- Kapitel 27 - Fliegen

„Lass mich bitte runter, oder ich...", keuchte Esa und versuchte den stetigen Druck auf ihren Magen zu verringern, indem sie die Position änderte. Sie waren noch gar nicht so lange wieder unterwegs, da konnte sie einfach nicht mehr. Zenons Schulter bohrte sich unangenehm in ihre Organe und die Position wurde von Minute zu Minute schwerer zu ertragen. „Wirst du allein laufen?", fragte er da recht unverfroren. „Ja! Ja, natürlich. Nur lass mich jetzt runter!"

Und tatsächlich, mit einem Ruck war sie wieder in der Senkrechten und taumelte kurz benommen von der Geschwindigkeit. Esa verzog den Mund und schluckte die Übelkeit runter. Zenon runzelte die Stirn und betrachtete sie nachdenklich. „Okay... ich glaube es geht wieder.", meinte Esa sich räuspernd und Zenon setzte unverzüglich seinen Gang fort. Das Seil zwischen ihnen spannte sich wieder und Esa beeilte sich ihm hinterher zu laufen.

Schon nach dem zweiten größeren Stolpern und pieksigen Nadeln und Ästen, Steinchen und Dornen unter ihren Füßen hinterfragte sie sich ob die Position eben wirklich so unerträglich gewesen war. Laufen war auch nicht angenehmer. Jedenfalls nicht in dem Tempo und auf diesem Untergrund. Aber Esa wagte es nicht mehr sich zu beschweren, Zenons Geduld kannte sicher Grenzen. Und diese Grenze würde für sie wahrscheinlich das Ende bedeuten. Auch als ihre Füße von vielen kleinen Ratschern brannten und bluteten hielt sie den Mund, versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren.

Da blieb Zenon abermals stehen und wandte sich zu Esa um. Sie fühlte das Pochen in ihren Füßen, als sie ebenfalls abrupt anhielt und penibel vermied in Zenon reinzulaufen. „Das hat so keinen Sinn.", grummelte er nun offensichtlich genervt. Esa schluckte und ahnte bereits schlimmstes, als sich seine Hand ganz leicht auf ihren Kopf legte. „Du kannst nicht mit mir schritthalten obwohl ich bereits langsam gehe. Und dein Blut zieht eine Geruchsspur hinter dir her, die nur allzu leicht ist zu verflogen. Wir sind also langsam und auffällig und ich bezweifle, dass du eine weitere Begegnung mit einem Drachen herbeisehnst. Nev war natürlich nur ein kleiner Welpe mit übergroßen Selbstbewusstsein der dir persönlich nicht sonderlich viel anhaben kann, aber wir durchqueren gerade das Randgebiet unseres Gebiets, wo sich die Patrouille regelmäßig aufhält. Wenn einer von denen auf dich aufmerksam wird habe nicht nur ich ein Problem, sondern zuallererst du. Denn ein Wächter lässt sich sicher keine Gelegenheit entgehen eine so angenehme Abwechslung wie dich für sich zu haben und nimmt dafür auch den möglichen Tod in Kauf. Und das Ergebnis von zwei oder mehreren Drachen, die um eine Frau kämpfen endet meistens mit ihrem Tod." Zenon bemerkte wie blass Esa geworden war, während er versuchte Rangstreitigkeiten und den primitiven, tierischen Drang vieler Drachen sich Fortzupflanzen in harmlose Worte zu packen. Sie presste die Lippen zusammen und hob hilflos einen Fuß, sodass dieser nicht den Boden berührte.
„Wir machen das jetzt anders.", meinte Zenon entschlossen, während er das Seil von seinem Handgelenk löste. „Wir werden fliegen! Dann sind wir auch deutlich schneller." Esa runzelte zweifelnd die Stirn. Fliegen? Hatte sie das gerade richtig verstanden? Also sie beide? Und dann sagte er das noch, als wäre es das natürlichste auf der Welt. Vielleicht für ihn als Drachen schon! Aber Esa war ein Mensch, wie sollte sie schon fliegen?

