CAT - 5

Duschen ist um diese Uhrzeit schon etwas Besonderes, denn ich kann davon ausgehen, dass das Wasser mal warm bleibt. Verschwenderisch stelle ich den Hebel weit in Richtung der roten Marke und lasse das Wasser ablaufen, bis es schön heiß kommt. Die Aussicht, endlich richtig lange duschen zu können, ohne dass ich gegen Ende friere, ist geradezu himmlisch. Heute gönne ich mir den Luxus meine Haare zweimal zu waschen, was ich nur dann tue, wenn ich mir sicher bin, dass ich das zweite Mal auch auswaschen kann. Genüsslich und ohne Hektik rasiere ich mir die Beine, bevor sich die Haarstoppel in Fell verwandeln.

Um halb elf wecke ich Emmi auf. Sie kann es sich nicht leisten, schon wieder zu spät zu ihrer Schicht zu kommen. Hastig duscht sie, die noch nassen Haare nur zu einem Knoten zusammengedreht, schlüpft in ihre blaue Uniform. Schon rennt Emmi voraus zu dem Café, in dem sie arbeitet. Ich folge ihr etwas langsamer, damit wir nicht gemeinsam ankommen. Archer, Emmis Chef, sieht es nicht gerne, wenn die Angestellten privat mit den Kunden verkehren. Dabei ist ihm egal, ob die Freundschaft schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses bestand. Archer geht es einfach nur ums Prinzip.

Zum Glück ist mein Lieblingstisch in der Nähe des Fensters noch frei und ich lasse mich dort auf die Eckbank fallen. Von hier aus kann man den Innenhof überblicken und die munteren Spatzen beobachten, die herumhüpfen und Krümel der draußen Sitzenden aufpicken. Ich bestelle bei Emmi das kleine Frühstück von der Karte mit einem großen Latte Macchiato und gebe ihr ein großzügiges Trinkgeld, das sie mit bösem Blick und zähneknirschend, jedoch ohne Diskussion, annimmt.

Ich mag sie sehr, wenngleich ich sie erst seit gut fünf Monaten kenne, die ich an der Uni bin. Wir haben uns sehr schnell zusammengefunden, was schön ist, wenn man mit lauter Fremden auf einem Flur lebt.

Emmi verstand sich bereits von Anfang an nicht gut mit ihrer Mitbewohnerin und deswegen übernachtet sie öfter in meinem Zimmer, als in ihrem, denn das zweite Bett stand von Anfang an leer. Meine Mum hatte darauf bestanden, den doppelten Preis zu zahlen, damit ich ein Einzelzimmer hätte. Das Bett, das ich hatte als Couch nutzen wollen, ist nun Emmis Zuflucht.

Ich gucke gerade gedankenverloren auf meinen Laptop, den ich zum Lernen mitgebracht habe, und denke angestrengt darüber nach, was ich für die kommenden Vorlesungen noch vorbereiten müsste, versuche dabei krampfhaft den gestrigen Abend auszublenden, als Maxwell seine Tasche auf den Platz gegenüber fallen lässt.

Fröhlich wünscht er mir einen guten Morgen und ich grüße zurück. Er beugt seinen Kopf über meinen Laptop und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Eigentlich mag ich diese Form von Nähe überhaupt nicht. Nur mühsam kann ich dem Drang widerstehen, meine Wange demonstrativ abzuwischen.

Aber das hier ist nur Max. Bei ihm bin ich sicher, dass er mir nicht näherkommen will. Nur ein harmloser Kuss. Seit Monaten hat er in James einen festen Freund gefunden. Und die beiden sind so süß zusammen, dass man allein vom Anblick schon Karies bekommen könnte. Max ist jedenfalls für mich der beste Freund, den jedes Mädchen haben sollte. Er weiß alles über Männer, mehr als ich jemals wissen will. Und er gibt auch sein Wissen gerne preis. Meine Mutter würde jetzt ganz dreist behaupten, dass ich gestern nur nicht weggesehen habe, weil dieser Max, dieser perverse Max, der auf Männer steht, mich verdorben hat.

„Alles klar, Prinzessin?", fragt Max mich und seine dunklen Augen funkeln amüsiert, denn er nimmt gerade ungefragt einen riesigen Schluck aus meinem Latte Macchiato. Misstrauisch blicke ich auf die Stelle am Glas, von der Max getrunken hat und wie von selbst schwirrt die Vorstellung fieser Krankheiten durch meinen Kopf. Das wird allmählich zu einer lästigen Gewohnheit. Er folgt meinem Blick zu den Überresten von Pflegestift, die er am Rand hinterlassen hat. Dann wischt Max die Spuren mit den Fingern weg und berührt sehr sanft meine Hand. „Keine Sorge Prinzessin", flüstert er leise. „Ich häng dir schon nichts an. Ich hab' es noch nie ohne Gummi gemacht."

Sofort laufe ich knallrot an und Max gluckst in sich hinein, während er sich durch das lockige Haar fährt, das ihm widerspenstig in die Stirn fällt.

