Eins: Isabella


Samstag 07.02.2019    21.43 Uhr

Isabella Goldbaum


Der Regen klopfte leise gegen Isabellas Fenster. Sie saß da, und sah ihm zu. Es war sehr beruhigend dem Regen zuzusehen, fand sie. Er entsteht in den Wolken, fällt hinunter auf die Erde und verschwindet dort wieder. Später verdunstet er und gelangt wieder in die Wolken. Ein sehr einfaches Prinzip. Ein sehr einfacher Vorgang. Ein sehr einfaches Leben.

Doch so ist das echte Leben nicht. Das echte Leben ist kompliziert und voller Probleme. So wie ihr Leben ...

Sie hatte es nicht gemerkt, doch sie kaute schon wieder auf ihrem Stift herum. Eine doofe Angewohnheit, aber sie konnte sie nicht abstellen. Sie kaute immer, wenn sie nachdachte.

So wie gerade. Sie hatte über die Regentropfen nachgedacht.

Wie soll ich nur anfangen?, dachte sie.

Dieses Mal dauerte es besonders lange, sich einen schönen ersten Satz zu überlegen.

Isabella schrieb Tagebuch, seit sie sechs Jahre alt war. Damals hatte sie ihre Texte noch wie ein Kind formuliert. Sie war ja auch ein Kind. Dann hatte sie eine Zeit lang versucht, sich poetisch auszudrücken. Sie hatte versucht, Kunst in ihrem Tagebuch zu erschaffen. Sie hatte versucht, etwas für die Nachwelt zu hinterlassen, was man veröffentlichen, und zu einem Bestseller machen konnte.

Ob sie es schaffte? Eher nicht. Nach einem Jahr gab Isabella es auf, poetisch zu schreiben.

Diese Art des Schreibens machte sie traurig, denn für sie bedeutete Poesie gleich, etwas Melancholisches zu schreiben. Sie fand, man schaffte es nur, andere Menschen zu berühren, indem man etwas Trauriges schrieb. Darüber konnte man sich wohl streiten.

Ein Blitz zuckte am Himmel. Der Regen wurde stärker. Dann kam der Donner.

Gewitter hatte etwas sehr Beruhigendes an sich. Der leise Regen, der laute Wind und der noch lautere Donner. Wie Personen, die gegeneinander um die Oberhand kämpften.

Oder wie das Gefühlschaos in einem Menschen. Wie es in einem wütet und plötzlich, wenn der Donner ankommt, ist es für einige Sekunden still. Die Sorgen sind weg, man fühlt sich frei. Die ganze Welt erstarrt für ein paar Sekunden.

Plötzlich kam ihr die Idee für ihren ersten Satz.


Wie ein Donnergrollen hallte die Nachricht gestern durch die Flure des Fuchsbach-Gymnasiums.

Zoe V. und Alexander W. haben sich getrennt? Das konnte sich keiner vorstellen. Doch dies ist die Wahrheit.

Die kleine, unschuldige, von allen geliebte Zoe wurde betrunken in einem Club gesichtet - knutschend mit einem fremden Jungen. Als Alex davon erfuhr, machte er kurzen Prozess. Für ein paar Minuten sollen sie sich laut gestritten haben, dann folgte die Trennung.

Das war's wohl mit unserem Traumpaar.

Bekanntlich halten Beziehungen am Fuchsbach-Gymnasium ja nicht länger als zwei Monate, und in die lange Liste gescheiterter Beziehungen muss sich nun auch diese einreihen. (Stimmt doch bei der Abstimmung ab, ob sie einen Platz in der Top 10 wert ist. Ich finde ja schon. Immerhin wurden sie von der gesamten Schülerschaft vergöttert.)

Mal sehen, wie lange sich Sophia und Moritz noch halten. In einer Woche hätten sie die Zwei-Monatsgrenze überschritten. (Wetten in den Kommentaren werden gerne entgegengenommen. Falls sich jemand für meine Meinung interessiert. Ich denke, dass nicht mal die Queen der Schule sich der Zwei-Monatsgrenze entgegenstellen kann. Bye, bye #Mophia.)

Bis hoffentlich bald, denn Einträge bedeuten Klatsch!

