CAT - 34
Joop sitzt wie immer mit seinen Kumpels an einem der Fenstertische. Um diese Zeit ist die Mensa gesteckt voll und ich meide diese Zeit unter allen Umständen. Ich hasse es mit Unbekannten an einem Tisch zu sitzen und ihre Privatgespräche anhören zu müssen. Jetzt komme ich allerdings nicht darum herum. Ganz bewusst habe ich drei Typen aus der Uni gewählt, damit ich abends nicht ewig in der Stadt rumhängen muss und einen guten Start hinlegen kann. Suchend sehe ich mich um, tue ein wenig unschlüssig und steuere dann Joops Tisch an.
„Ist hier noch frei?", frage ich. Die Jungs nicken und ich stelle mein Tablett ab.
Dann setze ich mich und mache mich ans Essen, während ich aufmerksam die Gespräche verfolge, die geführt werden, ohne mir was anmerken zu lassen, um Infos zu sammeln. Als sich die Mittagspause dem Ende zu neigt und die ersten an unserem Tisch aufstehen, ziehe ich meinen vorbereiteten Notizzettel hervor und rücke zu den Verbliebenen auf. Joop ist zu meinem großen Glück noch unter ihnen.
„Kann ich Euch kurz was fragen? Ich muss zu diesem Projekt und habe aber keine Ahnung, wo der Raum ist. W23 C1-17."
„Das ist im Westblock. Gebäudeteil C 1.Stock Zimmer 17. Ist von hier ein bisschen kompliziert."
Genau, Joop, du Leuchte. Deswegen, genau deswegen, habe ich mich spontan für ein Lerncoaching-Projekt in diesem Raum angemeldet.
„Am besten gehst du mit Joop. Er muss doch auch zum Westblock, oder?", schlägt einer seiner Kumpels vor.
Super, besten Dank, Einstein. Dann brauch ich nicht mal fragen, ob er mir den Weg zeigt.
„Klar, komm einfach mit", sagt er. „Ich meine, wenn du fertig bist mit Essen." Er schielt auf mein Tablett.
„Oh, das ist für später", sage ich und stecke den Apfel und den Joghurt in meine Tasche. Joop stapelt daraufhin sein und mein Tablett zusammen und stellt dann beide auf dem Weg nach draußen in den Tablettwagen.
„Ich bin Cat", stelle ich mich vor.
„Joop", sagt er.
„Seltsamer Name. Habe ich noch nie gehört."
„Niederländisch", erklärt er freundlich.
„Deswegen dein Akzent?"
„Ja, wir sind erst seit drei Jahren in den Staaten. Aufgewachsen bin ich in Den Haag."
„Muss schön sein, ganz nahe am Meer. Bestimmt ist es dort im Sommer nicht abartig heiß wie hier."
Abschätzend sieht er mich an.
„Den Haag ist wirklich schön. Aber die Nordsee ist selbst bei Hitzeperioden arschkalt."
„Fehlt dir das Meer?", hake ich nach und sieh an, ich habe seinen Nerv getroffen. Er nickt wehmütig.
„Ich würde gerne mal nach Europa fliegen", sage ich. Das stimmt wirklich. Niall und ich haben oft von Rom und Paris geträumt. Von Venedig, von Prag, Berlin, Mailand und natürlich London. Und dem Oktoberfest in München.
Joop lacht, als ich ihm meine Reiseziele aufzähle.
„Da hast du wohl einiges vor."
Ja, aber keines der Ziele werde ich mit Niall ansteuern können und ohne ihn will ich nicht mehr.
„Wir sind da. Im ersten Stock, ja?" sagt Joop, deutet nach oben und ich nicke.
„Danke."
Ich sehe ihm nach und frage mich, wie ich weiter vorgehen soll.
Die Frage erübrigt sich, als ich nach dem langweiligsten Projekt der Welt die Treppe runterrenne und beinahe in Joop hineinlaufe, der auf der untersten Stufe sitzt.
„Hi", sagt er und steht auf. „Ich dachte, ich hol dich mal lieber ab und geh sicher, dass du zurück zum Hauptgebäude findest."
Ach echt? Gräbt er hier grade mich an, oder ich ihn?
