CAT - 4

Aufgewühlt und peinlicherweise wirklich erregt, lehne ich mich an die weiß geflieste Wand der Damentoilette und versuche meine wirren Gedanken in die Reihe zu kriegen. Am wahrscheinlichsten ist, dass mir meine Fantasie einen Streich gespielt hat. Sowas macht doch niemand, oder? Mein Körper und die seidige Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen sprechen aber gegen Einbildung. Was der Typ da abgezogen hat, das war real. Und verdammt aufregend. Wie Porno, nur live.

Beschämt schlage ich die Hände vors Gesicht und stöhne in meine Handflächen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, mit Elena und Emmi ausgerechnet in einen Club zu gehen?

Am Waschbecken spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, was aber nur bedingt hilft. Kalt duschen wäre sicher effektiver, bringt aber ebenfalls nichts gegen das Schamgefühl, das die Tatsache auslöst, dass ich nicht einmal alt genug bin, um in der Öffentlichkeit Alkohol trinken zu dürfen, aber anderen beim Geschlechtsverkehr zuschaue.

In Zukunft werde ich am Freitagabend mit einem guten Buch auf dem Bett liegen bleiben und niemals, aber wirklich auf gar keinen Fall, jemals wieder in einen verdammten Club gehen.

Schnell schreibe ich den anderen Mädels aus dem Wohnheim, dass es mir nicht gut geht und mache mich eiligen Schrittes auf zum Taxistand, ergreife die Flucht. Mit dem Nachtbus zu fahren, ist keine gute Idee. Ich habe meiner Mutter hoch und heilig versprochen, das auf gar keinen Fall zu tun.

Der Taxifahrer, ein kleiner untersetzter Mann, hält mir höflich die Tür auf und ich nenne ihm meine Adresse.

Auf der Fahrt betrachtet er mich immer wieder neugierig im Rückspiegel. Offenbar weiß er, dass sich hinter der Adresse ein Wohnheim verbirgt, indem unter anderem Minderjährige untergebracht werden und fragt sich genau wie ich, was ich hier zu suchen habe. Dass ich knapp meinen Achtzehnten überschritten habe, sieht man ja nicht.

In jedem Stockwerk gibt es zwei Wohngruppen, die strikt voneinander getrennt sind. Die rechte Seite des Treppenaufganges ist für die Jungs reserviert, links der Treppe verwehren Glastüren mit einem Schnapper den Zugang zu den Zimmern der Mädchen.

Meiner Mom hat es nicht gefallen, als ich in ein gemischtes Wohnheim ziehen wollte. Da es aber zumindest getrennte Wohnbereiche hat, hat sie schlussendlich kapituliert.

Nachdem ich den Fahrer bezahlt habe, gehe ich hinauf in den dritten Stock. Tatsächlich ist es noch nicht einmal Mitternacht, als ich den Schlüssel in das Schloss stecke und aufsperre. Schnell texte den anderen Mädels, mit denen ich unterwegs war, dass ich gut angekommen bin.

Das machen wir immer. Wenig später piept mein Handy und Emmi appt mir zurück, ob bei mir alles okay ist, oder ob sie nach Hause kommen soll. Doch ich schicke schnell einen Daumen nach oben in unsere What's-App-Gruppe. Dann wünsche ich noch einen schönen Abend und werfe mich auf das Bett, ziehe mir das Netbook heran und suche nach einem guten Film.

In der Stille des Zimmers komme ich immer wieder, wie in einem Gedankenkarussell, zu dem Vorfall im Club zurück. Du meine Güte, wie bekomme ich diese Bilder jemals wieder aus meinem Kopf?

Am Anfang hat er sich noch zum Takt der Musik gewiegt, spätestens als er sich immer schneller, immer drängender bewegte, hätte selbst mir klar sein müssen, was da abgeht. Egal wie ich es drehe und wende, ich habe mich total falsch verhalten. Enttäuscht von mir selbst lasse ich mich nach hinten auf das Kissen fallen und mein Netbook rutscht beinahe vom Bett. Wie konnte ich nur?

Ablenkung, ich brauche dringend Ablenkung. Ich klicke mich durch meine Watchlist und streiche gedanklich alles, was annähernd nach Liebesfilm aussieht. Zu guter Letzt entscheide ich mich für einen Actionfilm.

Als Emmi nach Hause kommt, wache ich auf. Sie ist total überdreht und hopst von einem Bein auf das andere. Das schwarze, glatte Haar umspielt dabei ihre Schultern und ein bisschen beneide ich sie darum, wie perfekt ihre Haare und ihr Make-Up auch nach einer durchtanzten Nacht aussehen. Nicht mal ihr Lidstrich ist verwischt. Nur ihr Porzellanteint ist noch eine Nuance blasser als sonst.

Müde setzte ich mich auf und reibe meine Augen, um rauszufinden was meine hübsche Mitbewohnerin in Aufregung versetzt.

