- Kapitel 7 - Lüge oder Wahrheit

Nach einer aufgewühlten Nacht wachte Esa mehr als müde in ihrem Bett auf. Und anstatt wie sonst sofort aufzuspringen, blieb sie liegen. Ihr Kopf dröhnte und fühlte sich schwer an. Es war kein Schmerz, aber so weit war es davon auch nicht entfernt. Und der Hals kratzte ihr, sodass sie trocken husten musste. Das tat er zwar schon seitdem sie so viel Wasser geschluckt hatte im Fluss, aber jetzt war es stärker und ließ sich kaum noch ignorieren. Sie wurde doch nicht etwa krank, oder? Nach all der Kälte und Nässe des vergangenen Tages würde es sie jedoch nicht wundern.

Sie seufzte stumm und wollte die Augen am liebsten wieder schließen, um weiterzuschlafen. Aber dann wanderten ihre Gedanken zu dem Fremden, der ihr in der Nacht einen Besuch abgestattet hatte. Es weckte in ihr sofort ein unheilvolles Gefühl. Wer war er und was bei den Ahnen wollte er? Wer rettete jemanden und brach dann in sein Zimmer ein? Sie wusste es nicht. Aber jetzt war sie sich auch sicher, selbst wenn er selbst es schon verneint hatte: Ein Magier war er nicht. Ihr wurde immer erzählt das Magier vornehme und höfliche Personen waren, die in besonnener Zurückhaltung durch das Land reisten und ihre Dienste anboten. Dieser Fremde war weder besonnen, noch vornehm oder höflich. Genau genommen konnte sie ihn gar nicht richtig einschätzen, aber das immerhin konnte sie sagen: Er war ein gefährlicher Mann. Mit meinen Händen und Zähnen, mit Blut und Feuer... Das hatte er gesagt und jedes seiner Worte klang ihr im Kopf immer und immer wieder. Mit jemanden wie ihm wollte sie nichts zutun haben und sie hoffte stark, dass sie ihm nicht wieder begegnen würde. Wieder musste sie husten und kuschelte sich in ihre Decke, auch wenn das Mottenzerfressene Ding nur schlecht die Wärme halten konnte und sie einen Zeh durch das Loch am Fußende stecken konnte.

Draußen klapperten Wagen über die zerfurchten Wege. Sie musste aufstehen und ihre Pflichten erledigen. Auch wenn sie dazu wenig Lust hatte und sich ziemlich erschöpft fühlte. Also genoss sie noch einen Moment bewusst die Wärme, und stand dann auf, ging zu dem Wasserbecken und goss aus einer Kanne Wasser ein, um sich zu waschen. Danach kleidete sie sich an, zog ein braunes Überkleid über das weiße Unterzeug und band sich einen bunt bestickten Gürtel um die Taille. Zum Schmuck steckte sie zwei eiserne Fibeln an, die sie trug seit sie denken konnte. Als sie fertig war, sich die braunen Haare zu kämmen und zu flechten, ging sie hinunter in die Wohnküche. Ihre Mutter war bereits fort, sonst würde sie am Küchentisch sitzen und frühstücken. Esa war demnach etwas später aufgestanden als sonst.

Sie bereitete sich ein kleines Frühstück aus Brot und Käse, aber sie ließ sich nicht viel Zeit zum Essen. Sie hatte Lotte versprochen ihr mit dem Töpfern zu helfen. Durch das Missgeschick eines Baumeisters wurde ihre Arbeit der letzten Wochen ruiniert, und die Händler würden in wenigen Tagen wieder in diesem Dorf vorbeikommen. Aber als Esa zur Tür hinausging wurde sie bereits erwartet.

