SAM - 17

Als ich aufwache, ist der Kopfschmerz zu einem leichten Pochen abgeflaut. Im gedämpften Licht, das durch die heruntergelassenen Jalousien dringt, sehe ich, dass Cat sich wie eine Katze auf dem Sessel zusammengerollt hat und schläft. Süß sieht sie aus beim Schlafen, entspannt und ein wenig zerzaust. Schon vom Zuschauen kriege ich Rückenschmerzen. Ob ich sie ins Bett rüber tragen soll, damit wir beide noch ein bisschen ruhigen Schlaf bekommen? Sie und ich in meinem Bett? Kein guter Plan...

Ich überlege mir gerade, sie zumindest wecken, weil ich das gar nicht mehr mit ansehen kann, wie sie zusammengekauert im Sessel liegt, als ihr Handy plötzlich klingelt. Stöhnend setzt sie sich auf, blinzelt wie eine Eule, entdeckt mich. Kurz lächelt sie mich entschuldigend an, vermutlich glaubt sie, das Klingeln hätte mich geweckt.

Wie soll sie ahnen, dass ich sie bestimmt schon zehn Minuten anstarre und versuche zu ergründen, was sie noch hier macht und warum zur Hölle sie so niedlich aussieht, wenn sie schläft. Ihre vollen Lippen formen ein lautloses „Sorry", während sie drangeht. Gott, diese Lippen...

Sie begrüßt ihren Anrufer mit einem krächzenden, „Guten Morgen, Niall!", räuspert sich kurz und wiederholt den Satz noch einmal klarer und verhindert jeden weiteren Gedanken an ihren Mund. Sie lauscht auf den Klang einer unverkennbar männlichen Stimme.

Plötzlich fühle ich mich wieder wie der Arsch, der ich bin. Sie hatte die zweifelhafte Ehre, mir beim Kotzen zuzusehen, hat mich dann nach Hause kutschiert, obwohl ich mich vorher aufgeführt habe, wie der letzte Vollidiot und ich lieg hier auf der Couch, belausche ihr Telefonat. Nicht zu vergessen, dass ich sie vorher bereits heimlich beim Schlafen beobachtet habe.

Ich schlage die Decke zurück- hat sie mich zugedeckt? - und schlurfe in die Küche. Das Pochen in meinem Kopf wird schlimmer, als ich mich bewege, aber ich brauch jetzt einen Kaffee.

Routiniert fülle ich den Wassertank des Kaffeeautomaten und schalte ihn ein. Nimmt sie Milch oder Zucker? Ich meine mich zu erinnern, sie hat den Kaffee bei „Granny's" schwarz getrunken. Aber was weiß ich schon?

Ich war nur versessen drauf, ihr zu erklären, dass sie nichts für mich ist. Wie hätte ich ahnen können, dass ich die Info, wie sie ihren Kaffee mag, mal brauche! Und eigentlich ist es ja scheißegal, weil ich von der holden Jungfrau eh nix will. Soll sie sich die Milch und den Zucker selber in ihren Kaffee schütten.

Apropos holde Jungfrau: ist eigentlich ein verdammtes Wunder, dass sie noch ungefickt ist, so wie sie an den Kerlen klebt. Max. Der Typ gestern auf der Party. Der am Telefon und irgendwie reihe ich mich ebenfalls in diese Riege ein.

Wer ist dieser Niall überhaupt? Ihr fester Freund? Ich hatte ja schon befürchtet, das sei das Arschgesicht von gestern. Vielleicht ist es das Arschgesicht von gestern, ich weiß ja nicht, wie der heißt. Ist ja nicht so, dass wir einander vorgestellt wurden! Scheinbar unbeteiligt lehne ich am Küchentresen und spitze die Ohren. Ein Hoch auf mein Loft, sonst würde ich viel weniger von ihrem Telefonat mitbekommen.

„Ich freue mich auch darauf, dich wiederzusehen. Ist schon viel zu lange her." Pause. Wiedersehen? Super!

„Nein, nächstes Wochenende geht es nicht, da hat Emmi Geburtstag."

„Genau." Sie lacht fröhlich.

„Nun sei doch nicht sauer. Dafür fliege ich ja schon am Donnerstag gegen Mittag. Ich lass die Vorlesungen Freitag sausen. Und dann gehen wir Eis essen. Und du zeigst mir das neue Handy. Und am Abend gehen wir ins Kino." Lange Pause.

