- Kapitel 4 - Rettung
Eigentlich hatte er das ja nicht nötig. Er hatte es nicht nötig dieses Menschenmädchen aus dem Wasser zu zerren. Und noch viel weniger nötig hatte er es gehabt den Menschenmann mit einem Happs aufzufressen. Das Fleisch von Menschen schmeckte ihm für gewöhnlich zwar gut, aber er war eigentlich satt.
Eigentlich hatte sich der Drache im Schatten der Bäume niedergelassen, um nach einem reichlichen Mahl ein Nickerchen zu machen und sich in der Sonne zu wärmen. Aber dann hatte er das Mädchen am Fluss entdeckt, wie sie summte und seelenruhig ihre weißen Lumpen rieb und einseifte, ins Wasser tauchte und wieder von vorn begann. Sie hätte ihn sehen müssen als sie an Flussufer getreten war, anders war es gar nicht möglich, denn einen Drachen seiner Größe übersah man nicht. Auch Menschen, deren Augen in der Regel nicht so scharf waren, erkannten Drachen überraschend gut schon aus weiter Entfernung. Und doch schien es sie nicht im geringsten zu stören, dass er hier war. Als er vorsichtig witterte, konnte er auch nicht den Hauch von Angst riechen. Nein, sie summte weiter ihr Lied, lächelte dann und wann mal in Gedanken und sah nicht einmal zu ihm hin. Geschlagene zehn Minuten vergingen in denen er sie von seinem Platz zwischen den Bäumen aus in grotesker Faszination beobachtete.
Und dann war der zweite Mensch aufgetaucht. Seine Anwesenheit hatte das Mädchen sofort bemerkt. Sie hatte innegehalten in ihrer Bewegung und gelauscht. Obwohl sein Erscheinen auch kaum zu überhören gewesen war. Er bewegte sich schwerfällig auf dem Kies. Ein Windstoß wehte den Geruch von Schweiß und schlechtem Atem zu dem Drachen rüber. Und noch etwas anderes schwang in seinem Gestank wieder, was der Drache nur zu gut wiedererkannte. Die klebrige, schwere Note der Erregung.
Er war schon mit einer Beule in der Hose zu dem Mädchen hingetreten. Als er mit ihr gesprochen hatte wurde sie deutlicher unter der löchrigen Tunika. Der Drache hatte nie Interesse am menschlichen Paarungsverhalten gehabt, wahrscheinlich hätte er sich in jedem anderen Fall gelangweilt abgewandt. Aber das was als nächstes passierte, kam ihm schrecklich bekannt vor. Das Mädchen weinte und schrie und versuchte dem Mann auszuweichen. Vergeblich. Er war stärker und größer und ließ sich nicht durch die Angst beeindrucken, die ihm entgegenschleuderte. Auch das konnte der Drache wahrnehmen. Ihre Angst. Salzig wie Tränen, kühl, übelriechend. Er konnte sie riechen als würde sie direkt vor ihm stehen, beinahe meinte er die Angst sogar auf seiner Zunge schmecken zu können. Sie löste etwas in ihm aus. Einen tiefen, wilden Groll, ein Knurren das der Mann in seiner Erregung vollkommen überhörte.
Und ehe der Drache wieder Rationalität gewinnen konnte war er auch schon vorgesprungen und hatte den Mann mit den Zähnen gepackt. Nicht mal geschrien hatte er, so perplex war er als Zenon ihn mit einem Ruck verschlang, er musste nicht einmal kauen. Und plötzlich war Ruhe. Gespenstische Ruhe, die den Drachen erleichtert seufzen ließ. Menschen waren so laut, und kurz war er wirklich am Überlegen, das Mädchen, dass so friedlich unter der Wasseroberfläche trieb einfach sterben zu lassen.
Was genau ihn zum Gegenteil bewegte konnte er nicht sagen. Er hatte sie mit einer Klaue vorsichtig aus dem Wasser gehoben und auf den Kies gelegt. Doch sie blieb regungslos, ihre Lippen waren blau, ihre Lider geschlossen. Er wartete einen Moment und dann noch einen, ehe er sich eine Herz fasste und sie mit der Schnauze anstieß. Nichts. Er spannte den Kiefer an und verwandelte sich dann in seine menschliche Gestalt. Oder jedenfalls, menschenähnlich. Vorsichtig trat er an sie heran und kniete sich nieder. Aber was wusste er schon, was man in solchen Situationen macht. Sie hatte Wasser geschluckt, schon klar, und das verhinderte das sie Luft holen konnte. Also musste er das Wasser irgendwie wieder aus ihr herausbekommen.