„Esa!", rief eine tiefe Stimme sie und näherte sich ihn schnell. Sie blieb sofort in ihrer Bewegung stehen. „Esa! Thona ist fort! Ich habe ihn seit gestern Nachmittag nicht mehr gesehen und ich habe ihn schon überall gesucht. Mir wurde gesagt, er wurde gesehen wie er dir zum Fluss gefolgt ist. Ist irgendwas passiert?" Es war Thonas Vater. Er klang verzweifelt und außer Atem. Esa öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus. Was am Fluss geschehen war konnte sie nicht erzählen. Nicht nach dem, was ihre Mutter gestern dazu gesagt hatte. Aber wo war Thona? Sie hatte gedacht, dass er heimgelaufen war nachdem... aber er war fort.
„Ich weiß nicht", sagte sie kleinlaut und wich etwas zurück. „Aber er ist zu dir an den Fluss gekommen?! Du hast ihn gesehen?", fragte er weiter und raufte sich das dünne Haar. Esa schluckte und nickte eilig. Bitte frag nicht weiter, bitte frag nicht was dann am Fluss passiert ist. Esa fühlte sich nicht bereit über die Handlung erneut nachzudenken. Auch wenn ihre Mutter ihr auf ihre freundliche Art mitgeteilt hatte das sie sich nicht so anzustellen hatte und das es normal war, Esa konnte das nicht glauben. Sie erinnerte sich an die Angst und wie Schrecklich es sich angefühlt hatte.
„Und was ist dann passiert? Hat er irgendwas gesagt oder ist irgendwo hingegangen? Ich kann mir gar nicht vorstellen das der Junge freiwillig allein das Dorf verlassen hat!", fragte der Vater von Thona genau das, was Esa gefürchtet hatte. Ein Eisklumpen verkrampft sich in ihrem Magen. Ihr Puls beschleunigte sich. Was sollte sie nur sagen? Die Wahrheit war ausgeschlossen! Es wäre ihr viel zu unangenehm das noch einmal auszusprechen. „Er... hat sich mit mir unterhalten. Während ich Wäsche gewaschen habe. Wir haben... geredet. Und als ich fertig war, bin ich zurück ins Dorf gegangen. Thona ist... geblieben... glaube ich.", brachte Esa stockend und rasend nachdenkend hervor. Sie knete unruhig ihre Hände und wollte am liebsten im Boden versinken. „Geblieben... Bist du sicher, dass das alles war? Es war sonst niemand bei euch?", fragte er ungläubig. Sie nickte abermals rasch und presste unsicher die Lippen aufeinander. Sie fürchtete, dass er in ihrem Gesicht lesen konnte wie in einem offenen Buch, wie sie wirklich fühlte, was sie dachte. Denn ihre Gedanken waren ohrenbetäubend laut. „Du musst ehrlich sein, Esa! Bist du dir sicher?" Sie schluckte und nickte wieder. Ihrer Stimme konnte sie nicht trauen. Wenn sie den Mund aufmachte kam vielleicht das Falsche heraus.

„Gut dann, werden wir weiter suchen. Aber wenn dir noch etwas einfällt, was gestern passiert ist, dann sag es mir. Ich werde dir auch nicht böse sein. Immerhin, bist du ja - irgendwie - die Ehefrau meines Sohnes." Thonas Vater wirkte niedergeschlagen. Er hatte seine eigene Frau damals an Drachen verloren, meinte Esa sich zu erinnern. Und nun da sein Sohn verschwunden war, musste er die gleichen Ängste und die Trauer wieder spüren. Gewissenbisse keimte in Esa auf. Viel hatte sie ja wirklich übertrieben, als Thona zu ihr an den Fluss kam. Sie hatte sich wie ein Kind verhalten, dass bockig war und ungelehrig. Sie hätte es einfach über sich ergehen lassen sollen. Sie wie eine gute Ehefrau das nunmal tat. So wie ihre Mutter es verlangte.

Heiße Tränen liefen ihr über dir Wangen. Sie spürte sie erst als es schon zu spät war und wischte sie rasch fort. „Erinnerst du dich an etwas?", fragte der Vater von Thona, nun schon etwas weiter weg, als hätte er sich schon entfernt. „Nein, es tut mir nur so leid...", brachte sie leise hervor. „Was tut dir leid?", fragte der Mann wieder etwas hoffnungsvoller.
Sie musste dem Mann sagen was am Fluss geschehen war. Es ihm vorzuenthalten war genauso naiv und bockig wie ihre Zurückhaltung gegenüber Thona. Auch, wenn ihre Wangen nur bei dem Gedanken es ihm zu sagen, rot glühten vor Scharm.

Sie schluckte hart und wollte gerade antworten, als eine weitere Person mit großen Schritten dazu kam. Er legte einen Arm um ihre Hüfte und sagte dem Mann: „Sind wir hier im Verhör? Lass das arme Mädchen in Ruhe, Walter. Sie weiß nichts, hat sie doch schon gesagt. Kann doch sein, dass dein bescheuerter Wicht von einem Sohn auch einfach in den Fluss gefallen ist, weil er voll wie ein Eimer war als ich ihn gestern gesehen habe. Einfältig genug ist er ja dafür, nicht wahr? Wollte sich Mut antrinken um unserer Dorfschönheit unter die Augen zu treten."

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