Kapitel 2 (Maylo)

Logbucheintrag 22.14.4106: Unsere Flotte hat den Planeten Nohborta vor drei Monaten erreicht; Oberbefehlshaber, Molnir Tura, hat die Forscher nach den erfolgreich verlaufenden Testläufen angewiesen, alle Bestien auf die Bewohner loszulassen und die ansässige Gesellschaft somit zu dezimieren. Die Aufwachphase dieser Kreaturen wird nur noch ein paar Tage in Anspruch nehmen, sodass einem baldigen Abwurf in Nohbortas Atmosphäre nichts entgegenzusetzen ist. Sobald diese Prozedur abgeschlossen sein wird, werden wir, die Krieger Ylnas, den vor uns liegenden Planeten betreten, um den verbliebenen Menschen mit all unseren Mitteln entgegenzutreten.

Einst waren wir eine friedliche Rasse, vielleicht sogar zu friedlich, wenn man das Dilemma betrachtete, in dem wir nun steckten. Diese Wesen, die wir schon seit Jahrhunderten beobachtet hatten, trafen uns zu dem Zeitpunkt, als wir uns fälschlicherweise in Sicherheit schwelgten. Sie waren die erste andere Zivilisation, auf die wir in unserer Geschichte getroffen waren, und so siegte damals die Gutgläubigkeit, der Wille, ihnen eine faire Chance auf eine eigenständige Entwicklung zu gewähren. Unser Volk war nie über diese Entdeckung unterrichtet worden, da man befürchtete, dass es nicht hinter den friedlichen Plänen unserer Regierung stünde; so gerieten die Bewohner Nohbortas gar bis zu jenem Tag in Vergessenheit, an dem sie mit Erkundungs- und Kriegsschiffen unseren Heimatplaneten Ylna angriffen, um binnen Minuten Millionen meinesgleichen kaltblütig zu ermorden. Als wir sie endlich ausschalten konnten, hatten sie drei unserer größten Städte zerstört, einen Schaden angerichtet, dessen Beseitigung Jahrzehnte dauern würde. Wir hatten diese fremde Rasse all die Jahre unterschätzt, nicht geglaubt, dass ihre Technologie schon so fortschrittlich war, um solch eine Distanz zu überwinden - jedoch stehen sie nun einem Gegner gegenüber, den sie sich nicht zum Feind hätten machen sollen.

*

Der Blick in den Spiegel verriet mir vor allem eins: Ich hatte zu wenig geschlafen. Die ganze Nacht hatte ich mich vor Nervosität im Bett herumgewälzt; heute war sie, die wichtigste Abschlusszeremonie der Militärakademie für angehende Offiziere. Nachdem ich die Jugend-Militärschule unter den Besten abgeschlossen hatte, war es mein Ziel, auch diese Prüfung erfolgreich zu meistern. Ich würde meine Familie - allen voran meinen Vater und meinen Bruder - stolz machen. Schnell zupfte ich noch meinen Kragen zurecht und strich mir über die schon erhaltenen Auszeichnungen auf meiner Uniform.

„Maylo, beeile Dich. Du kommst sonst noch zu spät", hörte ich meine Mutter rufen.

Ich schloss die Tür hinter mir, atmete einmal kräftig durch und ging zu ihr.

„Mutter, bin ich jemals zu spät gekommen?" grinste ich leicht.

„Ich weiß, mein Schatz, aber wir wollen ja auch nicht, dass es ausgerechnet heute passiert."

Sie strich mir sanft über die Wange und lächelte mich beruhigend an.

„Ich bin stolz auf Dich."

Das Aerotaxi stand bereits vor der Tür, der Fahrer blickte ausdruckslos in die Ferne. Ich winkte meiner Mutter noch ein letztes Mal zu, bevor ich einstieg und wir losflogen.

Die Landschaft raste an uns vorbei. Ich blickte herab auf vorbeisausende Baumwipfel, am Horizont waren rötlich schimmernde Berggipfel zu erkennen. Meine Finger tänzelten auf der Lehne umher; einer nach dem anderen tippte unruhig auf dem Leder auf und ab. Ich spürte den Blick des Fahrers, der mich leicht verwundert anblickte.

„Heute ist Ihr großer Tag?"

