail, mit dem ich hoffe, dass wir bei der Mutter endgültig punkten: meine Dachterrasse. Neugierig folgt Mrs. Jones meiner Schwester nach oben.

„Hier werden wir an der Südwestmauer Cats Dachterrasse einrichten. Der Maurer, der den Sockel im Bad hochzieht, kümmert sich hier oben um eine Trennwand. Etwa dort."

Meine Schwester deutet mit ausgebreiteten Armen die entsprechende Stelle an. In ihrem blauen Kostüm sieht sie dabei ein wenig aus wie eine Polizistin, die den Verkehr regeln will. Über Cats Gesicht huscht ein Lächeln und ein amüsierter Ausdruck lässt ihre Augen erstrahlen. Ob ihr das Gleiche durch den Kopf geht?

Man sieht Cats Mutter ihre Begeisterung an: sie blickt staunend auf den unverbauten Ausblick über das zugegebenermaßen etwas verwilderte Fabrikgelände bis hinunter zum Colorado River. Nervös kaut Cat währenddessen auf ihrer Lippe. Herrgott, fuck. Das sollte sie echt lassen, meinen Blick immer auf diesen Teil ihres Gesichtes zu lenken. Das erinnert mich unentwegt an den Abend im Club und daran, was ich alles mit ihr anstellen könnte, das sehr eigennützig wäre.

„Mrs. Jones", fragt Myra, „meinen sie, das wird bis Ende Mai gehen?" Die Angesprochene lächelt verhalten.

„Wie sieht es mit den Kosten aus?", fragt sie dann an Myra gewandt. Hallo? Ich bin hier der Vermieter! Das grenzt an eine Beleidigung, mich einfach zu übergehen.

„Mrs. Jones, die unüberlegten Handlungen meines Bruders haben schlussendlich zu dem Rauswurf ihrer Tochter geführt. Wir betrachten es als eine Selbstverständlichkeit, dass Cat, bevor die Wohnung nicht fertiggestellt ist, hier kostenfrei wohnt."

Doch Mrs. Jones schüttelt nun ablehnend den Kopf. Scheiße. Echt jetzt? Cat muss zurück?

Doch was sie dann sagt, haut mich fast um und in meiner Phantasie schließen sich meine Hände um den Hals der Mutter und drücken ihr ganz langsam die Luft ab, so wütend macht mich das. Normalerweise neige ich nicht zu Gewaltphantasien, aber diese Frau ist unmöglich!

„Ihren Bruder trifft keine Schuld. Er hat schließlich auf seiner Couch geschlafen und Cat auf seinem Sessel statt in ihrem Bett. Cat hat diese dumme Entscheidung ganz allein getroffen."

Mrs. Jones betont jedes einzelne Wort, dass ihr wichtig erscheint übertrieben deutlich und ab sofort finde ich sie nicht mehr sympathisch. Ich beschließe, ich mag sie gar kein bisschen. Sie ist Cats Mutter! Sie soll gefälligst nett zu ihrer Tochter sein. Sie beschützen und für sie da sein.

Und was heißt ihr blödes Gesülze im Klartext? Kann Cat jetzt einziehen oder was?

„Cat wird zumindest denselben Betrag wie im Wohnheim an sie entrichten. Sie muss begreifen, dass im Leben nichts ohne Folgen bleibt. Sie ist dieses eine Mal ohnehin mit einem blauen Auge davongekommen."

Es ärgert mich, dass Cats Mutter mit Myra redet, als wäre ihre eigene Tochter gar nicht da. Und ich weiß genau, was sie meint mit „dieses eine Mal". Das war eine ziemlich miese Anspielung auf den Bruder! Cat steht daneben, die Hände verlegen in den Hosentaschen versenkt und sieht ganz klein und unglaublich verletzlich aus. Ungerechtigkeit kann ich einfach nicht ausstehen. Am liebsten würde ich Cat einfach in den Arm nehmen und sie trösten, ihr versichern, dass sie an der Krankheit ihres Bruders keine Schuld trägt und alles ins Lot kommen wird.

Doch noch lieber würde ich der Mutter sagen, wo sie sich ihre blöden Kommentare hinschieben soll.

„Samuel, Klappe halten!", ermahne ich mich selbst und beiße die Zähne zusammen, bis mein ganzer Kiefer schmerzt, nur um nichts Unüberlegtes zu sagen oder zu tun, dass Mrs. Jones dazu bringen könnte ein Veto gegen die Wohnsituation einzulegen.

Myra nickt. „Dann sind wir uns einig, was das Finanzielle angeht. Sam, sei so nett und hol bitte den Mietvertrag, ja?"

Bin ich jetzt in meinem eigenen Haus der Laufbursche, oder was?

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