CAT - 43

Tony, Ian, James und Sam beugen sich über mein Laptop.

„Ne, von der Statur her passt das nicht. Das kann nicht Dan gewesen sein", konstatiert Tony und James nickt.

„Mein Bruder hat ein viel breiteres Kreuz. Und der hier hat totale O-Beine." Bruder? Ich glaub, ich habe mich grade verhört, oder! Max Freund James ist Dans Bruder?

„Außerdem habe ich mich gegen neun Uhr, also bevor du aufgetaucht bist, noch auf der Party mit ihm unterhalten", werfe ich ein. „Und die Überwachungskamera zeigt an, dass es viertel nach neun ist."

Emmi und Myra, die hinter mir stehen blicken, ebenfalls neugierig auf das Video der Überwachungskamera. Max und John sind zum Inder gefahren und holen für alles was zu Essen. Ich bin total pleite, aber dennoch habe ich sie als Dank alle eingeladen, das ist das Wenigste was ich tun kann, nachdem ausnahmslos alle sofort bereit waren, mir zu helfen, Herr über diesen Wahnsinn zu werden.

„Leider erkennt man einfach zu wenig. Sicher ist aber, dass er sich nicht zum ersten Mal auf dem Gelände bewegt."

„Vielleicht war er mal auf einer der Partys", schlägt James vor

„Na, das wäre aber mal ein krasser Zufall, dass Dan aus dem Knast kommt, und genau eine viertel Stunde, nachdem ihr beide das Haus verlasst, jemand, der vor fünf Jahren mal hier war, in Cats Wohnung steigt und die total verwüstet", fasst Myra zusammen.

„Und das zufällig genau einen Tag nachdem du ihn hast zusammenfallen lassen wie ein Kartenhaus", fügt James hinzu.

„Wie bei den Fünf Freunden", flüstert Emmi mir zu. Ja, wirklich. Wie sie da alle neben einander stehen und sich über den Bildschirm beugen, erinnern sie wirklich ein wenig an die kleinen Hobbydetektive von Enid Blyton.

„Essen ist fertig!", ruft Max fröhlich und trägt gemeinsam mit John die Tüten mit Essen herein. Die kleine Versammlung vor dem Bildschirm löst sich auf und alle suchen sich aus den mit Nummern beschrifteten Schachteln ihre Bestellung raus.

Als alle es sich auf dem Boden gemütlich gemacht haben, nutze ich die Gelegenheit, mich bei Ihnen für die Hilfe zu bedanken. Und ihnen zu sagen, dass mein Bruder zu mir ziehen wird. Alle freuen sich für mich.

„Es gibt allerdings noch eine Sache, die meinen Bruder betrifft. Ich habe Euch da vielleicht ein oder zwei Informationen unterschlagen." Oh Hilfe, ich bin derartig nervös, dass meine Handflächen schon ganz nass sind. Meine Stimme zittert.

„Mein Bruder hat eine Halbseitenlähmung. Er kann keine weiten Strecken laufen, wenn er geht dann nur sehr langsam. Und er braucht im Alltag ziemlich viel Hilfe, weil etliche Dinge mit einer Hand einfach nicht klappen oder dreimal länger dauern. Ich sage Euch das nur, damit ihr nicht überrascht seid, wenn ihr ihn kennenlernt. Er ist etwas empfindlich, wenn über ihn getuschelt wird. Und ich auch. Wenn ihr lieber nicht mit ihm zusammentreffen wollt, dann verstehe ich das."

„Cat, du dumme Nuss!", sagt James. „Ich bin schwul, schon vergessen? Meinst du etwa ich hätte ein Problem mit seiner Halbseitenlähmung?"

„Echt jetzt, wie anstrengend, das die ganze Zeit geheim zu halten. Ich habe mich eh schon gewundert, ob er Warzen im Gesicht hat, weil du immer mit ihm geskypt hast, wenn ich unterwegs war", lacht Emmi.