„Wie ist es meiner eisernen Jungfrau im Club ergangen?" fragt er weiter. „Hast du jemanden heißes kennengelernt?" Er wackelt zweideutig mit den Augenbrauen und ich muss lachen.

„Nein, ich nicht. Aber Ems." Mit meinem Daumen deute ich über die Schulter auf sie. Seufzend nimmt Max einen weiteren Schluck von meinem Kaffee. Genervt verdrehe ich die Augen, kann ihm aber nicht lange böse sein, als er sagt: „Wann lernt Ems keine heißen Typen kennen?"

Diese Frage kann ich nicht beantworten, aber wenn es nach Ems geht sind siebzig Prozent der Jungs hier auf dem Campus einfach nur heiß, somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie einem Kerl über den Weg läuft, dem sie einen zweiten Blick gönnt, verhältnismäßig groß. Die anderen neunundzwanzig Prozent sind seltsam oder Streber; dazwischen gibt es für Emmi überhaupt nichts, außer ein paar blöden Wichsern - ihre Wortwahl nicht meine! - zu denen sie zum Beispiel Corey, den Frontmann von Servile Crows zählt, der sie ständig angräbt, aber dennoch beinahe jedes Wochenende mit einer anderen in die Kiste steigt.

Für einen kleinen Augenblick überlege ich, ob ich Max von der Geschichte im Club erzählen soll, verwerfe den Gedanken aber wieder. Zum einen würde ich selbst bei einer Kurzfassung ganz schön ins Stottern kommen, denn eigentlich ist mir das Erlebnis unsäglich peinlich. Außerdem werde ich in einer riesigen Stadt wie dieser einem Fremden nicht zweimal begegnen. Ergo muss auch keiner davon erfahren, was ich für ein verdorbenes Frauenzimmer geworden bin.

„Was liegt bei dir heute Abend an, Prinzessin?", reißt Max mich aus meinen Gedanken.

Der Mist mit der Prinzessin geht mir auf die Nerven. Davon eine Prinzessin zu sein, bin ich weit entfernt. Ich bin nur ein super schlaues Mädchen, das mit einem gottverdammten Stipendium auf einer gottverdammten Elite- Uni der gelandet ist, mitten in einem gottverdammten Bundesstaat, gottverdammt weit weg von ihrem Bruder. Und mein Vater ist Senator, kein König.

Max plappert munter weiter, von einer Dinnerparty und irgendeiner anstehenden Verlobung, erzählt von seinen Eltern und ihrem neuen, größeren Haus in einem Badeort, während ich meinen Gedanken nachhänge und froh bin, dass er Emmi ziemlich ähnlich ist.

Wie bei ihr muss ich einfach nur ab und zu ein „ja", ein „hm" und ein „aha" von mir geben. Mehr erwartet er eigentlich nicht, er hört sich selbst gerne genug reden, um auf Antworten verzichten zu können. Warum Ems und er sich schlecht verstehen, ist sonnenklar: es können nicht beide gleichzeitig reden! Ihnen fehlt der Zuhörer.

„Cat, hast du dann jetzt was vor, oder nicht?", fragt er. „Ich habe dir grade gesagt, ich bin heute Abend eingeladen und ich brauche noch eine Begleitung, Prinzessin. Wenn du Zeit hättest, wäre schon echt cool."

Mental knirsche ich mit den Zähnen. Eigentlich wollte ich mich auf die Vorlesung am Montag vorbereiten, früh schlafen gehen, die verkorkste gestrige Nacht verdrängen und mit meinem Bruder Niall telefonieren.

Doch Max flehendem Blick kann ich nicht widerstehen, außerdem, Freundschaft hin, Freundschaft her, lässt er meistens auch eine gute Stange Geld springen, wenn ich mich als seine Freundin ausgebe. Seine erzkonservativen Eltern dürfen auf keinen Fall etwas von seinen gleichgeschlechtlichen Neigungen erfahren. Aber im Grunde ist vorprogrammiert, dass wir früher oder später auffliegen werden.

„Okay", stimme ich zu. Nicht ausschließlich um des Geldes Willen. Auch, weil diese Veranstaltungen die perfekte Möglichkeit bieten, Social Networking zu betreiben und einflussreiche, mit Geld gespickte Leute kennen zu lernen, die mir vielleicht zu gegebener Zeit nützlich sein können.

„Du bist einfach super, Prinzessin", sagt Max, als er geht. Zum Abschied drückt er mir wieder einen Kuss auf die Backe.

Wenn man uns zusammen sieht, könnte wirklich jeder glauben, wir wären ein Paar. Doch wer aufmerksam ist, kann schnell erkennen, dass dem nicht so ist. Vor der Tür steht bereits James, tritt von einem Fuß auf den anderen und wartet, dass sein Maxwell sich endlich von mir losreißt.

„Dresscode?" rufe ich ihm schnell nach.

„Das kleine Schwarze und bitte unbedingt diese Wahnsinns-Schuhe!", lautet seine Antwort.

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