„Na, dann schauen wir halt Netflix." Netflix? Wenn ich mit ihr das Wochenende verbringen würde, wäre Netflix das Letzte, woran ich denken würde. Netflix würde maximal im Hintergrund laufen.

„Ist gut, Niall. Danke für deinen Anruf. Ich melde mich am Abend und gebe dir die Flugdaten, dann kannst du den Flug verfolgen und weißt, wann ich lande." Wieder eine längere Pause.

„Ich habe dich auch lieb."

Wow. So ernst? Sie haben sich lieb und trotzdem knutscht sie mit anderen Typen und lässt es sich von mir unter der Dusche machen? Okay, nur fast. Um den Rest hat sie sich ja selbst gekümmert.

Kopfschüttelnd drücke ich auf die Starttaste und mache zwei Tassen normalen Kaffee, die ich auf ein Tablett stelle. Zusätzlich öffne ich frische Milch, keine Ahnung welche Keimflora sich in der anderen schon gesammelt hat, und stelle die Zuckerdose daneben. Meine Mom wäre stolz auf mich. Und Granny erst recht!

Nachdenklich starrt Cat auf ihr Handy, als ich das Tablett auf dem Tisch abstelle.

„Ich habe uns Kaffee gemacht", erkläre ich unnötigerweise.

Sie lächelt - ja wie eigentlich? - dankbar? Und meine schlechte Laune, die ihr Telefonat ausgelöst hat verflüchtigt sich wie auf Knopfdruck.

„Wie geht es deinem Kopf? Tut mir leid, dass Niall dich geweckt hat. Ich hätte den Flugmodus einschalten sollen", entschuldigt Cat sich verlegen.

„Besser", antworte ich einsilbig und mustere sie eingehend. Cat ist ein seltsames Mädchen, nett, freundlich unkompliziert. In jemanden wie sie könnte man sich leicht verlieben. Ich blicke auf den Eimer, den sie mir zusammen mit mehreren Blättern Küchenrolle neben mein Kopfende gestellt hat.

Meine Tabletten hat sie zusammen mit stillem Wasser auf den Tisch gelegt und diesen näher an die Couch geschoben. Die Jalousien runtergelassen, mich zugedeckt. Helfersyndrom, definitiv.

Naja. Trotzdem nett. Und wie danke ich ihr das? Mit einem lausigen Kaffee. Ich habe mir gestern nicht mal Gedanken gemacht, wie sie heimkommt. Ich hätte ihr ein Taxi zahlen sollen. Wahrscheinlich hat sie nicht mal wegen mir hier gepennt, sondern weil sie nicht nach Hause konnte.

Dann fällt mir noch ein Detail ein: sie ist gestern mit meinem Auto gefahren; mit meinem Baby! Mit Gangschaltung. Ohne Knirschen, ohne Ruckeln.

„Wer hat dir das Fahren mit Gangschaltung beigebracht?", frage ich zusammenhangslos.

„Niall. Ich durfte mit seinem alten Volvo üben. Am Anfang hat er ganz schön geflucht. Aber er hatte eine Engelsgeduld." Innerhalb von Sekunden wandelt sich beim Sprechen ihr Gesichtsausdruck. Sie ist wie ein offenes Buch und sieht jetzt verdammt traurig aus. Richtig so. Sie hat Niall hintergangen. Erst mit mir und dann hat sie dem widerlichen Typen gestern ihre Zunge in den Hals gesteckt und macht zu allem Überfluss noch schräges Zeug mit Max. Das würde ich ihr eigentlich gerne sagen, aber ich bin nicht wirklich der Richtige, über sie zu urteilen.

Und überhaupt, wann bin ich unter die Moralapostel gegangen? Sie ist jung und wunderschön. Soll sie doch ein bisschen Spaß haben. Ernst wird das Leben mit der Zeit von selber.

„Willst du was frühstücken gehen?"

„Gern. Aber ist das nicht zu viel für deinen Magen?" Misstrauisch sieht sie mich an.

„Ich bin noch etwas geruchsempfindlich. Das stimmt. Aber ich könnte ja versuchen mich zusammenzureißen", grinse ich.

„Ich denk, ich ruf mir einfach ein Taxi, jetzt wo es dir besser geht", sagt sie da schon.

