CAT - 6

Ich weiß nicht, warum Max einen Narren an diesen Schuhen gefressen hat, die meine Mutter mir zum Abschlussball gekauft hat.

Eigentlich sind sie eine Nummer zu groß für mich oder besser gesagt: eine Nummer zu hoch. Mit einer Absatzhöhe von sage und schreibe zehn Zentimetern machen sie ein verdammt langes Bein, was nicht übel ist, denn ich bringe es gerade auf einen guten Meter und sechzig Zentimeter. Daher glaube ich, habe ich jedes Recht der Welt, meine Beine mit den geilsten Schuhen der Welt zu verlängern und meine Größe zu kompensieren.

Die rote Sohle ist ein echter Hingucker. Wenn mein Kleid eher ein Günstiges ist, macht das nichts aus. Es achtet sowieso jeder nur auf die Schuhe. Als meine Mom vor dem Ball den Karton auf meinem Bett platzierte, war ich mehr als irritiert, aber sie erklärte mir, jede Frau sollte einmal in ihrem Leben die Möglichkeit haben, Louboutins zu tragen. Diese Schuhe sind das Beste, was frau für ihr Selbstbewusstsein tun kann. Von heißen Riemchensandalen abgesehen.

Ich trinke meinen Kaffee aus und verdränge den Gedanken an Risikogruppen, Infektionsquellen und tödliche Krankheiten. Dann klappe ich mein Laptop zu und winke Ems zum Abschied.

Ich habe zwar heute Morgen meine Haare gewaschen und die Beine rasiert, aber wenn ich heute Abend auf einer noblen Party erscheinen muss und neben Max im schwarzen Anzug eine gute Figur machen will, dann werde ich noch Manches nachbessern müssen.

Das Kleid, für das ich mich entschieden habe, schmiegt sich eng an meine Brüste und fällt dann in einer klassischen A-Linie bis knapp über meine Knie.

Meine Beine wollte ich im Sonnenstudio noch bräunen lassen; da aber die Ganzkörperbehandlung im Angebot war, habe ich das Komplettprogramm genossen. Mit einer Art Airbrushgerät wurde ich komplett von oben bis unten besprüht. Mein ganzer Körper schimmert jetzt in einem goldenen Braunton, auch wenn das Meiste meines Körpers gut verborgen unter dem Kleid steckt und ihn niemand zu sehen bekommen wird. Zusammen mit den Schuhen und schöner Unterwäsche potenziert es mein Selbstvertrauen allerdings, wenn Max mich unter die oberen Zehntausend zerrt.

Mir Ems neidischer Blicke unangenehm bewusst, hole ich aus dem Schrank den wunderschönen Karton, in dem meine Schätzchen auf ihren nächsten Einsatz warten und andächtig hebe ich den Deckel.

Es gibt Menschen, die wachsen mit viel Geld auf und vergessen darüber, wie viel Wert die Dinge haben, mit denen sie sich täglich umgeben.

Es ist nicht so, dass meine Familie und ich am Hungertuch nagen würden, im Gegenteil. Als Architektin ist Mum sehr erfolgreich und mein Dad ist Senator, dennoch, oder gerade deshalb, haben meine Eltern immer darauf geachtet, dass mein Bruder und ich auf keinen Fall vergessen, was die echten Werte im Leben sind, oder was meine Eltern für die echten Werte halten.

Ich drehe mich vor dem Spiegel und kontrolliere noch einmal den Sitz meiner Frisur. Mit meinem heutigen Outfit gehe ich locker für zwanzig oder älter durch. Sicher will heute niemand einen Ausweis sehen, wenn ich mir ein Glas Champagner von einem netten Kellner reichen lasse. Richtig mitbekommen habe ich gar nicht, wohin wir heute eingeladen sind, Max mit Begleitung. Da sollte ich unbedingt noch einmal kurz nachfragen, damit ich bei den Tischgesprächen nicht total auflaufe.

Max holt mich, wie üblich, um halb acht ab und unter den Pfiffen meiner Kommilitonen stolziere ich durch das Foyer und tatsächlich steht mein Begleiter bereits vor dem Wohnheim.