-unknown user-


Bevor ihr jetzt denkt, Isabella Goldbaum würde diesen Skandal posten. Nein, das tat sie nicht. Sie benutzte ihr Tagebuch einfach nur dafür, den ganzen Klatsch und Tratsch, den sie mitbekam, aufzuschreiben. Denn das war eine Form des Schreibens, die sie beherrschte. Die Einzige, wie sie fand.

Isabella war eine eher ruhigere Person. Eine Zuschauerin und Beobachterin. Und diese Gabe machte sie zu einer Klatschkönigin. In der Schule belauschte sie Gespräche und auch außerhalb der Schule hatte sie eine Stellung, der sie sehr viel Wissen über die Geheimnisse ihrer Mitschüler zu verdanken hatte.

Doof war nur, dass sie dies mit niemandem teilen konnte.

Ihre einzige Freundin war Mila Fossile, ihre beste Freundin, ihre zweite Hälfte. Nun schon über fünf Jahre an ihrer Seite und nie wieder davon wegzudenken. Doch auch ihr wollte Isabella dieses Geheimnis nicht anvertrauen, denn wer wollte schon mit einem Psycho befreundet sein?

Isabella selbst fand ihre Gabe nämlich alles andere als gut, was auch der Grund dafür war, dass sie die Einträge nicht veröffentlichte. Sie wollte ihre Mitschüler nicht im Internet bloßstellen, sie war ein guter Mensch.

Das alles hier in dieses Tagebuch zu schreiben diente nur dazu, den ganzen Tratsch loszuwerden und sich somit davon zu befreien. Es war wie ein externer Datenspeicher, den sie mit Wissen befüllte, um dieses dann von ihrer eigenen Festplatte löschen zu können.

Ihre beste Freundin Mila hätte wohl über diesen Vergleich gelacht. Sie war verrückt nach Computern.

Als sie so an Mila dachte, fiel ihr auf, dass sie sie noch etwas wegen dem Ball nächste Woche fragen wollte.

In einer Woche würde die Schule einen Valentinsball veranstalten, für den die Schüler schon seit einigen Wochen Tanzunterricht nahmen. Isabella freute sich nicht wirklich darauf. Sie hatte weder einen Freund noch einen Tanzpartner, was sie zu dem Schluss kommen ließ, dass sie beim Ball keinen Spaß haben würde. Doch ihre Mutter zwang sie dazu, hinzugehen.

Die Hoffnung, bis Samstag noch einen Jungen zu finden, der sich mit ihr abgeben wollte, war doch sehr gering.

Bis jetzt hatte keiner ihrer Übungs-Tanzpartner Interesse an ihr gezeigt, sondern sie hatten sich immer nach der Stunde für ein anderes Mädchen entschieden.


Mila Fossile:

Hi, wann kaufen wir unsere Kleider? Ich habe mir heute Inspiration auf Pinterest geholt. Vielleicht war das eine schlechte Idee. Jetzt werde ich mich nie im Leben entscheiden können.


Wenn man vom Teufel spricht ... Mila hatte ihr soeben geschrieben.


Isabella Goldbaum:

Mum und ich gehen am Freitag. Ich weiß, ziemlich knapp. Aber so habe ich die Ausrede, dass wenn mir kein Kleid passt, ich nicht zum Ball gehen muss. :)

Du kannst mitkommen, wenn du willst. Hast du eine Farbe, die du besonders schön findest? Vielleicht fällt dir die Entscheidung dann leichter.


Mila Fossile:

Gerne :) Ich tendiere zu grün oder gelb. Das mag jetzt sehr gewagt klingen, aber die Beispiele sahen alle SO UNGLAUBLICH SCHÖN aus. Ich schicke dir mal ein paar Beispiele.


Und das tat sie auch. Isabella musste ihrer Freundin Recht geben, die Kleider waren sehr schön. Aber ihrem Farbschema entsprachen sie nicht.


Isabella Goldbaum:

Willst du morgen zu mir kommen? Wir können Frisuren ausprobieren.


Das wollte ihre Mutter, nicht sie.


Mila Fossile:

Klar, zehn Uhr?


Isabella Goldbaum:

Geht klar.

 

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Ich hoffe, euch gefällt die Geschichte bisher :) Schreibt mir gerne Feedback, ob positive oder negative Anmerkungen, ich freue mich über jeden Kommentar. :)

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