Hä? Wie jetzt? Sie hätte sich ein Taxi leisten können? Ist sie vielleicht doch meinetwegen geblieben?

„Ich kann dich fahren", biete ich an. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Doch Cat lehnt das energisch ab.

„Gönn dir Ruhe. Das passt schon. Ich würde vorher nur noch kurz dein Bad benutzen."

Ich muss wohl wieder eingeschlafen sein, denn ich schrecke hoch, als mein Handy klingelt. Max' Nummer leuchtet auf dem Display. Das riecht nach Ärger. Ich hätte schwören können, er ist schwul. Aber vermutlich will er mich zur Rede stellen, warum sein Mädchen mich gestern heimgebracht hat.

Einen Moment überlege ich mir, ihn abzuweisen. Vermutlich ruft er dann alle dreißig Sekunden an, bis ich doch drangehe und das würde mich vermutlich in ein frühes Grab bringen.

Noch bevor ich mich melden kann, keift er ins Telefon. „Du blödes Arschloch. Warum hat Cat bei dir übernachtet? Ist dir nichts mehr heilig?"

Doch eben schon. Deswegen ist sie, noch immer ungefickt, auf dem Weg nach Hause!

„Es war nichts zwischen uns", beruhige ich ihn. „Und ihre Jungfräulichkeit ist mir sehr wohl heilig. Ich hoffe dir genauso."

Offenbar habe ich Max kalt erwischt, denn für einen Moment ist Ruhe in der Leitung.

„Das meine ich nicht. Sie hat nicht im Wohnheim eingecheckt und nun weiß die Heimleitung, sie ist nicht nach Hause gekommen. Der Simmons hat ihre Mutter informiert. Und Cat fliegt jetzt aus der Wohngruppe. Sie muss ihr Zimmer binnen zwei Wochen räumen." Max klingt total fertig.

Shit. Ich war zu beschäftigt, mir Gedanken über die vielen Männer in ihrem Leben zu machen, dass ich das Offensichtliche übersehen hab.

„Fuck", sage ich. Denn es ist das Einzige was mir einfällt.

„Fuck? Ja, das kannst du mal laut sagen."

„Was machen wir jetzt?"

„Wir?" schreit Max ins Telefon. Hilfe, mein Kopf platzt gleich, wenn er weiter rumbrüllt. Ich bin froh, dass er nur am Telefon ist. Andernfalls würde er mich bereits schütteln und würgen und das kann ich ihm nicht mal verdenken.

„Wie wäre es, wenn du blöder Arsch nur einmal nachdenkst, bevor du anderen das Leben verkackst?", sagt Max schwer seufzend.

„Meinst du eine großzügige Spende an das Wohnheim könnte helfen?", sinniere ich. Die meisten Dinge lassen sich mit Geld leicht regeln, wenn die Summe nur die richtige Anzahl Stellen hat.

„Das wird nicht klappen. Ich kann nicht mal einschätzen, was ihre Mutter zu dem ganzen Schlamassel sagt. Hoffentlich muss Cat jetzt nicht nach Hause zurück. Das würde sie einfach nicht verkraften, Sam!"

Nachdem Max aufgelegt hat, setze ich mich auf mein cremefarbenes Sofa, lege meinen Kopf auf der Rückenlehne ab und versuche zu ergründen, was Max damit sagen, wollte, sie würde eine Rückkehr nach Hause nicht verkraften. Das klingt beinahe bedrohlich und nach zerrütteten Familienverhältnissen.

Gestresst fahre ich mir mit beiden Händen über das Gesicht. Keine Ahnung, warum sie hier geschlafen hat, wenn ihr das Probleme epischen Ausmaßes verursachen könnte. Die kleine Blonde ist ein Rätsel für mich in jeder Hinsicht. Ich weiß nichts über sie, das über Äußerlichkeiten hinausgeht. Was nichts anderes heißt, als dass ich sie einfach heiß finde.

Letztendlich habe ich demnach nicht den blassesten Schimmer, wie ich ihr helfen könnte, oder warum ich mir überhaupt Gedanken zu dem Thema mache. Liegt wahrscheinlich im Wesentlichen daran, dass sie mich gestern nicht im Stich gelassen hat. Genau. Das wird es sein. Auf keinen Fall liegt es daran, dass ich sie noch immer vögeln will.

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