Er legte die nun menschliche Hand auf ihren Brustkorb und drückte ihn sachte herunter. Ein Schwall Wasser kam aus ihrem Mund. Er tat es noch einmal und wieder spuckte sie Wasser, ohne das sie davon aufwachte. Er schnaubte verwirrt und drückte ein weitere Mal, diesmal etwas kräftiger herab. Als sie sich auch nur nicht rührte beugte er sich herab und blies ihr seinen Atem ein, und das weckte sie in der Tat auf. Sie hustete spuckte noch einen weiteren Schwall Wasser aus und drehte sich hilflos zur Seite. Er wich ein wenig zurück, und sah zu wie sie unter weiterem Husten wieder zu Bewusstsein kam und die Augen öffnete. Dann lag sie da wie ein gestrandeter Fisch, holte schnappend Luft und tat mehrere Minuten nichts außer zu atmen.
Zenon presste die Lippen aufeinander und wartete darauf was nun passierte. Er erwartete das sie sich aufrichtete, ihn erblickte und erneut in Angst und Schrecken erzittern würde. Denn sie würde recht schnell in seinem Äußeren keinen Menschen erkennen. Aber sie richtete sich nicht auf. Sie blieb liegen wo sie war und zitterte wie im tiefsten Winter.
„Thona?", wagte sie es irgendwann mit heiserer und zittriger Stimme zu fragen. Zenon schwieg als sie plötzlich herzzerreißend zu weinen anfing. „Bitte tu mir nichts! Ich werde jetzt auch ganz still halten, ich verspreche es. Nur sei nicht wütend. Bitte... sei nicht wütend. Ich halt still. Ich halt still..." Sie schluchzte unter Zittern. Zenon legte betrachtete die armselige Gestalt vor sich und streckte dann die Hand aus um sie puderweich auf die Schulter des Mädchens zu legen. Sie erschrak, als hatte er sie geschlagen und zog die Beine an den Bauch in Erwartung von etwas schrecklichem.
„Sieh mich an.", forderte er mit tiefer Stimme, die sie erstaunt innehalten ließ. Ihr Kopf wandte sich in seine Richtung, doch ihr Blick suchte wahllos dort, wo sie seine Stimmte gehört hatte. Und was für Augen sie hatte. Sie waren wunderschön. Wie Bernsteine oder Pfirsiche, wenn sie reif und süß waren. Aber sehen konnte sie ihn damit nicht.
Ihr Zittern hatte etwas abgenommen, ihr Puls wurde ruhiger. Eine Reaktion, die er noch nie in Anwesenheit eines Menschen ausgelöst hatte.
„Wer... seid Ihr? Und wo ist Thona... also, der junge Mann, den Ihr sicherlich gesehen haben müsst.", fragte sie unsicher. Er blickte auf ihr rundes, verweintes Gesicht hinab.
„Der Mann ist... tot. Er brauch dir jetzt keine Angst mehr machen.", antwortete der Drache wahrheitsgemäß. „Tot?! Wie... wie?!" Ihre Stimme brach.
Der Drache sah einmal zum Wasser rüber und überlegte, ob er ihr einfach sagen sollte das er ihn gefressen hatte. Aber als er wieder zurück auf sie niedersah, entschied er sich dagegen.
„Der Mann stolperte und schlug sich den Kopf an einem Stein auf. Das Wasser trug seinen Körper fort. Er ist tot." Sie schluckte mehrmals. Verarbeitete das Gesagte.
Dann wagte sie langsam sich aufzurichten. Träge griff sie nach seiner Hand und schob sie fort. Doch bevor sie seine Hand losließ hielt sie ein. „Ihr habt große Hände, Ihr müsst ein großer Mann sein. Aber ihr kommt sicher nicht aus dem Dorf. Eure Stimme kommt mir nicht bekannt vor." Sie betastete mit den Fingern seine Handfläche und er war für diesen Augenblick zu erstaunt von ihrer Berührung, dass er es zuließ. „Die Hände eines Arbeiters habt Ihr nicht. Sie sind weich und schlank, wie von einem Gelehrten oder Adeligen. Nicht hart und breit wie von einem Bauern oder Handwerker. Nein, ich kenne Euch definitiv nicht. Seid Ihr ein Magier? Ich habe gehört das es einige fahrende Magier zwischen den Dörfern gibt.", schloss sie ihre Analyse. Zenon wusste kaum zu antworten. Nicht nur, das ein Mensch ihn freiwillig berührte, sie zeigte auch keine Anzeichen von Angst oder sonstigen Reaktionen auf die seine Instinkte anspringen würden. Sie analysierte ihn.
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