„Also, ich denke, es gibt Schlimmeres, als eine Halbseitenlähmung", wirft Max ein. „Zum Beispiel, wenn jemand ständig lügt." Er schielt zu James, von dem er sich wie immer weit entfernt hingesetzt hat.

Sam und ich wechseln über den Tisch hinweg einen Blick.

„Denn es ist nämlich so, dass James und ich seit fast sechs Monaten ein Paar sind."

Tony wirft ein Kissen nach Max. „Als ob das keiner jemals geahnt hätte!"

„Das ich nicht nur auf Typen, sondern auch auf Mädchen stehe, wissen aber alle, oder?", fragt Elena.

„Hab da sowas läuten hören", meint Sam kauend und zwinkert ihr zu.

Tony, Ian, und John grinsen zum Glück nur. Schließlich haben sie gestern alle das Foto von mir, Elena und Mr. Target bekommen.

Der Abend wird wirklich nett. Sam plündert seinen Getränkevorrat und wir sitzen bis tief in die Nacht auf dem Dach und trinken, lachen und unterhalten uns.

Max und James sitzen nebeneinander und James sieht so glücklich aus, dass ich heulen könnte.

Zum Abschied drückt James mich und sagt leise: „Jetzt musst du Sam nur noch einen blasen, dann liegt er dir zu Füßen. Er hat dich den ganzen Abend angestarrt, als wärst du ein Appetithäppchen."

Aber ich habe nichts dergleichen vor.

***

James hat Recht. Sam hat mich definitiv angestarrt. Der Blick seiner haselnussbraunen Augen hat mich beinahe verrückt gemacht.

„Noch einen Absacker?", fragt Sam, als alle gegangen sind und hält mir die Flasche mit dem Gin entgegen. Himmel eigentlich habe ich echt genug. Und morgen ist Uni! Trotzdem nicke ich. Gin Tonic ist unwiderstehlich. Und Sam auch. Beides zusammen ist eine gefährliche Mischung, die meine Hemmschwelle senkt und heiß wie Lava durch meine Adern brennt. Wenn er aufhören würde, mich anzustarren, wäre das echt hilfreich.

„Das war sehr mutig von dir, heute allen von deinem Bruder zu erzählen."

Ja, war es, aber Sam war gestern viel mutiger! Niall ist nur mein Bruder und sein Schicksal liegt mir mehr am Herzen, als ich es beschreiben kann. Fakt ist aber, dass nicht ich mit einer Behinderung leben muss, sondern Niall und irgendwie kommt er klar. Meistens zumindest. Aber das, was Sam mir anvertraut hat, das betrifft ihn persönlich. Das geht viel tiefer.

Völlig aus dem Zusammenhang fragt Sam plötzlich: „Hast du keine Angst vor mir? Nach dem was ich dir gestern erzählt habe?"

Da muss ich nicht einmal nachdenken! „Nein, ich glaube, dass du mich eher vollgekotzt hättest, als mir was anzutun", fasse ich meinen gestrigen Gedanken für ihn in Worte. „Ich mag deinen Humor", sagt er. „Er ist auf nette Weise wirklich boshaft."

Sam lehnt seinen Kopf an die Lehne des Sofas und starrt sinnierend an die Decke. Ich würde gerne diese winzige Ader küssen, die an seinem Hals pocht. Wenn er glaubt, dass ich die Dauerschleife nicht kennen würde, von der er gesprochen hat, dann täuscht er sich. Ich kann keinen einzigen Tag überstehen, ohne dass ich es mir selbst mache. Am liebsten trage ich inzwischen Röcke, weil das Reiben der Jeansnähte in meinem Schritt mich so um den Verstand bringt, dass ich der Vorlesung nicht mehr folgen kann.