Als sie gerade genug Mut zusammengenommen hatte um ihn darauf anzusprechen, beantwortet er ihre Frage schon von allein. Er nahm sie auf den Rücken, ganz so, als wolle er sie Huckepack nehmen, während sie sich überrascht an seinen Schultern festhaltend an ihn klammerte. Und dann verwandelte er sich unter ihr, schnell aber gleichzeitig erschreckend. Esa wusste nicht wie ihr geschah, als der Körper unter ihr anwuchs und die glatte Haut schuppig und fest wurde. Der Hals um den sie sich klammerte wurde länger und breiter, sodass sie ihn nicht mehr umfassen konnte. Die Hitze seiner Verwandlung verbrannte beinahe ihre Hände und Beine, doch schon beim nächsten Zwinkern war die Verwandlung abgeschlossen und die Hitze verebbte. Und dann saß sie auf dem Rücken eines waschechten Drachen. Einfach so. Esas Magen tanzte und sie wagte kaum zu atmen nich sich in irgendeiner Weise zu bewegen. Wenn sie zuvor noch irgendwie Zweifel habt hätte, dass Zenon wirklich ein Drache war und ihr nicht nur was vom Pferd erzählte, dann konnte sie sich nun absolut sicher sein. Und diese Tatsache fiel nun wie ein Stein, nein ein ganzer Fels, in ihr. „Oh bei den Göttern...", flüsterte sie ganz leise für sich vor Entsetzen.

Dann fiel ihr auf das Zenon bisher gezögert hatte, sich ebenfalls noch nicht sonderlich bewegte. Plötzlich gab er eine Art Knurren von sich, aber es klang nicht so böse, wie sie es bei den anderen beiden Drachen gehört hatte. Wollte er ihr irgendwas sagen? Esa verstand doch kein Drachisch! Was dachte er sich nur dabei? Und dann nahm er mit einem Mal ein paar große Sätze Anlauf und stieß sich durch das Blätterdach des Waldes vom Boden ab. Esa schrie, wäre um ein Haar runtergefallen und klammerte sich dann mit aller Kraft an den Drachenhals als dieser mit einigen kräftigen Flügelschlägen abhob. Es gab keinen Halt, seine Schuppen waren zu glatt und drohten unter ihren Händen wegzurutschen. Wieder schrie sie auf, versuchte nun auch mit den Füßen irgendwo halt zu finden. Aber da war nichts wohinter sich ihre nackten Füße hätten verhaken und ihr Halt geben können. Stattdessen wurde sie bei jedem Flügelschlag wie ein Spielzeug auf und ab geschleudert. „Nicht... höher!", schaffte sie es zu schreien und merkte wie ihre Finger Stück für Stück abrutschten, trotzdem sie sich festhielt das ihre Kuppen schon weiß und blutleer waren vor Druck. Und gerade als sie sich nicht mehr halten konnte, ihre Hände abrutschten und sie kreischend zu fallen drohte, brachte der Drache sich in die Waagerechte und begann ruhiger zu fliegen. Esa fiel auf seinen Rücken zurück und atmete keuchend, alle viere verzweifelt an die Drachenhaut geheftet. So, mit der Wange ebenfalls auf den ungemütlichen Schuppen gepresst, wagte sie zunächst nicht, sich zu bewegen. Unter ihnen zog der Wald vorbei wie ein unendlicher, grüner Teppich. Jede einzelne Baum war so klein wie ein Spielzeug und verschmolz in der Ferne mit dem Grün um ihn herum. Das Dorf von Esa war kaum noch zwischen dem Grün zu sehen und auch das Dorf auf einer kleinen Anhöhe, das sie ansteuerten, war trotz des dunklen Rauches, der von seinen verbrannten Dächern aufstieg kaum in dem unschuldigen Grün auszumachen.

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