„Was ist los, Em?", frage ich sie mit vom Schlaf heiserer Stimme. Ihre Aussprache ist etwas verwaschen und ich muss grinsen. Nur ein Bier hat sie gesagt, nur eins. Aber wenn ich ihr zuhöre, waren es eher drei oder wohlmöglich vier. Über Shots will ich nicht nachdenken.

Morgen wird sie das bereuen. Nein, heute wird sie das bereuen! Ihre Schicht im Café hinter der Uni beginnt bereits um 11 Uhr; jetzt ist es nach 5 Uhr!

„Em, was ist passiert?", hake ich noch mal nach und sie wirft sich strahlend zu mir auf das Bett, ihre blauen Augen funkeln, während sie sich verträumt eine ihrer langen Haarsträhnen um den Finger windet.

„Ich gehe mit ihm aus!", jubelt sie freudestrahlend. „Ich gehe wirklich mit ihm aus. Zu einem richtigen Date."

Das freut mich für sie, auch wenn ich aktuell nicht genau weiß, mit wem sie verabredet ist. Sie schmachtet im Moment mindestens drei Typen gleichzeitig an.

Einer arbeitet mit ihr zusammen im Café, einen kennt sie aus den Psychologie-Vorlesungen, und einen hat sie beim Shoppen kennengelernt. Emmi lernt immer Leute kennen.

Ich überlege gerade, wie ich nachfragen kann, ohne sie zu beleidigen, weil ich nicht weiß, welcher der drei aktuell ihr Favorit ist. Da platzt sie heraus:

„Er ist heißer als alle zusammen, die ich bisher kennengelernt habe."

Wohlmöglich ein Neuzugang in ihrer Hitliste? Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und unwillkürlich erscheint vor meinem inneren Auge das Bild von diesem Kerl im Club. In dem diffusen Licht dort konnte ich ihn aus der Entfernung natürlich nicht gut erkennen und ich war auch mehr als nur ein bisschen abgelenkt von seinem Aussehen. Definitiv kann ich aber sagen, dass er einen sehr intensiven Blick hatte und gut gebaut ist. Nicht direkt ein Muskelprotz, aber er hatte ein breites Kreuz und ziemlich beeindruckende Oberarme und der Rest der Proportionen passte dazu.

„Emmi, nun spann mich nicht auf die Folter! Wer ist er?", wage ich einen Vorstoß. Als Antwort seufzt sie leise. Die muss es ganzschön erwischt haben. „Ein Gott!", lautet ihre verträumte Antwort.

Sie setzt sich auf und gestikuliert wild und theatralisch mit ihren Händen herum. „Ein fleischgewordener Gott!" und ich lache wie immer über ihre Dramatik.

Doch im gleichen Moment beschleicht mich ein schrecklicher Gedanke.

Sie hat doch nicht? Sie wird doch nicht vielleicht diesen Typen kennengelernt haben? Der ist der Einzige, der mir schlagartig einfallen würde, für den ich das Attribut „göttlich" verwenden könnte.

Er ist nicht schön im klassischen Sinne, er hat etwas Rohes an sich. Seine Haare sind etwas kürzer, als das im Moment in Mode ist, andererseits ist er aber auch ein paar Jahre älter, als die Studenten und im Arbeitsleben kann keiner diesen Schüttelpony brauchen, den man sich alle dreißig Sekunden aus der Stirn streichen muss, weil einem die Haare in die Augen hängen. Ob er wohl unter dem T-Shirt ein Six-Pack versteckt? Von vorne konnte ich ihn leider nicht genauer sehen, denn da klebte ja diese Tussi an ihm.

Aber selbst bei dem schummrigen Licht konnte ich seine sinnlichen Lippen erkennen. Wie es wohl wäre ihn zu küssen?

Igitt, wo kommt denn der Gedanke jetzt her? Sein „ich-weiß-gar-nicht-wie-ich-es-in-Gedanken-benennen-soll" steckte in einer Frau und ich bin mir fast sicher, er hat kein Kondom benutzt. Das ist nur ekelhaft.

Ich studiere Medizin zwar erst im zweiten Semester, aber selbst mir ist spätestens seit der Infektion meines Bruders klar, dass man sich beim Sex jede Menge absolut widerliche und obendrein auch noch tödliche Krankheiten einfangen kann. Es schüttelt mich innerlich.

„Hörst du mir überhaupt zu?", fragt Emmi vorwurfsvoll.

„Sorry, Emmi, ich bin einfach müde", winde ich mich heraus. Aber sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an.

„Ich bin nicht so völlig betrunken", sagt sie dann, „dass ich nicht merke, wenn du hellwach bist." Sie blickt auf die Uhr. „Du schläfst sicherlich seit mindestens fünf Stunden. Mehr schläfst du nie!"

„Emmi, ich hatte eine anstrengende Woche", schwindle ich und sie klopft mir auf den Oberschenkel der unter der Decke raus lugt.

„Sorry, du hast recht. Ich lass dich besser schlafen."

