Kapitel 8 (Leon)

Kaum im Versammlungsraum angekommen, stand Mrs. Scott schon direkt vor mir. Verwundert starrte sie mich an.

„Wachen, schafft ihn weg!"

„Warten Sie...", doch da riss mich schon einer ihrer Männer zu Boden.

„Sie haben hier nichts zu suchen, Mr. Franco. Nach Ihrem Auftreten sind Sie eine Gefahr für uns alle und ich habe Mr. Brazier auch schon darüber unterrichtet, dass wir Sie...züchtigen mussten."

„Mrs. Scott!" stammelte ich, bevor mich ein harter Schlag im Gesicht traf. Unter Schmerzen spuckte ich das Blut zu Boden. Zögernd aufblickend, traf mich der nächste Schlag. Völlig benommen versuchte ich, einen Blick auf sie erhaschen zu können.

„Rebellen. Es sind die Rebellen", konnte ich endlich aussprechen.

Gerade, als die Wache wieder zuschlagen wollte, hielt Mrs. Scott sie zurück.

„Was haben Sie gerade gesagt?"

„Es sind die Rebellen. Bereiten Sie das Flugzeug auf den Aufschlag vor, aktivieren Sie alle Schilde - wir wissen nicht, was uns dort unten erwartet."

Sie kam meinem Gesicht immer näher und musterte mich. Ich sah ihr an, dass sie mir nicht traute, aber ihr blieb nichts Anderes übrig.

„Leiten Sie den noch vorhandenen Notstrom auf unsere Schilde um und bereiten Sie sich auf einen harten Aufprall vor", ordnete sie an.

„Aber Ma'am, wenn wir das tun, können wir nicht die Schubdüsen verwenden, um den Aufprall abzufangen."

„Tun Sie gefälligst, was ich sage."

Er nickte und rannte in Richtung des Cockpits, während sie sich wieder zu mir wendete.

„Sollten Sie mich belügen, bringe ich Sie eigenhändig um. Falls wir alle diesen Aufprall überhaupt überleben."

„Suchen Sie sich alle einen Sitzplatz und schnallen Sie sich an", schallte es aus den Lautsprechern.

Als ich aus den Fenstern blickte, konnte ich schon die ersten Bergwipfel erkennen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis wir aufschlagen würden. Ich sah mich weiter im Versammlungsraum um - Vince fehlte. Er musste noch im Gang sein, in dem ich ihn zuvor abgelegt hatte. Schnell schnallte ich mich wieder ab und eilte zurück. Ich hörte nur

noch ein mir hinterherrufendes „Mr. Franco", welches ich allerdings ignorierte.

Der gesamte Gang war schon in Rauch gehüllt, sodass man das Feuer an dessen Ende nur noch schwach erahnen konnte. Auch wenn ich fast nichts mehr sehen konnte, wusste ich, dass ich ihn dort irgendwo abgelegt haben musste. Die Wachen, die mir zuvor schon einmal entgegengekommen waren, stürzten aus den Flammen, um zu dem Aufenthaltsraum zu gelangen. Abermals ignorierten sie mich, auch wenn ich ihnen hinterherschrie, ob sie Vince gesehen hätten.

Verwirrt blickte ich mich um, bis ich den Eingang zur Putzkammer sah; ich rannte zu ihr und riss die Tür in Sekundenschnelle auf. Dort lag er, verdreckt, ohnmächtig in seinem Blut liegend. Rasch zog ich ihn aus der Kammer heraus, schwang ihn über meine rechte Schulter und lief den Gang wieder zurück.

Kaum betrat ich den Versammlungsraum, blickte ich in viele verzweifelte Gesichter, doch ich musste mich darauf konzentrieren, Vince und darauf mich in einem der Notfallsitze festzuschnallen.

„Loyalität bringt einen früher oder später um, Mr. Franco", harschte Mrs. Scott mich hämisch an.