Er klimpert mit dem Schlüssel in seiner Hand und ich spähe an ihm vorbei zu dem Besucherparkplatz, wo ich die Autos scanne, bis mein Blick an seiner vierrädrigen Rakete hängenbleibt.

Verschmitzt fragt Max mich, ob ich fahren will. Wie immer, wenn er mir das anbietet, staune über sein Vertrauen in meine Fahrkünste und frage mich ehrlich für einen Moment, womit ich ihn als Freund verdient habe.

Jemanden ans Steuer seines Sportwagens zu lassen, der erst seit zwei Jahren einen Führerschein hat, ist ziemlich mutig, noch dazu ein Mädchen. Wo doch jeder davon ausgeht, dass wir Frauen die schlechteren Autofahrer sind und noch dazu nicht einparken können. Die Freunde meines Bruders behaupteten immer steif und fest, für uns Frauen seien die Einparkhilfen erst erfunden worden.

Ich bin mit dem Schlüssel schon halb um das Auto herum, als mir die Schuhe wieder einfallen und ich lehne bedauernd ab.

„Scheißegal, fahr einfach barfuß", sagt Max, und hilft mir, in den Wagen zu gleiten, ohne dass dabei jeder meine Unterwäsche bewundern kann.

Während ich den Schlüssel im Zündschloss drehe, weise ich ihn zumindest pro forma zurecht, dass man auf keinen Fall barfuß fahren dürfe.

Er verdreht in seiner typischen Art die Augen und sagt: „Die Cops können ja mal versuchen uns einzuholen."

Ich streife die Schuhe ab, während der Mittelmotor unter uns röhrt und lange sie zum Beifahrersitz hinüber. Einen legt Max sich direkt auf den Oberschenkel, den anderen Schuh dreht er andächtig hin und her während er vorsichtig über das schwarze Veloursleder streicht.

„Mein Gott, sind die heiß. Wenn es die nur auch in Größe vierundvierzig gäbe", seufzt er.

Ich kann mir vorstellen, dass er der Typ für Lack und Leder, Ketten oder weiß der Geier was ist, aber in diesen Schuhen? Das geht gar nicht! Dafür ist meine Fantasie zu beschränkt.

Ich rutsche den Fahrersitz noch ein wenig nach vorne. Kurz halte ich mir noch mal vor Augen, dass in der Aluminiumkarosserie dieser Rakete etwas mehr als vierhundert PS schlummern.

Gerne hätte ich einmal die Chance, die Möglichkeiten dieses Wagens bis ans Limit auszureizen.

Ich lege den Rückwärtsgang ein. Genauso, wie Niall es mir bei seinem alten Volvo beigebracht hat und stoße ganz sachte rückwärts aus der Parklücke.

Max grinst über meine Vorsicht, als ich aus der Ausfahrt biege. Für ihn ist es nur ein Auto, aber für mich ist es jedes Mal wie ein Traum, dieses Wahnsinnsteil durch die Stadt zu fahren.

Die Adresse zu der wir müssen, hat Max bereits in das Navi eingegeben und die Fahrt zu dem Bungalow in einem sehr teuren Vorort dauert meiner Ansicht nach einfach nicht lange genug.

Wir halten um exakt fünf Minuten vor acht vor dem Haus. Max ist ein solcher Pedant, dass er immer pünktlich ist. Man kann sich auf seine präzise Planung ebenso verlassen wie auf die Tatsache, dass die Sonne morgens aufgeht und abends unter.

Der Mann vom Parkservice kommt auf die Fahrertür zu, um mir aus dem Wagen zu helfen, doch Max ist schneller um den Wagen herum, als der Kerl überhaupt den Türgriff berühren kann.

Er schaut den Mann zornig und mit zusammengebissenen Zähnen an. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass Max gerade sein Revier markiert.

Langsam geht Max vor mir in die Hocke, nimmt meine beiden Füße nacheinander in die Hand und schiebt die Schuhe darüber.

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