FIFTY - Tote bleiben tot

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»I believe in hate at first sight.«
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Kiara POV

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Augenblicklich nimmt die Ruhe um uns rum ein Ende, und befinden Bale und ich uns inmitten eines Schussfeuers. Aus verschiedensten Ecken des Raumes werden Kugeln abgefeuert, und es ist eine Frage der Zeit bis die Männer, die uns festhalten, ebenfalls dran glauben müssen. Ich entdecke ihn zwar nicht, und auch der Rest der Gruppe bleibt mir verborgen, doch ich weiss dass Mateo hier ist. Ich spüre es.

Und tatsächlich: Als nur noch Alex steht, und die Männer hinter Bale und mir zu Boden fallen, treten schwarze Stiefel in mein Blickfeld, gefolgt von weiteren schwarzen Stiefeln. Einer der beiden Träger hat dunkelbraune Haare mit blauen Augen, die einen grossen Ticken dunkler sind und längstens nicht mehr so fröhlich strahlen wie sonst, und der andere Träger starrt Alex mit seinen giftgrünen Augen so wütend an, dass ich mich frage wie er noch steht, und pustet sich dabei eine seiner widerspenstigen, schwarzen Strähnen aus der Stirn.

„So sieht man sich wieder", flötet Alex lachend, und schüttelt den Kopf. „Es war schon immer spektakulär die Genovese-Brüder zusammen in Aktion zu sehen. Nur schade dass ihr geschrumpft seid... trotzdem, wäre ich es mir nicht gewohnt würden eure Blicke etwas in mir anrichten. Nur blöd kenne ich euch bereits, nicht wahr?"

Wenn ich könnte würde ich Alex jetzt gerade wirklich sehr gerne erwürgen, doch Bale hält mich mit einem Arm zurück.

„Ach herrje, euch beide habe ich ja glatt vergessen! Kiara... schade dass du mit so wenig Schutz hier aufgetreten bist." Ich sage nichts, sondern spüre nur den Lauf meiner Waffe an meinem Bein. Auch Bale bleibt stumm, jedoch sehe ich ihm an dass er sich ebenfalls aufregt. Es gibt absolut keinen Menschen den ich in diesem Moment weniger ausstehen kann als Alex, sogar Sam wäre mir jetzt lieber.

„Ihr fragt euch sicher, wie ich euch gefunden habe, richtig?" Alex, der sich anscheinend überhaupt nicht bedrängt fühlt von uns, setzt sich wieder auf seinen Stuhl und schlägt seine Beine übereinander.

„Sprich", befiehlt Gian nur, und ich hebe eine Augenbraue. „Kiara", fängt Alex an, und sieht zu mir. „Du solltest deinem Vater vielleicht sagen, dass nicht alle seine Verbündete wirklich ehrlich sind." Ich runzle die Stirn, und auch die anderen Jungs scheinen sich nicht wirklich einen Reim auf diese Antwort machen zu können. „Es gibt da jemanden den du doch sehr enttäuscht hast... leider. Er hätte dir sein Leben gegeben, allen Luxus, den du dir gewünscht hättest... nur leider hast du dich für jemanden anderen entschieden. Schade."

Noch bevor jemand hier reagieren kann, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Sam. Sam hat mich verraten.

„Seht ihr, sie versteht wen ich meine."

„Wo ist er", flüstere ich mit zitternder Stimme, und Alex sieht wieder zu mir. „Sam? Wo denkst du denn? In Amerika, natürlich. Was würde er auch hier wollen? Dich besuchen? Das Mädchen, das sein Herz gebrochen hat? Auf keinen Fall. Aber ich soll dir Grüsse von ihm aurichten."

„Die kann er sich in den Arsch schieben."

