Kindsköpfe - Teil 3
Leon
Ich genoss die Ruhe um uns herum. Es war das erste Mal wieder richtig still. Ein Kühler Windhauch blies mir meine kurzen braunen Strähnen aus der Stirn. Ich sah zu Aiko, die den Reißverschluss ihrer Jacke hoch zog. Ich versuchte die Gedanken an das Geschehene beiseite zu schieben und mir den Spaziergang als ein ganz normales Date vorzustellen. Wobei, wahrscheinlich war Date der falsche Ausdruck. Ich schielte erneut zu Aiko, wenn ich genauer darüber nachdachte, wusste ich, trotz all dem was wir schon zusammen durchgemacht hatten, fast gar nichts über sie. ,,Was hast du eigentlich vor dem Ganzen gemacht?", durchbrach ich die Stille.
Aiko
Leons Frage machte mir erst bewusst, dass es ein ,,Davor" gegeben hatte. Dass das hier gerade nicht Alltag war, dass das hier eigentlich nicht mein Schicksal hätte sein sollen. ,,Ich habe mit meinem Vater zusammengelebt. Er hat sehr viel gearbeitet, deswegen habe ich ihn nicht sehr oft zu Gesicht bekommen. Aber er ist ein sehr liebevoller Vater. Wir haben jeden Abend zusammen Shogi gespielt. Selbst wenn er erst sehr spät nach Hause kam, hat er leise an meine Tür geklopft und mich gefragt, ob ich noch Lust hätte eine Runde zu spielen. Gerade in letzter Zeit, war ich Abends oft zu müde und habe lieber weiter geschlafen, wenn er geklopft hat. Ich vermisse ihn schrecklich. Jetzt bereue ich es, nicht aufgestanden zu sein, aber es ist zu spät..", ich musste abbrechen, um nicht los zu weinen. Ich sah in Leons zerknirschte Miene. ,,Wie kam es, dass du nach Japan gegangen bist?", fragte ich schnell um abzulenken.
Leon
Ich hatte nicht erwartet, dass sie so reagieren würde. Aiko wirkte auf mich so bodenständig. ,,Ist eine lange Geschichte.", seufzte ich," Eigentlich meinem Bruder zuliebe, da er damals hier leben wollte."
Bei dem Gedanken an Aaron, wurden meine Augen wässrig. Wenn er hier und an meiner Seite wäre, würde uns nichts unterkriegen. Mit seinem Beruf als Polizist hätte er genau gewusst, wie wir zu handeln hätten und wahrscheinlich hätte er Yamada tatkräftig unterstützt.
Wer weiß, vielleicht wären wir auch gar nicht in dieser Situation, sondern würden immer noch in Kiel leben und meine Eltern wären nicht zu dem geworden was sie jetzt sind. Ich wendete meinen Blick auf den Boden. Ich wusste, dass ich das alles immer noch nicht verarbeitet hatte, und mich jedes mal nur in eine endlose Was-Wäre-Wenn-Kette verstrickte.
Aiko
,,Was ist denn mit deinem Bruder?", ich biss mir auf die Zunge, als ich Leons traurigen Gesichtsausdruck sah. Ich kickte etwas Kies vor mir her. Wir hatten fast den Dorfrand erreicht und vor uns lag, in ein paar 100 Metern Entfernung, die Autobarriere.
Leon
Als Aiko diese Frage stellte, merkte ich wie der Kloß in meinem Hals auf die Größe einer Kartoffel anschwoll. Ich biss mir auf die Lippe und schluckte heftig. ,,Er ist vor 6 Jahren gestorben.", antwortete ich heiser.
,,Oh, das tut mir leid.", entgegnete Aiko.
,,Wir haben damals immer zusammen Japanisch gelernt. Ich erinner mich noch gut. Wir haben oft Japanisch geredet und unsere Eltern konnten uns nicht verstehen, dass fanden wir mega gut, unsere Eltern allerdings nicht so.", ein Lächeln flog über meine Lippen," Wir saßen auch oft bei ihm im Zimmer und haben Filme geschaut oder auf seiner Konsole gezockt. Auch wenn unser Altersunterschied recht groß war, haben wir viel zusammen unternommen. Er war echt cool. Tut immernoch sehr weh, dass er weg ist."
Ich hob und senkte die Schultern, um auszudrücken, dass man an der Sache leider nichts ändern konnte. Mit fahrigen Bewegungen zog ich meine Zigarettenschachtel aus meiner Jackentasche.
Aiko
,,Das tut mir echt leid.", sagte ich leise. Wir waren an der Autobarriere angekommen. Erneut kam Wind auf und ließ meine langen Haare durch die Luft wehen. Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete die kühle Herbstluft ein.
Als ich so da stand, flog mir auf einmal ein ekliger Geruch in die Nase. Es stank nach Tabak. Ich drehte mich zu Leon. ,,Hör auf damit. Zigaretten sind schrecklich ungesund und schwächen deine Ausdauer.", ich schlug ihm die Zigarette aus der Hand, und trat sie auf dem Boden aus. Er starrte mich ungläubig an und seine rechte Augenbraue zuckte.
Leon
Ich verschränkte die Arme. "Ja, ja.", erwiderte ich genervt. Nach einem winzigen Moment sagte ich ernst:,, Ich werd dir zeigen wie viel Ausdauer ich noch habe." Aiko schaute mich skeptisch an und trat einen Schritt zurück. Dem ich mit einem Schritt nach vorne folgte.
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