Ich ersparte mir jegliche Reaktion, sah aus dem Fenster und erhaschte schon die ersten Baumwipfel, bevor die Gurte sich unaufhaltsam in meinen Oberkörper schnitten. Die Funken sprühten überall. Ein helles Piepen durchdrang meinen Kopf und meine Augen vernahmen leicht verschwommen, dass wir einen Baum nach dem anderen mit uns rissen, bis wir abrupt und mit einem weiteren krachenden Schlag zum Stehen kamen.

Ich verspürte ein schmerzendes Stechen in meiner Brust, begann keuchend zu husten. Es dauerte eine Weile, bis meine Hände den Sicherheitsgurt lösen konnten und ich geschwächt nach vorne auf den Boden sackte. Die Schreie der Sirenen übertönten das Piepen in meinen Ohren, während ich mich langsam am Sitz nach oben zog. Zu meiner Verwunderung hörte ich Vince vor sich hin murmeln.

„Ich muss ja umgekippt sein wie ein kleines Kind ohne Stützräder."

„Ich denke, das trifft es ganz gut", grinste ich leicht und klopfte ihm auf die Schulter, bevor ich mich wieder auf den Sitz fallenließ.

„Ich hatte schon sanftere Landungen", keuchte er mit einem verschmitzten Lächeln.

„Sind die Herrschaften fertig damit, Witze zu reißen?"

Verdutzt sah ich sie leicht nickend an.

„Gut, denn Sie, Mr. Franco, werden den Bereich um uns herum absichern", sprach sie zu mir und forderte kurz danach eine Wache auf, ihr die Bilder der Außenkameras zu zeigen.

Ein großer Teil der Kameras war jedoch nicht mehr funktionsfähig und die, die es doch noch waren, zeigten das Ausmaß der Verwüstung, das wir bei dem Aufprall hinterlassen hatten.

Vergeblich suchte Mrs. Scott nach den Tätern oder irgendwas, womit sich unser Absturz hätte erklären lassen können. Dabei war es in manchen Gegenden längst nicht unbekannt, dass die Rebellen im zwanzigsten Areal Raketenabwehrsysteme installiert hatten, um die Arealsflugzeuge abzufangen. Sie wussten, dass das Regime alle Soldaten aus den Wahlen zu sich bringen ließ und die anderen Areale ihrem Schicksal überlassen wollte. Eigentlich hatte jeder es gewusst, aber es war ein Thema, das totgeschwiegen wurde.

Ihren auffordernden Blicken Folge leistend, nahm ich mir die Notfall-Axt und ging zur Tür nahe dem Cockpit. Es war die einzige Waffe, zu der wir Zugang hatten - sie schien vergessen zu haben, dass all unsere Waffen in einem geschützten Bereich neben dem Maschinenraum gelagert wurden.

Langsam öffnete ich die Tür und schritt - die Axt mit beiden Händen festhaltend - behutsam durch sie hindurch. Es war nichts in der näheren Umgebung zu hören, nur ein leichtes Knacken des Feuers, vor dem uns der Versammlungsraum durch seine dicken Brandschutztüren geschützt hatte. Die dünnen Äste zerbrachen unter meinen Schuhen, als ich über ihnen hinwegging, um mir vorsichtig einen Überblick zu verschaffen. Mich beschlich ein ungutes Gefühl, denn Rebellen waren dafür bekannt, schnell zu agieren, um noch wertvolle Überreste des Flugzeugs zu bergen, bevor es vollends ausbrannte. Doch nirgends, wohin auch immer ich blickte, war jemand zu sehen.

Ich schritt gen Anfang des kleinen Waldstücks, in dem wir abgestürzt waren. Je näher ich den ersten umgeknickten Bäumen kam, desto mehr vernahm ich einen mir bekannten Geruch. Mit dem nächsten Schritt schrak ich plötzlich auf: Ich erschauderte bei dem Anblick des ganzen Bluts dutzender Rebellen, das den vor mir liegenden Boden durchtränkte. Entsetzt von den in Stücke gerissenen Leichen, machte ich Kehrt und rannte in Richtung des Flugzeugs zurück. Meine Blicke gingen wild umher; irgendwas dort draußen machte Jagd auf uns, so bestialisch, dass es nicht von dieser Welt sein konnte.


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