Meine Stimme ist mir fremd, sie klingt hart und kühl. Ich spüre Mateos Blick auf mir, jedoch gilt meiner momentan nur Alex. Jetzt ergibt es auch Sinn, woher er mich so schnell finden konnte. Laut Mom hat sie Sam verraten wo ich bin, und der hat es natürlich sofort an Alex weitergeleitet. Ich muss sagen, ich habe Sam unterschätzt.

„Wie dem auch sei... lassen wir dem hier jetzt ein Ende setzen. John, ich weiss dass du hier bist. Das ist eigentlich alles was ich wollte..." Alex erhebt sich wieder, und auf sein Zeichen hin werden sämtliche Türen und Fenster geöffnet. Bale wirft sich über mich und rettet uns beide so vor einer Kugel, und erneut wird das Feuer eröffnet. Aus allen möglichen Ecken kommen Männer hervor, die für Alex arbeiten, und so langsam geben auch die Leute der Genoveses ihre Verstecke auf und treten in den Offensivkampf ein.

Bale zückt seine Waffe und fängt ebenfalls an zu schiessen, und als es langsam eng wird steige ich ebenfalls ein. Ich habe noch nie vorher eine Waffe bedient und weiss daher auch nicht wirklich wie ich zielen muss, doch als der erste von mir getroffene Körper zu Boden fällt macht sich ein ungeheures Selbstvertrauen in mir breit. Wir schlagen uns gut - immer wie mehr Männer fallen, keiner entwischt uns.

Bis einer vor mir auftaucht und ich feststelle, dass ich keine Munition mehr habe.

Bale, der mich gerade nicht sehen kann, erkennt die Gefahr daher nicht, und bevor ich reagieren kann werde ich gegen die nächstbeste Wand geschleudert. Sofort reisst meine Stichwunde an meiner Schulter auf, diesmal mehr als sonst, und augenblicklich spüre ich die Wärme meines Blutes, das über meinen Arm läuft. Gian sieht zu mir, passt nicht auf, und wird von einem heftigen Kinnhacken getroffen, ehe ich mitansehen muss, wie ein Schuss durch seine Schulter gejagt wird und der Italiener zu Boden geht. Direkt darauf hat er einen Mann auf sich, der ihn auf den Bauch dreht und seine Arme schmerzhaft auf den Rücken dreht.

Ich will mich bewegen und zu ihm gehen, den Mann von Gian stossen und ihm helfen, doch ich kann nicht. Mein Körper gibt auf, ich kann mich nicht mehr bewegen. Die Schmerzen sind zu stark, und ich bin zu schwach. Es ist als wäre das der entscheidende Moment gewesen; rasend schnell gewinnt Alex die Überhand, Männer werden niedergeschossen, und bald sind nur noch wenige von unserer Gruppe ansprechbar. „Nein", flüstere ich, und unterdrücke die in mir aufkommenden Tränen, als Bale leblos neben mir landet. Sein bewegender Brustkorb verrät mir dass er noch atmet, jedoch verliert er viel Blut.

Alle verlieren viel Blut, wie ich schnell feststelle.

„Scheisse", fluche ich leise, und werde im nächsten Moment am Bein in die Mitte des Raums gezerrt.

„Pfoten weg!", ertönt eine schneidende Stimme, und ich entdecke Mateo, der den Lauf seiner Waffe auf Alex richtet, welcher selbst ebenfalls eine Menge abbekommen hat. Trotzdem lächelt er nur müde und hebt dann die Hände. „Ich bin ab jetzt nur der Handlanger", erklärt er dann, und wankt gefährlich. „Und meine Arbeit ist getan."

Seine Knie geben nach, doch bevor er den Boden berührt ist Mateo da und hält ihn an den Schultern fest. „Nichts da", zischt er, und schüttelt Alex. „Für wen arbeitest du? Verdammt, was wird jetzt passieren?" Alex schüttelt den Kopf und sieht zu Mateo. „Das wird wohl etwas sein, dass du selbst rausfinden musst. Mich am leben zu halten für Informationen ist nutzlos, tut mir leid. Aber du hast Zeit verschwendet."