„Dann hast du leider umsonst gewartet. Ich fahr jetzt heim. Mein Bruder besucht mich bis Mittwoch und hockt schon den ganzen Vormittag rum und wartet auf mich, weil wir uns dann wieder wochenlang nicht sehen."
Ich versuche dennoch angemessen enttäuscht zu klingen, immerhin bin ich noch lange nicht am Ziel. Unauffällig sehe ich auf meine Uhr.
„Oh Himmel, ich muss mich wirklich beeilen. Mein Bus geht in sechs Minuten! War nett dich kennenzulernen."
Und schon bin ich weg. Das war kein toller Abgang, der Bus geht aber nun mal wirklich in sechs Minuten und ich habe Niall jetzt lang genug warten lassen.
„Den Bus schaffst du im Leben nicht mehr", ruft Joop mir nach. „Es muss einfach klappen", rufe ich über die Schulter und sprinte los.
Natürlich klappt das nicht. Völlig außer Atem stehe ich an der Haltestelle, vom Bus sehe ich nur noch die Rücklichter.
Was für ein blöder Scheiß, eigentlich wollte ich heute bei Niall bleiben, aber die Aussicht mir mit dem Geld ein Auto kaufen zu können, hat mich bewogen, zumindest zu versuchen, die drei Aufgaben als Erste zu erfüllen.
Schnell texte ich Niall, dass ich den Bus verpasst habe. Und er antwortet, ich solle mir keinen Stress machen. Ich will gerade antworten, als ein Auto neben dem Haltehäuschen stehen bleibt. Grinsend lehnt sich Joop über den Beifahrersitz und öffnet mir die Tür. „Hab doch gesagt, dass du es nicht schaffst."
„Ich habe den Bus aber zumindest noch von hinten gesehen!", sage ich lachend.
„Wo musst du hin? Kann ich dich ein Stück mitnehmen?" Augenblicklich fühle ich mich schlecht, weil er nett zu mir ist und ich keine ehrlichen Absichten verfolge. Nicht gut, denke ich. Aber jetzt hilft es ja eh nicht mehr. Seufzend steige ich ein und nenne ihm die Adresse.
„Ach, du wohnst in der alten Fabrik? Da gab es früher wilde Partys." Er mustert mich von der Seite, schaut dann aber wieder auf die Straße.
„Ach, wirklich?", hake ich nach. Das scheint mir entgangen zu sein. Weder Max noch James oder Emmi haben davon jemals was erwähnt. Nicht mal Elena, die immer mal wieder mit Emmi rumhängt und bei ihr kann man annehmen, dass sie sich, was Partys betrifft, ziemlich gut auskennt.
„Ja, aber das war leider lange vor meiner Zeit. Da muss es aber ziemlich krass abgegangen sein, andernfalls wären die nicht bis heute legendär."
Kann ich mir vorstellen... alles was mit Sam zu tun hat ist krass.
„Jedenfalls haben zwei Typen da vor fünf Jahren ein Mädchen vergewaltigt. Dieser Sam saß daraufhin kurz in U-Haft, aber er hatte wohl nichts damit zu tun. Ihm gehörte ja nur das Haus. Danach war aber Schluss mit den Partys."
Das klingt jetzt ein bisschen gruselig. Wenn Max davon wusste, aber nichts gesagt hat, hoffe ich mal, dass alles in Ordnung ist und Sam kein Triebtäter ist. Gleichzeitig halte ich mir aber vor Augen, dass ich keinen der Leute, die ich als „Freunde" bezeichne, lange genug kenne, um sie zu hundert Prozent einschätzen zu können. Alles nur Bauchgefühl und ich kann nur hoffen, dass ich da nicht völlig daneben liege. Denn zwischen meinem zugegebenermaßen unschuldigen Verlangen nach Sam und der Möglichkeit von ihm vergewaltigt zu werden liegen Welten...
Vor dem Tor hält Joop und lässt mich aussteigen. Als er meine Tasche aus dem Kofferraum holt, mache ich aus dem Handgelenk heraus einen Schnappschuss von seinem Auto vor dem Tor. Soweit war das echt easy. Ich musste gar nicht viel machen. Gewissermaßen ein Selbstläufer.
Nun noch die Nummer und der Kuss. Das dürfte schwieriger werden...
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