Kindsköpfe - Teil 4

Leon
Ein Schritt folgte dem anderen und wir wurden immer schneller. Ich musste grinsen und Aiko durchschaute sofort was ich vorhatte. Sie drehte sich Blitzschnell um, rannte los, und ich hinter ihr her.

,,Du bist doch nicht ganz dicht.", lachte Aiko. ,,Pass lieber auf, dass ich dich nicht in die Finger bekomme.", erwiderte ich grinsend. Wir rannten in Richtung Dorfmitte, und im Slalom an ein paar Menschen vorbei die keine Mittagsruhe hielten.

Die Straße war noch übersät von den Regenpfützen des kleinen Schauers am frühen Morgen. Aiko lief nur noch wenige Schritte voraus. Sie wechselte ruckartig auf eine Wiese auf der linken Seite. Trotzdem war ich noch knapp hinter ihr.

Unser Gelächter erfüllte gefühlt das halbe Dorf. Ich packte sie an der Schulter und versuchte sie zu stoppen. Aber genau in diesem Moment versuchte sie mich auszutricksen und drehte sich, um an mir vorbei zu laufen, doch sie stolperte und fiel nach hinten.
Ich konnte mich nicht mehr halten und stürzte mit ihr zu Boden.

Wir hörten abrupt auf zu lachen. Ich stemmte mich reflexartig auf meine Hände. Unsere Gesichter waren dicht beieinander. Ich spürte ihren warmen Atem auf meiner Haut und ihren Herzschlag an meiner Brust. Mein Herz raste. Ich spürte ihre Körperwärme und sah wie ihr Gesicht immer mehr errötete. Ein paar Sekunden verharrten wir in dieser Position bis sich meine Starre löste und ich mich aufraffte.

Ich streckte Aiko meine rechte Hand entgegen und half ihr hoch. "Tut mir leid.", stotterte ich etwas verlegen und kratzte mich am Hinterkopf.
Sie tippte mit ihrer Fußspitze unsicher vor sich auf den Fußboden. ,,War ja nicht mit Absicht.", erwiderte sie schnell und lächelte, "Kannst ja beim nächsten Mal etwas besser aufpassen."

Bei ihren Worten bemerkte ich ein leichtes flattern in meiner Herzgegend >beim nächsten Mal<. Ich grinste und erkundigte mich:,, Hast du dich verletzt?" Aiko schüttelte den Kopf. Sie wischte ein paar Grashalme von ihrer Kleidung. Ich trat ein Stück näher an sie heran.

Sie hielt inne.
,,Du hast noch was im Haar.", erklärte ich und zog ihr langsam ein Gewirr von Grashalmen aus dem Haar. Mein Herz pochte schneller, als ich ihr näher kam. Aiko schaute zu mir hoch und wendete ihren Blick schnell ab, als sich unsere Augen trafen.

,,Wir sollten zurückgehen.", schlug Aiko vor. Ich nickte und wir schlenderten in Richtung Gemeindehaus. ,,Ich muss zugeben, dass du wirklich noch ziemlich gute Ausdauer hast.", sagte sie und lachte. Ich grinste leicht. Wenige Minuten später standen wir vor dem Gemeindehaus.

Ganz provokant zündete ich mir eine Zigarette an. Aiko stemmte eine Hand in ihre Hüfte und schaute mich vorwurfsvoll an:,, Was ist wenn das jemand sieht?" Ich zuckte nur mit den Schultern. Im Zweifelsfall würde ich die Zigarette hinter meinem Rücken verschwinden lassen.

Mai rannte auf uns zu und schnappte panisch nach Luft:,, Du musst mitkommen. Mit Mama stimmt etwas nicht." Ich trat die Zigarette aus und eilte Mai hinterher, ohne darauf zu achten, ob Aiko uns folgte. Meine Gedanken waren sofort bei Akari.
,,Sie ist einfach zusammengebrochen, und ich weiß nicht was ich tun soll.", informierte mich Mai auf dem Weg.

Nach wenigen Sekunden kamen wir bei dem Zimmer an, in dem Mai und Akari unterkamen. Akari war wieder zu sich gekommen und Mai lief schnell zu ihr herüber.