Alkohol und diese ungestillte Lust auf mehr Sam als ich haben kann, das ist eine Kombination, die meine Hormone völlig aus dem Gleichgewicht bringt. Als Elena gestern meine Schenkel gestreichelt hat, bin ich beinahe zerflossen vor Lust, dabei ist sie ein Mädchen!

Kein Gin-Tonic mehr, ermahne ich mich selbst. Eher eine eiskalte Dusche. Oder k.o.-Tropfen, damit ich einfach nicht mehr an meinen heißen Nachbarn denke.

„Ach du Scheiße!", rutscht es mir raus. Aber würde jemand sowas machen? Bei Frauen ist das nicht unüblich, oder? Wenn man aber was vertuschen will, dann könnte man das auf diese Art ganz leicht jemandem in die Schuhe schieben?

„Was hätte Dan für einen Grund, zu lügen?", frage ich und dann präzisiere ich: „Also ich meine, hat er einen Grund, warum er dich in die Sache mit reinziehen wollte?"

„Keine Ahnung. Du fragst immer so schwierige Sachen, wenn ich betrunken bin", murrt Sam.

„Das ist doch eine wichtige Frage, oder nicht?"

„Weißt du was ich wichtiger finde? Dass wir schlafen gehen. Du hast morgen Uni und ich habe einen wichtigen Termin."

„Na gut, Papi", seufze ich, „Gehen wir schlafen."

Sam löscht alle Lichter nachdem wir Zähne geputzt haben und ich schlüpfe derweil unter die Decke; er folgt mir kurz darauf, doch heute legt er seinen Arm nicht um mich, bleibt auf Distanz.

Bitte, bettle ich still. Fass mich an, bitte. Aber er bleibt auf seiner Seite.
Sein Atem klingt schon lange ruhig und regelmäßig, als ich endlich einschlafe.

Am nächsten Morgen ist alles beim Alten und ich muss beinahe grinsen. Sam liegt hinter mir, einen Arm hat er unter meinem Hals hindurch geschoben und den anderen Arm um mich geschlungen. Ein Bein liegt über meinem und ich spüre seine Erektion an meinem Po.

Im Schlaf weiß sein Körper nicht, dass er hier nichts zu melden hat. Doch als der Wecker klingelt und Sam wach wird, verliert sein Körper den Kampf gegen Sams Ängste. Vermutlich ist er gestern Abend deshalb auf seiner Seite geblieben. Er hatte nicht genug getrunken, um sofort ins Koma zu fallen, aber vermutlich genug, um die rationale Entscheidung zu verdrängen, dass er nicht mit mir schlafen will.

Vielleicht rede ich mir den Müll aber nur ein und in Wirklichkeit findet er mich nicht genauso anziehend wie ich ihn. Ich weiß jedenfalls, dass es ohne ausgiebiges Duschen heute unmöglich wird, den Tag zu überstehen, nachdem ich seine Erektion an meinem Körper gespürt habe.

Sam sieht in Anzug und Krawatte zum Anbeißen aus. Wie am Abend auf der Party, zu der ich Max begleitet habe, nur ohne den Schock, er sei Myras Verlobter.

Sam hat schon Kaffee gekocht und mir leckere Sandwiches für die Uni hergerichtet: Schinken, Käse, Tomate und Salat.

Und auf einem Teller liegt ein Toast mit Erdnussbutter und Marmelade. Woher weiß er, was ich für Brote mag?

Jetzt bist du mir unheimlich", bemerke ich. Eine Spur Unsicherheit huscht über sein Gesicht und ich bereue meinen dummen Spruch.

„Ich muss los, ich bin sauspät dran", flucht er.

„Viel Erfolg bei deinem Termin", wünsche ich. Ich kann nicht widerstehen und gebe ihm einen Kuss auf die frisch rasierte Wange. Sein Aftershave steigt mir in die Nase und am liebsten würde ich ihn von Kopf bis Fuß ablecken, so gut riecht er. Okay, langsam aber sicher verliere ich den Verstand!


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