Eins: Tim
Samstag 07.02.2019 23.53 Uhr
Tim Gewan
Tim drehte sich hin und her, doch er fand nicht in den Schlaf. Die Anspannung nagte viel zu sehr an ihm. Morgen musste er zeigen, was er konnte. Er musste alles geben, was in ihm steckte. Ein Fehler, und man könnte ihn schon wieder aus der Mannschaft schmeißen.
Er hatte gestern das erste Mal mit dem neuen Team trainiert, und sofort gemerkt, wie gut seine neuen Teamkollegen waren. Wenn er morgen nicht alles gab, konnte es schon wieder vorbei für ihn sein. Dabei hatte er so lange auf diese Chance hingearbeitet. Hatte die Schule geschwänzt, um zu trainieren. Er war Laufen gegangen und hatte Kraftsport im Fitnessstudio betrieben, um alles aus sich rauszuholen.
Wieder drehte Tim sich auf die andere Seite. Er musste endlich einschlafen. Das Spiel fand in weniger als zehn Stunden statt. Ein Mensch brauchte ungefähr acht Stunden Schlaf, und wenn er nicht bald einschlief, würde er diese acht Stunden Schlaf nicht bekommen.
Dann würde er sicher schlecht spielen ... und versagen.
Tim setze sich aufrecht ins Bett und zog die Knie an. Dieses eine Wort hallte immer und immer wieder in seinem Kopf herum.
Versagen.
Er vergrub das Gesicht in seinen Händen.
Was würde Annika von ihm halten, wenn er versagte? Sie hatte ihn ermutigt in die Stadt zu ziehen, um eine bessere Chance auf eine Fußballkarriere zu bekommen, obwohl er sie dafür zurücklassen musste. Eine Stunde von ihm entfernt, für eine Chance. Einen Hauch einer Chance auf ein Leben voller Ruhm und Ehre.
Das ergibt doch alles keinen Sinn! Mit einem Mal schnappte Tim sich sein Handy. Er hatte offensichtlich aufgegeben, in den Schlaf zu finden.
Annika Elden:
Schon im Bett?
Tim Gewan:
Natürlich, aber schlafen klappt nicht.
Annika Elden:
Denk nicht zu viel darüber nach. Alles wird gut werden.
Tim Gewan:
Wenn du das sagst.
;)
Annika Elden:
Denk lieber an uns. Wir bei unserem ersten Date, wir im Kino, wir im Park, wir auf deinem Bett ... ;)
Tim Gewan:
Oh, oh. Ich glaube, dann werde ich gar nicht mehr schlafen können.
Annika Elden:
Das schaffst du schon. Good night. Träum was Süßes. Ich muss jetzt auch schlafen, hab morgen viel vor.
Tim Gewan:
Was denn?
Annika Elden:
Shoppen, shoppen, shoppen ...
Tim Gewan:
Och ne, nicht schon wieder!
Anika Elden:
;)
Tim Gewan:
Hast du morgen Zeit zum Telefonieren? Deine Stimme fehlt mir.
Annika Elden:
Klar. 14 Uhr? Dann bist du doch wieder vom Spiel zurück, oder?
Tim Gewan:
Denke schon, ich glaube nicht, dass wir nach einem Sieg feiern gehen. Die Mannschaft wirkt eher so, als würde sie danach nur noch härter trainieren.
Annika Elden:
Dann mach dich schon mal auf eine extra Trainingssession gefasst, denn ihr werdet gewinnen!
Tim Gewan:
Ok, du fängst an, mich vom Sieg zu überzeugen.
Annika Elden:
Gut!
Dann schalte jetzt dein Handy aus, leg dich wieder hin und fang an, von deinem Sieg zu träumen!
Tim Gewan:
Aye, aye, Captain!
Mit einem Lächeln im Gesicht legte er sein Handy zurück auf den Tisch neben seinem Bett.
Morgen nach dem Spiel musste er unbedingt mit Annika telefonieren und sie fragen, ob sie Zeit hätte, nächste Woche auf diesen Ball an seiner neuen Schule zu kommen. Ohne sie würde er nicht hingehen. Er hatte bis jetzt noch niemanden wirklich netten kennen gelernt, und fühlte sich hier so alleine.
Nur seine Mutter war tagtäglich für ihn da.
Und das ging ihm mittlerweile ziemlich auf die Nerven, denn die war immer noch nicht überzeugt davon, dass Tim es schaffen konnte, Fußballer zu werden.
Er horchte in die Nacht hinein. Stille, nichts als Stille. Bis eben hatte es ziemlich heftig geregnet und gestürmt, doch nun war das Gewitter vorbeigezogen. Die Welt fühlte sich so traurig und verlassen an.
Tim sehnte sich nach Nähe zu seiner Mutter oder zu Annika. Irgendwem, der sich hier neben ihn legen, und ihn in den Arm nehmen konnte.
Natürlich war seine Mutter nicht weit von ihm entfernt. Zumindest physisch befand sie sich nur zwei Räume weiter. Aber psychisch hatte er sich von ihr wegbewegt, seit sie hier in die neue Stadt gezogen waren. Tim hatte es noch nicht bewusst gemerkt, dafür war er in Gedanken zu oft woanders.
Seiner Mutter war es jedoch schon aufgefallen, weshalb sie in diesem Moment vor seiner Tür stand. Sie hob die Hand zum Klopfen, doch dann seufzte sie und schüttelte den Kopf.
Tim will mich sicher nicht sehen, dachte sie.
Dass ihr Sohn sich nur wenige Meter entfernt vergebens nach ihrer Nähe sehnte, konnte sie nicht wissen, also entfernte sie sich wieder.
Tim nahm nochmals sein Handy in die Hand, um sich zu vergewissern, dass keine neuen Nachrichten eingegangen waren.
Annika war wieder offline gegangen und versuchte wohl gerade einzuschlafen. Auch mit ein paar weiteren Freunden aus seiner alten Schule hatte Tim noch Kontakt, doch auch diese schienen sich gerade nicht für ihn zu interessieren, oder waren bereits ins Bett gegangen.
Was mache ich hier gerade eigentlich, ich sollte schlafen.
Entschieden legte er das Handy wieder weg, zog sich die Bettdecke bis über das Kinn und schloss die Augen.
Ein paar Sekunden dachte er, er würde in der Stille endlich Ruhe finden, doch dann erschienen Bilder vor seinem inneren Auge. Wieder ging es um das morgendliche Fußballspiel. Tim sah, wie er gefoult, ausgeschimpft und ausgewechselt wurde. Wie er versuchte den Ball zu treten, doch stattdessen den Rasen traf. Wie seine Mutter ihn vom Rand aus an enttäuscht ansah.
Das kann so nicht weitergehen. Ich muss irgendwas dagegen tun. Ich will das alles nicht sehen. Ich brauche etwas, das mich ablenkt.
Wieder griff Tim nach seinem Handy, doch dieses Mal war es mit einer Intension. Er öffnete ein YouTube-Video.
Zwei Stunden tropische Hintergrundklänge.
Die Geräusche erinnerten ihn an seine Reise nach Costa Rica, die er vor einem Jahr mit seinen Eltern gemacht hatte. Statt seinen Albträumen erschienen nun die Bilder aus dem Urlaub vor seinen Augen.
Mit diesen beruhigenden Erinnerungen gelang es ihm endlich einzuschlafen.
Manchmal waren Geräusche vielleicht doch entspannender als die Stille alleine.
Manchmal vergessen wir, dass gerade Klänge unser Leben bunter machen.
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