,,Gut, du bist wieder wach. Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich musste Leon holen", sagte Mai außer Atem und hockte sich zu Akari, die sich mit einem Ellbogen am Bett abstütze.

,,Das brauchtest du nicht. Ich glaube, ich habe die letzten Tage einfach nur zu wenig gegessen.", gab Akari zu. Sie war blass und sah wirklich nicht gesund aus. Ich ging zu Akari und half ihr sich auf die Bettkante zu setzen. 

,,Danke, Leon.", bedankte sie sich mit einem schwachen Lächeln, "Das ist ein wenig zu viel für mich. Das alles." Akaris Augen wurden gläsern und sie atmete schwer. Trotzdem versuchte sie zu lächeln, so als ob sie sagen wollte, dass es nur halb so schlimm wäre.

Mein Gewissen erschlug mich fast. Sie hatte durch diese missliche Lage noch nicht mal Zeit gehabt zu trauern. ,,Ich bringe dir etwas Obst. Ruh dich so lange aus.", bot ich an, "Mai, kommst du mit? Du kannst mir bestimmt tragen helfen.” ,,Klar, ich komme mit.”, stimmte Mai zu, zog die Vorhänge zu und schloss hinter uns die Tür.

Ein ungutes Gefühl überkam mich. Seitdem dieser ganze Scheiß angefangen hatte, war viel zu viel passiert. Es sind schon zu viele gestorben. Mai konnte doch nicht auch noch Akari verlieren.

Wir machten uns auf den Weg zur Küche, die sich im Gemeindehaus befand, um etwas Obst zu holen.
Hoffentlich hatte sie sich wirklich nur etwas überanstrengt und zu wenig gegessen. Ich wurde von Mai aus meinen Gedanken gerissen.

,,Ich habe Angst.", sagte sie besorgt und umklammerte meinen linken Arm. Scheiße. Ich tätschelte mit meiner rechten Hand ihren Kopf und versuchte sie zu beruhigen:,, Es wird schon wieder. Lass den Kopf nicht hängen. Ich pass auf dich auf."

,,Meinst du Satoshi hat in Deutschland auch so einen Ärger?", fragte sie. Ich antwortete zögernd:,, Ich glaube nicht, und wenn boxt dein Bruder sich da bestimmt durch." Ich grinste sie an und boxte mit meinen Händen in die Luft, um sie aufzuheitern. Mai hielt sich noch an mir fest und wurde dadurch nach vorn und hinten gezogen. Sie fing an zu lachen.

Als wir in der Küche ankamen eilte Mai zum Tresen und orderte einen großen Obstteller und einen Tee. Wir setzten uns und warteten kurz. Mich würde wirklich interessieren, wie es in den anderen Ländern aussah, und wenn bei ihnen nichts von dem Virus zu spüren war, ob sie davon wussten, was genau in Japan vor sich ging? Leider hatte man uns ganz am Anfang zu verstehen gegeben, dass das Fernsehen und auch Radiosignal in Okutama gestört war und so keine Kanäle nach außen verfügbar waren. Wie genau dieses Funkloch zustande kam, hatten sie uns allerdings nicht verraten.

Nach kurzer Zeit brachte uns die kräftig gebaute Frau, die mir zuvor am Buffet ein Stück Fleisch angeboten hatte, den Teller Obst und den Tee an den Tisch, an dem wir warteten. Sie trug eine Schürze und stemmte ihre Hände in die Hüften, als sie mich an sah. ,,Junger Mann, da du nichts vom Fleisch gegessen hast, ist es ja kein Wunder, dass du nicht satt geworden bist.", lachte sie.

Doch bevor ich antworten konnte fiel Mai mir ins Wort:,,Nein, der Teller ist für meine Mutter." Die etwa 40- jährige Frau schaute Mai an und erkundigte sich:,, Was hat sie denn?"

,,Nichts, weiter. Sie braucht nur ein paar Vitamine.", antwortete ich schnell, griff nach dem Teller und stand auf. Sie nickte uns kurz zu und ging mit ernster Miene wieder in die Küche. Mai nahm den kochend heißen Tee und wir kehrten zurück zu Akari.

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