CAT - 13
Das Telefon auf meinem Tischchen summt und reißt mich aus meiner mühsam erkämpften Konzentration. Leicht desorientiert sehe ich von meiner Hausarbeit auf und frage mich beunruhigt, warum die interne Nummer des Pförtners angezeigt wird. Vielleicht werde ich wegen der Dusche letzte Nacht nun doch noch zur Heimaufsicht gerufen? Ich melde mich und während ich dem Pförtner zu höre, schleicht sich langsam ein breites Lächeln auf mein Gesicht.
„Hier unten steht ein Mann. Er möchte dich gerne sprechen", erklärt mir der Mann am Telefon mit einem unverkennbar spanischen Akzent. „Sein Name ist nicht in deiner Akte eingetragen, daher dachte ich, du kommst besser runter und holst ihn hier ab."
Ich bedanke mich bei meinem Anrufer, den ich anhand seines Akzentes als José identifiziert habe, für die Info und werfe einen Blick in den Spiegel. Momentan kann ich zwar nur spekulieren, wer mein Besucher ist, dennoch kriecht Röte meinen Hals hinauf. Du meine Güte, wenn das wirklich Sam ist, wie soll ich ihm in die Augen schauen?
Oder machen das unter der Dusche alle Paare? Sind wir überhaupt ein Paar? Wenn ich ihm egal wäre, würde er dann hierherkommen und nach mir fragen? Aber hat Sam nicht gesagt, Jungfrauen sind nichts für ihn? Was, wenn es nicht er, sondern jemand anders ist? Fragen über Fragen.
Um meine durcheinanderpurzelnden Gedanken zu beruhigen und vor allem das Kribbeln in meinem Bauch in den Griff zu bekommen, das von einem Schwarm Schmetterlinge herzurühren scheint, atme ich erst einmal tief durch.
Statt den Aufzug zu benutzen, renne ich die Treppe runter. Auf dieses lahme Ding zu warten, würde mich jetzt verrückt machen. Abgesehen davon lässt man niemanden warten, egal wer der Besucher ist.
Ein Blick durch die Glastür, die Treppenhaus und Foyer trennen sagt mir: es ist Sam. Er lehnt an Josés Tresen, die Beine hat er locker übereinander gelegt von sich gestreckt.
In seinen ausgewaschenen, zerrissenen blauen Jeans, dem hellen T-Shirt und der schwarzen Lederjacke sieht er aus wie ein Modell. Und ich war mit ihm unter der Dusche. Noch verrückter ist, dass er hier ist. Meinetwegen. Mit meiner ganzen Selbstbeherrschung unterdrücke ich den Drang zu kreischen wie ein Teenie oder auf und ab zu springen.
Im Foyer des Wohnheimes wirkt Sam merkwürdig deplatziert. Zwar trägt er die gleiche Kleidung wie die meisten hier, aber man sieht dennoch, dass er in einer anderen Liga spielt. Er ist ein gutes Stück älter als die Studenten und seine Kleidung verrät die finanzielle Unabhängigkeit, die er besitzt, und von der wir hier alle noch träumen. Sie wohlmöglich aber niemals erreichen.
Ich hasse die neugierigen Blicke, die mir folgen, als ich mit hochroten Wangen die Tür aufstoße und zu ihm gehe.
Meine Stimme klingt piepsig, als ich Sam begrüße, aber er lächelt mir aufmunternd zu. Was für ein Lächeln. Du lieber Himmel, das kann sicher Engel in Versuchung führen. Dann drückt er mir einen Kuss auf die Wange und raunt mir ins Ohr:
„Ich musste dich einfach noch mal sehen, Cinderella."
Mein ganzer Körper beginnt erneut zu kribbeln, als er mir so nah ist und meine Libido schlägt Purzelbäume.
Vermutlich soll ich jetzt etwas sagen? Mein Gehirn ist jedoch wie leergefegt, ich bringe keinen Satz raus, nicht mal ein Wort. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht anfange zu sabbern! Er sieht einfach sowas von gut aus.
„Die ist für dich." Sam hält mir eine einzelne Rose entgegen, eine von diesen Langstieligen mit einem zweifarbigen Kopf in hell und dunkelorange. Verlegen greife ich danach, froh jetzt zumindest zu wissen, dass ich meine Hände beschäftigen kann.
„Danke, die ist sehr hübsch", sage ich unbeholfen. Plötzlich wünschte ich, ich hätte mehr Erfahrung, wäre nicht linkisch und verlegen.
