CAT - 18

„Mom", heule ich ins Telefon. „Ich habe nichts Schlimmes gemacht. Wirklich! Sam hatte Migräne und da konnte ich einfach nicht gehen. Was, wenn es wie bei Niall gewesen wäre..."

„Ist gut, Cathy", seufzt Mum nachsichtig und resigniert. Sie ist vielleicht die Einzige, die mich versteht. Die Wohnheimleiterin hat mich nicht mal zu Wort kommen lassen.

Sie hat nur gesagt, dass sie keine Ausreden duldet und ich gegen die Regeln verstoßen hätte. Dann hat sie mir drei zusammengefaltete Umzugskartons auf den Tisch geknallt und gesagt ich solle mir ein anderes Wohnheim suchen.

Mitten im Semester. Sehr witzig.

„Cathy", sagt meine Mom, „beruhige dich. Ich glaube dir ja. Aber du weißt, ich kann hier nicht einfach weg. Die Pflegerin ist noch zu neu und mit Niall könnte ich sie noch nicht allein lassen. Dein Dad ist bis Ende des Monats in Washington." Ihre Stimme kippt in eine leicht überforderte und verzweifelte Tonlage in der ein leichter Vorwurf mitschwingt.

Ja, natürlich weiß ich das alles, ahne aber gleichzeitig, dass sie in Bezug auf Niall wieder einmal völlig übertreibt. Trotzdem bin ich froh, als sie verspricht mit der Leiterin zu telefonieren, wenn diese Zeit hatte, sich ein paar Tage zu beruhigen.

Die Hoffnung stirbt zu Letzt, sage ich mir, aber der Satz klingt hohl in meinen Ohren. Warum habe ich mir kein Taxi genommen? Das war mal richtig bescheuert von mir. Dieser Sam könnte mir doch einfach vollkommen egal sein. Aber ihm ging es gestern wirklich richtig mies. Hätte ich einfach wegschauen sollen, wenn jemand dringend Hilfe braucht? Dann hätte ich definitiv das falsche Studienfach gewählt.

Max hat mich ja gewarnt, dass der Typ einem Mädchen nur Ärger bringt. Wenigstens taucht mein Foto in keiner Klatschspalte auf oder gar auf einer Hochglanztitelseite. Das hätten meine Eltern mir sicher sehr übelgenommen.

Gestresst fahre ich auf meinem Bürostuhl vor und zurück. Eigentlich müsste ich jetzt dringend lernen. Aber wozu? Wenn ich nicht binnen zwei Wochen ein neues Zimmer finde, bin ich mit diesem Semester ohnehin fertig!

Ich schnappe mir die Zeitung und schaue mir ohne große Hoffnung die Inserate an.

Sechs Tage später habe ich noch immer keine Unterkunft. Auf jedes Zimmer zur Untervermietung kommen gefühlt hundert Interessenten und ich bin am Boden zerstört. Soll ich unter einer Brücke in einem Pappkarton schlafen?
Diese Frage interessiert keinen der Vermieter, wenn es Kandidaten gibt, für die die Eltern bürgen oder die über festes Einkommen verfügen.

Ich versuche wirklich und ganz ehrlich, den Mut nicht zu verlieren, aber immer wieder überrollt mich die Panik und es zeichnet sich deutlich ab, dass es mir nicht gelingen wird, innerhalb von vierzehn lausigen Tagen eine neue Unterkunft zu finden, auf einer schönen bestehe ich schon gar nicht mehr.

Während ich auf dem Weg zum nächsten Besichtigungstermin bin, brummt mein Handy in der Tasche. Sicher Niall, der sich erkundigen will, wie es läuft. Er ist echt süß und gibt sich total viel Mühe, mich zu unterstützen. Jeden Tag schickt er mir Inserate und Suchanfragenergebnisse auf mein Smartphone. Teilweise hat er sogar schon Termine vereinbart.

„Hi, Niall", melde ich mich atemlos über mein Headset, während ich die Straße zur Bushaltestelle hinunterhetzte.

„Irrtum, Cinderella, ich bin's, Sam."

Mein Herz setzt einen Schlag aus, rast dann ohne Vorwarnung in doppelter Geschwindigkeit weiter. Warum ruft er mich an? Ich habe, seit ich auf seinem Sessel übernachtet habe, nichts mehr von ihm gehört. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das auch nicht erwartet. Wegen meiner unorthodoxen Art, ihn am Telefon zu begrüßen, entschuldige ich mich erstmal.

„Oh sorry, ich habe gar nicht aufs Display geschaut."

„Wie läuft die Zimmersuche?", erkundigt er sich. In seiner Stimme schwingt Neugierde mit und zusätzlich ein Unterton, den ich nicht zuordnen kann. Eine nervöse Anspannung, die ihn etwas atemlos klingen lässt.

„Schlecht, Sam. Ganz schlecht. Ich habe noch immer nichts", murre ich kopfschüttelnd.

„Das tut mir sehr leid", sagt er zerknirscht. Aber eigentlich müsste Sam das nicht sein, ihn trifft keine Schuld. Ich hätte einfach José anrufen können, der hätte mich sicher gedeckt.

Doch das ganze „hätte", „wollte", „würde" bringt jetzt nichts mehr, ich sitze richtig in der Tinte.

„Hör zu, ich muss Schluss machen, ich bin gleich nochmal bei einer Besichtigung", informiere ich meinen Anrufer.

„Ich würde gerne mit dir über was reden. Rufst du mich zurück?"