Die „ich-studiere-viel-und-lerne-hart-Karte" auszuspielen, war vielleicht ein bisschen ungerecht. Aber ich belege drei Kurse mehr als die meisten hier. Nicht weil ich es wollte oder müsste, einfach, weil ich es kann. Würde ich das nicht tun, würde mein Gehirn anfangen sich zu langweilen und früher oder später abschalten. Das war bei mir schon immer ein Problem. In der Grundschule hieß es, ich wäre unaufmerksam, ein Zappelphilipp. Ständig schrieb ich furchtbar schlechte Noten, meine Rechtschreibung war eine Katastrophe. Das Wort Katastrophe wird dem nicht einmal annähernd gerecht!

Folglich schleppte meine Mutter mich zu einer Psychotante. Die machte allerhand Tests mit mir, um rauszufinden, ob ich ADHS oder sowas hab. Am Ende stellte sich raus, dass ich nicht an ADHS, nur an einem zu hohen IQ litt.

Ab diesem Zeitpunkt bekam ich Hochbegabtenförderung und schlussendlich durfte ich eine Klasse überspringen. Während der High-School belegte ich bereits Kurse am örtlichen College und nun bin ich hier auf dem Uni-Campus eine der Jüngsten in meinem Jahrgang, was ich zugegebenermaßen schon gewohnt bin.

Aber natürlich war es für meine Mutter eine wahnsinnige Belastung, zu wissen, dass ihre minderjährige Tochter zwischen all diesen College-Freaks herumspringt. Ein Wunder, dass ich achtzehn geworden bin, ohne bereits zuvor exmatrikuliert zu werden, weil ich reihenweise Professoren verführe.

Sie erwartet schon, seit das erste Semester begonnen hat, dass ich Hals über Kopf in etwas Dummes hineinstolpere, mich total verliebe, Vorlesungen sausen lasse, Drogen nehme, Partys feiere oder anderen Unfug machen. In etwa solchen Blödsinn wie in einen Club gehen und...

Eigentlich ist ihr mangelhaftes Vertrauen in mich sehr traurig, aber ich kann es ihr nicht verdenken. Der Mensch an sich ist fehlbar und ich bin ganz offensichtlich nicht dagegen gefeit, am Abend Mist zu machen.

Hätte ich nicht andernfalls weggeschaut? Wäre vielleicht gar nicht in diesen verdammten Club gegangen - mit einem gefälschten Ausweis. Oh mein Gott, meine Mutter würde durchdrehen vor Sorge. Sie hat mit Niall bereits genug Kummer.

Emmi hat sich inzwischen hinüber verzogen in ihr Bett. Angezogen liegt sie auf der Decke und schnarcht. Behutsam breite die Tagesdecke, die am Fußende ihres Bettes liegt, über ihr aus. Es ist genauso, wie ich es zu Hause auch immer bei Niall gemacht habe, wenn er auf der Couch eingeschlafen ist. Vorsorglich schließe ich noch das Fenster über ihrem Bett, damit Emmi nicht friert. Dann gehe ich leise auf den Gang hinaus und tappe hinüber zu den Duschen.

Emmi hat recht. Ich habe einen Schlaf wie eine Tote und brauche selten mehr als fünf Stunden Nachtruhe, außer ich bin krank. Oder schwer betrunken. Aber das kommt eigentlich nie vor. In der Öffentlichkeit darf ich ohnehin keinen Alkohol trinken, geschweige denn welchen kaufen. Und außerdem schmeckt das Zeug widerlich. Manchmal frage ich mich wie man ausgerechnet Hochprozentiges trinken kann.

Es brennt im Hals, mir wird kotzübel davon. Mit Grauen denke ich an die Abschlussfahrt, auf der ich das erste Mal Flaschendrehen gespielt habe. Tollpatschig wie ich bin, war ich zur Belustigung der anderen, diejenige die am häufigsten trinken musste.

Ich lächle in mich hinein. Vielleicht hat meine Mutter doch einen Anlass sich Sorgen zu machen, wie ich hier klarkomme. Denn immerhin musste sie mich von der Studienfahrt abholen. Meine Schulfreundinnen behaupteten zwar, ich hätte einen Magen-Darm-Virus. Aber meine Mutter hat aus hundert Meter Entfernung gerochen, dass ich nach Alkohol stank und mich gewarnt, welch ernsthafte Folgen das Trinken haben könnte, zumal meine Genetik mich vielleicht für Suchterkrankungen anfälliger machen würde.

Aber nach dem ich mich im Auto mindestens dreimal übergeben musste, habe ich dem Alkohol abgeschworen und trinke nur noch zu ganz wenigen Anlässen und dann maximal ein Gläschen Wein. Oder Champagner zum Anstoßen. Die einzige, gesellschaftlich unproblematische Droge, die ich konsumiere, ist Kaffee. Ansonsten halte ich mich von allem fern. Von Alkohol genauso wie von Gras oder anderem Kram. Wahrscheinlich bin ich einfach zu klug, um dieses Teufelszeug anzurühren.

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