„Können wir uns hier irgendwo in Ruhe unterhalten?", fragt er.
„Die Möglichkeiten sind beschränkt", antworte ich lachend. Die Frage im Zusammenhang mit einem Wohnheim ist einfach absurd und vertreibt meine Verlegenheit schlagartig.
„Es gibt auf jeder Etage einen Aufenthaltsraum, aber Ruhe gibt es dort erst nach dreiundzwanzig Uhr", kläre ich Sam auf.
„Solange wollte ich nicht warten." Er lächelt verschmitzt und seine nussbraunen Augen funkeln amüsiert.
„Dann die Küche? Da feiern gerade höchsten zwölf Mädels den Geburtstag von Sarah. Mit Kuchen und allem Drum und Dran. Vielleicht kriegen wir ja auch ein Stück", schlage ich vor.
Sam zieht fragend eine Augenbraue hoch. "Dein Ernst?"
„Und mein Zimmer ist tabu", füge ich hinzu. „Meine Mom hat den Vertrag gemacht, als ich unter achtzehn war, daher kein Herrenbesuch."
Sam nickt. „Verstehe. Ist nicht schlimm. Ich weiß ein nettes Café, wo wir Ruhe haben und wo wir sicher Ersatz für den verpassten Geburtstagskuchen finden."
Das „Granny's" liegt am Rande eines Wohngebietes und ist anders als jedes Café, das ich bisher gesehen habe. Als Sam mir die Tür aufhält, weht mir der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und warmem Apfelkuchen entgegen.
Die ungewöhnliche Einrichtung erinnert eher an das Wohnzimmer einer Granny, als an ein Café.
Um niedrige Tischchen sind kleine Sofas angeordnet und auf den Tischen stehen Zuckerdosen wie aus den 50er Jahren und kleine weiße Milchkännchen mit blauen Tupfen, doch leider ist keiner der Tische frei. Trotzdem steuert Sam auf die Vitrine zu, in der die Kuchen des Tages ausgestellt sind und fragt mich, was ich möchte.
Kopflos wie ich bin, seit Sam mich mit seinem Besuch überrascht hat, fällt mir erst in diesem Moment auf, dass ich vorhin nur schnell meinen Schlüssel eingesteckt habe, aber weder Geld noch Handy oder Papiere dabeihabe.
Hoffnungsvoll grabe ich das Wechselgeld vom Coffeeshop heute Morgen aus der Tasche. Ganze 6,75 $.
Aber das ist nicht schlimm, denn tatsächlich kann ich mir davon das Tagesangebot leisten: eine gute Tasse Filterkaffee sowie ein Stück Apfelkuchen mit Sahne. Wenngleich mir noch nicht klar ist, wo wir essen sollen, denn bisher hat keiner der Gäste seinen Tisch geräumt.
Sam bestellt sich unbeirrt das Gleiche wie ich und führt mich dann einen schmalen Flur entlang, der, wie er als offenbar Eingeweihter weiß, hinaus in den Garten führt.
Von den vier Tischen dort ist nur einer besetzt. Mich führt Sam an den, der von dem anderen Pärchen am weitesten entfernt ist.
Während er von seinem Kaffee trinkt, mustert Sam mich über den Rand seiner Tasse und das Stückchen Kuchen, das ich mir gerade in den Mund schieben wollte, bleibt auf halber Höhe hängen. Sein Blick aus diesen braunen Augen ist genau auf meinen Mund gerichtet und wandert jetzt wieder nach oben zu meinen Augen.
Plötzlich habe ich keinen Appetit mehr auf den Kuchen. Dafür wächst mein Appetit auf etwas anderes. Meine Lippen prickeln und ich habe das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Ein erwartungsvoller Druck hat sich auf meine Brust gelegt.
Befangen lege ich die Gabel auf den Teller und versuche zurück zu starren. Das stellt sich als keine gute Idee heraus. Es versetzt mich zurück in die Situation, als wir uns das erste Mal in die Augen gesehen haben. Als er... ne, jetzt nur nicht daran denken, ermahne ich mich und schon werde rot.
Was soll ich tun? Ich weiß überhaupt nicht, wo ich sonst hinschauen könnte. Lediglich mein Kuchen bietet sich als Alternative an und so hefte ich meinen Blick wieder verzweifelt auf meinem Teller und malträtiere den Kuchen mit meiner Gabel, während ich darauf warte, dass Sam das Schweigen bricht.
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