Reden? Danach steht mir der Sinn grade gar nicht. Eher nach heulen. Dennoch stimme ich zu und hetze dann die Treppe zu einer Wohnung hinauf. Im Treppenhaus riecht es muffig und die Wände sind abgeschrammt, die Farbe blättert teilweise von den Türen, aber meine Möglichkeiten werden immer beschränkter.

Mitten im Semester sind die meisten Zimmer einfach belegt. Frei wird oder ist da nur noch Ausschuss.

Und nicht mal mit dem Ausschuss habe ich Glück, denn den Zuschlag bekommt in diesem Falle ein Mädel mit seiner Mutter.

Auf einer Bank an einem kleinen Park in der Nähe lasse ich mich fallen und wähle die Nummer, von der aus Sam angerufen hat. Er meldet sich schon nach dem ersten Klingeln.

„Wie lief es?", fragt er ohne Begrüßung.

„Wieder nichts", antworte ich erschöpft. Die Situation zermürbt mich in zunehmendem Maße und die Tatsache, dass ich keine Unterkunft finde, hängt wie ein Damoklesschwert über mir.

„Wo bist du? Ich wollte grade ins „Granny's" auf ein Stück Kuchen und einen Kaffee. Würde dich das aufmuntern?"

„Klingt gut. Aber ich brauch eine Weile. Der Bus ist grad weg."

„Ich habe ein schnelles Auto. Ein sehr schnelles Auto. Sag mir einfach, wo ich dich abholen kann."

Dankbar nenne ich ihm die Adresse. Die Aussicht nicht mehr laufen zu müssen, ist wie Balsam für meine geschundene Seele.

„Gib mir fünf Minuten", sagt Sam großspurig und entlockt mir ein Lächeln.

„So lange? Ich dachte dein Auto sei schnell?", necke ich ihn, obwohl mir gar nicht nach Scherzen zu Mute ist. Sein Lachen ist tief und sexy.

„Ich bin ein alternder Mann, Cinderella, und die Hälfte der Zeit brauche ich doch schon, um ohne fremde Hilfe vom Sofa hochzukommen", lacht er.

Dann legt er auf. Nett. Er holt mich ab. Ich finde Sam ist kein übler Kerl. Ich weiß gar nicht, was Max immer hat.

„Das waren aber jetzt gute sieben Minuten!", hänsele ich Sam, als er mit neben mir hält.

„Sorry, aber ich musste mir noch schnell was anderes anziehen", entschuldigt er sich

„Hast du wieder in deiner Kleidung geduscht?", stichle ich und wieder lacht er.

„Nein, ich wollte nur genauso gut aussehen wie du", sagt er dann und grinst mich anzüglich an. Bei dem unerwarteten Kompliment fangen meine Wangen sofort wieder an zu glühen und verlegen sehe ich auf den Boden.

„Mal abgesehen davon bist du für einen Teenager ganz schön frech. Haben dir deine Eltern nicht beigebracht, Respekt vor dem Alter zu haben?", tadelt er mich. Erstaunt sehe ich ihn an.

„Verzeihung, Opa!", sage ich dann und verziehe entschuldigend das Gesicht.

Vor dem „Granny's" lässt er mich aussteigen und sucht einen Parkplatz. Er hat zwar gesagt, ich solle schon mal reingehen. Aber ich warte trotzdem auf ihn.

Ein bisschen Erziehung habe ich tatsächlich genossen, was ich ihm nur allzu gerne unter die Nase reibe, als er fragt, warum ich noch vor der draußen stehe.

Sam hält mir die Tür auf und gemeinsam suchen wir an der Vitrine ein hochkalorisches Stück Kuchen aus und bekommen jeder unseren Becher Kaffee.

Sam nimmt den gleichen Platz wie beim letzten Mal. Was ich tatsächlich ein bisschen unangenehm finde, denn es erinnert mich wieder daran, dass es keine Wiederholung unserer Intimitäten geben wird. Und das ist in vielerlei Hinsicht absolut unbefriedigend.

„Max hat mir gesagt, dass es mit der Zimmersuche nicht gut läuft."

Er stochert in seinem Kuchen herum. Dann sieht er mich direkt an.

„Wenn du nichts findest, sagt Max, musst du zurück zu deinen Eltern ziehen?"

„Ja, das werde ich müssen", gebe ich zurück und schiebe mir trotz des Unbehagens, das mich bei dem Gedanken befällt, ein Stück Kuchen in den Mund.

„Wäre das denn sehr schlimm für dich?", fragt er direkt.

Ja, denn bei uns zu Hause herrscht der völlige Wahnsinn und ich halte das einfach nicht aus. Doch statt etwas zu sagen, starre ich einfach auf meinen Teller. Wie soll ich das erklären?

„Du verstehst dich nicht mit deinen Eltern?", bohrt er weiter.

„Das ist es nicht direkt. Meine Eltern sind eigentlich super." Ja, das sind sie. Super auf eine freakige Art und Weise.

Plötzlich legt sich seine Hand über meine. Überrascht sehe ich ihn an, blicke in seine von dunklen Wimpern umrahmten Augen. Ein zurückhaltendendes, aber definitiv ermutigendes, Lächeln umspielt seine sinnlichen Lippen.

„Ich würde gerne versuchen, dir zu helfen", sagt er. Sein Daumen streicht sanft über mein Handgelenk und seine federleichte Berührung macht die ganze Situation, in der ich feststecke, nur noch schlimmer. Plötzlich beginnen all die Tränen zu fließen, die ich seit Tagen zurückhalte. Es ist, als wäre ein Staudamm gebrochen.

Sam zieht seine Hand zurück und sieht mich ratlos an. Dann steht er auf, kommt um den Tisch herum und nimmt mich in den Arm. Minutenlang hält er mich einfach nur fest.

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