„Ich hoffe es zumindest, die Konkurrenz ist stark."

„Ihre Familie ist in ganz Syria bekannt für die Heldentaten Ihres Vaters und Ihres Großvaters. Ich habe höchsten Respekt."

Ich wusste, dass er nur versuchte, mir ein wenig die Nervosität zu nehmen, doch er zeigte mir nur auf, wie groß die Fußstapfen waren, die mein älterer Bruder und ich auszufüllen hatten. Er tat es bereits, mein Vater war stolz auf ihn und auch ich wollte diesen so seltenen, glücklichen Blick in seinen Augen sehen, wenn ich ihm das Offizierswappen präsentierte. Zwar würde er es sich nicht anmerken lassen, aber er wäre traurig zu sehen, dass einer seiner Söhne es als erster in der langen Familientradition nicht geschafft hätte, eine Offiziersstelle zu erhalten.

„Herr Tura? Herr Tura?"

„Oh, ja", erwiderte ich.

„Wir sind da. Ich wünsche Ihnen viel Glück."

„Danke."

Ich stieg aus und blickte mich um, als stünde ich zum ersten Mal vor dem beeindruckenden Gebäude. Das rege Treiben auf den Straßen hatte eine entspannende Wirkung auf einen, lauter Ylnaer waren unterwegs, telefonierten mit Geschäftspartnern, der Familie oder genossen bloß ihre Pause. Über mir flogen die Aeromobile in Reih und Glied, strukturiert bis ins kleinste Detail.

„Träumst Du mal wieder, Maylo?"

„Oh, Sheila, ich habe Dich gar nicht kommen sehen."

„Tust Du das jemals?" lächelte sie.

Ich tat es wirklich nur sehr selten, da ich immer sehr vertieft war in das, was ich tat. Ich umwarb sie schon seit Jahren, aber ich hatte das Gefühl, dass sie das nie so wahrgenommen hatte in all der Zeit. Wir lernten uns damals auf der Jugend-Militärschule kennen, doch damals war sie noch in festen Händen gewesen. Sie würde mal eine begnadete Offizierin werden, dessen war ich mir schon früh bewusst, denn auch wenn sie nicht die Größte und auch nicht die Stärkste war, hatte sie bis jetzt noch niemand im Nahkampf schlagen können.

„Komm, lass reingehen, da warten bestimmt schon ein paar auf uns."

Ich nickte ihr zu und folgte ihr. Wir gingen in den Empfangsbereich hinein, in dem sich schon viele Mitanwärter tummelten, sich unterhielten und hofften, bald in den Zeremoniensaal gelassen zu werden.

„Und, was glaubst Du, Maylo?" fragte Sheila neugierig.

„Ich weiß nicht."

„Sei nicht immer so bescheiden. Tairo oder Du, einer von Euch beiden müsste der Beste des Jahrgangs sein - Offiziere werdet Ihr also beide. Freu Dich doch mal!"

Vielleicht hatte sie Recht, aber ich wollte mich nicht freuen, ohne Gewissheit zu haben. Meine Niederlagen im Zweikampf gegen Tairo hatten tief gesessen, vor allem, weil mein Bruder beide Kämpfe mit angesehen hatte. Sein verachtender Blick war mir nicht wieder aus dem Gedächtnis gegangen.

Unser Gespräch wurde von jener Ansage aus den Lautsprechern gestört, auf die wir alle gewartet hatten; einer nach dem Anderen betrat den Saal, wir alle erwarteten mit Spannung das Ergebnis. Starr blickte jeder nach vorne zum Rednerpult, wo der Präsident der Militärakademie sich bereits vorbereitete. Die Stille überkam den Raum, niemand sprach, jedes Knarzen, jedes Räuspern war unüberhörbar. Ich faltete meine vor Nervosität leicht schwitzenden Hände vor mir zusammen und blickte nochmals zu Sheila herüber. Ihr leicht bläulicher Teint schimmerte in den rötlichen Strahlen unseres Sternes, die sich ihren Weg durch die erhellenden Fenster in den Saal bahnten. Sie schmunzelte leicht, schob gekonnt ihr bernsteinfarbenes Haar hinters linke Ohr und widmete sich wieder dem Rednerpult.

