Der Ausbruch - Teil 6
Aiko
Ich sah auf meine Armbanduhr. Jetzt war es kurz vor 2, das hieß, ich hatte noch gut etwas über 1 Stunde Zeit, bevor ich mich auf den Weg zu meiner neuen WG-Partnerin machen musste.
Ich trat vom Bahnhof auf die Straße. Auch wenn Kawasaki nicht weit von Tokio entfernt lag, war es trotzdem ein ganz anderes Gefühl, selbst die Luft roch hier anders. Ich atmete tief ein.
Und bekam prompt einen Hustenanfall. Vor mir hatte ein Auto gehalten, dessen Abgase ich großzügig eingeatmet hatte. Ich musste laut loslachen und erntete daraufhin einen skeptischen Blick von einer alten Dame, die neben mir die Straße überqueren wollte.
Ich hätte vor Freude in die Luft springen können. Ich war in Tokio! Ohne Bodyguards! Ich überquerte hinter der alten Dame die große weitläufige Straße und begutachtete die hohen Gebäude. Sie ragten an jeder Ecke wie Riesen in die Luft.
Auch die Menschen in Tokio wirkten exotischer, wie ich mal wieder feststellen durfte, als mir ein paar verkleidete Lolitas entgegen kamen. Ich würde zu gerne auch mal in so ein Kostüm schlüpfen. Kurzerhand nahm ich es mir vor.
Ich bummelte eine dreiviertel Stunde durch allerlei bunte Geschäfte und wollte mich gerade wieder auf den Weg zum Bahnhof machen, um dort mit dem Bus zum Apartment zu fahren, als auf der Bildschirm-Leinwand am Gebäude gegenüber auf einmal das Regional-Nachrichten-Symbol erschien.
Es war gerade kurz nach 3, dies war nicht die normale Zeit, in der die Regional-Nachrichten ausgestrahlt wurden. Ich interessierte mich nicht so wirklich für Nachrichten, aber dieser ungewöhnliche Umstand mit der Sendezeit, ließ mich stehen bleiben.
Eine Mann mittleren Alters meldete sich zu Wort:
,,Im südlichen Zentrum von Tokyo, gab es heute einen schrecklichen Vorfall im Shikara Krankenhaus. Der Bereich wurde weiträumig abgeriegelt. Augenzeugen berichten, dass sich, eben noch komatöse, Patienten plötzlich auf Angehörige und Krankenhauspersonal stürzten und diesen, in einem Anfall von Kannibalismus, mehrere Bisswunden beibrachten. Tote wurden bisher noch keine bestätigt. Wir behalten die Sache im Auge. Warten Sie! Gerade bekommen wir noch eine Eilmeldung rein. Auf einem Schulhof in der Nähe des Shikara-Krankenhauses haben sich ähnliche Geschehnisse ereignet. Es wird von Zeugen berichtet, dass Schüler auf einmal ein sehr aggressives Verhalten an den Tag legten und auf ihre Mitschüler los gingen. Auch hier ist die Rede von plötzlich auftretendem Kannibalismus. Jetzt bekommen wir noch eine Meldung rein. Was ist hier los?"
Das pausbäckige Gesicht des Nachrichtenmoderators erschien auf einmal, auf allen umliegenden Bildschirmen und Leinwänden. Nirgendwo lief mehr Werbung, alle Bildschirme zeigten sein Gesicht.
Er tupfte sich mit einem Taschentuch den auftretenden Schweiß von der Stirn.
,,Entschuldigen Sie, liebe Zuschauer! Ich glaube die Lage ist ernster als gedacht. Bitte installieren Sie sich alle die News-App auf ihrem Handy, um auf dem Laufenden zu bleiben. Wir hoffen, dass es sich hierbei, um einen schlechten Scherz oder um eine Promo-Aktion handelt. Aber gerade wurde mir der nächste Vorfall in Shibuya bestätigt. KÖNNEN WIR JETZT ENDLICH EINEN DER VERANTWORTLICHEN SPRECHEN?"
Man sah, dass er die letzten Worte nicht ans Volk, sondern an die Regie richtete. Mir stockte der Atem. Was passierte hier gerade? Das musste ein Scherz sein. Tokio war für seinen verrückten Charme bekannt, aber würde man tatsächlich so weit gehen?
,,Wir übertragen jetzt live vom Shikara Krankenhaus und sprechen mit Shinsuke Mirugami Oberhauptkommissar der ansässigen Polizeiwache. Also Herr Mirugami, bitte schildern sie uns die aktuelle Situation!"
Im Bild erschien ein uniformierter Mann mit grauem Oberlippenbart. Im Hintergrund sah ich mehrere postierte Kranken- und Streifenwagen. Hier und da liefen ein paar Uniformierte oder Menschen in weißen Kitteln herum. Auch ein paar Passanten konnten ich aus dem Gebäude flüchten sehen.
,,Guten Tag. Die momentane Situation ist schwer einzuschätzen. Es handelt sich wohl um einen mutierten Virus. Wir haben die Anweisung vom Militär bekommen Ruhe zu bewahren. Die Annahme liegt wohl nahe, dass der gesamte Bereich rund ums Krankenhaus demnächst gar nicht mehr betreten werden darf. Eigentlich hätten wir auch gar nicht vor Ort sein sollen. Es liegt ein großer Fehler im System vor, und der Notfall-Plan wurde nicht eingehalten. Also wenn ich es richtig verstanden habe, ist es bereits zu spät, um das komplette Gebiet unter Quarantäne zu stellen. Wir erfahren hoffentlich mehr, sobald das Militär vor Ort ist."
Der Polizist runzelte die Stirn. Ich konnte sehen, wie er versuchte, die Fassung zu bewahren.
,,Was raten Sie der Bevölkerung?", meldete sich der Nachrichtenmoderator wieder zu Wort.
Der Polizist richtete sich nun direkt an uns Zuschauer:
,,Bewahren Sie die Ruhe. Am besten begeben Sie sich nach Hause und warten dort auf weitere Meldungen. Ich denke, wir werden die Situation bald wieder in den Griff bekommen."
Der Polizist nahm seine Polizeimütze in die rechte Hand, setzte sie sich auf den Kopf, wand sich von der Kamera ab und ging zu einem der Polizeiwagen hinüber.
,,Wir melden uns ab jetzt im halbe Stunden Takt. Wenn Ihnen das nicht genügt, laden Sie sich bitte unsere News-App aus dem App-Store herunter!", schloss der Nachrichtensprecher.
Damit wurden die Bildschirme für einen kurzen Augenblick schwarz. Und mir beinahe schwarz vor Augen. Ich taumelte einen Schritt zurück auf die Straße und wäre beinahe überfahren worden.
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