Wütend lässt Mateo den besten Freund seines Bruders los, und Alex fällt zu Boden. Er gibt keinen Pieps mehr von sich, doch es überrascht uns alle, als sein Körper von einer Kugel durchbohrt wird.

Mateo, der sich gerade zu mir runterbücken wollte, dreht sich schnell um, jedoch weiss keiner woher die Kugel kam. „Wir müssen hier weg", murmelt der Italiener, und hält sich ein kleines, schwarzes Objekt an die Lippen. „Dad, lauft. Geht weg. Wir müssen raus." Er lässt das Objekt sinken und streckt seine Arme nach mir aus. Er will mich hochheben, doch eine Stimme lässt uns alle an Ort und Stelle erfrieren. „Mateo, Mateo, Mateo... wie überaus speziell, dich hier zu treffen." Mateos Augen werden gross, nein, riesig, und voller Emotionen starrt er mich an.

„Nein", flüstert er dann, und schüttelt langsam den Kopf. „Niemals."

Ich schaue meinen Freund verwirrt an, und lege dann eine Hand an seine Wange. Er glüht. „Mateo", flüstere ich, und versuche, seine Aufmerksamkeit zu erlangen - erfolglos. Auch Gian steckt in dieser Paralyse, seine Augen sind gross und er bewegt sich keinen Millimeter.

In Zeitlupe dreht Mateo sich zu der Person um, die den Raum betreten hat, und ein undeutbarer Laut entkommt seiner Kehle. Ich hebe den Blick und schaue zu der Person auf. "Ach, und wie ich sehe hast du wieder mal ein Mädchen am Start. Nur blöd, dass es ausgerechnet Kiara sein musste..." Ich schlucke schwer, und Mateo taumelt ein paar Schritte zurück. Der Mann ist innerhalb zwei Sekunden bei ihm, doch nur um ihm einen derart heftigen Schlag ins Gesicht zu verpassen, dass der Italiener noch weiter zurücktaumelt, und schlussendlich unsanft auf dem Boden aufkommt.

„So, dann ist wenigstens dieser überaus nervige Gesichtsausdruck weg", seufzt der Mann nur, und richtet seine grünen Augen auf mich. „Kommen wir zu dir", sagt er dann, und ein teufliches Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Er geht in die Hocke, so dass wir auf Augenhöhe sind, und lässt seine Fingerspitzen über mein Gesicht fahren. „Schon schade", seufzt er dann erneut, und legt den Kopf etwas schief. „Du wärst eine wirklich hübsche Frau geworden. Mateo hätte sich glücklich schätzen können. Aber jetzt... wird er bloss ein weiteres Grab haben, das er besuchen kann."

Ich schlucke trocken und versuche von dem Mann wegzukrabbeln, jedoch gehorcht mir mein Körper erneut nicht. Verdammt, was soll das denn jetzt? „Wer bist du?", frage ich stattdessen leise aber deutlich, und halte dem Blick dieser grünen Augen stand. Sie erinnern mich an Mateo, komischerweise. Gleichzeitig sehen diese dunkelbraunen, in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haare eher wie die von Gian aus. Wer ist dieser Mann?

„Tja, das wüsstest du wohl gerne, was?", lacht er, und sieht mich nachdenklich an. „Aber weisst du was? Ich verrate es dir. Sozusagen als letztes Geschenk vor dem Tod, oder so. VIelleicht habe ich auch einfach einen guten Tag... immerhin kann ich nun endlich einen lang ersehnten Deal einlösen, weisst du. Du hast sicher erfahren woher ich deinen Vater kenne?"