„Sie alle haben Großes geleistet über die letzten Jahre. Ich habe große Kämpfe gesehen und ich danke Ihnen allen für Ihr außerordentliches Engagement. Sie erfüllen mich mit Stolz, diese Akademie leiten zu dürfen", begann er seine Rede. Das tosende Klatschen peitschte gegen die kahlen Wände, der angestaute Ballast schien binnen Sekunden bei den Meisten im Raum wie verflogen zu sein.

„Doch, auch wenn Sie alle zufrieden mit Ihren Leistungen sein können, gab es natürlich auch in diesem Jahrgang Frauen und Männer, die besonders mit ihren Leistungen glänzen konnten. Ich freue mich somit, Ihnen die besten drei Frauen und damit zugleich die drei Kandidatinnen, die in die Riege der Offiziersgarde aufgenommen werden, zu verkünden. Ich beginne mit...", unterbrach er seine Rede, um einem jungen Mann zu lauschen, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war. Man verstand nicht, was ihm gesagt wurde, jedoch war zu erkennen, dass sich mit jedem gesprochenen Wort seine Mine verfinsterte, bevor er sich leicht zitternd wieder zu uns wendete: „Alle raus! Sofort!"

Niemand verstand seine Reaktion, bis plötzlich das Glas der Fensterscheiben anfing zu bersten und ein erschütterndes Beben durch den Saal ging. Risse begannen, sich durch die Wände zu ziehen, der Boden wurde uns unter den Füßen weggerissen. Ich nahm mir Sheilas Arm und schliff sie hinter mir her.

„Jetzt komm, Sheila, wir müssen hier raus!"

Leicht ungläubig sah sie mich an, aber ich gab ihr gar nicht erst die Chance zu versuchen, all das zu verstehen, sondern riss sie mit. Die Stühle wurden in den immer größer werdenden Riss im Boden hineingezogen, als der Saal sich zunehmend entzweite. Auf einmal wurde ich von hinten zu Boden gerissen, Sheilas Schrei übertönte die Geschehnisse um uns herum. Ich hielt ihre Hand mit aller Kraft fest, ihr schmerzerfülltes Gesicht sah mich erschrocken an. Ohne jeglichen Boden unter den Füßen hing sie am Abgrund; sie krallte sich tief in mein Fleisch und zog sich an meinem Arm hoch. Als ich merkte, dass sie abzurutschen begann, zog ich sie ruckartig hoch, woraufhin sie ungebremst auf den noch verbliebenen Fliesen aufkam. Ich rappelte mich auf, rannte zu ihr und hob sie vom Boden.

„Sheila, hey, bleib bei mir", klopfte ich ihr auf die Wange."

Noch leicht benommen, mit ungläubigem Blick klammerte sie sich an meine Schultern. Wir rannten die Treppen hinunter, während neben uns die Risse immer tiefer die Wände durchdrangen. Alle anderen waren schon längst herausgestürmt, als wir endlich die Eingangstüren des einst so imposanten Gebäudes erreichten.

Keuchend lief ich auf die Straße und mir gelang es, im letzten Moment noch eines der Aerotaxen anzuhalten.

„Sheila, los, er wird Dich nach Hause bringen."

„Aber was ist mit Dir?" sah sie mich entgeistert an.

„Du weißt, dass ich nicht mit Dir kommen kann. Ich muss den Anderen helfen!"

Zögernd gab sie nach, umarmte mich und strich mir sanft durch das Gesicht.

„Pass auf Dich auf."

Ich nickte und schlug die Tür des Aerotaxis zu, bevor es davonflog. Kurz sah ich hier noch hinterher, bevor das laute Krachen hinter mir mich wieder in die Realität zurückholte. Ungläubig drehte ich mich langsam um und riss im letzten Moment meine Arme schützend nach oben, als die Trümmer der Akademie vor meinen Augen zusammenbrachen.


***

So, Leute!

Ich habe endlich die Zeit gefunden, dieses Kapitel nochmal ein bisschen zu bearbeiten. Es ist direkt vor den Wattys 2017 entstanden und deswegen hatte ich leider keine Zeit mehr, um noch gründlich Korrektur zu lesen - aber nun sollten keine wirklichen Fehler mehr enthalten sein.

Viel Spaß beim Lesen,

Jojo1505


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