Gleich mehrere Schauer jagen über meinen Rücken, doch ich nicke trotzdem tapfer. Vielleicht kommt ja gleich Hilfe. Vielleicht bringt es was, so viel Zeit wie möglich zu schinden. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur naiv und sollte aufhören darauf zu hoffen, meinem Tod entkommen zu können. Was soll ich denn jetzt noch anrichten können? Alle die mir hier helfen können sind ausser Gefecht. Mein Vater wird von gleich drei Männern festgehalten, jedoch wage ich es nicht in seine Augen zu sehen. Ich will nicht wissen wie er jetzt aussieht, wissend, dass seine Tochter hier wohl nicht mehr lebend rauskommen wird.

Der Mann vor mir nimmt mein Gesicht erneut in seine Hände und dreht meinen Kopf etwas zur Seite, so dass ich an seinem Ohr vorbeisehen kann. Er nähert sich mir, und ich spüre seinen Atem der auf meinem Gesicht abprallt. Es kostet mich einiges an Selbstdisziplin um mich vor Ekel nicht zu schütteln. „Ich bin ein sehr wichtiger Mensch für die Genovese-Familie", flüstert der Mann mir ins Ohr, und ich verziehe das Gesicht vor lauter Unwohlsein. Er entfernt sich wieder etwas von mir, und langsam weite ich die Augen als ich eins und eins zusammenzähle. Aber - nein, das kann doch nicht sein?

„Du bist nah dran Kiara", mutigt mich der Typ vor mir mit einem hässlichen Lachen an, und langsam schüttle ich den Kopf.

„Marco", bringe ich schwer über die Lippen, und der Mann vor mir jubelt doch tatsächlich kurz. „Ja! Sie hat es erraten."

Ein Keuchen entkommt meiner Kehle, und jetzt verstehe ich auch wieso Mateo und Gian so neben der Spur sind. „Aber... wie?", frage ich nach, und spreche so wohl die Frage aus, die allen hier durch den Kopf geht. „Du bist doch tot!" Marco schmunzelt und tätschelt meine Wange ein bisschen. „Ach, nicht doch Kiara... ich bin nicht tot. Für meine Familie bin ich das, bestimmt. Aber auch die Genoveses sind leicht zu verarschen, wenn man es richtig angeht."

Ich weiss nicht so richtig was mich überkommt, doch bevor ich mich selbst aufhalten kann spucke ich Marco direkt ins Gesicht.

Sofort zuckt dieser zurück und wischt sich sein Gesicht ab, ehe er mich wütend anfunkelt. Ja, das sind definitiv dieselben Augen wie die von Mateo.

„Nun gut", zischt Marco, und entfernt sich etwas von mir. „Jetzt kommt der Teil, auf den ich mich am meisten gefreut habe - natürlich neben dem Teil, in dem ich meiner Familie endlich eins auswischen kann. John Lewis, ich hoffe du siehst jetzt ganz genau hin und schreibst dir hinter die Ohren was passiert, wenn man einen Deal mit mir verpatzt."

Marco sieht meinen Vater über seine Schulter an, und zieht dann eine Waffe aus seiner Jacke hervor. Er entsichert sie, begutachtet sie kurz und kommt dann wieder zu mir runter. Eine Hand umgreift meinen Hals, so fest, dass ich würge, und mit der anderen Hand drückt er den Lauf der Waffe gegen meine Stirn.

„Gute Nacht, Kiara", flüstert er, als ein Schuss ertönt, ich aber nichts spüre.

Stattdessen schnappt Marco nach Luft und kippt dann langsam zur Seite, nachdem er mich losgelassen und die Waffe fallen gelassen hat. Mit grossen Augen starre ich zuerst zu ihm, und dann zu der zweiten Person in diesem Raum mit giftgrünen Augen, die kühl auf die Waffe starren, die noch immer auf Marco gerichtet ist.

„Wer tot ist, sollte auch tot bleiben", flüstert Mateo, und wendet seinen mit Abscheu gefüllten Blick von seinem grossen Bruder ab, der langsam verblutet.

Mateo hat seinen Bruder erschossen.

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Hach, ich liebe Überraschungen :)

- xo, zebisthoughts

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